Glücksgefühle sind unsere Lebensdroge

Damit wir motiviert sind, zu leben und unsere Gene fortzup anzen, benötigen wir einen Lebenswillen. Die Natur hat uns einen gewaltigen Überlebensinstinkt eingep anzt und eine Heidenangst vor dem Tod. Aber die Angst vor dem Tod allein hält uns nicht am Leben. Sie existiert, weil wir leben wollen. Menschen, die des Lebens müde sind, haben weniger Probleme mit dem Tod. Es sind die schönen Gefühle, die uns am Leben erhalten, allen voran das Glück. Die schönen Gefühle geben uns einen Lebenswert. Wenn sie über einen langen Zeitraum ausbleiben oder wenn man, schlimmer noch, gar nichts mehr fühlt, dann hängt man nicht mehr am Leben. Schwer Depressive leiden unter einem völligen Mangel an Gefühlen. Totale Leere und damit einhergehend ein tiefes Gefühl der
Sinnlosigkeit quartieren sich in den Betroffenen ein, die sich deswegen
häu g den Tod herbeiwünschen und ihn leider auch manchmal herbeiführen.

Zentrales Element unseres psychischen Bauplans ist also, dass wir fühlen.
Und zwar am liebsten gut! Wir streben nach Glück wie nach einer Droge. Glücksgefühle motivieren uns zu leben. Die Ersatzdroge für das Glück ist die Hoffnung. Wenn wir uns in einer unglücklichen Lebenssituation befinden, kann uns die Hoffnung auf Besserung am Leben erhalten. Die Hoffnung auf Besserung geht bei Depressiven übrigens auch gen null, ein weiterer Grund, warum diese Erkrankung so ungeheuer lebensmüde macht.

Aber auch die weniger angenehmen Gefühle erinnern uns ständig daran, dass das Leben kostbar ist. Die Angst ermahnt uns, unser Selbst vor körperlicher oder psychischer Verletzung zu bewahren. Die Trauer klärt uns darüber auf, dass wir etwas Wichtiges verloren haben. Der Ekel warnt uns vor Ansteckung und Vergiftung. Die Scham bewirkt, dass wir uns an gesellschaftliche Normen anpassen und somit ein Mitglied der Gemeinschaft bleiben, ohne die wir nicht überleben könnten. Schuldgefühle sind die Konsequenz, wenn wir uns selbst oder einem anderen Menschen einen Schaden zugefügt haben. Neid kann uns anspornen und Eifersucht motiviert uns, an wichtigen Beziehungen festzuhalten. 

Ohne unsere Gefühle hätten wir keinerlei Motivation, am Leben zu bleiben oder überhaupt irgendetwas zu tun. Deswegen sind Depressive ja nicht nur von innerer Leere und Sinnlosigkeit geplagt, sondern leiden auch unter einem massiven Antriebsmangel. In schweren Fällen können sie sich deswegen noch nicht einmal mehr zum Freitod aufraffen. Deswegen achten Ärztinnen und Ärzte sorgfältig darauf, dass die Antidepressiva in der ersten Behandlungsphase stärker die Stimmung aufhellen, als dass sie den Antrieb steigern. Andersherum könnte ihre Wirkung fatale Folgen haben.

Wenn wir also so gierig auf gute Gefühle sind, dann wäre es doch eigentlich am effizientesten, wenn wir uns ganz unmittelbar auf das Glücksgefühl als solches konzentrieren würden. Damit meine ich Folgendes: Wir suchen unser Glück ja normalerweise in äußeren Dingen, wie einer glücklichen Liebesbeziehung, beruflichem Erfolg, der Anhäufung von Geld und den schönen Dingen, die man sich damit kaufen kann. Genauso ziehen uns äußere Widrigkeiten oft runter: schlechtes Wetter, Stau, Stress bei der Arbeit, ein muffiger Ehepartner. Ungute Gefühle stellen sich immer dann ein, wenn wir nicht das bekommen, was wir gerne hätten. Wenn es uns aber gelingen würde, unser Gehirn so zu beeinflussen, dass wir mit dem, was gerade ist – was auch immer es ist –, zufrieden wären, dann hätten wir keine Probleme mehr.

Der Psychologe und Buchautor Jens Corssen spricht in diesem Zusammenhang von »gehobener Gestimmtheit«. Er sagt richtigerweise, dass vieles im Leben eine Frage der persönlichen Entscheidung ist. Wenn ich mich also entschieden habe, Auto zu fahren, dann muss ich in Kauf nehmen, dass ich in einen Stau gerate. Anstatt mich also darüber zu ärgern, sollte ich mir sagen: Ich habe mich für das Auto entschieden. Also will ich Auto fahren. Ergo will ich auch im Stau stehen! Ebenso: Ich habe diesen Partner ausgewählt. Er ist ständig schlecht gelaunt. Ergo will ich diesen schlecht gelaunten Partner. Das Corssen-Prinzip ist so einfach wie genial. Es geht um die radikale Annahme der eigenen Lebensentscheidungen oder eben darum, eine neue Entscheidung zu treffen. Die Grundidee ist, dass man seine Emotion kontrolliert und weniger die äußeren Umstände, auf die wir häufig nicht viel Einfluss nehmen können, wie beispielsweise auf den Stau oder den muffigen Partner. Also Emotions-Coping anstatt Situations-Coping. Coping ist ein psychologischer Fachbegriff, der aus dem Englischen übernommen wurde, und meint, dass man mit etwas fertig wird, also klarkommt.

Kleiner Exkurs: 

Eine buddhistische Form des Erwartungsmanagements

Auch Buddhisten verfolgen das Ziel, die Wirklichkeit so anzunehmen, wie sie ist, und sich von Anhaftungen zu lösen. Unter »Anhaftung« wird ein sehnsüchtiges Verlangen, eine Bindung an glücksversprechende andere Menschen, Objekte und Zustände verstanden, wie beispielsweise materieller Besitz, Ruhm, Status und auch eine zu starke Bezogenheit auf andere Menschen. Je weniger ich anhafte, desto gelassener und gleichmütiger kann ich das Leben annehmen und in letzter Konsequenz auch den Tod, weil ich auch mein Selbst loslassen kann. Je weniger ich anhafte, desto weniger Erwartungen oder gar Gier können entstehen. Im Grunde genommen praktizieren erfolgreiche Buddhisten ein effizientes Erwartungsmanagement, das sie vor starken Gefühlsausschlägen in die eine oder andere Richtung beschützt und sie somit in den Zustand äußerster Gelassenheit versetzt.

Angenehme Gefühle entstehen, wenn im Außen das geschieht, was ich innerlich anstrebe. Glücksgefühle stellen sich ein, wenn ich mehr bekomme als erwartet. Unglücklich und sogar regelrecht krank kann es uns hingegen machen, wenn das, was im Außen passiert, stark von dem abweicht, was wir uns wünschen und erwarten. Dieser simple Erwartungsabgleich wird in der Psychologie als das Konsistenzprinzip bezeichnet.