Elisa macht Beziehungen kaputt

Elisa, 36 Jahre, schaft es nicht, sich auf eine vertrauensvolle Liebesbeziehung einzulassen. Sobald ihr ein Mann echtes Interesse signalisiert und Zeit investiert, fühlt sie sich eingeengt und sabotiert die aufkommende Nähe. Sie sagt, dass sie immer Schluss macht, bevor es ernst werden könne. Eigentlich sehnt sie sich aber nach einem Partner. Elisa vermutet, dass es in ihrer schwierigen Kindheit Gründe für ihr Verhalten geben könne. Sie kommt zu mir, um diese Ursachen zu erkennen und zu re ektieren, was sie ändern könnte.

„Am Anfang ist bei mir immer alles himmelhochjauchzend. Wenn ich jemanden kennenlerne, idealisiere ich denjenigen total. Ich denke dann etwas wie: »Wahnsinn, der ist total auf meiner Wellenlänge und es passt zu 100 Prozent.« Manchmal denke ich sogar: »Der ist jetzt mein Mann! Der ist es!« Dann verstreichen ein paar Monate, und es passiert irgendetwas, das kann auch nur eine Kleinigkeit sein, und das überschwängliche Gefühl verkehrt sich schlagartig ins Gegenteil. Es kann schon ausreichen, dass der Mann einfach nur zehn Minuten zu spät von der Arbeit kommt, und in dieser kurzen Wartezeit startet bei mir sofort ein Film im Kopf. Ich denke dann: »Aha, der belügt mich« oder »Eigentlich findet er mich wohl nicht so wichtig«. Und dann werde ich superwütend.“

1. Elisa leidet unter starken Verzerrungen ihrer Wahrnehmung. Am Anfang idealisiert sie ihren potenziellen Partner und ist euphorisch. Nach einigen Monaten der Beziehung reichen jedoch kleinste Anlässe aus, dass sie ihrem Partner misstraut und extrem wütend wird. Wie nennt man die Wahrnehmungsverzerrung, die Elisa erleidet und die sie selbst als »Film« bezeichnet? Was können uns diese Aussagen bereits über ihr Selbstwertgefühl verraten?

„Diese Abläufe spielen sich immer wiederkehrend in den gleichen Zeiträumen ab. Nach etwa drei bis sechs Monaten Beziehungen fühle ich mich plötzlich wie gefangen und gefesselt. Ich muss dann ausbrechen. Das ist mir in der akuten Phase meistens nicht bewusst, aber im Nachhinein fällt mir auf, dass ich ziemlich manipulative Techniken eingesetzt habe, um das Ganze zu beenden. Ich fange zum Beispiel an, wegen kleinerer Unstimmigkeiten einen grundlegenden Streit vom Zaun zu brechen. Und dann streite ich das Ende herbei. Ich mache meistens Schluss, bevor es überhaupt ernst werden kann. Wenn meine Partner also anfangen, Pläne zu schmieden, und sei es nur, dass sie mit mir in Urlaub fahren wollen, ist das meistens der Anfang vom Ende.“

2. Hier bestätigt sich, dass es sich um ein grundlegendes Beziehungsmuster bei Elisa handelt. Nahe Beziehungen triggern sehr viel Wut in ihr, mit der sie die Beziehung zerstört. Woher kommt die Wut?

Und welches psychologische Grundbedürfnis wirkt, wenn sie Streit vom Zaun bricht und die Beziehung beendet?

„Warum ich solche Panik bekomme, kann ich gar nicht genau sagen. Ich habe zu dem Zeitpunkt oft das Gefühl, dass es gar nicht um mich als Mensch geht. Die Männer, die ich kennenlerne, kommen meistens aus langjährigen Beziehungen, sie sind also durchaus bindungsfähig. Ich habe jedoch das Gefühl, dass ich denen nicht genügen werde. Ich habe das Gefühl, wenn sie mich richtig kennenlernen als Mensch, werden sie feststellen, dass ich eigentlich nicht gut genug bin.“

3. Hier erfahren wir, dass Elisa Panik verspürt. Worauf bezieht sich ihr starkes Angstgefühl vermutlich?

„Viele dieser Männer kommen gerade aus Beziehungen, und ich komme mir dann wie das Trostpflaster vor. Ich befürchte, dass an mich die Erwartung gestellt wird, die Lücke zu füllen, welche die Ex hinterlassen hat. Ich befürchte, dass es gar nicht um mich geht, sondern ich nur das Mittel zum Zweck bin.“

Auch hier ist wieder eine Projektion Elisas im Spiel, die ihr Selbstwertgefühl betrifft. Sie scheint in Beziehungen das Gefühl zu haben, dass sie selbst gar nicht wahrgenommen wird und somit auch nicht persönlich gemeint ist, sondern lediglich das Mittel zum Zweck darstellt.

Ich kenne dieses Gefühl aus meiner Kindheit und aus meiner Beziehung zu meiner Mutter. Ich befürchte, dass die Männer, die ich kennenlerne, quasi in der Rolle meiner Mutter sind. Meine Mutter wollte ein Loch in ihrem Leben mit mir füllen, und ich habe diese Hoffnung nicht erfüllen können.“

Hier erfahren wir, woher diese Wahrnehmung Elisas rührt. Sie formuliert ganz deutlich, dass sie für ihre Mutter eine Enttäuschung gewesen ist (zumindest hat Elisa das so empfunden). Das hat ihr Schattenkind geprägt, deswegen geht sie fest davon aus, dass sie auch ihre Beziehungspartner enttäuschen wird.

„Ich bin bei meiner Mutter und bei meinem eingetragenen Vater aufgewachsen, der bei meiner Geburt mit meiner Mutter verheiratet war. Ich bin allerdings aus einer Affäre entstanden, weil mein Vater keine Kinder zeugen konnte. Meine Mutter wollte aber Kinder und hat sich deshalb einen anderen Erzeuger gesucht. Mein »Vater« hatte keine Ahnung davon. Ich habe das auch erst viel später erfahren. Mein eingetragener Vater war Alkoholiker und meine Mutter ist durch ihre Co-Abhängigkeit selbst später Alkoholikerin geworden. Mein Vater war Gewohnheitstrinker, er hat sich abends zwei bis drei Flaschen Wein reingeballert. Allerdings war er immer friedlich und auch zuverlässig, er war nicht aggressiv. Meine Mutter war viel liebloser mit mir als er. Sie war eine starke, mächtige Frau, an die ich schlecht herankam. Sie hatte zwischendurch ihre weichen Momente, in denen sie mich in den Arm genommen hat. Das habe ich wahnsinnig genossen als Kind. Aber meistens war sie eher ablehnend. Sie hat mich oft geschlagen und mir das Gefühl gegeben, dass ich sie einfach störe. Vermutlich hat mich meine Mutter nur bekommen, um ein Loch in sich selbst zu füllen. Als sie dann merkte, dass ich ihre Erwartungen nicht erfülle, wollte sie mich nicht mehr so wirklich.“

4. Das sind wirklich schlimme Erfahrungen, die Elisa gemacht hat. Welchen Bindungsstil könnte sie entwickelt haben? Wie könnte man ihr motivationales Schema in Worte fassen?

„Meinen leiblichen Vater habe ich erst mit 16 kennengelernt. Gerade als wir so etwas wie ein Verhältnis zueinander aufgebaut hatten, ist er leider gestorben. Wir hatten nur vier Jahre.“

Immer wieder erleidet Elisa Verlust.

Ich habe bereits einige Therapien gemacht, da habe ich gelernt, sensibel für meine Muster zu sein und offen mit meiner Thematik umzugehen. Wenn ich einen potenziellen Partner kennenlerne, dann versuche ich, zeitnah Klarheit zu schaffen und sage ihm: »Hör mal, bei mir ist das so und so … ich kann das nicht so gut … aber ich versuche, dass es klappt.« Aber egal wie verständnisvoll oder zugewandt die Männer waren, irgendwann kommt immer meine Panik. Dann kommen diese Ausbruchsgedanken, und mein Verhaltensmuster greift. Ich haue dann mit Worten alles kurz und klein. Ich habe mich verbal nicht mehr unter Kontrolle. Ich kenne auch genau die wunden Punkte bei meinem Partner und ziele darauf ab. Ich habe meine Partner bisher k. o. geredet. Vor mir standen einige erwachsene Männer und haben geweint.“

5. Was macht Elisa hier? Welchen Selbstschutz wendet sie an und welches psychologische Grundbedürfnis wird hierdurch bedient?

„Das Schlimmste ist: Ich rede dann so, wie meine Mutter früher mit mir gesprochen hat. Das ist dann ganz vulgär. So rede ich normalerweise gar nicht. Ich bin dann ein komplett anderer Mensch in dieser Situation.“

6. Welchen Zweck könnte Elisa hier unbewusst verfolgen, indem sie in die Rolle ihrer Mutter schlüpft?

„Ich verletze mich dadurch auch selbst, denn einige dieser Männer haben mir wirklich etwas bedeutet. Ich verachte mich dafür, dass ich so mit ihnen umgehe. Ich habe inzwischen auch einfach Angst, dass ich immer wieder Menschen verletzen könnte, die mir eigentlich wichtig sind. Mir ist inzwischen klar, dass sich die Ablehnung durch meine Mutter auf meinen Selbstwert und meine Herangehensweise an Beziehungen übertragen hat. Das Verhältnis zu meiner Mutter dominiert mein Gefühlsleben. Ich habe überhaupt kein Vertrauen, dass eine Beziehung mich glücklich machen könnte. Also zerstöre ich sie lieber selbst, bevor ich noch einmal so ausgeliefert bin und verletzt werde. Diesen Schutzmechanismus müsste ich aufgeben, um mich überhaupt auf eine Beziehung einlassen zu können.“

Ich müsste es also irgendwie schaffen, meinen Selbstwert von dieser Erfahrung mit meiner Mutter zu entkoppeln. Ich müsste irgendwie Urvertrauen in mich selbst aufbauen. Ich versuche auch, mir jeden Tag klarzumachen, dass mein Wert nichts mit meiner Mutter zu tun hat. Sie hat sich so verhalten, weil sie nicht anders konnte – nicht, weil ich daran schuld war. Ich versuche inzwischen, sehr auf mich zu achten und in mich hineinzuhorchen, was ich möchte. Ich versuche, mir die Wertschätzung entgegenzubringen, die ich als Kind nicht bekommen habe. Aber ich glaube, dass es noch viel Überzeugungsarbeit braucht, bis mein inneres Kind sich liebenswert findet.“

Auch wenn es noch viel Überzeugungsarbeit für ihr Schattenkind brauchen mag, das ist genau der richtige Weg, den Elisa hier einschlägt.

Meine Überlegungen zu Elisa

1. Elisa projiziert am Anfang einer Beziehung all ihre Wünsche und Träume in ihren potenziellen Partner und idealisiert ihn hierdurch. Im Verlauf der Beziehung macht der Idealisierung ein starkes Misstrauen Platz, das sie auf ihren Partner projiziert. Diese Projektionen implizieren, dass ihr Partner sie verlassen wird, auch wenn sie dies hier noch nicht ausdrücklich formuliert. Man darf hier bereits annehmen, dass Elisa in ihrer Kindheit viel Ablehnung erfahren und somit ein geringes Selbstwertgefühl entwickelt hat.
Dieses lässt sie ständig schwanken zwischen der Hoffnung auf eine große Liebe am Anfang einer Beziehung und der Gewissheit, dass man sie nicht lieben kann und sie sowieso verlassen wird, wenn die
Beziehung enger wird.

2. Elisa geht aufgrund ihrer Projektion davon aus, dass der Partner sie belügt, betrügt und verlässt. Diese fantasierte Selbstwertkränkung und der damit einhergehende Kontrollverlust setzen eine ungeheure Wut in ihr frei. Die Wut hilft ihr, ihre autonomen Grenzen zu verteidigen und ihr »Leben zu retten«. Will heißen, dass die Vorstellung, verlassen zu werden, sich für sie vermutlich »wie Sterben« anfühlt. Um diese entsetzliche Situation abzuwenden, schlägt sie verbal um sich. Wenn ihr Partner sie dann verlässt beziehungsweise sie selbst Schluss macht, dann hat sie wenigstens die Kontrolle bewahrt – aktiv zerstören fühlt sich nämlich besser an, als passiv verlassen zu werden.

3. Elisa leidet unter extremer Verlustangst, die sich aus ihrem geringen Selbstwertgefühl speist. Die Vorstellung, verlassen zu werden, scheint geradezu Panik in ihr auszulösen.

4. Durch das ablehnende Verhalten ihrer Mutter und den wohl wenig engagierten Vater dürfte Elisa einen vermeidenden Bindungsstil erworben haben. Da sie im ersten Absatz schildert, wie stark sie ihre
potenziellen Beziehungspartner am Anfang einer Beziehung idealisiert und da sie offensichtlich unter starker Verlustangst leidet, können wir einen ängstlich-vermeidenden Bindungsstil annehmen.

Ihr motivationales Schema und somit ihre Glaubenssätze dürften in etwa lauten: Ich bin allein. Ich bin eine Enttäuschung und werde verlassen. Deswegen darf ich keinem Menschen vertrauen. Ich muss es allein schaffen. Extreme Gefühle der Verlassenheit und Ohnmacht scheinen hiermit einherzugehen.

5. Zunächst versucht Elisa, mit konstruktiven Verhaltensweisen die Partnerschaft zu stabilisieren, indem sie ihren Partner auf ihre Problematik aufmerksam macht. Wenn jedoch ihre Projektionen und die damit einhergehende Verlustangst zu stark werden, wird sie destruktiv-aggressiv. Sie praktiziert also einen Selbstschutz, der viel mit Macht und Kontrolle zu tun hat. Vermutlich, um ihren Ohnmachtserfahrungen, die sie in ihrer Kindheit gemacht hat, entgegenzuwirken. Sie bedient also hier das Bedürfnis nach Kontrolle und Autonomie.

6. Elisa identifiziert sich in dieser Situation unbewusst mit ihrer Mutter. Sie wechselt also von der ehemaligen Opfer- in die Täterrolle. Die Täterrolle verleiht ihr Stärke. Man darf davon ausgehen, dass Elisa unheimliche Angst hat, sich noch einmal so ohnmächtig und ausgeliefert wie in ihrer Kindheit zu fühlen und deswegen über die Identifizierung mit der Täterrolle starke Kontrolle und Macht ausübt.

Aus diagnostischer Sicht weist Elisa Symptome einer Borderline-Störung auf. Diese ist unter anderem gekennzeichnet durch eine instabile Wahrnehmung naher Bezugspersonen. So wie bei Elisa kann die Wahrnehmung zwischen Idealisierung und Dämonisierung schwanken und hierdurch sehr starke aggressive Impulse auslösen. Wer sich über die Borderline-Störung tiefer gehend informieren möchte, der sei auf Fachliteratur oder das Internet verwiesen. Aus meiner Sicht wirken bei Elisa die gleichen psychologischen Gesetzmäßigkeiten, die ich in diesem Buch vorgestellt habe, nur eben in recht massiver Ausprägung. Durch ihre traumatischen Kindheitserfahrungen (vermutlich in Verbindung mit einer
genetischen Komponente) ist ihr Schattenkind von starken Gefühlen der Lieblosigkeit, Ohnmacht und Verlustangst geprägt. Sie gerät schnell in diese Schattenkind-Wahrnehmung, die vor allem in nahen
Liebesbeziehungen getriggert wird, und sie reagiert hierauf mit extremer Verlustangst, die in der Folge eine massive Zerstörungswut in ihr auslöst.