Ich bin einer, der viel gegrübelt hat, aber nichts gelernt hat.

Albert Einstein

Am Morgen nach dem Vortrag in Berlin traf sich Haller mit Einstein und Newton im Wohnzimmer des Caputher Hauses.

 

Diesmal begann Newton das Gespräch:
»Mr. Haller, über Ihren Vortrag gestern abend hätte ich einiges
zu bemerken und nachzufragen, aber das möchte ich bei anderer
Gelegenheit tun. Nur eines: Die Erfolge der heutigen Physiker in
Ehren, aber haben Sie gestern abend dem Vakuum nicht etwas zu
viel zugemutet? Für mich war das Vakuum früher die vollkommene
Leere, der absolute Raum an sich, ein Nichts, oder, wenn Sie so
wollen, ein Ding ohne Eigenschaften. Gut, ich habe mich wohl
geirrt, denn nach Ihrem Vortrag zu urteilen, ist das Vakuum über-
haupt das komplizierteste Nichts, das man sich denken kann, voll
von diesen merkwürdigen virtuellen Teilchen und angefüllt mit
einer ganzen Bibliothek von Naturgesetzbüchern. Am Ende be-
haupten Sie wohl auch noch, daß die Gravitation eine Eigenschaft
des Vakuums ist?«
Einstein: Das behauptet er nicht nur, sondern das ist so. Da werden
Sie staunen, lieber Newton, wenn wir erst hinsichtlich der Gravita-
tion in medias res gehen werden.
Haller: Gemach, meine Herren, so kommen wir nicht weiter. Also
zunächst zu Ihrer Bemerkung, Sir Isaac. Ich gebe zu, von Ihrer
Warte aus ist das nicht so leicht zu akzeptieren – der leere Raum,
ausgestattet mit einer Menge physikalischer Prädikate. Aber ange-


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sichts der Einsichten, die wir heute gewonnen haben, bleibt uns
keine andere Wahl. Betrachten Sie zum Beispiel einmal die
Erzeugung eines Myons und seines Antiteilchens in der Kollision
eines Elektrons mit seinem Antiteilchen, also in der Vernichtung
dieses Teilchenpaares. Vorausgesetzt, die Energie ist hoch genug,
dann können bei der Kollision ein Myon und sein Antiteilchen ent-
stehen. Die Masse des Myons ist etwa 200mal so groß wie die
Masse eines Elektrons. Das Myon wird zusammen mit seinem
Antiteilchen am Punkt der Kollision erzeugt – vorher war dort
nichts. Wie kommt es, daß das Myon mit genau der Masse erzeugt
wird, die es nun einmal besitzt? Es kommt auch nicht darauf an, wo
die Erzeugung stattfindet, ob nun hier auf der Erde oder weit weg
in der Andromeda-Galaxie – immer wird das Myon mit seiner
Masse von 107 MeV aus dem »Nichts« herausgeholt, zusammen
mit seinem Antiteilchen. Wer sagt es denn dem Myon, das da spon-
tan erzeugt wird, welche Masse es bitte zu haben hat, wenn nicht
das Vakuum?
Newton: Sie haben vielleicht recht – es ist schon merkwürdig,
diese spontane Erzeugung von Materie aus dem Nichts. Man könn-
te direkt denken, das Vakuum wüßte schon im voraus, was sich da
plötzlich abspielen kann.
Haller: Wir können nicht darum herum – die Naturgesetze sind im
Vakuum schon vollkommen angelegt – nur diese, nicht die Materie
selbst; die Naturgesetze sind es, die letztlich das Verhalten der
Materie festlegen.
Einstein: Sie meinen also, das Vakuum weiß irgendwie, was die
Masse des Myons ist oder die irgendeines anderen Elementarteil-
chens, das in einer Kollision erzeugt wird? Das erscheint mir doch
etwas merkwürdig – ein Gesetz ist ein Gesetz, also etwas Qualitati-
ves – entweder man hat es, oder eben nicht -, aber die Masse eines
Teilchens ist nur eine Zahl, etwa die 107 MeV der Myonmasse.
Unsere Welt würde doch wohl kaum anders aussehen, wenn die
Masse des Myons stattdessen 87 MeV wäre, oder?
Haller: Damit kommen Sie auf einen schwierigen Punkt – bis heute
wissen wir ja nicht, was der Mechanismus ist, der letztlich die
Massen der Teilchen bestimmt. Gestern sprach ich von einem


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hypothetischen Feld, das überall im Vakuum präsent ist und das für
die Erzeugung der Massen verantwortlich ist – wie gesagt, eine
Hypothese. Noch kennen wir nicht die Einzelheiten des Mechanis-
mus, der für die Massenerzeugung verantwortlich ist, aber ich kann
mir durchaus vorstellen, daß dieser Mechanismus eben nur erlaubt,
daß die Myonmasse 107 MeV ist, und eben nicht 87 MeV. Mit
anderen Worten: Eine Welt, in der die Myonmasse 87 MeV ist,
diese Welt gibt es dann einfach nicht – die Naturgesetze erlauben
es nicht.
Einstein: Als Sie von diesem merkwürdigen Massenfeld sprachen,
mußte ich unwillkürlich an den Äther denken und an das unglück-
liche Schicksal, das ihm meine Relativitätstheorie letztlich bereitet
hat. Vielleicht erleidet Ihr Massenfeld ein ähnliches Schicksal –
aber bitte, das ist nur eine wohl etwas wackelige Vermutung.
Haller: Ganz und gar nicht! Ich wäre sofort damit einverstanden,
wenn Sie mir einen besseren Mechanismus zur Massenerzeugung
vorschlügen.
Einstein: Hm – bescheiden sind Sie nicht gerade mit Ihren Forde-
rungen.
Newton: Nehmen wir einmal an, es gibt wirklich so ein
»Massenfeld«. Was gibt es denn für Möglichkeiten, das herauszu-
finden, ich meine, durch Experimente?
Haller: Man vermutet, daß der Mechanismus, der die Massen der
Teilchen hervorzaubert, mit Energien zu tun hat, die im Bereich
von einigen 100 GeV liegen, also durchaus vergleichbar mit der
Masse des t-Quarks. Im einfachsten Fall denkt man an ein richtiges
Teilchen, das sozusagen das »Massenfeld«, von dem wir vorhin
sprachen, repräsentiert.
Einstein: Sie meinen, diese Teilchen repräsentieren dann das
»Massenfeld« in ähnlicher Weise wie die Photonen, die das elek-
tromagnetische Feld repräsentieren?
Haller: Ja, nur handelt es sich jetzt um ein Teilchen, das mit den
anderen Teilchen in Wechselwirkung tritt und ihnen auf diese
Weise eine Masse, genauer ihre Masse gibt. Übrigens, beim Photon
passiert auch etwas Ähnliches. Es besitzt eine Wechselwirkung mit
den elektrisch geladenen Teilchen, sagen wir, mit dem Elektron.


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Streng genommen ist die elektrische Ladung eines Teilchens wei-
ter nichts als die Erlaubnis, eine Wechselwirkung mit dem Photon
einzugehen. Die Stärke dieser Wechselwirkung beschreibt dann die
Größe dieser Ladung.
Einstein: Das ist mir schon klar. Nur sehe ich einen wesentlichen
Unterschied zwischen der elektrischen Ladung und der Masse
eines Teilchens. Die elektrische Ladung gibt es immer in ganz
bestimmten Quantitäten – entweder ist sie null, wie bei einem
Neutron, oder sie ist von der Größe der Elektronladung oder ein
ganzzahliges Vielfaches davon – kleiner geht es nicht. In Bayern
gilt etwas Ähnliches für das Bier in den Biergärten: Entweder man
nimmt eine ganze Maß, oder man bekommt nichts. Was für die
Maß gilt, stimmt nicht für die Masse. Elektron und Myon, bei-
spielsweise, haben dieselbe elektrische Ladung, aber die Massen
stehen in dem recht krummen Verhältnis von etwa eins zu 207.
Haller: Dem kann ich nicht widersprechen – in der Tat scheint die
Masse eines Teilchens etwas qualitativ anderes zu sein als seine
elektrische Ladung. Trotzdem könnte es sein, daß es das erwähnte
»Massenfeld« gibt, mit einem dazugehörigen Teilchen, das übri-
gens einen ganz speziellen Namen besitzt – es wird oftmals das
»Higgs«-Teilchen genannt, wie ich gestern ausführte. Dieses
Teilchen müßte selbst eine bestimmte Masse besitzen – es hat also
selbst eine Masse und gibt allen anderen Teilchen ihre Masse.
Newton: Eine seltsame Logik – erst will man die Massen durch die
Wechselwirkung mit einem Feld erklären, dann sagt man, daß das
zum Feld gehörige Teilchen wieder eine Masse hat. Ich muß schon
sagen, eine merkwürdige Sache: Masse wird durch Masse erklärt!
Das ist etwa so wie bei Ihrem deutschen Baron von Münchhausen,
der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht und dabei
auch noch mein Gravitationsgesetz ignoriert. Also wenn Sie mich
fragen – ich halte das für äußerst dubios.
Haller: Ganz so einfach kann man das nicht abtun, Sir Isaac. Das
»Massenfeld« ist schon ein besonderes Feld, und auch die Masse
des »Higgs«-Teilchens ist dann etwas ganz Spezielles. Alle ande-
ren Massen sind sozusagen nur eine Folgeerscheinung der Masse
des »Higgs«-Teilchens. Man vermutet, daß diese Masse etwa im


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Abb. 6-1 Ein Modell des LHC-Beschleunigers im LEP-Tunnel am
CERN. (Foto CERN)

Bereich zwischen 80 und 1000 GeV liegt. Das Teilchen wäre also
mehr als 80mal so schwer wie ein Proton, kaum aber schwerer als
1000 Protonen.
Einstein: Es ist also auch kaum leichter als das Z-Teilchen, von
dem wir bereits sprachen. Da man letzteres in Kollisionen von
Protonen mit Antiprotonen entdeckt hat, könnte man vermuten,
daß man das »Higgs«-Teilchen auch so findet.
Haller: Im Prinzip ja, nur reicht hierzu die Energie der zur Verfü-
gung stehenden Beschleuniger vermutlich nicht aus, auch nicht der
Beschleuniger am Fermi-Laboratorium in den USA. Deshalb ist
man dabei, am CERN einen neuen Protonenbeschleuniger zu
bauen, genannt LHC – »Large Hadron Collider« -, der im Tunnel
des LEP-Beschleunigers installiert wird. Mit Hilfe des LHC wird
man künftig Protonen auf Energien von etwa 7000 GeV beschleu-
nigen und dann zur Kollision bringen. Manchmal, allerdings nicht


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sehr oft, würde dann ein »Higgs«-Teilchen erzeugt (falls es das
überhaupt gibt), und man könnte es indirekt an seinen Zerfallspro-
dukten beobachten.
Einstein: Bei diesen Kollisionen hat man es mit riesigen Energien
zu tun, was auch bedeutet, daß viele Teilchen erzeugt werden kön-
nen. Wie will man denn da dieses »Masseteilchen« herausfinden?
Das ist ja wohl kaum leichter als die Suche nach der Stecknadel im
Heuhaufen.

Abb. 6-2 Computersimulation einer Proton-Proton-Kollision am
LHC. Neben vielen anderen Teilchen wird ein »Higgs«-Teilchen erzeugt,
das in zwei Z-Teilchen zerfällt. Diese wiederum zerfallen in Elektronen
oder Myonen (insgesamt vier Teilchen, hier angedeutet), die man ver-
gleichsweise leicht registrieren kann. Man hofft, auf diese Weise das
»Higgs«-Teilchen erstmalig zu beobachten, falls es existiert. (CERN)


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Abb. 6-3 Schematische Darstellung von ATLAS, einem der beiden
großen Teilchendetektoren, die am LHC-Beschleuniger im Einsatz sein
werden. (CERN)

Haller: Ganz so schlimm ist es nicht. Das »Higgs«-Teilchen steht
mit den normalen Teilchen in einer Wechselwirkung, übt also auf
diese eine Kraft aus, und diese Kraft ist um so größer, je größer die
Masse des Teilchens ist.
Einstein: Ah – ich verstehe. Da die Masse des Z-Teilchens so
enorm ist, wird also das »Higgs«-Teilchen vornehmlich in ein
Z-Teilchen zerfallen, und das kann man besonders gut nachweisen.
Haller: Man erwartet, daß ein »Higgs«-Teilchen oft in zwei Z-Teil-
chen zerfällt und nichts anderes – dies setzt allerdings voraus, daß
es eine Masse besitzt, die mindestens so groß ist wie zweimal die
Masse des Z, also etwa 180 GeV. Da jedes Z-Teilchen in ein
Elektron-Positron-Paar oder in ein Myon-Paar zerfallen kann, muß
man demnach nach Kollisionen suchen, bei denen Elektronen oder
Myonen mit großer Energie abgestrahlt werden, wobei die Summe
der Energien der verschiedenen Teilchenpaare jeweils den
Energien der beiden Z-Teilchen entspricht. Technisch ist dies


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durchaus möglich, und man hofft, bei den LHC-Experimenten das
»Higgs«-Teilchen oder auch andere Teilchen, die mit dem Mecha-
nismus der Massenerzeugung zu tun haben, zu entdecken. Falls das
»Higgs«-Teilchen eine Masse besitzt, die weniger als das Doppelte
der Z-Masse beträgt, gibt es andere Zerfallsarten, die man experi-
mentell beobachten kann – aber es hat keinen Sinn, diese
Einzelheiten jetzt hier zu besprechen.
Newton: Das meine ich auch, denn die Chance, daß dieser merk-
würdige Massenerzeugungsmechanismus stimmt, halte ich für
nicht sehr groß. Überhaupt erklärt man das meiner Meinung nach
äußerst wichtige Phänomen der Masse einfach durch die Größe der
Kraft, mit der das »Higgs«-Teilchen mit dem betreffenden Teil-
chen, dessen Masse man verstehen will, in Wechselwirkung tritt.
Aber damit ist man ja nicht sehr viel weitergekommen – nach wie
vor verstehe ich dann nicht, warum das Myonteilchen etwa 200mal
schwerer ist als das Elektron oder das Proton etwa 2000mal schwe-
rer ist als das Elektron. Also ich hoffe, dieser merkwürdige Mecha-
nismus der Massenerzeugung ist nicht, wie Einstein sagen würde,
der wahre Jakob, der hinter dem Phänomen der Masse steht.
Haller: Sir Isaac, Ihrem Skeptizismus möchte ich nicht direkt
widersprechen. Vielleicht haben Sie recht, und die heutigen Phy-
siker sind auf einem Holzweg.
Übrigens gibt es noch einen zweiten Weg, eine Masse zu erzeu-
gen, der nicht direkt etwas mit dem »Higgs«-Feld zu tun hat.
Einstein: Aha – also doch. Ich dachte mir gleich, daß da noch etwas
existiert.
Haller: Also es geht um die Masse des Protons oder, wenn Sie wol-
len, die Massen der Atomkerne.
Newton: Immerhin sind das die Massen, die für die Schwerkraft
von besonderer Bedeutung sind, denn fast die gesamte Masse eines
Körpers ist ja nukleare Masse, also Atomkernmasse; nur etwas
weniger als ein Zehntel Prozent ist Masse, die mit den Elektronen
zu tun hat. Wie steht es mit der nuklearen Masse?
Haller: Wenn ich vorhin gesagt habe, daß heute ein tieferes Ver-
ständnis des Massenphänomens fehlt, so stimmt das nicht ganz,
jedenfalls nicht für das Proton, das Neutron und überhaupt für die


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Abb. 6-4 Drei Quarks als die elementaren Bausteine des Protons. Die
Quarks werden im Inneren des Protons durch den Austausch von
Gluonen zusammengehalten. Die gluonischen Kräfte sind die stärksten
Kräfte, die in der Natur existieren. Sie verhindern, daß die Quarks
selbst als isolierte Teilchen in der Natur auftreten.

Atomkerne. Das Proton ist kein elementares Teilchen – es besteht
aus noch kleineren Objekten, den bereits erwähnten Quarks. Genau
drei Quarks benötigt man, um ein Proton aufzubauen. Zwischen
ihnen bestehen sehr starke Kräfte, vermittelt übrigens durch spezi-
elle Kraftteilchen, die man Gluonen nennt. Das Proton ist also im
Grunde ein recht kompliziertes dynamisches System, bestehend
aus Quarks und aus Gluonen – es sieht aus wie eine kleiner


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Fußball, angefüllt mit Quarks und Gluonen, mit einem Radius von
10-13cm – etwa dem hunderttausendsten Teil eines Atomradius.
Newton: Quarks und Gluonen sind also die eigentlichen Bausteine
der Atomkerne, und die gesamte Dynamik der Atomkernphysik
läßt sich auf die Physik der Quarks und Gluonen zurückführen,
analog zur Atomphysik, die sich ja auch auf die Dynamik der
Atomkerne und der Elektronen in der Hülle der Atome reduzieren
läßt. Kann man das so pauschal sagen?
Haller: Durchaus. Es soll aber hier nicht unsere Aufgabe sein, in
die Details der Atomkernphysik einzusteigen.
Einstein: Trotzdem eine Frage hierzu: Wenn ich Sie recht verstehe,
sind die Quarks in den Atomkernen gewissermaßen das Analogon
zu den Elektronen in den Atomhüllen und die Gluonen das
Analogon zu den Photonen. Die Gluonen sorgen für den Zusam-
menhalt der Quarks in den Kernen, die Photonen für den Zusam-
menhalt der Elektronen und Kerne in den Atomen. Nun aber haben
die Elektronen ja eine Masse. Wie steht es denn diesbezüglich mit
den Quarks und den Gluonen?
Haller: Bei den Gluonen ist es ganz einfach, sie sind masselos wie
die Photonen. Der wesentliche Unterschied zwischen Photonen
und Gluonen besteht darin, daß die Gluonen auch mit sich selbst in
Wechselwirkung treten können – zwischen zwei Gluonen wirkt
also eine Kraft, die so stark ist wie die Kraft, die zwischen einem
Quark und einem Gluon wirkt.
Einstein: Ich verstehe – diese intergluonischen Kräfte sind offen-
sichtlich ganz wesentlich für die Dynamik der Quarks und
Gluonen. Bei den Photonen gibt es ja diese Kräfte nicht, Licht tritt
nur mit normaler Materie in Wechselwirkung, nicht mit sich selbst.
Haller: Gott sei Dank – wenn es eine solche Kraft gäbe, sähe die
Welt ganz anders aus. Ein Laserstrahl könnte nicht existieren, da
sich die Photonen des Strahls gegenseitig anziehen würden. Die
Sonnenstrahlen würden sich gegenseitig beeinflussen und gar nicht
bis zur Erde vordringen können – kurz, wir haben allen Grund,
dankbar zu sein, daß es direkte Kraftwirkungen zwischen Photonen
nicht gibt. Was die Quarks anbelangt, habe ich schon erwähnt, daß
sie eine Masse besitzen, wie etwa das t-Quark. Diejenigen Quarks,


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die sich im Innern der Protonen befinden – ich sage bewußt »die-
jenigen«, denn es gibt in der Natur ja noch andere Quarks, die
jedoch nicht als Bausteine der Protonen auftreten, sondern von
anderen, sehr instabilen Teilchen -, besitzen eine wenn auch im
Vergleich zur Protonenmasse sehr kleine Masse, die man aber in
guter Näherung vernachlässigen kann.
Einstein: Was heißt hier »vernachlässigen«? Wenn ich dies wirk-
lich mache, besteht also das Proton aus masselosen Quarks und
Gluonen. Woher kommt denn dann die Masse des Protons, immer-
hin fast 1.000 MeV?
Haller: Jetzt kommen wir zum Witz der ganzen Angelegenheit. Die
heute vorliegende Theorie der Quarks und Gluonen ist eine
Theorie, die ebenso klar formuliert ist wie die Theorie der
Elektrodynamik, die immerhin die Grundlage für die gesamte
Atomphysik darstellt. Sie legt fest, daß sich das Proton aus masse-
losen Quarks und Gluonen aufbauen läßt. Das Proton erhält somit
seine Masse als Folge der Wechselwirkung, sozusagen rein dyna-
misch. Man spricht deshalb auch von einer dynamischen Massen-
erzeugung.
Newton: Das gefällt mir schon besser. Wenn ich also ein Proton
näher anschaue, dann müßte ich im Innern masselose Quarks und
Gluonen beobachten, die faktisch mit Lichtgeschwindigkeit hin
und her sausen. Ich könnte mir dann vorstellen, daß die Masse
eines Protons nichts weiter ist als die Folge der Tatsache, daß die
Quarks und die Gluonen durch die herrschenden Kräfte auf klei-
nem Raum eingesperrt sind. Die Masse des Protons wäre also
nichts weiter als eine Art Bewegungsenergie der Quarks und
Gluonen im Innern des Protons.
Haller: So kann man es ausdrücken, nur sprechen wir heute in der
Teilchenphysik nicht von der Bewegungsenergie der Quarks und
Gluonen, sondern von deren Feldenergie.
Einstein: Wenn ich auch mal was dazu sagen darf – wenn ich Sie
recht verstehe, Herr Haller, dann muß ich mir das Proton als ein
kleines Bündel von Quarks und Gluonen vorstellen, gewisser-
maßen als eine Art quark-gluonischen Kugelblitz, ausgestattet mit
einer bestimmten Feldenergie, die summiert die Masse des Protons


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ausmacht ganz entsprechend meiner Beziehung E = mc2 zwischen
Energie und Masse des Protons.
Das erinnert mich an meine Jugendzeit. Als ich meine alte
Formel E = mc2 ableitete, betrachtete ich ein elektromagnetisches
Strahlungsfeld und zeigte, daß dieses sich so verhält wie ein mate-
rieller Körper mit einer Masse, gegeben durch die Energie, geteilt
durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. Hier ist es offen-
sichtlich ganz ähnlich. Jedenfalls klingt das sehr einleuchtend.
Endlich haben wir nun eine Situation, bei der man explizit sehen
kann, wie eine Masse zustande kommt. Für mich ist jetzt klar – der
wahre Jakob der Massen der Atomkerne ist die Feldenergie der
Quarks und Gluonen. Damit hat man den Ursprung der nuklearen
Masse doch ganz gut verstanden. Ich für meinen Teil jedenfalls
kann damit gut leben und bin zufrieden.
Haller: Leider muß ich dieses Bild trotzdem ein wenig zurecht-
rücken. Ich sagte vorhin, daß ich das Ganze betrachtet habe, ohne
die Massen der Quarks explizit zu berücksichtigen. Wenn ich das
nun in der Folge mache, ändert sich das Bild ein wenig. Die
Massen der Quarks sind nämlich von der Größenordnung von etwa
5 MeV. Bei drei Quarks im Proton bedeutet das: Nur ungefähr 2 %
der Masse des Protons haben etwas mit der Masse der Quarks zu
tun.
Einstein: Wenn ich sie nicht schon hätte, würde ich mir wegen dieser
2% keine grauen Haare wachsen lassen. Qualitativ ändert sich doch
nichts: Etwa 98% der Massen der Atomkerne und damit des weitaus
größten Teils der Materie, die wir im Kosmos beobachten – in
Gestalt von Sternen, Planeten, Gaswolken und dergleichen -, kann
man auf dynamische Art verstehen, wohlgemerkt, ohne dieses
ominöse Massenfeld einzuführen oder dieses »Higgs«-Teilchen.
Die fehlenden 2 % würden also von dem »Higgs«-Feld herrühren.
Einverstanden – vielleicht ist es so, aber ich muß schon darauf hin-
weisen, daß ich kein gutes Gefühl dabei habe. Die Masse eines
Steins von einem Kilogramm könnte ich also aufteilen in etwa 980g
dynamischer Masse, herrührend von den Quarks und Gluonen, und
20 g »Higgs«-Masse. Kommt Ihnen das nicht etwas komisch vor,
Herr Haller?


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Haller: Das brauchen Sie mir nicht explizit zu sagen, Professor
Einstein. Auch ich bin kein Freund dieser Massenaufteilung, aber
ausschließen kann ich diese Möglichkeit nicht. Immerhin ist es ja
beim Atom ähnlich. Der Hauptteil der Atommasse ist die Kern-
masse, ein kleiner Teil rührt von den Elektronen her. Also läßt sich
hier die Masse auch aufteilen. Es gibt heute aber auch konkrete
Vorstellungen, wie man die Masse der Elektronen, Quarks und
übrigens auch der W- und Z-Bosonen durch rein dynamische
Effekte erklären kann. Nur weiß niemand, ob diese stimmen. Dies
herauszufinden ist nicht zuletzt die Hauptaufgabe des neuen
Beschleunigers LHC, der am CERN im Aufbau ist. Ich bitte zu
bedenken, daß wir jetzt an die vordere Front der heutigen For-
schung vorgedrungen sind.
Einstein: Also gut, da müssen wir abwarten. Ich denke, wir sollten
die weitere Diskussion über das Massenproblem aufschieben, bis
man da Näheres weiß. Bei unserer nächsten Zusammenkunft,
sagen wir im Jahr 2010, können wir ja dann darüber befinden…
Ich schlage jetzt vor, daß wir uns endlich dem eigentlichen Thema
zuwenden, der Gravitation – allerdings nicht gleich. Heute habe
ich im Hotel drüben am Schwielowsee einen Tisch bestellt, und es
ist Zeit, aufzubrechen.
Und so geschah es. Die drei Physiker machten sich zu Fuß auf den
Weg. Einstein kannte die Abkürzung über einen schmalen Weg
vorbei an einem südlich von Caputh gelegenen kleinen See, dem
Caputher See, zum Schwielowsee. Nach einem kurzen Spazier-
gang erreichten sie das »Haus am See«, ein Hotel und Restaurant
unmittelbar am Ufer des Schwielow.