Transparenz Ich heiße Patric Gagne, und ich bin eine Soziopathin. Ich bin leidenschaftlich gern Mutter und Ehefrau. Ich bin eine einnehmende Therapeutin. Ich bin unglaublich charmant und beliebt. Ich habe viele Freunde und Freundinnen. Ich bin Mitglied in einem Countryclub.
Transparenz
Ich schlief in dieser Nacht nicht, sondern starrte nur im Bett liegend an die Decke, bis irgendwann die seichten Sonnenstrahlen das Zimmer erhellten. Ich wappnete mich, erwartete Davids Wecker. Als er dann losging, schloss ich die Augen und stellte mich schlafend, während er aufstand. Die Minuten fühlten sich wie Stunden an, in denen er duschte, sich anzog, mir einen Kuss auf die Wange gab und zur Arbeit aufbrach.
Ich wartete, bis er mit dem Auto aus der Einfahrt gefahren war, sprang dann auf, warf mir ein paar Klamotten über und fuhr zu Everly. Sie drückte mir schon beim Eintreten einen Kaffee in die Hand. »Danke«, sagte ich mit vor Erschöpfung rauer Stimme. Sie führte mich ins Wohnzimmer, wo Holzscheite im Kamin knisterten. Dann zog sie mich aufs Sofa und stützte sich mit einem Ellbogen auf den Kissen auf, schaute mich besorgt an. »Wir sind allein«, sagte sie. »Ben ist den ganzen Tag im Studio. Also erzähl mal, was zur Hölle ist bei dir los?« Ich atmete tief ein und fing an. Ich beschrieb die Probleme mit David in letzter Zeit und meine Frustration über die Situation. Ich erzählte ihr, dass der Druck zurück war, und was ich an der Uni über mich selbst gelernt hatte. Und schließlich ging ich ins Detail, erzählte von meiner komplizierten Beziehung zu Max, der Situation mit Ginny und den Geschehnissen der letzten Nacht. Everly hörte zu, während ich ihr alle meine Gedanken, Impulse und Verhaltensweisen beichtete. Als ich geendet hatte, lehnte sie sich seufzend zurück. »Himmelherrgott, Patric«, sagte sie.
»Ich weiß einfach nicht, was hier gerade passiert«, jammerte ich. »Ich fühle mich wirklich, als würde ich verrückt werden.« »Eins ist auf jeden Fall schon mal sicher: Ginny Krusi ist eine verdammte Fotze«, sagte Everly. Der Kommentar erwischte mich kalt und ich musste lachen. Dann traf sie mich mit einem weiteren: »Und du hast Gefühle für Max.« Es war so ungewohnt, dass jemand anderes ihn auch Max nannte, ein heller Fleck Unwahrheit auf einer ansonsten makellosen Beichtleinwand, denn sein richtiger Name war das Einzige, was ich ausgelassen hatte. »Na ja, klar«, sagte ich mit einem bewussten Schulterzucken. »Wir sind ja auch Freunde.«
»Jetzt tu nicht dümmer, als du bist. All die Zeit, die du mit ihm verbringst … die Tatsache, dass du mir nie von ihm erzählt hast … selbst die Art und Weise, wie du euer Kennenlernen beschreibst. Du magst ihn«, sagte sie. »Ich verurteile das auf keinen Fall«, fügte sie hinzu. »Aber was du da beschreibst, entspricht dem, wie sich Anziehung anfühlt. So fühlt sich Liebe an.« »Ich weiß, wie sich Liebe anfühlt, Everly«, erwiderte ich mit etwas zu scharfem Ton. »Das ist es hier nicht.« »Was ist es denn dann?« »Ich weiß es nicht«, gestand ich. »Das versuche ich dir ja gerade zu sagen, dass ich bestimmte Gefühle nicht wie alle anderen verarbeite.« Ich lehnte den Kopf ans Sofa. »Selbst wenn ich begreife, dass ich gerade ein Gefühl durchlebe, wirkt sich das nicht immer gleich auf mich aus. Auf intellektueller Ebene erkenne ich es vielleicht, aber ich internalisiere das Gefühl nicht und genau das ist das Problem. Das war es schon immer.« Ich zuckte mit den Schultern. »Aber in diesem Fall ist es die Lösung. Ich muss ein Gefühl nicht internalisieren, um es zu unterbinden. Ich kann meine Gefühle unterdrücken, wann immer ich will. Was kümmert es mich?«
»Weil es nicht das ist, was du willst«, antwortete sie geduldig. »Du willst die Dinge fühlen. Ich weiß, dass du es zumindest versuchst.« Sie schaute mich verständnisvoll an. »Du kannst dir da aber nicht nur die Rosinen rauspicken.« Sie drehte meine Hand um und hob sie wie eine Waagschale an. »Wenn die Grundgefühle stärker werden«, dabei hob sie meine andere Hand an, »dann werden es auch die komplexeren.« »Aber meine Gefühle für Max sind nicht komplex.« Ich hielt inne und fuhr fort: »Es ist ein wenig so wie bei dir mit Tennis.« Everly schaute mich zweifelnd an. »Du spielst für dein Leben gern Tennis«, erklärte ich. »Aber dein Freund nicht. Hörst du also auf zu spielen? Nein! Du spielst einfach mit jemand anderem.« »Nur, dass es hier eben nicht um ein verdammtes Tennisspiel geht«, blaffte sie mich an. »Tu mir mal einen Gefallen und zeig mir ein Foto von Max.« Sie griff nach meinem Handy. »Nein«, sagte ich. »Warum nicht?«, wollte sie von mir wissen. »Ich meine ja nur … Willst du ein wirkliches Gespräch darüber führen oder nicht?
Denn wir wissen beide verdammt noch mal, dass ›Max‹ nicht sein richtiger Name ist. Diese ganze Situation ist, bestenfalls, grenzwertig. Und das weißt du ganz genau.« »Wow«, sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Mein ganzes Leben lang wurde mir vermittelt, ich sollte mich schlecht fühlen, weil ich nichts fühle. Und jetzt willst du mir hier sagen, dass ich mich schlecht fühlen sollte, weil ich es tue?« Ich schnaubte. »Scheiß doch der Hund drauf.« »Ich sage nicht zu dir, was du fühlen solltest«, erklärte Everly, meinen Ablenkungsversuch ignorierend. »Ich sage nur, dass du es tust. Und das, meine Liebe, dürfte auch der Grund sein, weshalb du dich eingeengt und gestresst fühlst. Weil du dich gefangen fühlst. Von Gefühlen gefangen.«
»Ich bin einfach müde«, gab ich mit hängenden Schultern zu. »Ich liebe David mehr als sonst jemanden, mehr, als ich sonst jemanden lieben könnte. Aber du musst verstehen« – ich schaute Everly an –, »dass meine Fähigkeit zu lieben nur ein Bruchteil von Davids ist. Er aber erwartet, dass ich seiner immer und jederzeit entsprechen kann. Und wenn ich das nicht schaffe, nimmt er es persönlich, als würde ich ihn willentlich nicht auf dieselbe Weise lieben wie er mich.« Ich schüttelte den Kopf. »Also ertappe ich mich dabei, wie ich so tue, als hätte ich Gefühle, die nicht da sind, aber eigentlich doch da sind, nur eben nicht in der Menge, die er gern hätte.« Ich seufzte. »Das macht mich irre.« »Warum redest du nicht einfach mit ihm darüber?«, fragte sie. »Warum kannst du das, was du gerade zu mir gesagt hast, nicht auch ihm erklären? Ihr liebt euch so sehr. Alle Beziehungen sind manchmal schwie…« »Nicht die mit dir«, unterbrach ich sie. »Oder die mit Max. Ihn interessiert es nicht, ob ich liebevoll oder emotional bin. Es interessiert ihn nicht. Punkt. Deswegen haben wir so einen Spaß miteinander. Da herrscht nie Druck, es gibt nie Stress. Er versteht mich einfach.«
»Ich glaube, du meinst eher, er steht einfach auf dich«, konterte sie. »Aber egal. Du weißt, dass Max – wer auch immer er sein mag – nicht die Lösung ist. Er ist einfach nur ein neues Rezept. Und das ist in Ordnung. Du darfst dich daran berauschen, du darfst mit deiner kleinen Ablenkung davonlaufen. Du darfst alles, worauf du Bock hast, so lange machen, wie du Bock darauf hast. Aber erinnere dich bitte daran, dass deine Probleme weiterhin da sein werden, wenn du wieder fertig bist.« Sie wedelte mit einem Finger durch die Luft. »Und damit meine ich nicht nur die Probleme mit David.« »Was soll das denn jetzt bitte heißen?« »Wer bist du, Patric?«, fragte Everly. »Ich weiß, wer du bist, wenn wir zusammen sind. Wenn du mit David zusammen bist. Ich weiß, wer du vorgibst zu sein, wenn du mit diesem anderen Typen zusammen bist. Aber wer bist du, wenn sonst niemand da ist?« Ein Holzscheit knisterte und knackte im Kamin. Ich starrte das Holz an, die es verschlingenden Flammen hypnotisierten mich. Ich musste erneut an Alice im Wunderland denken, wo die Raupe gern mit der Frage »Wer bist du denn?« neckte. »Ich weiß es nicht«, sagte ich.
»Ach, ich glaube, das weißt du sehr wohl«, beharrte sie. »Ich glaube, du weißt genau, wer du bist. Das Problem ist eher, dass du dir selbst nicht erlaubst, diese Person zu sein, diese gesamte Person zu sein. Ich glaube nicht, dass du das überhaupt jemals hast. Wie also soll David – oder irgendjemand – dich jemals akzeptieren, wenn du dich selbst nicht in Gänze akzeptierst?« Ich starrte ins Feuer. Everly folgte meinem Blick. »Im Endeffekt musst du aufhören, dieses Doppelleben zu führen. Dir geht’s beschissen damit. Dir geht’s beschissen, weil du nie Patric bist. Du musst mal lernen, einfach du selbst zu sein. Und das immer. Mit allen.«
»Und dann?«, hakte ich nach. Everly lächelte und stupste mich liebevoll mit dem Fuß an. »Was interessiert es dich?« Später am Abend saß ich David an unserem Esstisch gegenüber. Es war in jeder Hinsicht ein wunderbarer Abend gewesen. Ich war rechtzeitig nach Hause gekommen, um das Abendessen zuzubereiten, und David – der kürzlich ein großes Projekt abgeschlossen hatte – hatte fabelhafte Laune. Zumindest anfänglich. Ich verkündete beim Nachtisch: »Ich habe mich dazu entschieden, meine Diagnose der Soziopathie mit in die Verteidigung meiner Dissertation aufzunehmen.« Er hörte mit dem Kauen auf und war unverfroren genug, um überrascht dreinzuschauen. »Hä?« »Ich möchte in Zukunft transparenter damit umgehen, dass ich eine Soziopathin bin«, erklärte ich. »Es ergibt keinen Sinn, das zu verstecken. Vor allem nicht, wenn ich jemals für andere Menschen wie mich einstehen möchte.« Ich hielt kurz inne, um meine Aufregung sacken zu lassen. »Ich glaube, das könnte der Anfang von etwas wirklich Tollem sein.«
Er schüttelte den Kopf und schluckte schwer. »Jetzt willst du es also allen erzählen?« Ich seufzte. Dies war eine Wiederholung unseres jahrelangen Streits. Ihm war unwohl damit, dass ich mich gern mehr auf meinen Persönlichkeitstypus besinnen wollte. Er lehnte nicht nur meine Entscheidung ab, dass ich meine Diagnose in meiner Doktorarbeit öffentlich machen wollte, sondern verwehrte sich auch jeglicher Diskussion darüber. Das Gespräch dauerte nur wenige Minuten an, bevor er wütend ins Schlafzimmer stürmte.
Ich betrachtete die brennenden Wachskerzen in der Mitte des Tischs. Leuchtend orangefarbenes Flackern warf beruhigende dunkle Schatten an die Wand. Everly hatte recht gehabt, dachte ich. Ich liebte David, aber ich war durch damit, mich mit ihm treiben zu lassen. Ich wollte, dass unsere Beziehung funktionierte, dass es eine richtige Partnerschaft wurde. Es war an der Zeit, dass ich ich selbst war. Und es fühlte sich gut an, dieses Gefühl der Freiheit. Ich betrachtete die Kerzen noch ein paar Augenblicke lang, bevor ich sie widerwillig ausblies. Ich räumte den Tisch ab und putzte ein wenig rum. Ich ließ mir Zeit beim Einräumen der Spülmaschine. Wischte sorgfältig die Kücheninsel und die Arbeitsplatten ab. Erst dann schaltete ich das Licht aus und lief in Richtung Schlafzimmer.
Die Tür war zu. Ich öffnete sie langsam und stellte fest, dass David bereits im Bett lag. »Süßer«, sagte ich mit ruhiger Stimme. »Ich liebe dich. Aber das, was gerade passiert ist, ist genau der Grund, weshalb ich offener damit umgehen möchte, wer ich bin.« Er wandte den Kopf, sodass er an die Decke schaute. »Was meinst du damit?«, fragte er tief seufzend. »Du hast dich geweigert, über die Tatsache zu reden, dass ich eine Soziopathin bin. Ich kann es nicht mal ansprechen, ohne dass du gleich wütend wirst. Und ich verstehe das. Du willst nicht, dass ich eine Soziopathin bin, weil Soziopathen den Ruf haben, schrecklich zu sein. Und du willst diese Teile von mir nicht sehen.« Er drückte sich von den Kissen hoch. »Ich sehe diese Teile von dir einfach nicht«, beharrte er. »Klar habe ich dich schon schlimme Sachen machen sehen, aber ich glaube nicht, dass du schlimm bist, Patric. Bitte sag mir, dass du das weißt.« »Ja, tu ich«, erwiderte ich. »Und ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich es zu schätzen weiß, das auch mal zu hören. Ich kann dir gar nicht wirklich erklären, wie sehr dein Bild von mir als etwas anderes als ein ›schlechtes Mädchen‹ mein Selbstbild geprägt hat. Du hast mein Leben verändert.« Ich lächelte schwach. »Aber nicht alle haben so jemanden wie dich in ihrem Leben, Süßer. Nicht alle haben einen David. Und ich möchte gern den Menschen helfen, die nicht so viel Glück haben wie ich.« Er dachte darüber nach. »Das sehe ich ein«, sagte er schließlich. »Und ich verstehe das. Natürlich bin ich der Meinung, dass es bewundernswert ist, wenn man Menschen helfen möchte. Wirklich. Aber wie soll das funktionieren, wenn du allen erzählst, dass du eine Soziopathin bist?«, fragte er. »Niemand wird dir mehr zuhören, sobald du das gesagt hast. Jeder Datenpunkt wird infrage gestellt werden. Soziopathen sind historisch gesehen nicht gerade als vertrauenswürdigste Quelle bekannt, geschweige denn als Ärzte.« Er hielt inne. »Sie werden dich hassen.«
»Wen interessiert das?«, erwiderte ich. »Letztlich kann ich nur die Wahrheit sagen, aber es liegt nicht an mir, wie Menschen diese dann annehmen. Andere Soziopathen werden mich nicht hassen, sondern sich selbst in mir erkennen können. Endlich.« Er war kurz still. »Ich weiß nicht, ob du damit so recht hast«,
sagte er irgendwann. Ich schüttelte den Kopf. »Das ist genau der Punkt«, erklärte ich ihm. »Du musst es nicht wissen. Es ist egal, ob du mir zustimmst oder nicht. Es ist meine Entscheidung, David.« Ich legte die Hände im Schoß übereinander. »Und ich habe sie getroffen.« Ich konnte das Mitgefühl aus seinem Gesicht bereits verschwinden sehen, als die Worte gerade mal über meine Lippen gekommen waren. »Es ist also egal, wie ich mich dabei fühle«, stellte er kopfschüttelnd fest. Ich runzelte die Stirn, enttäuscht. Wir waren so nah dran gewesen. Er schürzte die Lippen und fragte rhetorisch: »Warum sind wir dann überhaupt zusammen?« »Sag du es mir«, erwiderte ich sanft. David riss die Augen auf und schrie fast: »Ich weiß es nicht! Ist ja nicht so, als würden wir uns überhaupt noch zu Gesicht bekommen. Ich arbeite mir den Arsch ab und es ist, es ist, als wäre es umsonst. Wir schaffen es nicht mal durch ein verdammtes Abendessen, ohne über den immer gleichen Scheiß zu streiten.« Er atmete laut aus. »Warum können wir nicht einfach normale Probleme haben? Wie so ein verdammtes, normales Paar!« »Normal?« Jetzt war es an mir, wütend das Schreien zu unterdrücken.
»Wo hast du denn den Gedanken her? Kam der schon bei unserem ersten Treffen auf? Als ich Landkarten geklaut und mich im Keller versteckt habe? Oder während all der Telefonate, als ich dir erzählte, dass ich dachte, ich könnte eine Soziopathin sein?« Ich streckte die Hände in künstlicher Neugier zu ihm aus. »Vielleicht kam er auch mit dem GOTTVERDAMMTEN SCHLÜSSELANHÄNGER, DEN ICH IM HAUS GEGENÜBER GEFUNDEN HATTE UND MIT DEM ICH DIR MITTEILTE, WENN ICH ABGEFUCKTE SCHEISSE TAT!« Ich zeigte mit einem Finger auf David. »Nein«, sagte ich scharf. »Du wusstest ganz genau, zu wem du hinfährst. Du wusstest genau, dass ich ALLES VERDAMMT NOCH MAL ANDERE als normal bin. Du wolltest mich nur einfach nicht mehr, sobald du mich hattest!« »Das stimmt nicht!«, flehte er. »Ich will nur die wirkliche Patric. Ich will, dass du die bist, bei der ich weiß, dass du sie eigentlich bist, tief in dir drin.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Ich weiß, dass sie irgendwo da drin ist. Ich weiß es, Patric.« Ich starrte auf den Boden. »Herrgott«, sagte ich. »David. Ich kann das alles nicht mehr.« Ich fasste mir an die Brust. »Zum letzten Mal. Es gibt nur eine einzige Patric. Das hier bin ich. Und ich kann das nicht weiterhin unterdrücken, nur weil du es nicht magst.« Ich schüttelte hilflos den Kopf. »Ich kann meine Persönlichkeit nicht einfach ändern, David. Aber du kannst deine Reaktion auf mich verändern. Und wenn du das nicht verstehst – oder verstehen kannst oder willst –, dann weiß ich auch nicht, was ich noch zu dir sagen soll. Es ist mir inzwischen auch egal.« »Das hast du verdammt noch mal ziemlich deutlich gemacht«, grummelte er.
Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Mir war David wichtig. Er war mir wichtiger als alles und jeder vorher in meinem Leben. Wenn er das aber nicht wusste … Wenn er das immer noch nicht verstehen konnte … »Vielleicht hast du recht«, sagte er in einem viel leiseren Tonfall. »Vielleicht sollten wir das hier nicht weiter fortführen.« Ich schaute ihm in die Augen. Er war so traurig und wütend. Ich schüttelte langsam den Kopf, verwirrt. »Das habe ich so nie gesagt.« Er blickte mich finster an. »Hättest du aber genauso gut.« »Habe ich aber nicht«, erwiderte ich monoton. »Wenn du das also denkst – wenn du denkst, wir sollten nicht länger zusammen sein –, dann musst du das auch so sagen. Du musst dir deine Gefühle eingestehen, statt sie auf mich zu projizieren.« »Okay«, sagte er. »So fühle ich mich. Ich fühle mich, als sei ich unwichtig. Ich fühle mich, als wenn es dir egal wäre.« Dann schaute er mir zornig in die Augen. »Liege ich da falsch?« Es war ein letzter Versuch, ein letztes Stichwort, bei dem ich hätte widersprechen und alles klären können, so wie immer. Eine letzte passiv-aggressive Aufforderung an mich, damit er sich besser fühlen könnte, ihm zu sagen, dass alles gut werden würde, dass ich mich ändern würde, dass wir eine Lösung finden könnten. Aber ich hatte keinerlei Bedürfnis danach, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Also saß ich einfach nur da. Die Gleichgültigkeit war ein gutes Gefühl.
David, den meine fehlende Antwort anscheinend frustrierte, blinzelte die Tränen weg und brodelte vor Wut leise vor sich hin. Er lehnte sich rüber, schaltete die Nachttischlampe aus und tauchte das Schlafzimmer in Dunkelheit. Hörbar ausatmend rollte er sich aggressiv auf die Seite. Dann zerrte er sich die Bettdecke über die Schulter. Ich starrte ausdruckslos an die Wand vor mir. Nach einigen Augenblicken stand ich auf. Ich wechselte die Klamotten, putzte Zähne und ging auch ins Bett. Ich heftete meinen Blick an die Decke, während mich die ohrenbetäubende Stille im Haus umfing. Ich hatte das Gefühl, ich müsste jetzt eigentlich traurig sein, war es aber nicht. Tatsächlich war ich entspannt. Es war gut, nichts zu fühlen.
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