Molekularmedizin: Vorwort

Mit diesem Werk „Molekulare Medizin“ haben wir uns ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: wir möchten die Grundlagen der ehemals rein basiswissenschaftlichen Molekular-biologie in verständlicher Form erläutern und gleichzeitig darstellen, warum sich die Molekulare Medizin ungewöhnlich schnell zu einer klinischen Fachrichtung entwickelt hat.

 

Die Struktur dieses Buches wurde so gewählt, daß der rapide Zufluß neuer Erkentnisse diese Einführung nicht wertlos, sondern ergänzungsbedürftig machen sollte. Wir haben dieses Buch primär für unsere Kollegen in allen Sparten der klinischen Medizin und für Medizinstudenten konzipiert. Dabei haben wir versucht die theoretischen Grundlagen unter der Prämisse darzustellen. daß biomedizinische Forschung letztlich dem Patienten dienen sollte.


Die Gliederung dieses Buches verrät die Vielschichtigkeit und Komplexität der Materie. Zunächst geben wir eine Einführung in die theoretischen Grundlagen der Medizinischen Molekularbiologie. dabei wird schnell deutlich werden, daß diese neue Disziplin auf einfache, klassische Grundsätze der Biologie und Genetik aufbaut.


Dieser „Entmystifizierung“ folgt die Darstellung der gebräuchlichsten Methoden und erster Anwendungsbeispiele bei klinischen Fragestellungen. Schließlich rückt die medizinische Relevanz in den Mittelpunkt der Betrachtung: welche Einsichten und Erkenntnisse trägt die Medizinische Molekularbiologie zum Verständnis patho-logischer Vorgänge, deren Diagnose und Therapie bei? Unser Ziel ist nicht, ein möglichst vollständiges Nachschlagewerk der Molekularen Medizin zu erstellen. Vielmehr haben wir versucht, modellhaft die molekularbiologischen Hintergründe und Erkenntnisse einiger Erkrankungen zu beschreiben.


Zuweilen haben wir seltene Krankheitsbilder aufgeführt, wenn sie wegen ihrer allgemeinen Bedeutung für die Erläuterung von Basisphänomenen besonders geeignet erschienen. Oftmals wurde auf eine Darstellung wissenschaftlicher Details verzichtet, umgekehrt aber ebenso häufig Einzelheiten miteinbezogen, wenn dies aus
Gründen des besseren Verständnisses geboten erschien. Darin gründet sich ein gewisses Maß an Subjektivität. Wir würden uns freuen, Leser dieser Einführung dazu ermutigt zu haben, Interessensschwerpunkten in der umfangreicheren zumeist angloamerikanischen Literatur nachzugehen.


Als wir im Jahre 1990 die „Einführung in die Medizinische Molekularbiologie“ als Vorläufer des nun vorliegenden Buches veröffentlichten, hatte sich der Begriff „Molekulare Medizin“ im deutschen Sprachgebrauch noch nicht durchgesetzt. Die Medizinische Molekularbiologie repräsentierte eine vielversprechende neue Denkweise
und Methodik, die wichtige Fortschritte zum Verständnis des Krankheitsgeschehens und zur Diagnosestellung erwarten ließ. In wenigen Jahren hat die Molekulare Medizin diese Erwartungen vielfach erfüllt und sie oftmals sogar übertroffen.


Das sehr positive Echo auf die „Einführung in die Medizinische Molekularbiologie“ sowie ein Quantensprung im Erkenntnisstand haben uns davon überzeugt. unter Beibehaltung des ursprünglichen Konzepts eine vollständig überarbeitete Neufassung vorzulegen. Dem didaktischen Ansatz. grundlegende Prinzipien an geeigneten Beispielen möglichst einfach darzustellen sind wir dabei treu geblieben. Der Leser dieses Buches soll sich in der „Molekularen Medizin“ zu Hause zu fühlen beginnen, und sich im Stande sehen, die Terminologie, Methoden und Fortschritte der Molekularen Medizin einzuordnen und zu bewerten.


Gegenüber dem Vorläufer hat sich nicht nur der Titel geändert. Einige Aspekte wurden stärker fokussiert, andere neu aufgenommen oder vollständig überarbeitet. Zuweilen werden komplementäre Blickwinkel einer Thematik (wie z. B. das Retinoblastomgen) in unterschiedliche Zusammenhänge einbezogen (z. B. Zellzyklus, Apoptose, Onkologie) und durch Querverweise miteinander eng vernetzt. Diese Darstellungsform soll die medizinischen und biologischen Sachverhalte adäquat widerspiegeln und dem didaktischen Prinzip dieses Buches Rechnung tragen. Die Einbeziehung zusätzlicher Fachkollegen erlaubte es, das breite Spektrum der Molekularen Medizin von ihren basiswissenschaftlichen Wurzeln bis zu klinischen Anwendungen kompetent zu überspannen. Gleichzeitig sicherte die enge Zusammenarbeit aller Autoren die Einheitlichkeit der Darstellung, die bei der Erstauflage ein besonders positives Echo hervorrief. Dem Walter de Gruyter Verlag ist zu verdanken, daß nicht nur der Inhalt erweitert werden, sondern vor allem auch die Qualität der Abbildungen mit der rasanten Fortentwicklung der Thematik Schritt halten konnte.


Schließlich sei uns die Hoffnung gestattet, daß dieses Buch Studenten den frühen Zugang zu einer Disziplin ermöglicht, die schon in Kürze nicht mehr als futuristisch, sondern als ein wesentlicher Bestandteil klinischer Medizin angesehen werden wird.


Praktizierenden Ärzten wollen wir die Gelegenheit bieten, einem wichtigen Aspekt medizinischen Fortschritts zu folgen. Gewöhnlich ist der Weg für eine medizinische Basiswissenschaft sehr lang, bevor ihre Erkenntnisse Eingang in klinische Überlegungen und Entscheidungen am Krankenbett enden. Wir hoffen, diesen Weg verständlich ausgeschildert zu haben und ihn damit verkürzen zu helfen.

 

April 2000 Matthias W. Hentze, Andreas E. Kulozik, Christian Hagemeier u. a.