Die Chemie und ihre Grenzen

Der grundlegende Fehler der Wissenschaftler besteht darin, daß sie sagen, bei den Reaktionen in der lebendigen Materie handle es sich ausschließlich um chemische Reaktionen, daß die Chemie das Leben erklären kann und muß. Deshalb gibt es auch wissenschaftliche Begriffe wie „Biochemie“. Ganz sicher trifft es zu, daß viele Erscheinungen des Lebens durch chemische Reaktionen hervorgerufen werden.

 

Die Auffassung aber, daß es nur chemische Reaktionen gibt und daß alle Beobachtungen als chemische Reaktionen zu deuten sind, ist verkehrt. Eines der Ziele dieses Buches besteht darin zu zeigen, daß die Materie eine bislang nicht erkannte Eigenschaft hat, eine Eigenschaft, die weder der Chemie noch der Kernphysik in ihrer heutigen Gestalt zuzuordnen ist. Mit anderen Worten: die Gesetze der Chemie stehen hier nicht auf dem Prüfstand. Der Fehler, den zahllose Chemiker und Biochemiker begehen, liegt darin, daß sie die Gesetze der Chemie unter allen Umständen und unter Zuhilfenahme unbewiesener Annahmen unbedingt auf Fälle anwenden wollen, auf die die Chemie nicht immer anwendbar ist.

 

Der letzte Schritt mag „Chemie“ sein, doch nur als Ergebnis des nicht wahrgenommenen Phänomens der Transmutation.

 

Dieser schwerwiegende Irrtum hat in der Wissenschaft zu der Erwartung geführt, daß bei einem Organismus am Ende immer genau das herauskommt, was man einmal hineingesteckt hat. Mit anderen Worten, die Wissenschaftler erwarten eine vollständig ausgeglichene Stoffwechselbilanz, indem sie davon ausgehen, daß etwas im Organismus zurückgehalten oder aus den körpereigenen Reserven aufgezehrt wurde.

 

Doch Stoffwechselbilanzen gehen niemals vollständig auf. Man umgeht das Problem, indem man sagt, bei dem Experiment sei ein Teil der Substanz entwichen, was nichts anderes als ein trauriges Eingeständnis der eigenen Inkompetenz darstellt.

 

Die Biochemiker haben keine Erklärung dafür, weshalb eine chemische Reaktion wie die eines Atoms Stickstoff mit einem Atom Sauerstoff mit den reinen Ausgangsstoffen in vitro nur bei der Temperatur des elektischen Lichtbogens abläuft (bzw. bei sehr hoher Temperatur und hohem Druck). Lebende Organismen bringen dasselbe bei Zimmertemperatur fertig! Viele ähnliche Fälle ließen sich vorbringen, die zeigen, daß lebende Organismen zu Reaktionen fähig sind, die im Labor nur unter Einsatz enormer Energie nachvollzogen werden können. Proteine werden im Magen bei 37C in leicht saurem Milieu hydrolisiert; will man dieselbe Reaktion hingegen in vitro durchführen, so benötigt man 120C und konzentrierte Säure.

 

Sicher sind Enzyme, als biologische Katalysatoren, dafür verantwortlich, daß diese Reaktionen in vivo bei niedriger Temperatur ablaufen. Wie das aber im einzelnen vonstatten geht, ist in den seltensten Fällen erforscht.

 

Auch in diesem Fall wird hier nicht das Gesetz Lavoisiers zurückgewiesen oder irgendein anderes chemisches Gesetz. Abgelehnt wird einzig die Haltung zu vieler Chemiker, die die Gesetzmäßigkeiten der Chemie auf sämtliche Bereiche ausdehnen wollen. Was auf den folgenden Seiten untersucht wird, ist kein chemisches Phänomen. Einstein schrieb [bezogen auf die Relativität]: „Wir müssen uns hier, wie überall in der Wissenschaft, von alteingewurzelten, oft nur gedankenlos übernommenen Vorurteilen freimachen*.“

 

Es ist nicht beabsichtigt, mit diesem Buch eine detaillierte Erklärung der Mechanismen der biologischen Transmutationen zu geben, sondern es soll lediglich aufgezeigt werden, daß es sie gibt und daß sie bereits Anwendung finden. Vielleicht werden sie in Zukunft einmal erklärt werden, wenn die Wissenschaft so weit ist.

 

Uns stehen vermutlich große Veränderungen in der Physik bevor. Zu viele Physiker haben sich Wegen verschrieben, auf denen sie keinen festen Boden mehr unter den Füßen haben. Doch das führt hier vom Thema weg. Meine Absicht war nur, den Leser daran zu erinnern, daß große Männer der Wissenschaft, wie Einstein, de Broglie und andere uns lehren, bescheiden zu sein, zu erkennen, daß unser Wissen bei weitem nicht absolut ist, daß Lehrmeinungen nicht immer stimmen, und daß es selbst in der Physik, die man gern als „exakte Wissenschaft“ bezeichnet, schwer fassbare Hypothesen gibt.

 

Noch viel mehr trifft das auf die Biologie zu, in der die Komplexität gewaltig ist und wo wir uns umso mehr vor allzu selbstsicheren Erklärungen hüten müssen. Wir beobachten die Resultate, doch die Beschreibung der genauen Mechanismen, die zu diesen Resultaten führen, ist stets mehr oder weniger subjektiv. Ich hoffe, dieses Buch ist objektiv genug, den Leser zu der Erkenntnis zu führen, daß es ein Phänomen jenseits der Chemie gibt, das tiefer reicht, bei dem es sich um mehr handelt als nur um einen Austausch von Elektronen der Außenschalen der Atome.

 


* Albert Einstein und Leopold Infeld: Die Evolution der Pysik. Wien 1950. S. 212

 

 

Die Begrenztheit der Chemie läßt sich an einigen wenigen typischen Beispielen aufzeigen, bei denen die Forscher es nicht vermochten, gewisse Phänomene zufriedenstellend zu erklären. Andere Beispiele werden zeigen, daß es eine biologische Transmutation der Elemente tatsächlich gibt.

 

Falls dies den Glauben des Lesers an die Lavoisierschen Gesetze etwas erschüttern sollte, so wird es ihn umso mehr erstaunen zu sehen, daß viele weitere Erlärungen, die man ihm in der Vergangenheit angeboten hat, unbegründet oder dürftig sind und nur deshalb existieren, weil das Dogma der „Unveränderlichkeit der Elemente“ aufrechterhalten werden sollte.

 

Reichert sich beispielsweise in einer Pflanze ein Element allmählich an, so pflegt man zu sagen, sie habe dieses Element „offensichtlich“ aus dem Boden oder dem Pflanzgefäß aufgenommen, in dem das Experiment stattfand. Man verwendet Begriffe wie „konzentriert“, „angereichert“ oder „bevorzugt gebunden“, und damit ist das Problem erledigt. Die Leute, die solche Begriffe verwenden, haben den Gesamtgehalt des betreffenden Elements nie ermittelt, weder im Experimentiergefäß noch im Boden, weder vor dem Wachstumsprozeß noch nachher. Wenigstens am Schluß hätte man das tun sollen, um herauszufinden, ob die hinzugefügten Substanzen sich noch im Gefäß befanden.

 

Vielfach ist die Rede davon, Stoffe seien „eingewandert“, doch woher kommen sie? Und warum? Durch welchen Vorgang – in undurchdringlichem Boden?

 

Wir müssen also unsere Denkweise vollständig ändern und uns hüten, manches vorschnell zu akzeptieren. Zitiert sei hier F. Dagognet, der in der Veröffentlichung Atoms gegen die zu stark vereinfachenden Lehren vieler seiner Kollegen wettert. Um nur eines seiner Beispiele zu zitieren, die Atmung: „Das CO2 wird ausgeatmet, bevor der Sauerstoff eintritt; genauer gesagt, Brenztraubensäure oder Acetyl-Coenzym A wird ohne dessen Hilfe gebildet, zumindest ohne dessen direkte Einwirkung. Wir sind meilenweit von Lavoisier und den ersten Biochemikern entfernt, die meinten, bei der Atmung handle es sich um Verbrennung.“

 

Brillouin, ein ausgezeichneter Physiker, räumte bereitwillig ein, daß nicht jedes physiko-chemische Gesetz, das aus Experimenten mit toter Materie hergeleitet wurde, deswegen auch notwendigerweise für lebende Materie Gültigkeit habe*. Er zitiert eines der Gesetze der Thermodynamik, nämlich das der Degradation der Energie, das auf die Biologie mit Sicherheit nicht anwendbar ist. Dort herrschen genau die umgekehrten Verhältnisse: das Leben ist ein Kampf gegen den Abbau der Materie. Es ist eine der Entropie entgegengesetzte Kraft („negative Entropie“), die das Leben aufrechterhält.

 

Erklärungen von Physikern, in denen versucht wird zu zeigen, daß dieses Carnotsche Gesetz absolute Geltung besitze und immer, auch auf „Lebendiges“, Anwendung finde, sind von verblüffender Naivität. Daß der lebende Organismus Energie liefert (was durch Experimente nachgewiesen wurde), wird nicht geleugnet, doch es wird behauptet, der Organismus beziehe diese Energie aus seiner Umgebung. Was soll dann überhaupt noch der 2. Hauptsatz der Thermodynamik, der nur in einem abgeschlossenen System von Bedeutung ist, das in keinem Austausch mit seiner Umgebung steht? Mit Entropie hat das rein gar nichts zu tun, sei sie positiv oder „negativ“. Diese Begriffe werden sinnleer. J. Rueff schrieb, Claudius habe, als er dieses Prinzip formulierte, „sich eine kühne, wenn nicht sogar waghalsige Verallgemeinerung geleistet, denn es gilt nur für isolierte Systeme, deren Bestandteile voneinander unabhängig sind“#.

 

Es ist nicht schwer einzusehen, daß das Leben in vollständigem Gegensatz zum Gesetz der Entropie steht. Warum? Welches Geheimnis liegt dem zugrunde? Man weiß es nicht. Und doch können wir erkennen, daß es unerklärliche Phänomene gibt, die zu entschleiern unsere Aufgabe ist, sei es nun mit Hilfe der Chemie, der Physik oder der biologischen Transmutationen.