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11. Kapitel--III: Die Grundideen der jüdischen Religion 1911: Die Juden und das Wirtschaftsleben von Werner Sombart: Zweiter Abschnitt - 11. Kapitel: Die Bedeutung der jüdischen Religion für das Wirtschaftsleben

11. Kapitel: Die Bedeutung der jüdischen Religion für das Wirtschaftsleben

III. Die Grundideen der jüdischen Religion

Um es gleich herauszusagen; ich finde in der jüdischen Religion dieselben leitenden Ideen, die den Kapitalismus charakterisieren; ich sehe sie von demselben Geiste erfüllt wie diesen, Man soll niemals vergessen, wenn man die jüdische Religion –  nicht zu verwechselm mit der israelitischen Religion, zu der die jüdische in gewissem Sinne im Gegensatze steht! — recht verstehen will: wer sie geschaffen hat. Daß es ein Sofer war, ein starrgeistiger Schriftgelehrter, dem eine Schar von Schriftgelehrten dann gefolgt sind, um sein Werk zu vollenden. Kein Prophet, kein Seher, kein Trunkener, kein mächtiger König: ein Sofer! Und wie sie geschaffen ist: nicht aus dem unwiderstehbaren Drange, aus der tiefen Herzensinbrunst zerknirschter Seelen, nicht aus dem Taumel wonnetrunkener, anbetender Geister heraus. Nein: aus vorbedachtem Plane heraus: eine ausgeklügelte Abwicklung gleichsam einer diplomatischen Aufgabe. Nach dem Programm: dem Volke muß die Religion erhalten werden! Und soll bedenken, daß in allen kommenden Jahrhunderten diese Wohlüberlegtheit und Zweckbedachtheit es waren, die Lehre für Lehre neu zu den alten hinzugefügt haben. (Denn was an andern Bestandteilen das religiöse Leben der Juden vor Esra besessen hatte und nach ihm auch noch erzeugte, ging doch unter in den von den Soferim angestrebten und durchgesetzten Formen der Religion.)

Die Spuren dieser einzigartigen Entstehungsweise trägt natürlich die jüdische Religion deutlich an sich: sie erscheint uns in allen ihren Gründen ganz und gar als ein Verstandeswerk; als ein in die organische Welt hinausprojiziertes Gedanken- und Zweckgebilde: mechanisch-kunstvoll gestaltet, darauf berechnet: alle natürliche Welt zu zerstören und sich zu unterwerfen und an ihre Stelle ihr eigenes Walten zu setzen. Wie es der Kapitalismus tut, der wie die jüdische Religion als ein Fremdtum inmitten der natürlichen, der kreatürlichen Welt, als ein Erdachtes und Gemachtes inmitten des triebhaften Lebens, erscheint. Rationalismus — das ist ja das Wort, mit dem wir alle diese Besonderheiten zusammenfassen — Rationalismus ist der Grundzug des Judaismus wie des Kapitalismus, Rationalismus oder Intellektualismus: Wesensrichtungen, die gleicherweise dem irrational Geheimnisvollen wie dem Sinnlich-Künstlerisch Schöpferischen entgegergesetzt sind.

Die jüdische Religion kennt kein Mysterium Es ist wohl die einzige auf dem Erdenrunde, die es nicht kennt. Kennt nicht den Zustand des Rausches, in dem sich der Gläubige mit der Gottheit vereinigt: also den Zustand, den alle andern Religionen als den höchsten und heiligsten preisen. Man denke an die Libation der Soma bei den Hindus, an den rauschfrohen Indra selbst, an die Homa-Opfer bei den Persern:

„Der Saft, der so selige Wirkungen erzeugte, schien ihnen die edelste Lebenskraft der Natur, das ihr innewohnende Göttliche zu sein, und so wurde Homa, der Saft, das Opfer selbst zum Genius oder Gott

man erinnere sich der Dionysien, der Orakel in Griechenland, ja auch nur der Sibyllinischen Schriften, aus denen sich selbst die nüchternen Römer Rats erholten, weil sie von Frauen geschaffen waren, die im Zustande appolinischer Begeisterung Zukünftiges geweissagt hatten.

Selbst im späteren Römertum finden wir noch einen Zug im religiösen Leben, der sich im Heidentum stets gleich geblieben war: die weitverbreitete und meist ansteckende Neigung, sich in einen Zustand gewaltsamer Körper- und Geistesaufregung zu versetzen, der bis zu bacchantischer Raserei sich steigerte, und den dann die davon Befallenen sowohl als die Zuschauenden für etwas von der Gottheit Bewirktes, zu deren Dienst Gehöriges hielten. Allgemein wurde geglaubt, daß gewisse plötzliche Regungen, Leidenschaften und Entschlüsse von einem Gotte in der Seele des Menschen geweckt würden: man war immer bereit, eine Tat, der man sich schämte oder die man bereute, dem Gotte zuzuschreiben (442). „Der Gott war es, der mich dazu getrieben hat,“ entschuldigt sich im Lustspiel des Plautus der Verführer einer Dirne bei seinem Vater.

So hatte auch der kranke Mohamed empfunden, als er in ekstatischen Anfällen zur Erde schlug und von der mystischen Gemütsstimmung ist doch manches in den (freilich auch vernüchterten) Islam eingedrungen. Der hat doch wenigstens die heulenden Derwische.

Und auch das Christentum, soweit es nicht judaisiert ist, hat in der Dreieinigkeitslehre, im lieblichen Marienkultus, in Weihrauch und Abendmahl Raum für irrationale Gefühle und Empfindungen, Während das Judentum mit Stolz und Verachtung alle diese schwärmerisch-mystischen Züge verdammt. Wenn die Gläubigen der anderen Religionen in seligen Verzückungen, Umgang mit der Gottheit pflegen: liest man in den jüdischen Gotteshäusern, die nicht aus Zufall „Schulen“ heißen, die Thora vor: s0 hat es Esra bestimmt! Und so ist es mit Strenge gehalten:

„Seit dem Untergange der staatlichen Selbständigkeit war die Lehre die Seele des Judentums geworden, religiöses Tun ohne Kenntnis des Lehrstoffes galt als wertlos. Der Mittelpunkt des sabbatlichen und feiertaglichen Gottesdienstes war das Vorlesen aus Gesetz und Propheten, die Verdolmetschung des Vorgelesenen durch die Targumisten und die Erläuterung des Texter, durch die Hagadisten (Homiletiker).“

„Radix stultitiae, cui frigida sabbat cordi

„Sed cor frigidius relligione sua

„Septima quaeque dies turpi damnata veterno

„Tanquam lassati mollis imago dei.“

So sahen sie die Römer schon (443).

Fremd dem Mysterium. Aber ebenso fremd der heiligen Begeisterung für das Göttliche in der Sinnenwelt. Von Astarte, von Daphne, von Isis und Osiris, von Aphrodite und Fricka, von der Jungfrau Maria wissen sie nichts, wollen sie nichts wissen. Und darum verbannen sie auch alles Bildlich-Sinnliche aus ihrem Kultus, „Jahve redete zu euch aus dem Feuer: den Laut der Rede hörtet ihr, aber keine Gestalt sahet ihr aus dem Laute.“ (Deut. 4, 12). „Verflucht der Mann, der ein geschnitztes oder gegossenes Bild macht, einen Greuel Jahves, ein Werk von Künstlers Hand …… (Deut. 27, 15). Dieses Verbot: „Du sollst dir kein Bildnis machen“ gilt noch heute streng und in dem Sinne, daß dem frommen Juden sogar verwehrt ist. Menschendarstellungen „in tastbarer vollständiger Gestalt von Bildhauer oder anderer erhabener Arbeit, die Darstellung irgendeiner „Menschenfigur oder eines Menschenangesichts in ganz- oder halberhabener Arbeit“ zu bewirken oder bei sich aufzustellen (444).

Was aber nun weiter die jüdische Religion dem Kapitalismus, gar verwandt macht, ist die vertragsmüßige Regelung – ich würde sagen: geschäftsmäßige Regelung, wenn dem Worte nicht ein häßlicher Sinn anhaftete — aller Beziehungen zwischen Jahve und Israel. Das ganze Religionssystem ist im Grunde nichts weiter als ein Vertrag zwischen Jahve und seinem auserwählten Volke: ein Vertrag mit allen obligatorischen Konsequenzen, die ein Vertragsverhältnis mit sich bringt. Gott verspricht etwas und gibt etwas, und die Gerechten haben ihm dafür eine Gegenleistung zu machen.

Es gibt keine Art der Gemeinschaft zwischen Gott und dem Menschen, die sich nicht in der Form vollzoge, daß der Mensch etwas der Thora Gemäßes leiste und von Gott dafür etwas Entsprechendes empfange. Deshalb darf auch ein Mensch nicht betend zu Gott nahen, ohne selber oder von seinen Vätern her, etwas in seiner Hand zu haben als Gegenleistung für das, was er erbittet: Sifre 12b, Wajjikra Rabba c. 31 (445).

Das Vertragsverhältnis wickelt sich nun in der Weise ab, daß dem Menschen die erfüllten Pflichten einzeln belohnt, die verabsäumten Pflichten einzeln durch Übles vergolten werden (ebenso die guten Werke): Belohnung und Bestrafung erfolgen teils in dieser Welt, teils im Jenseits. Aus diesem Sachverhältnis ergibt sich zweierlei mit Notwendigkeit: ein beständiges Abwägen des Vorteils oder Schadens, den eine Handlung oder Unterlassung bringen kann, und eine sehr verwickelte Buchführung, um das Forderungs bew. Schuldkonto des einzelnen in Ordnung zu halten.

Die eigentümlich rechenhafte Gemütsverfassung, die man von dem Gläubigen erwartet, kommt am Besten in den Worten Rabbis zum Ausdruck, die man als Leitwort allen einzelnen Vorschriften, vorausschicken könnte: „Welchen Weg soll der Mensch wählen? Einen, der für den Wandelnden und bei den Menschen ehrenwert sei. Sei ebenso gewissenhaft in betreff leichter wie wichtiger Vorschriften, denn du kennst den Lohn der Gebote nicht. Wäge den (leiblichen) Schaden durch eine Pichterfüllung gegen ihren (geistigen) Lohn und den Gewinn durch eine Übertretung gegen ihren Schaden ab. Habe drei Dinge stets vor Augen, s0 wirst du zu keiner Übertretung kommen: es gibt ein schauendes Auge, ein vernehmendes Ohr, und alle deine Taten sind in ein Buch verzeichnet (446). Das heißt: Ob einer ein „Gerechter“ oder ein Verdammter sei, wird durch Aufrechnung von Mizwoth gegen Übertretungen festgestellt. Und um diese Aufrechnung schließlich vornehmen zu können, bedarf es natürlich einer fortgesetzten Aufzeichnung der Worte und Taten. Jeder hat sein Konto. Alle Worte des Menschen, selbst die des Scherzes, werden ihm darin gebucht: nach Ruth rabba 33a ist es Elia, welcher aufschreibt, nach Esther rabba 86a besorgen die Engel dies Geschäft, nach anderen noch andere.

So hat nun der Mensch eine Rechnung xxxxxxx im Himmel, 2. B. nach Sifra 224b Israel eine besonders große. Kohelet rabba 77c fordert zur Todesbereitung, daß der Mensch seine „Rechnung“ in Ordnung bringe, Gelegentlich werden (auf Wunsch) Kontoauszüge gemacht: Als die Engel Ismael verklagen, fragt Gott: „Wie ist sein augenblicklicher Stand? Ist er im Augenblick ein Gerechter oder ein Frevler, d. h. überwiegen die Mizwoth oder die Übertretungen“: Sie antworten ihm; er ist ein Gerechter usw. Als Mar Ukba starb, verlangte er seine Rechnung, d. i. die Summe der Almosen, die er gegeben. Sie betrug 7000 Sus. Da er nicht glaubte, daß diese Summe zu seiner Rechtfertigung ausreiche, d. i, seine Übertretungen ausgleiche, so verschenkte er noch sein halbes Vermögen, um sicher zu gehen. Kethuboth 25. Vgl. B. bathra 7. Endgültig wird die Frage, ob einer ein Gerechter oder ein Verdammter sei, aber erst entschieden, wenn es sich nach dem Tode des Menschen um sein ewiges Geschick handelt. Dann wird die Rechnung geschlossen und das Saldo gezogen. Aus der Summe und dem Gewicht der Mizwoth und dem Gewicht der Übertretungen ergibt sich Gerechtigkeit oder Verdammnis. Über das Ergebnis der Rechnung wird dem Menschen eine Urkunde xxxx, welche seine Mizwoth und Aberoth enthält, ausgefertigt und zur Anerkennung vorgelang (447).

Daß eine solche Rechnungsführung nicht leicht ist, liegt auf der Hand. Während der biblischen Zeit — so lange alle guten und alle bösen Taten auf Erden vergolten wurden — ging es noch an. Später aber, als Lohn und Strafe teils zeitlich, teils ewig waren, wurde die Buchführung außerordentlich verwickelt und ist in der talmudisch-midrasischen Theologie zu einem kunstvollen Buchführungssystem ausgebildet worden. Danach wird unterschieden zwischen dem Kapital (xxx) oder der Hauptsumme, des Verdienstes und den Früchten oder Linsen des Kapitals (xxxx). Jenes wird für die zukünftige Welt aufbewahrt, diese genießt man schon hier. Damit der im Himmel aufbewahrte Lohn den Gerechten ungeschmälert für das zukünftige Leben verbleibe, erhebt Gott für die gewöhnlichen Wohltaten, die er den Gerechten erzeigt, keinen Anspruch an den himmlischen Lohn; nur wenn man ihnen außerordentliche, das heißt wunderbare Wohltaten erweist, dann wird der himmlische Lohn dafür verringert. Ferner empfängt der Gerechte, um keine Einbuße im Himmel zu erleiden, für die im Vergleich mit seinen guten Werken in Minderzahl geschehenen bösen Werke auf Erden gleich die Züchtigung, wie der Gottlose hinieden den Lohn für sein geringes Gute empfängt, damit er dort die volle, ihm bestimmte, Strafe erleide (448).

In der Art und Weise, wie sich die jüdische Theologie dieses, Kontokorrent mit Gott vorstellt, kommt nun aber noch eine Aufkassung zum Vorschein, die mit einer anderen Grundidee des Kapitalismus: der Erwerbsidee, eine seltsame Verwandtschaft aufweist. Ich meine, wenn ich es in einem Worte ausdrücken soll: die unorganische Auffassung vom Wesen der Sünde (und der Guttat). Jede Sünde kommt nach der rabbinischen Theologie für sich — einzeln — als zahl. und wägbare Tat in Betracht. „Die Bestrafung wird nach dem Objekt, nicht nach dem Subjekt der Beleidigung geschätzt“ (449). Je nach der Zahl und Beschaffenheit der Übertretungen wird der sittliche Wert oder Unwert des Menschen bemessen, Der einzelne „Schuldposten erscheint rein quantitativ bestimmt: er ist losgelöst von der nur qualitativ faßbaren Persönlichkeit, losgelöst von dem gesamten sittlichen Zustande des Täters: wie ein Geldbetrag losgelöst ist von allem Zusammenhang mit persönlichen Zwecken und sachlicher Güterqualität, geeignet, mit einem andern, ebenso abstrakten Geldbetrage zu einer Summe addiert zu werden. Das Streben des Gerechten nach Wohlergehen hüben und drüben, muß sich nun aber äußern in einem endlosen Streben nach Vermehrung des Lohnes als dessen, was seine Aktiva vergrößert. Da er nicht in einem bestimmten Zustande seines Gewissens die Zuversicht zu gewinnen vermag, Gottes Wohltaten teilhaftig zu werden; und da er niemals weis, ob der Stand seiner Forderungen und Schulden mit einem Aktiv- oder Passivsaldo abschließt, so muß er Lohn auf Lohn durch eine Guttat nach der andern zu häufen suchen, rastlos bis an sein Lebensende. Die begrenzte Endlichkeit aller persönlichen Bewertung ist aus seinem religiösen Vorstellungskreise verbannt, die Grenzenlosigkeit der rein quantifizierenden Betrachtung ist an ihre Stelle getreten.

Mit dieser Auflösung des persönlichen Schuldverhältnisses in eine Summe von Einzeltaten, wie sie die Theologie vorgenommen hat, und mit der dadurch bedingten Einführung eines dem Erwerbsstreben verwandten Unendlichkeitsstrebens nach hohen Aktivposten geht in der jüdischen Moraltheologie parallel eine ganz eigentümliche Hochbewertung gerade des Gelderwerbes als des Strebens nach Vermehrung des qualitätlosen, von allen naturalen Güterzwecken losgelösten, rein quantitativ bestimmten, und darum als „absolutes Mittel“ verwendbaren Wertes. Man findet diese Stellungnahme bei Verfassern jüdischer Erbauungsschriften häufig: oft oder meist gewiß, ohne daß es den Verfassern selbst zum klaren Bewußtsein kommt, daß sie den Gelderwerb als solchen verherrlichen, wenn sie ihre Gläubigen davor warnen, allzuviel (naturalen) Gütervorrat anzuhäufen. Die Erörterungen finden sich in der Regel bei der Abhandlung des „Gelüstes“ (xxxx): wo Deut, 15, 18 „Du sollst dich nicht gelüsten …“ usw. besprochen wird. Man warnt vor dem „Gelüst„, aber man versucht, das Gelüst dadurch zu bekämpfen, daß man es auf den Gelderwerb gleichsam ablenkt. „Bist du wahrer Jisroel“, so heißt es in einem der bekanntesten dieser Erbauungsbücher unserer Tage (450) so wirst du Gelüst nicht kennen; wirst keinen Besitz für dich, wirst in allem nur Mittel „zu Gott wohlgefälliger Tat erstreben“ (daß auch materielle Mittel gemeint sind, geht aus dem Zusammenhange hervor).

„Ist ja dein ganzes Leben nur eine Aufgabe, alle Güter und Genüsse, nur Mittel zu dieser Aufgabe …… und zu dieser Aufgabe gehört freilich auch, wo Kraft und religiöse Möglichkeit vorhanden, Genüsse und Güter zu erstreben, nicht aber als Zweck, sondern als Mittel zur Erfüllung von Gott ausgesprochener Pflichten.“

Möchte man hier den Zusammenhang religiöser Anschauungen, mit dem Erwerbsprinzip nicht gelten lassen — ich erinnere auch noch daran, was Heine über den „Nationalreichtum der Juden“ auszusagen hatte! —, s0 drängt er sich aber wieder auf, wenn wir die eigentümliche Gestaltung des jüdischen Gottesdienstes betrachten, die sich in wichtigen Abschnitten, wie man weiß, zu einer förmlichen Auktion auswächst. Ich denke an die Versteigerung der Thora-Ämter an den Meistbietenden: Ehe die Gesetzesrolle in der Synagoge aus dem heiligen Schranke geholt wird, geht der Küster oder Schulklopfer rings um den Almenor, d. i. den Katheder herum und ruft die bei dem Heraus- und Hereintragen der Thora vorkommenden Ämter und Verrichtungen mit den Worten zum Verkauf aus: Wer kauft das Hozoa ve ha chenosa (Heraus- und Hineinlegen)? Wer kauft das Ex hachajim (Verrichtung, die Thora beim Zuwickeln in der Hand zu halten)? Wer kauft Hagboah (Aufheben der Thora). Wer kauft Gelilah (Auf- und Zuwickeln): Diese Ämter werden auf Meistgebot versteigert — dem Meistbietenden beim dritten Aufruf zugeschlagen …… Das erlöste Geld wird für die Armen der Synagoge verwendet. Heute ist die Auktion vielfach aus dem jüdischen Gottesdienst gestrichen. Man kann sie aber selbst im Berliner Getto noch in voller Blüte sehen. Früher war sie wohl allgemein ein Bestandteil des Gottesdienstes (451).

Seltsam muten uns aber auch die Reden so vieler Rabbanen an, die zuweilen wie gewiegte Geschäftsleute über die schwierigsten ökonomischen Probleme streiten, und die sehr häufig Grundsätze aufstellen, die gar nicht anders denn als Aufmunterung zu einem emsigen Erwerbsleben aufgefaßt werden können. Es wäre reizvoll, aus dem Talmud allein die Stellen zu sammeln, in denen moderne Erwerbsprinzipien von diesem oder jenem Rabbi vertreten werden (die ja in der Tat oft genug selbst große Geschäftsleute waren). Ich denke z. B. an folgende Ausführungen: Baba mezia 424: Auch dieses hat R. Jachak, noch bemerkt: „Der Mensch soll immer sein Geld in Gebrauch haben“. Ferner erteilte R. Jachak den guten Rat: immer drittele der Mensch sein Vermögen; ein Drittel (lege man an) in Grundstücken; ein Drittel in Waren und ein Drittel behalte er in Händen. Dann fügte R. Jachak auch dieses noch hinzu: der Segen waltet nur da, wo die Gegenstände dem Auge entzogen sind. Denn es heißt: „Der Ewige wird dir den Segen befehlen in Deine Vorratshäuser“ (Übers. Sammter).

Pesahim 113a: Rabh sprach zu seinem Sohne Aba: Komm ich will dich nun weltliche Dinge lehren: Während der Staub sich noch an Deinen Füßen befindet, verkaufe Deine Ware [also rascher Umsatz wird gepredigt!] ….. Zuerst öffne den Geldbeutel, nachher löse den Getreidesack …… Lieber eine Kab vom Erdboden als ein Kor vom Dache, Hast Du Datteln in der Kiste, so laufe zum Brauer. (Übers. L. Goldschm.) usw.

Was bedeutet diese auffallende Parallelität in den Grundideen zwischen jüdischer Religion und Kapitalismus? Ist es ein Zufall, ein schlechter Witz des Schicksals: Ist das Eine durch das andere bewirkt? Gehen beide auf gleiche Ursachen zurück? Das sind die Fragen, die sich uns aufwerken, und die ich im weiteren Verlauf dieser Darstellung zu beantworten versuchen will. Hier lassen wir uns einstweilen dabei genügen, jene Verwandtschaft aufgewiesen zu haben, um nunmehr die viel simplere Aufgabe zu lösen: nachzuweisen, wie einzelne Einrichtungen, Auffassungen, Lehrmeinungen, Vorschriften, Regeln des jüdischen Religionssystems von Einfluß auf das wirtschaftliche Verhalten der Juden geworden sind, ob und weshalb insbesondere sie die kapitalistische Laufbahn des Judentums gefördert haben. Hierbei bewegen wir uns in den Niederungen der primärpsychologischen Motivation und gehen allen spekulativen Schwierigkeiten aus dem Wege, Zunächst handelt es sich um die Bewertung der grundsätzlichen Zielsteckungen in der jüdischen Religion und ihre Bedeutung für das Wirtschaftsleben. Ihr sind die folgenden Gedanken gewidmet.