1. Robinsonade, als Prüfstein für die neue Lehre.

 

Als Prüfstein für die Richtigkeit der hier entwickelten Zinslehre, wie auch, um dem gerade in dieser Frage so sehr in uralten Vorurteilen befangenen Leser das Verständnis zu erleichtern, schicke ich folgende Robinsonade voran.

Vorbemerkung. Der Kürze halber lasse ich den hier beschriebenen Darlehnsvertrag ohne den regelnden Einfluß des Wettbewerbs sich vollziehen. Ließe ich den Wettbewerb in die Darlehnsverhandlungen eingreifen, etwa so, daß auf einen Darlehnsnehmer (Fremdling) mehrere Darlehnsgeber (mehrere Robinsons) kämen, so würde der Vertrag noch viel günstiger für den Darlehnsnehmer ausfallen können, als es hier geschieht. — Eine zweite Voraussetzung ist, daß die beiden Vertragschließenden die Freiland-Grundsätze anerkennen, weil deren Nichtanerkennung unter den obwaltenden Verhältnissen zu Kampf und Raub, nicht zum Vertrage führen würde.

 

Robinson baute einen Kanal und mußte sich also auf 3 Jahre, die Dauer
der ganzen Arbeit, mit Vorräten versehen. Er schlachtete Schweine, bedeckte das Fleisch mit Salz, füllte ein Loch in der Erde mit Getreide und deckte es sorgfältig zu. Er gerbte Hirschfelle und verarbeitete sie zu Kleidern, die er in einer Kiste verschloß, nachdem er als Mottenscheuche noch eine Stinktierdrüse hineingelegt hatte.

 

Kurz, er sorgte nach seiner Ansicht gut für die nächsten drei Jahre.
Wie er nun eine letzte Berechnung darüber anstellte, ob sein „Kapital“
für das geplante Unternehmen auch ausreichen würde, sah er einen Menschen sich zuschreiten.

 

Hallo, rief der Fremdling, mein Kahn ist hier zerschellt, und so landete ich auf dieser Insel. Kannst du mir mit Vorräten aushelfen, bis ich einen
Acker urbar gemacht und die erste Ernte eingeheimst habe?

 

Wie schnell flogen bei diesen Worten die Gedanken Robinsons von seinen Vorräten zum Zins und zur Herrlichkeit des Rentnerlebens! Er beeilte sich die Frage zu bejahen.

 

Vortrefflich! antwortete der Fremdling, aber ich will dir sagen, Zins zahle ich nicht; sonst ernähre ich mich lieber von Jagd und Fischfang. Mein
Glaube verbietet mir sowohl Zins zu nehmen, wie auch Zins zu geben.

 

R.: Da hast du eine prächtige Religion. Aus welchem Grunde aber glaubst du denn, daß ich dir Vorräte aus meinen Beständen herleihen werde, wenn du mir keinen Zins gibst?
Fr.: Aus Eigennutz, Robinson; auf Grund deines wohlverstandenen Vorteiles, weil du dabei gewinnst und sogar ziemlich viel.

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Fr.: Ich will dir sagen, Robinson, wie wir das bei uns zu Hause machen. Wir bauen einen luftigen, trockenen Schuppen und schütten auf den gut gedielten Boden den Weizen aus. Und regelmäßig alle drei Wochen wird der Weizen sorgfältig gelüftet, indem wir mit Schaufeln das Ganze umwerfen. Dann halten wir eine Anzahl Katzen, stellen Fallen auf, um die Mäuse zu fangen, versichern das Ganze gegen Feuer und erreichen so, daß der jährliche Verlust an Güte und Gewicht nicht mehr als 10% beträgt. Aber bedenke doch, diese Arbeit, diese Kosten!

Fr.: Du scheust die Arbeit und willst keine Kosten? Ich will dir sagen, wie du es dann anfangen mußt. Leihe mir deinen Vorrat, und ich werde dir das Gelieferte aus meinen Ernten in frischem Getreide zurückzahlen, und zwar Pfund für Pfund, Sack für Sack. So sparst du die Arbeit, einen
Schuppen zu bauen, brauchst das Getreide nicht umzuschaufeln und keine Katzen zu füttern, verlierst nichts am Gewicht und hast statt alten Korns immer saftiges, frisches Brot. Willst du?

R.: Mit tausend Freuden nehme ich den Vorschlag an.

Fr.: Also du lieferst mir das Korn zinsfrei?

R.: Versteht sich, zinsfrei und mit Dank meinerseits.
Fr.: Ich kann aber nur einen Teil gebrauchen, ich will nicht alles haben.
R.: Wenn ich dir nun den ganzen Vorrat anbiete, mit der Maßgabe, daß
du mir für je 10 Sack nur 9 zurückzugeben brauchst?
Fr.: Ich danke, denn das hieße ja mit Zins arbeiten – zwar nicht mit aufschlagendem (positivem), sondern mit kürzendem (negativem) Zins -, und statt des Gebers wäre der Nehmer Kapitalist.
Aber mein Glaube verbietet den Wucher, er verbietet auch den umgekehrten Zins. Ich mache dir aber den Vorschlag, deinen Weizenvorrat unter meine Aufsicht zu nehmen, den Schuppen zu bauen und alles Nötige zu besorgen. Dafür wirst du mir für je 10 Sack jährlich zwei Sack als Lohn bezahlen. Bist du damit einverstanden?
R.: Mir ist es gleich, ob deine Leistung unter dem Titel Wucher oder Arbeit gebucht wird. Ich gebe dir also 10 Sack, und du lieferst mir 8 Sack zurück. Einverstanden!
Fr.: Ich brauche aber noch andere Sachen: einen Pflug, einen Wagen und Handwerkszeug. Willst du mir das alles auch zinsfrei überlassen? Ich verspreche, dir alles in gleicher Güte zurückzuerstatten: für einen neuen Spaten einen neuen Spaten, für eine neue Kette eine neue, rostfreie Kette!
R.: Gewiß bin ich dazu bereit. Denn jetzt habe ich von all diesen Vorräten nur Arbeit. Neulich war der Bach übergetreten und hatte den Schuppen überschwemmt, alles mit Schlamm bedeckend. Dann riß der Sturm das Dach fort, so daß alles verregnete. Nun haben wir trockenes Wetter, und der Wind treibt Sand und Staub in den Schuppen. Rost, Fäulnis, Bruch, Trockenheit, Licht und Dunkelheit, Holzwürmer, Termiten, alles ist unausgesetzt an der Arbeit. Noch ein Glück, daß wir keine Diebe und Brandstifter haben. Wie freue ich mich, jetzt durch Verleihen die Sachen so schön und ohne Arbeit, Kosten und Verlust für später verfügbar zu behalten.

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Fr.: Also du erkennst es jetzt als einen Vorteil, mir die Vorräte zinsfrei zuüberlassen (*)?

R.: Unumwunden erkenne ich es an. Aber warum, so frage ich mich jetzt, bringen drüben in der Heimat solche Vorräte dem Besitzer Zins ein?

Fr.: Die Erklärung mußt du im Gelde suchen, das drüben solche Geschäfte vermittelt.

R.: Was? Im Gelde soll die Ursache des Zinses liegen? Das kann doch nicht sein; — denn höre, was Marx vom Geld und Zins sagt: „Die Arbeitskraft ist die Quelle des Zinses (Mehrwert). Der Zins, der das Geld in Kapital verwandelt, kann nicht vom Geld herrühren. Wenn es wahr ist, daß das Geld Tauschmittel ist, so tut es nichts anderes, als die Preise der Waren bezahlen, die es kauft. Wenn es solchermaßen unveränderlich bleibt, so nimmt es nicht an Wert zu. Daher muß der Mehrwert (Zins), von den gekauften Waren herrühren, die teurer verkauft werden. Diese Veränderung kann weder beim Kauf noch beim Verkauf stattfinden; in diesen beiden Handlungen werden Aquivalente ausgetauscht. Es bleibt darum nur eine Annahme frei, daß die Anderung durch den Gebrauch der Ware nach dem Kauf und vor dem Wiederverkauf vor sich gehe.“ (Marx: Das Kapital, Kap. VI.)

Fr.: Wie lange bist du schon auf dieser Insel?

R.: Seit dreißig Jahren.

Fr.: Das merkt man. Du berufst dich noch auf die Wertlehre. Ach, lieber Robinson, diese Sache ist erledigt. Die Wertlehre ist ausgestorben. Es ist überhaupt niemand mehr da, der sie vertritt.

Fr.: Was, du sagst, die Marx’sche Lehre vom Zins wäre ausgestorben? Das ist nicht wahr! Wenn auch sonst niemand mehr da wäre, — ich vertrete sie!

Fr.: Gut, so vertritt sie, doch nicht nur mit Worten, sondern auch mit der Tat. Vertritt sie, wenn du willst, mir gegenüber. Ich trete von dem soebe geschlossenen Handel zurück. Du hast hier in deinen Vorräten das, was
nach Wesen und Bestimmung als die reinste Form dessen zu betrachten ist, was man gemeinhin „Kapital“ nennt. Ich fordere dich auf, als Kapitalist  mir gegenüber aufzutreten. Ich brauche deine Sachen. Kein Arbeiter ist jemals einem Unternehmer so nackt gegenübergetreten, wie ich jetzt vor dir stehe. Niemals ist das wahre Verhältnis vom Kapitalbesitzer zum

 

(*) Knut Wicksell: Wert, Kapital und Rente, S. 83: „Indessen behauptet BoehmBawerk, daß die gegenwärtigen Güter den künftigen mindestens gleichstehen, da sie ja nötigenfalls für die Verwendung in der Zukunft einfach „aufbewahrt werden können.“ Das ist gewiß eine große Übertreibung. Boehm-Bawerk erwähnt freilich eine Ausnahme von dieser Regel, nämlich in betreff von Gütern, die dem Verderb unterworfen sind, wie Eis, Obsi und dergl. Allein dasselbe trifft ja in höherem oder niedrigerem Maße bei allen Nahrungsmitteln ohne Ausnahme zu. Ja, es gibt vielleicht keine anderen Güter als etwa die
edlen Metalle oder Steine, deren Aufbewahrung für die Zukunft nicht besondere Arbeit und Fürsorge erheischt, wozu noch die Gefahr kommt, daß sie dennoch durch Unfälle, wie Feuer und dergl. verloren gehen können.
(Für Gold, Edelsteine, Wertpapiere gibt es jetzt in den Banken besondere Kammern für Privatgebrauch. Aber man muß hier eine Miete bezahlen, um deren Betrag „das gegenwärtige dem künftigen“ Gut mindestens nachsteht.)

 

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Kapitalbedürftigen so rein zutage getreten, wie in unserem gegenseitigen Verhältnis. Nun versuche, ob du von mir Zins erlangen kannst! Wollen wir also den Handel wieder von vorne anfangen (*)?

R.: Ich verzichte. Die Ratten, Motten und der Rost haben meine kapitalistische Kraft gebrochen. — Aber sage, wie erklärst du die Sache?

Fr.: Die Erklärung ist einfach. Bestände hier auf der Insel Geldwirtschaft, und ich als Schiffbrüchiger bedürfte eines Darlehns, so müßte ich mich nach Lage der Dinge an einen Geldgeber wenden, um die Dinge, die du mir soeben zinsfrei geliehen hast, zu kaufen. Diesem Geldgeber aber, den Ratten, Motten, Rost, Feuer und Dachschäden nicht bedrücken, kann ich nicht wie dir gegenübertreten. Den Verlust, der mit dem Besitz der Waren verknüpft ist, — sieh, da schleppt der Hund einen von deinen, will sagen, von meinen Buckskins fort! — den trägt nur derjenige, der die Waren aufzubewahren hat, nicht der Geldgeber; diesen berühren all diese Sorgen und die herrlichen Beweise nicht, mit denen ich dich so mürbe gemacht habe. Du hast die Kiste mit den Buckskins nicht zugeschlagen, als ich dir jede Zinszahlung verweigerte. Die Natur des Kapitals machte dich zu weiteren Verhandlungen geneigt. Der Geldkapitalist aber schlägt mir die Tür des Geldschrankes vor der Nase zu, wenn ich ihm sage, ich würde keinen Zins zahlen. Dabei brauche ich das Geld an sich ja nicht, sondern den Buckskin, den ich mit dem Geld kaufen würde. Den Buckskin gibst du mir zinsfrei; das Geld dazu muß ich verzinsen!

R.: So wäre die Ursache des Zinses doch im Gelde zu suchen und Marx wäre im Unrecht? Auch da, wo er sagt: „Im eigentlichen Handelskapital erscheint die Form G. W.G.“ (Geld — Ware — Mehrgeld) = kaufen, um teurer zu verkaufen, am reinsten. Anderseits geht seine ganze Bewegung innerhalb der Zirkulationssphäre vor sich. Da es aber unmöglich ist, aus der Zirkulation selbst die Verwandlung von Geld in Kapital zu erklären, erscheint das Handelskapital unmöglich, sobald Aquivalente ausgetauscht werden, daher nur ableitbar aus der doppelten Übervorteilung der kaufenden und verkaufenden Warenproduzenten durch den sich parasitisch zwischen sie schiebenden Kaufmann. Soll die Verwertung des Handelskapitals nicht aus bloßer Prellerei der Warenproduzenten erklärt werden. so gehört dazu eine lange Reihe von Mittelgliedern.“ (Marx, Kapital, 6 Aufl., Bd. I, S. 127.)

Fr.: Hier sowohl wie da ist er vollkommen im Irrtum. Und da er sich im Gelde irrte, diesem Zentralnerv der ganzen Volkswirtschaft, so muß er überall im Irrtum sein. Er beging — wie alle seine Jünger es taten — den Fehler, das Geldwesen aus dem Kreis seiner Betrachtungen auszuschalten. Das haben mir unsere Verhandlungen über das Darlehn bewiesen. Das Geld ist für Marx ja auch nur Tauschmittel, aber es tut, wie es scheint, mehr als nur „die Preise der Waren bezahlen, die es kauft“. Daß der Bankmann dem Darlehnsnehmer den Geldschrank vor der Nase zuschlägt, wenn dieser keinen Zins zahlen will, und nichts von den Sorgen kennt,

 

(*) Man beachte die Vorbemerkung!

 

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Kapitalbedürftigen so rein zutage getreten, wie in unserem gegenseitigen Verhältnis. Nun versuche, ob du von mir Zins erlangen kannst! Wollen wir also den Handel wieder von vorne anfangen (*)?

R.: Ich verzichte. Die Ratten, Motten und der Rost haben meine kapitalistische Kraft gebrochen. — Aber sage, wie erklärst du die Sache?

Fr.: Die Erklärung ist einfach. Bestände hier auf der Insel Geldwirtschaft,
und ich als Schiffbrüchiger bedürfte eines Darlehns, so müßte ich mich nach Lage der Dinge an einen Geldgeber wenden, um die Dinge, die du mir soeben zinsfrei geliehen hast, zu kaufen. Diesem Geldgeber aber, den Ratten, Motten, Rost, Feuer und Dachschäden nicht bedrücken, kann ich nicht wie dir gegenübertreten. Den Verlust, der mit dem Besitz der Waren verknüpft ist, — sieh, da schleppt der Hund einen von deinen, will sagen, von meinen Buckskins fort! — den trägt nur derjenige, der die Waren aufzubewahren hat, nicht der Geldgeber; diesen berühren all diese Sorgen und die herrlichen Beweise nicht, mit denen ich dich so mürbe gemacht habe. Du hast die Kiste mit den Buckskins nicht zugeschlagen, als ich dir jede Zinszahlung verweigerte. Die Natur des Kapitals machte dich zu weiteren Verhandlungen geneigt. Der Geldkapitalist aber schlägt mir die Tür des Geldschrankes vor der Nase zu, wenn ich ihm sage, ich würde keinen Zins zahlen. Dabei brauche ich das Geld an sich ja nicht, sondern den Buckskin, den ich mit dem Geld kaufen würde. Den Buckskin gibst du mir zinsfrei; das Geld dazu muß ich verzinsen!

R.: So wäre die Ursache des Zinses doch im Gelde zu suchen und Marx wäre im Unrecht? Auch da, wo er sagt: „Im eigentlichen Handelskapital erscheint die Form G. W.G.“ (Geld — Ware — Mehrgeld) = kaufen, um
teurer zu verkaufen, am reinsten. Anderseits geht seine ganze Bewegung innerhalb der Zirkulationssphäre vor sich. Da es aber unmöglich ist, aus der Zirkulation selbst die Verwandlung von Geld in Kapital zu erklären, erscheint das Handelskapital unmöglich, sobald Aquivalente ausgetauscht werden, daher nur ableitbar aus der doppelten Übervorteilung der kaufenden und verkaufenden Warenproduzenten durch den sich parasitisch zwischen sie schiebenden Kaufmann. Soll die Verwertung des Handelskapitals nicht aus bloßer Prellerei der Warenproduzenten erklärt werden. so gehört dazu eine lange Reihe von Mittelgliedern.“ (Marx, Kapital, 6 Aufl., Bd. I, S. 127.)

Fr.: Hier sowohl wie da ist er vollkommen im Irrtum. Und da er sich im Gelde irrte, diesem Zentralnerv der ganzen Volkswirtschaft, so muß er überall im Irrtum sein. Er beging — wie alle seine Jünger es taten — den Fehler, das Geldwesen aus dem Kreis seiner Betrachtungen auszuschalten.

R.: Das haben mir unsere Verhandlungen über das Darlehn bewiesen. Das Geld ist für Marx ja auch nur Tauschmittel, aber es tut, wie es scheint, mehr als nur „die Preise der Waren bezahlen, die es kauft“. Daß der Bankmann dem Darlehnsnehmer den Geldschrank vor der Nase zuschlägt, wenn dieser keinen Zins zahlen will, und nichts von den Sorgen kennt,

 

(*) Man beachte die Vorbemerkung!

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die die Besitzer der Waren (Kapital) drücken, das verdankt er nur der Übermacht, die das Geld an und für sich über die Ware hat, — und da liegt der wunde Punkt!

Fr.: Wieviel Beweiskraft doch die Ratten, Motten und der Rost haben!