Wws-T3: Gefühle regulieren Stephanie Stahl - Wer wir sind: Wie wir wahrnehmen, fühlen und lieben. Alles, was Sie über Psychologie wissen sollten
Gefühle regulieren
Auch wenn man auf der theoretischen Ebene schon viel verstanden und für sich reflektiert hat, so ist es im Alltagsleben dennoch oft schwierig, rechtzeitig zu bemerken, wenn wieder das Schattenkind und die maladaptiven Emotionen das Ruder übernehmen. Es passiert immer wieder, dass man den richtigen Zeitpunkt verpasst, um seine Gefühle noch regulieren zu können. In diesem Fall braucht es Maßnahmen, um zu intensive Emotionen abzuschwächen. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass unsere starken Gefühle uns entweder zu impulsiv handeln lassen oder uns in den Rückzug und in die Resignation treiben.
Vor allem, wenn wir unter Stress stehen, sind wir schnell in unseren Schattenkind-Gefühlen getriggert. Umgekehrt sind intensive Gefühle selbst ein Stressfaktor, erst recht, wenn sie negativ sind. Länger in einer Panikattacke zu verweilen oder im Zustand der Verzwei ung festzustecken ist Stress pur.
Wenn wir die Intensität von Gefühlen auf einer Skala von 0–10 einstufen (10 wäre das Maximum an Intensität), dann ist man ab 7 zunehmend weniger in der Lage, seine Gefühle und sein Verhalten angemessen zu steuern. Auf diesem Stresslevel kommt man auch mit Ertappen und Umschalten (siehe »Exkurs: Intervention bei negativen Gefühlen«) nicht weiter, weil der Frontalcortex, der Sitz der Vernunft, bereits blockiert ist. In diesem Zustand verfällt man schnell in alte, dysfunktionale Handlungsmuster.
Die große Kunst in diesem Fall ist, dem Handlungsimpuls nicht nachzugeben, sondern zunächst das Stresslevel herunterzufahren. Starke Emotionen, die die Vernunft blockieren, kann man nur durch Ablenkung in den Griff bekommen. Maßnahmen, die bei starkem Stress wirken, sind:
1. Starke Sinnesreize (scharfe Chili essen, einen halben Liter Wasser am Stück trinken, kalt duschen, harmlose Schmerzreize wie beispielsweise Eiswürfel auf der Nasenwurzel)
2. Gedankliche Ablenkung (Tätigkeit, auf die man sich stark konzentrieren muss: Computerspiel; Rätsel, schwierige Rechenaufgaben, Instrument spielen, Podcast hören)
3. Körperliche Aktivität (Joggen, Liegestütz; Atementspannung) Hierzu ein Beispiel:
Nach einer Teamsitzung, in der ein Kollege ihn sehr unfair kritisiert hatte, war Timo auf einem Stresslevel von 9. Sein erster Impuls war es, einfach abzuhauen. Er hatte sich jedoch fest vorgenommen, seine Impulsivität in den Griff zu bekommen und griff deswegen auf seinen Notfallplan zurück. Er zog sich in eine ruhige Ecke der Firma zurück und machte 30 Kniebeugen und 50 Liegestütz. Danach war sein Stresslevel ungefähr noch bei 6. Dem schloss er eine 10-minütige Atementspannung an. Sein Stresslevel war danach auf circa 4 gesunken. Nun konnte er wieder klare Gedanken fassen. Er nahm sich vor, noch eine Nacht über das Ereignis zu schlafen und seinem Kollegen am nächsten Tag eine deutliche, aber sachliche Ansage zu machen.
Wenn wir in alte Muster zurückfallen, so geschieht dies häufig, weil wir mit der Situation nicht gerechnet haben, also schlecht vorbereitet sind. Ich rate meinen Klienten deswegen zu mentaler Vorbereitung, wozu die Erstellung eines sogenannten »Notfallkoffers« gehört, aber auch die Erarbeitung alternativer Verhaltensstrategien, auf die ich noch unter dem Abschnitt »Dritter Schritt: Metastrategien finden« zu sprechen komme. Je besser man sich auf eine Situation vorbereitet, desto leichter kann man sich rechtzeitig ertappen und somit starke, negative Gefühlszustände rechtzeitig abwenden.
Ich ermuntere meine Klientinnen und Klienten, sich auf schwierige Situationen wie Familienfeiern, Teamsitzungen oder einfach den Beziehungsalltag mental vorzubereiten. Je genauer man seine Trigger kennt und adäquate Verhaltensstrategien parat hat, desto gelassener kann man reagieren. Auch hierauf gehe ich noch näher im Abschnitt »Dritter Schritt: Metastrategien finden« ein.
Grundsätzlich geht es in jeder Psychotherapie darum, die Hilflosigkeit der Ratsuchenden zu reduzieren und ihre internale Kontrollüberzeugung zu stärken. Ziel ist, dass die maladaptiven Gefühle und Verhaltensweisen nicht mehr auftauchen oder wenigstens gut gehandelt werden können.
Übrigens können Gefühle auch über eine bewusste Atmung reguliert werden. Das Gehirn wird sozusagen ausgetrickst, da es mit einer langsamen und tiefen Atmung Entspannung und Ruhe verbindet. Hinzu kommt, dass die Atementspannung auch eine gute Ablenkung von unseren aufgewühlten Emotionen darstellen kann, weil man sich bei ihr auf die Sinneseindrücke konzentrieren kann.
ANLEITUNG ZUR ATEMENTSPANNUNG
Atmen Sie ruhig ein und aus, ohne etwas verändern zu wollen. Achten Sie darauf, wie die Luft aus Ihren Nasenlöchern ein- und ausströmt. Spüren Sie die Temperatur am Naseneingang und nehmen Sie die
Temperatur in der Luft wahr. Atmen Sie vier Sekunden lang ein. Halten Sie den Atem für sieben Sekunden lang an. Atmen Sie acht Sekunden lang aus und machen Sie dabei ein Geräusch, wie »Whoosh«.
Wiederholen Sie das, bis Ihr Stresslevel um mindestens drei Punkte gesunken ist.
Notfallpläne und Verhaltensstrategien verhindern impulsives Handeln. Die folgenden Interventionen sind geeignet für Emotionen, deren Stresslevel unter 7 liegt.
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