27 Panama: Tod des zweiten Präsidenten

Ich war bestürzt über Roldós’ Tod, hätte aber eigentlich keinen Anlaß dazu gehabt. Ich war keineswegs naiv. Ich wußte Bescheid über Arbenz, Mossadegh und Allende – und viele andere Personen, deren Namen nie in den Zeitungen oder den Geschichtsbüchern auftauchten, deren Leben aber ebenfalls zerstört oder gewaltsam beendet wurde, weil sie der Korporatokratie im Weg standen. Dennoch war ich schockiert. Es war alles so offensichtlich.


Nach unserem überragenden Erfolg in Saudi-Arabien war ich zu der Auffassung gelangt, daß solche direkten, unverhüllten Aktionen nun der Vergangenheit angehörten. Ich glaubte, die Schakale seien in die Zoos verbannt worden. Aber jetzt wurde mir klar, daß ich mich geirrt hatte. Ich hegte keinen Zweifel, daß Roldós’ Tod kein Unfall war. Es deutete alles auf ein Attentat der CIA hin. Ich erkannte auch, daß dieser Anschlag so dreist ausgeführt worden war, weil man ein Zeichen setzen wollte. Die neue Reagan-Administration war aufgrund ihres Cowboy-Image die ideale Truppe, um eine solche Botschaft zu übermitteln. Die Schakale waren wieder da und wollten, daß Omar Torrijos und alle anderen, die möglicherweise gegen die Korporatokratie antreten wollten, dies ebenfalls wußten.


Aber Torrijos gab nicht auf. Wie Roldós ließ er sich nicht einschüchtern. Auch er wies die Mitarbeiter des Summer Institute aus und widersetzte sich unerschrocken den Forderungen der Reagan-Regierung nach Neuverhandlungen über den Kanalvertrag. Zwei Monate nach dem Tod von Roldós wurden auch die Alpträume von Omar Torrijos Wirklichkeit, und er starb bei einem Flugzeugabsturz. Es war der 31. Juli 1981.


Lateinamerika und die Welt waren wie vor den Kopf geschlagen. Torrijos war in der ganzen Welt bekannt gewesen; er wurde respektiert als jener Mann, der die Vereinigten Staaten gezwungen hatte, den Panamakanal seinen rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben, und der Ronald Reagan die Stirn geboten hatte. Er war ein Verfechter der Menschenrechte, ein Staatsführer, der sein Land für Flüchtlinge des gesamten politischen Spektrums geöffnet hatte, einschließlich des Schahs von Persien. Torrijos war eine charismatische Stimme der sozialen Gerechtigkeit, der von vielen als Kandidat für den Friedensnobelpreis betrachtet wurde. Jetzt war er tot. »Ein Anschlag der CIA!«, hieß es abermals in den Schlagzeilen.


Graham Greene leitete seinen Roman MEIN FREUND, DER GENERAL, den er nach unserem Treffen im Hotel Panama begonnen hatte, mit folgenden Sätzen ein: Im August 1981 war die Reisetasche für meinen fünften Besuch in Panama schon gepackt, als mich die telefonische Nachricht vom Tod meines Freundes und Gastgebers, General Omar Torrijos Herrera, erreichte. Sein kleines Flugzeug war auf dem Weg zu seinem Haus bei Cloclesito in den Bergen von Panama abgestürzt; es gab keine Überlebenden. Einige Tage später kam ein Anruf von seinem Leibwächter, Sergeant Chuchu, alias José de Jesús Martinez, Professor der Mathematik und Poet: »Im Flugzeug war eine Bombe. Ich weiß, daß eine Bombe im Flugzeug war, aber am Telefon kann ich nicht sagen, weshalb.« Überall trauerten die Menschen um den Tod eines Mannes, der als Verteidiger der Armen und Geknechteten bekannt geworden war, und verlangten von Washington, die Machenschaften der CIA zu untersuchen. Aber das war natürlich ausgeschlossen. Es gab Männer, die Torrijos haßten, und dazu zählten auch sehr mächtige Leute. Vor seinem Tod war er öffentlich geschmäht und beschimpft worden von Präsident Reagan, Vizepräsident Bush, Verteidigungsminister Weinberger und den Vereinigten Stabschefs wie auch von den Vorstandschefs vieler einflußreicher Konzerne.


Die amerikanische Militärführung war besonders verärgert über jene Klauseln im Vertrag zwischen Torrijos und Carter, welche die Schließung der School of the Americas und des Ausbildungszentrums für Dschungelkrieg des US-Southern Command vorsahen. Dadurch war für die Generäle ein echtes Problem entstanden. Entweder mußten sie nach Mitteln und Wegen suchen, um den Vertrag zu umgehen, oder sie mußten ein anderes Land finden, das bereit war, diese Einrichtungen aufzunehmen – was in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eher unwahrscheinlich war. Aber natürlich gab es auch noch eine andere Option: Man konnte Torrijos stürzen und mit seinem Nachfolger über eine Änderung des Vertrags verhandeln.


Zu den Feinden von Torrijos gehörten auch die großen transnationalen Konzerne. Die meisten von ihnen unterhielten enge Beziehungen zu amerikanischen Politikern und beschäftigten sich mit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen in Lateinamerika wie Öl, Holz, Kupfer, Bauxit und landwirtschaftliche Erzeugnisse. Es handelte sich um produzierende Unternehmen, Kommunikationsfirmen, Transportunternehmen sowie Baukonzerne und Technologiefirmen.

 

Die Bechtel Group war ein herausragendes Beispiel für die enge Verflechtung zwischen privaten Unternehmen und der US-Regierung. Ich kannte Bechtel sehr gut; wir von MAIN arbeiteten häufig mit dieser Firma zusammen, und ihr Chefarchitekt wurde ein guter persönlicher Freund von mir. Bechtel war der einflußreichste Anlagenbauer der USA. In der Leitung dieses Unternehmens saßen Leute wie George Shultz und Caspar Weinberger, die Torrijos erbittert bekämpften, weil er dreist einen japanischen Plan unterstützte, der darauf hinauslief, den Panamakanal durch einen neuen, besseren Wasserweg zu ersetzen.

 

Dadurch wäre die Hoheit über den Kanal nicht nur von den USA auf Panama übergegangen, sondern Bechtel wäre auch vom größten und möglicherweise lukrativsten Bauprojekt des Jahrhunderts ausgeschlossen geblieben. Torrijos legte sich mit all diesen Männern an, und er tat dies mit Würde, Charme und einem wunderbaren Sinn für Humor. Jetzt war er tot und wurde durch einen seiner Gefolgsleute ersetzt, Manuel Noriega, einen Mann, dem Torrijos’ Charisma und Intelligenz fehlte und der, wie vielfach angenommen wurde, keine Chance haben würde gegen die Reagans, die Bushs und die Bechtels dieser Welt.


Ich war persönlich sehr erschüttert von dieser Tragödie. Ich dachte lange nach über meine Gespräche mit Torrijos. Eines Tages saß ich spätabends vor seinem Foto in einer Zeitschrift und erinnerte mich an meinen ersten Abend in Panama, als ich im Regen mit einem Taxi unterwegs war und vor seinem riesigen Bild auf einer Plakatwand stehen
blieb: »Omars Ideal ist die Freiheit; das Geschoß ist noch nicht erfunden, das ein Ideal töten kann!« Die Erinnerung an diese Inschrift ließ mich erschaudern, ganz so wie damals an diesem stürmischen Abend.


Damals konnte ich noch nicht ahnen, daß Torrijos mit Carter zusammenarbeiten würde, um den Kanal den rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben, und daß dieser Sieg ebenso wie seine Versuche, in Lateinamerika zwischen den sozialistischen Kräften und den Diktatoren zu vermitteln, die Reagan/Bush-Administration so erzürnen würde, daß sie seine Beseitigung ins Auge faßte.58 Ich konnte auch noch nicht ahnen, daß er an einem
weiteren stürmischen Abend während eines Routineflugs mit seiner Twin Otter sterben würde, und es für den Großteil der Welt außerhalb der USA keinen Zweifel daran geben würde, daß Torrijos’ Tod im Alter von 52 Jahren die Folge eines von vielen Mordkomplotten der CIA gewesen war.


Wäre Torrijos am Leben geblieben, hätte er sich wahrscheinlich darum bemüht, der wachsenden Gewalt Einhalt zu gebieten, die so viele Länder in Mittel- und Südamerika heimsuchte. Aufgrund seiner früheren Aktivitäten dürfen wir auch annehmen, daß er darauf hinzuwirken versucht hätte, die Zerstörung der Regenwälder am Amazonas in
Ecuador, Kolumbien und Peru durch die internationalen Ölkonzerne zu bremsen. In diesem Zusammenhang hätte er wohl auch versucht, jene grauenhaften Konflikte zu entschärfen, für die Washington Terroristen oder Drogenhändler verantwortlich machte, die nach Auffassung Torrijos’ jedoch lediglich der Verzweiflung von Menschen entsprangen, die ihre Familien und ihr Hab und Gut zu schützen suchten.

 

Und ich bin überzeugt, daß er darüber hinaus zu einem Vorbild für eine neue Generation von politischen Führern in Lateinamerika, Afrika und Asien herangewachsen wäre – was die CIA, die NSA und die EHM keinesfalls dulden konnten.