Wws-T1:Die Selbstschutzstrategien Stephanie Stahl - Wer wir sind: Wie wir wahrnehmen, fühlen und lieben. Alles, was Sie über Psychologie wissen sollten
Die Selbstschutzstrategien
Nicht nur auf der reinen Wahrnehmungsebene, sondern auch durch unser Verhalten sind wir bestrebt, Inkonsistenz zu reduzieren und Unlustgefühle wie Scham, Angst oder Enttäuschung zu vermeiden. Wenn wir eine innere Prägung verinnerlicht haben, die uns glauben lässt, wir seien klein und minderwertig, dann wollen wir uns nicht ständig so fühlen, und noch weniger wollen wir, dass andere unsere vermeintliche Minderwertigkeit feststellen. Wir entwickeln Schutzstrategien, die uns vor den negativen Gefühlen und Gedanken unseres Schattenkindes schützen sollen. Sie sind die Kompensation für unseren angeschlagenen Selbstwert.
Viele dieser Schutzstrategien hat man sich schon als Kind angeeignet, um bestmöglich mit den Eltern klarzukommen. So war man vielleicht schon als
Kind immer bestrebt, der kleine »Sonnenschein« der Mutter zu sein, und überträgt diese Schutzstrategie nun unbewusst auf das Erwachsenenleben, indem man stets bemüht ist, alle Erwartungen zu erfüllen. Also auch unsere Schutzstrategien generieren sich aus unseren Introjektionen und daraus entstehenden Projektionen.
In meinen Büchern »Das Kind in dir muss Heimat finden« und »Jeder ist beziehungsfähig« gehe ich ausführlich auf die Selbstschutzstrategien ein, weswegen ich sie im Folgenden nur kurz zusammenfassen möchte.
Die Schutzstrategien schützen unseren Selbstwert, und zwar entweder im Dienste der Bindung oder im Dienste der Autonomie. Ich hatte bereits unter dem Abschnitt »Bindung: Die Basis des Lebens« erläutert, dass manche Menschen Sicherheit innerhalb der Bindung suchen, während andere sich am liebsten auf sich selbst zurückziehen. Für die Ersteren bedeutet Sicherheit, dass jemand für sie da ist; für Letztere bedeutet Sicherheit, dass sie auf keinen Menschen außer sich selbst angewiesen sind. Beiden gemeinsam ist, dass sie im Herzen überangepasst sind. Während die »Bindungstypen« jedoch auf der überangepassten Seite verweilen, haben sich die »Autonomen« auf die Seite der Rebellion geschlagen: Sie halten dagegen. Sie rebellieren – zumeist unbewusst – gegen die Überanpassungsleistungen, die sie als Kinder vollbringen mussten, wobei ihnen vermutlich auch noch ein »rebellisches Gen« mit in die Wiege gelegt worden ist. Erwartungen, die an sie gestellt werden, lösen einen geradezu reflexartigen Widerstand in ihnen aus.
Bei den Selbstschutzstrategien handelt es sich in den meisten Fällen um normale Verhaltensweisen, derer wir uns alle bedienen, um möglichst unversehrt durchs Leben zu kommen. Kein Mensch wird gern abgelehnt, und deswegen ist jeder um Anpassung und Harmonie bemüht (Selbstschutz: Harmoniestreben). Kein Mensch mag es, in eine unterlegene und hilflose Situation zu geraten, weswegen jeder daran interessiert ist, eine gewisse Kontrolle und Macht auszuüben (Selbstschutz: Kontroll- und Machtstreben).
Problematisch werden die Schutzstrategien erst, wenn sie so massiv ausgeübt werden, dass man sich selbst oder anderen mit ihnen schadet, wie es bei einem übertriebenen Perfektionsstreben oder einem außerordentlichen Machthunger der Fall sein kann. Im Folgenden habe ich die Schutzstrategien nach den Grundbedürfnissen Bindung und Autonomie sortiert. Manche Menschen benutzen vorwiegend bindungsorientierte Schutzstrategien, andere vorwiegend autonome. Nicht wenige bedienen sich auch von beiden Seiten.
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