5. Kapitel: Die Begründung des modernen Staates 1911: Die Juden und das Wirtschaftsleben von Werner Sombart: Erster Abschnitt - Der Anteil der Juden am Aufbau der modernen Volkswirtschaft.

Die Ausbildung der modernen Kolonialwirtschaft und die Entstehung des modernen Staates sind zwei einander bedingende Erscheinungen. Beide sind, die eine ohne die andere nicht denkbar und wiederum von beiden gleichmäßig abhängig ist die Genesis des modernen Kapitalismus. Wenn wir also die Bedeutung irgend eines geschichtlichen Faktors für dessen Werdegang abschützen wollen, so müssen wir nachprüfen: ob und gegebenenfalls in welchem Umfange er Einfluß gehabt hat auf die beiden genannten Phänomene, Ich frage deshalb hier nach dem Anteil der Juden an der Herausbildung des modernen Staates.

Auf den ersten Blick gewinnt es den Anschein, als ob die Juden an allem anderen, nur nicht an der Entstehung des Staates, Anteil hätten: sie — das im innersten Wesen „unstaatliche Volk“. Denn keiner der großen Staatsmänner, an deren Namen wir zuerst denken, wenn wir für die Ausbildung des modernen Staates, bedeutende Menschen verantwortlich machen wollen, ist Jude: nicht Karl V., nicht Ludwig XI., nicht Richelieu, nicht Mazarin, nicht Colbert, nicht Cromwell, nicht Friedrich Wilhelm I. oder Friedrich II. von Preußen.

Freilich möchte unser Urteil wohl wesentlich anders lauten, wenn wir bedenken, daß die Grundzüge des modernen Staates, schon während der späteren Jahrhunderte des „Mittelalters“ in Italien und namentlich in Spanien ausgebildet worden sind, und daß hier jüdische Staatsmänner in leitender Stellung zahlreich nachgewiesen werden können. Es ist bedauerlich, daß die Geschichte, des modernen Staates (soviel mir bekannt) noch niemals unter diesem Gesichtspunkt geschrieben worden ist: ich glaube, daß man ganz neue Seiten dem Stoffe abgewinnen könnte. Aber zwischen den Werken, die die Geschichte der Juden in Spanien und Portugal behandeln, wie etwa Lindo, de los Rios, Kayserling, Mendes dos Remedios und denen, die dem Ursprung des modernen Staates in Spanien und Portugal nachgehen, wie etwa Ranke oder Baumgarten, besteht nicht der geringste Zusammenhang.

Aber wenn wir auch unter den Regierenden des modernen Staats keine Juden finden, so können wir uns diese Regierenden, können wir uns den modernen Fürsten nicht gut ohne den Juden, denken, (Etwa wie Faust nicht ohne Mephistopheles.) Arm in Arm schreiten die beiden in den Jahrhunderten, die wir die Neuzeit nennen, einher, Ich möchte geradezu in dieser Vereinigung von Fürst und Jud‘ eine Symbolisierung des aufstrebenden Kapitalismus und damit des modernen Staates erblicken. Reinäußerlich sehen wir in den meisten Ländern die Fürsten als die Beschützer der gehetzten Juden gegen Stände und Zünfte – also gegen die vorkapitalistischen Mächte auftreten. Und innerlich laufen ihre Interessen, laufen ihre Gesinnungen zu einem guten Teile nebeneinander und ineinander. Der Jude verkörpert, den modernen Kapitalismus und der Fürst verbindet sich mit dieser Macht, um seine Stellung zu erobern oder zu erhalten Planer gesprochen: Wenn ich von einem Anteil der Juden an der Begründung des modernen Staates spreche, so denke ich nicht sowohl an ihre unmittelbare Wirksamkeit als staatsmännische Organisatoren, als vielmehr an eine mehr indirekte Mitwirkung an dem großen staatsbildenden Prozesse der letzten, Jahrhunderte. Ich denke daran, daß sie es vor allem waren, die dem werdenden Staate die materiellen Mittel zur Verfügung stellten, mit deren Hilfe er sich erhalten und weiter entwickeln konnte, daß sie auf zwiefache Weise das Fundamentum stützten, auf dem alles moderne Staatswesen ruht: die Armee. Auf Tiefache Weise: durch deren Versorgung mit Wasken, Monturen, und Lebensmitteln im Kriege und durch Beschaffung der notwendigen Geldbeträge, die natürlich nicht nur (wenn auch vorwiegend in frühkapitalistischer Zeit) für Heereszwecke, sondern auch zur Deckung des übrigen Hof- und Staatsbedarfs Verwendung fanden. Mit anderen Worten; ich erblicke in den Juden namentlich während des 16. 17. und 18. Jahrhunderts die einflußreichsten Heereslieferanten und die leistungsfähigsten Geldgeber der Fürsten und glaube diesem Umstande eine überragende Bedeutung für den Entwicklungsgang des modernen Staates zumessen zu sollen. Dafür wird es keiner besonderen Begründung bedürfen. Worauf es nur wieder ankommt, ist dies: den quellenmäßigen Nachweis für die Richtigkeit des behaupteten Tatbestandes zu erbringen. Das soll im folgenden versucht werden: abermals mit all‘ den Vorbehalten, die ich schon bei den vorhergehenden Abschnitten glaubte machen zu sollen: insbesondere mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß die wenigen Belege, die ich für die jetzt in Rede stehende Behauptung erbringe, selbstverständlich nur den Anfang einer gründlichen und erschöpfenden Behandlung des Problems bilden sollen, und nicht den geringsten Anspruch erheben, vollständig zu sein. Wiederum ist hier eine Stelle, von wo aus Dutzende von Spezialuntersuchungen in Zukunft ihren Ausgangspunkt nehmen möchten.

I. Die Juden als Lieferanten,

Ich will nicht auf die Zeit vor 1492 zurückgreifen, weil sie aus dem Kreise dieser Betrachtungen im wesentlichen ausgeschieden werden soll (und für uns nur als Vorgeschichte in ihrer ursächlichen Bedeutung für spätere Vorgänge in Betracht, kommt). Sonst ließen sich für die Wirksamkeit der Juden als Heereslieferanten in Spanien und anderswo zahlreiche Zeugnisse anführen.

Wir verfolgen sie aber gleich in ihrem neuen Wirkungskreise und begegnen ihnen hier zunächst in England während des 17. und 18. Jahrhunderts in der gedachten Eigenschaft.

Während des Commonwealth ist der bei weitem bedeutendste Heereslieferant Ant. Fern. Carvajal, „the great Jem“, der zwischen 1630 und 1635 in London einwandert und sich bald zu einem der leitenden Kaufleute des Landes aufschwingt. Im Jahre 1649, gehört er zu den fünf Londoner Kaufleuten, denen der Staatsrat, die Getreidelieferung für das Heer überträgt (108). Er soll jährlich für 100 000 Silber nach England gebracht haben. In der darauffolgenden Periode, namentlich in den Kriegen Wilhelms III., tritt als „the great contractor vor allem Sir Solomon Medina, „the Jev Medina“ hervor, der daraufhin in den Adelstand erhoben wird: er ist der erste (ungetaufte) adlige Jude in England (109)

Und ebenso sind es Juden, die auf der feindlichen Seite im spanischen Erbfolgekriege die Heere mit dem Nötigen versorgen,

„Und bedient sich Frankreich jederzeit ihrer Hülffe, bey Krieges-Leiten seine Reuterey beritten zu machen“. (110)

1716 berufen sich die Straßburger Juden auf die Dienste, die sie der Armee, Ludwigs XIV. durch Nachrichten und Proviant geleistet haben (111) Jacob Worms hieß der Hauptkriegslieferant Ludwigs XIV. (112). Im. 18. Jahrhundert treten sie dann in dieser Eigenschaft in Frankreich immer mehr hervor. Im Jahre 1727 lassen die Juden von Metz innerhalb von sechs Wochen 2000 Pferde zum Verzehr und mehr als 5000 Remonte in die Stadt kommen 1s Der Marschall Moritz von Sachsen, der Sieger bei Fontenoy, Außerte: daß seine Armeen niemals besser verproviantiert gewesen seien, als wenn er sich an die Juden gewandt hätte. (114) Eine als Lieferant hervorragende Persönlichkeit zur Zeit der beiden letzten, Ludwige war Cerf Beer, von dem es in seinem Naturalisationspatent heißt:

„hue la dernière guerre ainsi que la dissette, quisest fait sentir en Alsace pendant les années 1770 et 1771 Jui ont donné l’occasion de donner des preuves de zelle dontil est animé pour notre service et celui de l’Etat.“ (115)

Ein Welthaus ersten Ranges im 18. Jahrhundert sind die Gradis von Bordeaux der Abraham Gradis errichtete in Quebec große Magazine, um die in Amerika fechtenden französischen Truppen, zu versorgen (116). Eine hervorragende Rolle spielen die Juden in Frankreich als Fournisseure unter der Revolution, während des Direktoriums und auch in den napoleonischen Kriegen (117). Ein hübscher Beleg für ihre überragende Bedeutung ist das Plakat, das 1795 in den Straßen von Paris angeschlagen wurde, als dieses von einer Hungersnot bedroht war, und in dem die Juden aufgefordert werden, sich für die ihnen von der Revolution verliehenen Rechte dadurch erkenntlich zu erweisen, daß sie Getreide in die Stadt kommen ließen, „Eux seuls“, meint der Verfasser des Plakats,

„peuvent mener cette entreprise à bonne fiin, vu leurs nombreuses relations, dont ils doivent faire profiter leurs concitoyens“. (118)

Ein ähnliches Bild: wie im Jahre 1720 der Hofjude Jonas Meyer durch Herbeischaffung großer Mengen von Getreide (der Chronist spricht von 40 000 Scheffeln) Dresden vor einer Hungersnot bewahrte. (119) 

Auch in Deutschland finden wir die Juden frühzeitig und oft ausschließlich in den Stellungen der Heereslieferanten. Im 16. Jahrhundert ist da der Isaak Meyer, dem Kardinal Albrecht, bei seiner Aufnahme zu Halberstadt 1537 mit Rücksicht auf die bedrohlichen Zeitläufte die Bedingung stellt „unser Stift mit gutem Geschütz, Harnisch, Rüstung zu versorgen“; und der Josef von Rosheim, der 1548 einen kaiserlichen Schutzbrief empfängt, weil er dem König in Frankreich Geld und Proviant für das Kriegsvolk verschafft hatte. Im Jahre 1546 begegnen wir böhmischen Juden, die Decken und Mäntel an das Kriegsheer, liefern (119) Im 17. Jahrhundert (1633) wird dem böhmischen Juden Lazarus bezeugt, daß er „Kundschaften und Avisen, daran der Kaiserlichen Armada viel gelegen, einholte oder auf seine Kosten einholen ließ, und sich stets bemühte, allerlei Kleidung und Munitionsnotdurft der Kaiserlichen Armada zuzuführen (121)

Der große Kurfürst bediente sich der Leimann Gompertz und Salomon Elias „bei seinen kriegerischen Operationen mit großem Nutzen, da sie für die Notwendigkeiten der Armeen mit vielen Lieferungen an Geschütz, Gewehr, Pulver, Mondierungsstücken etc. zu tun hatten (122) 

Samuel Julius: Kaiserl, Königl. (Remonte. Pferde-Lieferant unter Kurfürst Friedrich August von Sachsen; die Familie Model: Hof- und Kriegslieferanten im Fürstentum Ansbach (17., 18. Jahrhundert) (123) „Dannenhero sind alle Commissarii Juden, und alle Juden sind Commissarii“ sagt apodiktisch Moscherosch in den Gesichten Philanders von Sittewald. (124)

Die ersten reichen Juden, die unter Kaiser Leopold nach der Austreibung (1670) wieder in Wien wohnen durften: die Oppenheimer, Wertheimer, Mayer Herschel usw. waren alle auch Armeelieferanten (125) Zahlreiche Belege für die auch im 18. Jahrhundert fortgesetzte Tätigkeit als Armeelieferanten besitzen wir für alle österreichischen Lande (126)

Endlich sei noch der jüdischen Lieferanten Erwähnung getan, die während des Revolutionskrieges (ebenso wie später während des Bürgerkriegs) die amerikanischen Truppen verproviantierten. (127)

II. Die Juden als Finanzmänner

Auf diese Tätigkeit der Juden haben die Historiker schon, früher ihr Augenmerk gerichtet und wir sind daher über die Rolle, die die Juden zu allen Zeiten der europäischen Geschichte, als Finanzverwalter oder Geldgeber der Fürsten gespielt haben, verhältnismäßig gut unterrichtet. Ich kann mich deshalb hier kürzer fassen und mich mit einigen Hinweisen auf bekannte Tatsachen begnügen.

Schon während des Mittelalters finden wir die Juden allerorts als Steuerpächter, Pächter der Salinen und Domänen, als Schatzmeister und Geldgeber: am häufigsten natürlich auf der Pyrenäenhalbinsel, wo die Almoxarife und die Rendeiros mit Vorliebe aus der Reihe der reichen Juden genommen wurden.

Da jedoch diese Zeit hier nicht besonders behandelt werden soll, so verzichte ich auf die Nennung einzelner Namen und verweise im übrigen auf die umfassende General- und Spezialliteratur (128)

Aber gerade erst in der neueren Zeit, als der moderne Staat, gebildet wird, wird die Wirksamkeit der Juden als finanzielle Beiräte der Fürsten von eingreifender Kraft. In Holland gelangen sie rasch in leitende Stellungen (obwohl auch hier offiziell von der Beamtenlaufbahn ausgeschlossen) Wir erinnern uns des Günstlings Wilhelms III. Moses Machado, der Gesandtenfamilie der Belmonte (Herren van Schoonenberg), des reichen Suasso, der Wilhelm im Jahre 1688 2 Millionen Gulden leiht und anderer. (129)

Die Bedeutung der holländisch-jüdischen Hochfinanz reichte, aber weit über die Grenzen Hollands hinaus, weil Holland während des 17. und 18. Jahrhunderts das Reservoir war, aus dem alle geldbedürfenden Fürsten Europas schöpften, Männer wie die Pintos, Delmontes, Bueno de Mesquita, Francis Mels und andere darf man geradezu als die leitenden Finanzleute des nördlichen Europa in jener Zeit betrachten. (130)

Dann aber werden vor allem die englischen Finanzen, während des 17. und 18. Jahrhunderts sehr stark von den Juden beherrscht. In England !“, hatten die Geldbedürfnisse des Langen Parlaments den ersten Anstoß gegeben, reiche Juden in das Land zu ziehen, Längst ehe ihre Zulassung durch Cromwell sanktioniert wurde, wanderten reiche Kryptojuden vor allem aus Spanien und Portugal meist über Amsterdam ein — das Jahr, 1643 brachte einen besonders reichen Zustrom — und fanden ihren Mittelpunkt im Hause des portugiesischen Gesandten zu London, Antonio de Souza, der selbst ein Marranos ist. Unter ihnen ragte der uns schon bekannte Antonio Fernander Carvajal, hervor, der als Geldgeber ebenso bedeutend war, wie als Lieferant: er war recht eigentlich der Finanzmann des Commonwealth.

Eine neue Stärkung erfährt die reiche englische Judenschaft unter den jüngeren Stuarts, vor allem Karl II. Dieser führte bekanntlich die Katharina von Braganza als Gemahlin heim und in ihrem Gefolge finden wir eine ganze Reihe jüdischer Hochfinanzler, unter ihnen die Gebrüder da Sylva, jüdisch-portugiesische Bankiers aus Amsterdam, denen die Verwaltung bezugsweise die Uberführung der Mitgift Katharinas übertragen worden war. Aus Spanien und Portugal kommen um diese Zeit noch die Mendes und die Da Costa nach England, und vereinigen hier, ihre Häuser als Mendes da Costa.

„The chief men of the new immigration were wealthy Portugues, Marranos. Some of them came to London to assit Duarte da Sylva in the administration of the Queens dowey This must have been a very profitable business and the Marranos seem to have formed a syndicate to keen it to themselves. The Kings drawfts and warrants were always running, ahead of the instelments of the dowry and considerable amonnts of capital, were required to discount them, The provision of this capital was confined to the Jews.“ (132)

Gleichzeitig aber beginnt auch die Einwanderung der aschkenazischen Juden, die zwar im großen Ganzen nicht auf dem Reichtumsniveau stehen, wie die sephardischen Juden, unter denen sich aber auch Kapitalmagnaten wie etwa Benjamin Levy, befinden.

Mit Wilhelm III. kommt neuer Zuzug und die Bande, zwischen Hof (Regierung) und reichem Judentum werden noch enger. Sir Solomon Medina, den wir ebenfalls schon kennengelernt haben, folgt dem Oranier nach England als sein Beistand in Geldangelegenheiten und mit ihm kommen die Susso, eine andere Familie der Hochfinanz. Im Zeitalter der Königin Anna ist der leitende Finanzmann Englands Menasseh Lopez.

Als der Südseeschwindel über England hereinbricht, sehen wir die Judenschaft schon als die größte Finanzmacht im Lande stehen: sie halten sich von der wilden Spekulation fern und retten ihre großen Vermögen. So sind sie in der Lage, von der Anleihe, die die Regierung auf die Landtax aufnimmt, ein ganzes Viertel zu übernehmen. Das Haus, das in diesen kritischen Zeiten die Führung hat, sind die Gideon, vertreten durch Sampson Gideon (1699 — 1762), dem „trusted adviser of the Government“ dem Freunde Walpoles, dem „Pillar of the State, credit“. Er ist es auch, der im Jahre 1745, in sehr kritischer Leit, eine Anleihe von 1 700 000 aufbringt. Nach dem Tode Sampson Gideons wird die Firma Francis and Joseph Salvador die leitende Finanzmacht Englands, bis dann im Anfang des 19. Jahrhunderts die Rothschild auch hier die Führung übernehmen.

Um die Bedeutung der Juden als Finanzleute in Frankreich zu erweisen, genügt es, an die einflußreiche Stellung zu erinnern, die Samuel Bernard während der späteren Zeiten, Ludwigs XIV. und während der Regierung Ludwigs XV. einnimmt. Wir sehen Ludwig XIV. mit diesem Geldmanne,

„donttout le mérite est d’avoir soutenu l’Etat comme la corde tientle pendu“, wie ein etwas galliger Beurteiler meint !“,

in seinen Gärten spazieren. Wir finden ihn als den Geldgeber im spanischen Erdfolgekriege, als den Unterstützer des französischen, Kronprätendenten in Polen, als den finanziellen Beirat des Regenten wieder, Sodaß es kaum übertrieben gewesen sein wird, wenn ihn der Marquis de Dangeau in einem Briefe gegenwärtig den größten Bankier Europas“ nennt. Auch in Frankreich sind übrigens die Juden stark beteiligt an der Sanierung der Compagnie des Indes nach den Schrecknissen des Südseeschwindels von Ihre führende Rolle auf dem Geldmarkte und als Großfinanzer, beginnen sie in Frankreich aber wohl doch erst im 19. Jahrhundert zu spielen, als die Rothschild, die Helphen, die Fould, die Cerfberr, die Dupont, die Goudchaux, die Dalmbert, die Pereire u. a. ihre Geschäfte betrieben. Sehr leicht möglich ist es freilich, daß (außer den schon genannten Namen) doch auch im 17. und 18. Jahrhundert noch mehr jüdische Finanzmänner in Frankreich ihre Wirksamkeit entfaltet haben, die bei der strengen, Ausschließung der Juden sich als Kryptojuden den Nachforschungen, entziehen.

In Deutschland und Osterreich ist es wieder leichter, ihrem Treiben auf die Spur zu kommen, weil hier — auch wenn die Juden von Rechts wegen in einem Lande sich nicht aufhalten durften — durch die sinnreiche Einrichtung der „Hofjuden“ immer einige privilegierte Juden von den Fürsten zu ihrer Verfügung gehalten wurden.

Nach Graaetz sollen diese „Hofjuden“ eine „Erfindung“ der deutschen Kaiser während des Dreißigjährigen Krieges gewesen, sein. „Der Wiener Hoff, meint der genannte Autor, „erfand auch ein anderes Mittel, die Finanzquelle der Juden für den Krieg, ergiebig zu machen. Er ernannte jüdische Kapitalisten zu Hofjuden, räumte ihnen die ausgedehnteste Handelsfreiheit ein, befreite sie von den Beschränkungen, denen andere Juden unterworfen waren usw. (136). Wie dem auch sei: Tatsache ist, daß während des 17. und 18, Jahrhunderts kaum ein deutscher Staat, namhaft zu machen ist, der nicht einen oder mehrere Hofjuden, hielt, von deren Unterstützung im wesentlichen die Finanzen, des Landes abhängig waren.

So finden wir am kaiserlichen Hofe während des 17. Jahrhunderts (137) Josef Pinkherle von Görz, Moses und Jacob Marburger, von Gradisca, Ventura Parente von Triest, Jacob Bassewi Batscheba Schmieles in Prag (den Ferdinand wegen seiner Dienste unter dem Namen von Treuenburg in den Adelstand, erhob). Wir begegnen unter Leopold I. dem angesehenen Hause, Oppenheimer, von dem der Staatskanzler Ludewig aussagte (138):

„Anno 1690 illustre Oppenhemii Judaei nomen floruit intermercatores et trapezitas non Europae tantum, verum cultioris orbis universi,“

nachdem er eben über die Wiener Juden geäußert hat:

„praesertim Viennae ab opera et fide judaeorum ressaepius pendent maximi momenti“:

daß von ihnen die Entscheidung in allerwichtigsten Dingen abhänge. Nicht minder berühmt war unter Kaiser Leopold I, der Judenrichter und Hoffaktor Wolf Schlesinger, der zusammen mit Lewel Sinzheim dem Staate mehrere große Anleihen verschafft. Maria Theresia bediente sich außer diesen noch der Wertheimer, Arnsteiner, Eskeles u. a. Mehr als ein Jahrhundert hindurch waren die Hofbankiers am Wiener Hof nur Juden (139) Wie groß deren wirtschaftliche Macht und Einfluß in Wien war, erhellt aus der Tatsache, daß sich die Hofkammer anläßlich eines Judenkrawalls, in Frankfurt a. M. veranlaßt sah, die Reichshofkanzlei im Interesse des Kredits um ihre Intervention zum Schutze der Frankfurter Juden zu ersuchen, da diese mit ihren Wiener Glaubensgenossen in Handelsbeziehungen ständen (140),

Nicht anders lagen die Dinge an den kleineren deutschen Fürstenhöfen. „Schon die verfeinerten Ansprüche der im Luxus miteinander wetteifernden zahlreichen Hofhaltungen erforderten, bei den Schwierigkeiten des Verkehrs gewandte Agenten in den großen Mittelpunkten des Handels. Solche hatten die Mecklenburger Herzöge in Hamburg, Bischof Joh. Philipp von Würzburg, in der Person Moses Elkhans um 1700 in Frankfurt a. M. Damit war ihnen die Pforte eröffnet; der betriebsame Mann, der Schmuck, für die Fürstin, Livreestoffe für den Oberstkämmerer, Delikatessen, für den Küchenmeister besorgte, war auch gern bereit, eine Anleihe zu negociieren (141) Solche „Agenten“, die ortsfernen Fürsten, die notwendigen Geldmittel beschaffen, gab es manche in den großen Judenstädten Hamburg und Frankfurt a. M. Außer der genannten erinnere ich an den 1711 in Hamburg gestorbenen portugiesischen Juden Daniel Abensur, der Ministerresident des, Königs von Polen in Hamburg war und der polnischen Krone beträchtliche Summen lieh (142) Andere dieser Agenten zogen dann an den Hof des Darlehnsempfängers und wurden die eigentlichen Hofjuden. In Chursachsen begegnen wir so (seitdem 1694 Friedrich August den Thron bestiegen hatte) dem Leffmann, Berentz aus Hannover, dem J. Meyer aus Hamburg, dem Berend, Lehmann aus Halberstadt (der das Geld für die polnische Königswahl vorschiebt) und vielen anderen Hofjuden (143). In Hannover, wirkten die Behrend als Oberhoffaktoren und Kammeragenten (144) im Fürstentum Ansbach die Model, die Fränkel, die Nathan u. a. in Kurpfalz die Lemte Moyses und Michel May, denen 1719 eine Forderung des Kurfürsten an den Kaiser im Betrage von 2½ Millionen Gulden zediert wird (145); und in der Markgrafschaft Bayreuth die Baiersdorf (146).

Bekannt in weiteren Kreisen sind ja dann auch die Hofjuden der brandenburg-preußischen Fürsten: Lippold unter Joachim II.; Gomperz und Joost Liebmann unter Friedrich III. (I. Veit unter Friedrich Wilhelm I.; Ephraim, Moses Isaac, Daniel Itzig unter Friedrich II.

Aber der bekannteste der deutschen Hofjuden, der recht eigentlich als deren Grundbild gelten kann, ist der Süß-Oppenheimer am Hofe Karl Alexanders von Württemberg (147).

Endlich sei noch darauf hingewiesen, daß gerade auch als Finanzmänner namentlich während des 18. Jahrhunderts und insbesondere in der Zeit der Befreiungskriege die Juden in der Vereinigten Staaten eine große Rolle gespielt haben. Neben dem Haym Salomon (148) den Minis und Cohen in Georgia (149) und vielen anderen, die die Regierung mit Geld unterstützen, ist hier vor allem Robert Morris zu nennen: der Finanzmann, der amerikanischen Revolution schlechthin (150)

Nun ereignet sich aber etwas Seltsames: während Jahrhunderte lang und wie wir sehen gerade während des für den Aufbau des modernen Staates entscheidenden 17. und 18. Jahrhunderts die Juden persönlich dem Fürsten ihre Dienste leihen, vollzieht sich langsam schon während jener Zeit, dann aber vor allem während des letzten Jahrhunderts eine Neubildung in der Gestaltung des öffentlichen Schuldenwesens, die den großen Geldgeber mehr und mehr aus seiner beherrschenden Stellung, verdrängt und eine immer mehr und mehr wachsende Menge, von Gläubigern aller Vermögenslagen an seinen Platz treten, läßt. Durch die Entwicklung des modernen Anleihewesens, an die ich natürlich denke, wird, wie man gesagt hat, der öffentliche Kredit „demokratisiert“: der Hofjude wird ausgeschaltet. Und nun sind es nicht zuletzt wiederum die Juden, die dieses moderne Anleihewesen haben ausbilden helfen, sind sie es also, die sich selbst als monopolistische Geldgeber überflüssig gemacht, und damit noch viel mehr bei der Begründung der großen Staaten, mitgeholfen haben.

Die Ausgestaltung des öffentlichen Kreditsystems bildet aber nur einen Bestandteil einer viel größeren, allgemeinen Umbildung, die unsere Volkswirtschaft erfahren hat und an der ich ebenfalls ganz allgemein die Juden hervorragenden Anteil nehmen sehe. Es empfiehlt sich deshalb, diese Umbildung in ihrer Ganzheit, zu betrachten und darzustellen.