Ur-Idee – Nichtlineare Dynamische Systeme

Vorlesung von P. H. Richter, Bremen, Wintersemester 2009/10

Periodenverdopplung, Selbstähnlichkeit

Der erste Abschnitt der Vorlesung war einer Ikone der Chaos-Theorie gewidmet, dem Periodenverdopplungs-Szenario, das zuerst wohl 1963 von P. J. Myrberg entdeckt wurde. Um 1975 war es insbesondere durch einen Artikel vonR. May bekannt geworden, der bereits gemerkt hatte, dass das Szenario einegewisse Universalit¨at besitzt, insofern es in unterschiedlichen diskreten dynamischen Systemen immer wieder zu beobachten ist. Dass die Universalität (asymptotisch) sogar quantitativ gilt, bemerkte und begründete (mit Hilfe von Argumenten der Renormierungstheorie) zuerst M. J. Feigenbaum, nach dem das Szenario seither benannt wird.

 

Vorher hatten aber S. Großmann und S. Thomae am Beispiel der logistischen Abbildung den numerischen Wert der Konstante bestimmt, der später Feigenbaum-Konstante genannt wurde, und ihnen fiel auf, dass auf der anderen Seite des H¨aufungspunktes der Periodenverdopplungen eine ”inverse Kaskade“ von Verschmelzungen der chaotischen Bereiche zu beobachten ist, die durch dieselbe Konstante charakterisiert ist; sie berechneten außerdem an den Verschmelzungspunkten die invarianten Maße der Abbildung. Es handelt sich in diesem Abschnitt um die Iteration der sog. logistischen Abbildung des Intervalls [0, 1] in sich x 7→ f(x) = λx(1 − x), (1) bei der 0 ≤ λ ≤ 4 angenommen wird, damit auch f(x) in dem Einheitsintervall liege.

 

Man kann das Studium der Iteration dieser Abbildung auf verschiedene Weisen motivieren. Der Name ”logistische Abbildung“ bezieht sich auf die logistische Differentialgleichung

x˙ = ax(1 − x),

die im 19. Jahrhundert von P. Verhulst eingeführt wurde, um exponentielles Wachstum mit Sättigung zu diskutieren. (Die Lösung wurde in der Vorlesung explizit vorgeführt.) Die logistische Abbildung folgt durch Diskretisierung der Dgl. mit großer Maschenweite – weit größer, als für eine numerische Integration angemessen wäre (hier durfte λ nur weniguber 1 liegen), aber sinnvoll als dynamischer Prozess, der von Natur aus diskret ist (Wachstum von Insektenpopulationen von Jahr zu Jahr, oder jährliche Zuwächse im Bereich derWirtschaft).

 

Die Iteration dieser Abbildung ist so oft ausführlich beschrieben worden, dass das hier nicht wiederholt zu werden braucht. Ich weise hin auf die Bücher von R. L. Devaney5 oder J. Argyris et al.6. Dort – und auch in einem DemoProgramm, das ich vorstellte und das in ähnlicher Form jeder Hörer am besten selbst entwickeln sollte – wurde gezeigt,
• wie der Zeitverlauf dieser Iteration vom Parameter λ abhängt;

• dass es zwei Fixpunkte gibt: x0 = 0, stabil im Bereich 0 ≤ λ < 1, undx1 = 1 − 1/λ, stabil im Bereich 1 < λ < 3;

• dass im Bereich 3 < λ < 1 +√6 ≈ 3.449 ein Orbit der Periode 2 der stabile Attraktor ist (man kann auch sagen: zwei Fixpunkte der iterierten Abbildung f◦2);

• dass das Szenario der Perioden-Verdopplung bei den λ-Werten λ1 = 3, λ2 = 3.449…, λ3 = … (bei λn wird die Periode 2n stabil) ad infinitum weitergeht, bis bei λ = λ∞ = 3.5699456… die Periode 2∞ erreicht ist;

• dass die Folge der λn mit n → ∞ dem geometrischen Gesetz (2) gehorcht;

• dass es im Bereich zwischen λn und λn+1 jeweils einen Wert λns gibt, an dem der Orbit mit Periode 2n superstabil wird; ein Punkt dieses Orbits ist immer x = 1/2, und wenn der jeweils nächst gelegene bei
x = 1/2 + dn liegt, dann gilt für die Folge der dn (3)

• dass oberhalb von λ∞ Chaos beobachtet wird, welches nach einer Folge von ”Band-Verschmelzungen“ bei λ¯n (wo 2n Bänder zu 2n−1 Bändern verschmelzen) schließlich bei λ¯1 ≈ 3.67857 nur noch aus einem Band
besteht und bei λ¯0 = 4 das ganze Intervall [0, 1] erfasst;

• dass die Chaosb¨ander Fenster enthalten, in denen wieder stabile periodische Orbits existieren, am auff¨alligsten das Fenster der Periode 3 zwischen λ = 3.8284 und λ = 3.8567;
• dass die periodischen Orbits in diesen Fenstern selbst wieder das Perioden-Verdopplungs-Szenario durchmachen.


All diese Beobachtungen macht man am besten anhand des Bifurkationsdiagramms, s. Abb. 1 und 2, bei dem man gegen den Parameter λ (horizontal) die Punkte des Attraktors aufträgt. Hier wurde λ Pixel für Pixel durchgescannt, und für jedes λ wurde mit einem zuf¨alligen Anfangswert erst 400 Mal ”im Dunkeln“ iteriert, bevor dann die nächsten 600 Punkte geplottet wurde.


Es wird dabei angenommen, dass nach 400 Iterationen der Attraktor erreicht ist; allerdings ist das in der N¨ahe der Verzweigungspunkte noch nicht immer ganz der Fall. In Abb. 1 ist links das ganze λ-Intervall von 0 bis 4 gezeigt, in der Mitte der Bereich 2 < λ < 4 und rechts ein Zoom in den oberen Bereich 3.22 < λ < 3.67 des Bildes in der Mitte. Wenn die Skala ist in horizontaler Richtung um den Faktor δ und in vertikaler um den Faktor |a| vergrößert wird, sind die beiden Bilder fast identisch. In Abb. 1 wird diese Serie nochzweimal fortgeführt, immer im oberen Bereich des vorigen Bildes (stärkere Selbstähnlichkeit ergäbe sich, wenn man jedesmal den Zweig wählte, auf dem der superstabile Punkt mit x = 1/2 liegt). Das dritte Teilbild rechts zeigt den oberen Teil des Orbits der Periode 3 im Fenster 3.8284 < λ < 3.8567.

 

Wieder sieht man die Perioden-Verdopplungen. Man sieht außerdem, wie der stabile Orbit bei 3.8284 sehr plötzlich aus dem Chaos herauskommt und wie bei 3.8567 das kleine Chaosband der Periode 3 in dem großen aufgeht. Insofern man von Szenarien des Übergangs in Chaos spricht, ist das plötzliche Verschwinden des stabilen Orbits der Periode 3 nach links hin (zu kleineren λ) und das Erscheinen eines breiten Chaosbandes nicht weniger charakteristisch als das Szenario der Perioden-Verdopplung. Man spricht hier vom ”Szenario der Intermittenz“, das in der Turbulenz-Theorie eine wichtige Rolle spielt.


Das kann hier aber nicht vertieft werden.