IZ: 5.5 Placebos: Die Wirkung von Überzeugungen

Jeder Medizin-Student lernt zumindest ein bißchen etwas über die Wirkung, die der Geist auf den Körper hat, wenn er erfährt, daß sich manche Patienten besser fühlen, wenn sie (irrigerweise) annehmen, ein Medikament zu erhalten. Die Besserung, die vie­le Patienten verspüren, nachdem sie eine Zuckerpille genommen haben, wird in der Me­dizin als Placebo-Effekt bezeichnet.

 

Mein Freund Rob Williams, Gründer der energeti­schen Psychotherapie-Methode PSYCH-K, hält für diesen Mechanismus den Begriff Wahrnehmungs-Effekt für sinnvoller. Ich selbst nenne es den Überzeugungseffekt, um zu betonen, daß unsere Überzeugungen eine Wirkung auf unser Verhalten und unseren Körper haben – seien sie nun zutreffend oder unzutreffend.

 

Ich begrüße den Überzeugungseffekt als einen erstaunlichen Beweis für die Heilkraft des Körper-Geist-Systems. Für die Schulmedizin grenzt der »eingebildete« Placebo-Ef­fekt jedoch an Quacksalberei oder sie führen ihn auf schwache, leicht beeinflußbare Pa­tienten zurück. In den medizinischen Fakultäten wird er rasch abgehandelt, damit man sich den »wirksamen« Heilmethoden der modernen Medizin zuwenden kann – den Me­dikamenten und Operationen.

 

Ich halte das für einen kapitalen Fehler. Der Placebo-Effekt sollte in der medizinischen Ausbildung eine wesentliche Rolle spielen. Ich meine, man sollte den Ärzten beibrin­gen, die Macht unserer inneren Ressourcen zu erkennen. Sie sollten die Kraft des Geis­tes nicht als etwas ansehen, das weniger wirksam ist als Chemikalien und Skalpelle.

 

Es wäre sinnvoll, wenn sie ihre Überzeugung aufgeben, daß der Körper mit all seinen Tei­len im Grunde genommen dumm ist und wir unsere Gesundheit nur mit äußerer Hilfe aufrecht erhalten können.Der Placebo-Effekt bedarf gründlicher wissenschaftlicher Untersuchungen.

 

Wenn man herausfinden könnte, wie man den Placebo-Effekt steuern kann, dann hätten Ärzte zur Krankheitsbekämpfung ein effizientes, energetisches, nebenwirkungsfreies Instrument zur Hand. Die Energie-Heiler sagen, sie hätten bereits solche Instrumente, aber ich bin Wissenschaftler und ich meine, je besser wir die Wirkungsweise des Placebo-Effekts kennen, desto wirkungsvoller können wir ihn im klinischen Bereich einsetzen.

 

Ich glaube, daß der Geist in der Schulmedizin nicht nur aus dogmatischen, sondern auch aus finanziellen Gründen so allgemein mißachtet wird. Wenn wir unseren kranken Kör­per kraft unseres Geistes heilen können, brauchen wir nicht mehr zum Arzt zu gehen, und vor allem brauchen wir keine Medikamente mehr.

 

Vor kurzem erfuhr ich zu meiner Bestürzung, daß die Pharmakonzerne tatsächlich Pati­enten genauer untersuchen, die auf Zuckerpillen reagieren, jedoch mit dem Ziel, sie aus den klinischen Versuchsreihen herauszuhalten. Es stört die Hersteller nämlich, daß in den meisten klinischen Versuchen die Patienten mit der »falschen« Droge fast genauso gut abschneiden wie mit ihren Chemie-Cocktails [Greenberg 2003].

 

Auch wenn die Pharmakonzerne behaupten, daß sie die Zulassung unwirksamer Medikamente nicht för­dern, stellt die Wirksamkeit von Placebo-Pillen eine Bedrohung für sie dar. Die Bot­schaft ist einfach: Wenn ich die Wirksamkeit des Placebo-Effekts nicht überflügeln kann, dann versuche ich, ihn aus den Versuchsreihen auszuschalten!

 

Es ist schon sehr schade, daß den Ärzten nicht beigebracht wird, sich intensiver mit dem Placebo-Effekt zu beschäftigen, denn manche Historiker weisen daraufhin, daß Placebo-Effekte in der Medizin seit jeher eine große Rolle gespielt haben.

 

Während des größten Teils der Medizingeschichte verfügten die Ärzte im Umgang mit vielen Krankheiten über keine wirksamen Methoden. So war es lange Zeit allgemein üblich, Krankheiten mit Aderlaß und Wunden mit Arsen zu behandeln, und wenn gar nichts mehr half, gab es noch das berühmt-berüchtigte Allheilmittel Klapperschlangenöl.

 

Zweifellos ging es manchen Patienten – zumindest dem als konservativ eingeschätzten Drittel der Bevölkerung, das sich als für den Placebo-Effekt empfänglich erweist – nach
diesen Behandlungen besser.

 

Wenn in der heutigen Welt ein Arzt im weißen Kittel eine Behandlung im Brustton der Überzeugung vorschlägt, glaubt der Patient, daß sie wirkt – und dann tut sie es auch, ganz gleich, ob es eine Zuckerpille ist oder eine echte Droge.

 

Obwohl die Frage danach, wie Placebos funktionieren, im Großen und Ganzen von der Medizin ignoriert wird, haben sich doch in letzter Zeit ein paar angesehene Wissen­schaftler damit beschäftigt. Ihre Ergebnisse legen nahe, daß nicht nur die altertümlichen, fragwürdigen Behandlungen vergangener Jahrhunderte den Placebo-Effekt hervorbrin­gen, sondern auch moderne, hochentwickelte medizinische Technologien, sogar die fol­genreichste Therapie von allen, die Operation.


Eine im Jahre 2002 im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie der Baylor School of Medicine überwachte Patienten mit schweren Knieschmerzen, die sich operieren lassen wollten [Moseley et al., 2002]. Dr. Bruce Mosely, der Leiter der Unter­suchung, »wußte«, daß die Knieoperation seinen Patienten half. »Alle guten Chirurgen wissen, daß es im Bereich der Operation keinen Placebo-Effekt gibt.

 

« Dr. Mosely woll­te jedoch herausfinden, welche Art von Operation seinen Patienten am besten half. Er teilte die Patienten der Studie in drei Gruppen auf: In der einen wurde dem Patienten der geschädigte Knorpel abgeschliffen und in der zweiten wurde das Gelenk gespült und da­mit alles Material entfernt, das eine Entzündung verursachen konnte. Beides waren Standardbehandlungen für chronische Knieentzündungen. Die dritte Gruppe wurde nur zum Schein operiert. Der Patient wurde betäubt, Mosely machte die drei Standard-Ein­schnitte und redete und bewegte sich so, als führe er eine Operation durch – er planschte sogar etwas mit Salzwasser, um die Geräusche der Kniewaschung nachzuahmen. Nach vierzig Minuten nähte Mosely die Schnitte wieder zu, wie er es bei einer gewöhnlichen Operation auch getan hätte.

 

Alle drei Gruppen erhielten genau die gleiche postoperative Behandlung, zu der auch ein Gymnastikprogramm gehörte.Die Ergebnisse waren schockierend. Ja, die Gruppen, die operiert wurden, erfuhren wie erwartet Besserung. Doch der Placebo-Gruppe ging es genauso gut! Trotz der Tatsache, daß jedes Jahr 650.000 arthritische Knie operiert werden, was jeweils ungefähr 5.000 Dollar kostet, war Mosely die Sache klar:»Nicht meine Operationskünste haben diesen Menschen geholfen – der Nutzen der Operation osteoarthritischer Knie ist allein dem Placebo-Effekt zuzuschrei­ben.

 

«Die Fernsehprogramme stellten die erstaunlichen Ergebnisse deutlich dar. Sie zeigten Mitglieder der Placebo-Gruppe, die wandern gingen und Basketball spielten – lauter Dinge, die ihnen vor ihrer »Operation« unmöglich waren. Man hatte diesen Patienten erst zwei Jahre nach der Operation mitgeteilt, daß man an ihrem Knie nichts verändert hatte. Ein Mitglied dieser Gruppe namens Tim Perez konnte vor der Operation nur mit einem Stock gehen – jetzt spielte er mit seinen Enkeln Fußball. Er brachte das Thema dieses Buches auf den Punkt, als er bei einem Interview im Discovery-Channel erklärte: »In dieser Welt ist alles möglich, wenn man es sich in den Kopf setzt. Ich weiß, daß unser Geist Wunder vollbringen kann.«

 

Auch bei der Behandlung anderer Krankheiten, darunter Asthma und Parkinson, hat der Placebo-Effekt eine starke Wirkung gezeigt. Bei der Behandlung von Depressionen sind die Placebos so effektiv, daß der Psychiater Walter Brown von der Brown University School of Medicine Placebo-Pillen als Erstbehandlung für leichte und mittlere Depressi­onen vorschlug [Brown 1998]. Den Patienten wurde sogar mitgeteilt, daß sie ein Mittel ohne aktive Inhaltsstoffe erhielten, daß die Wirksamkeit der Tabletten dadurch jedoch nicht beeinträchtigt würde.

 

Die Untersuchungen haben gezeigt, daß die Placebo-Pillen sogar funktionieren, wenn die Patienten wissen, daß sie kein wirkstoffhaltiges Medika­ment erhalten.Ein weiterer Hinweis auf die Macht des Placebo-Effekts kommt von einem Bericht des amerikanischen Gesundheitsministeriums. Darin steht, daß sich in einer Studie die Hälf­te der untersuchten depressiven Patienten durch die Einnahme eines Medikaments bes­ser fühlten, während es bei der Placebo-Kontrollgruppe zweiunddreißig Prozent waren [Horgan 1999]. Und selbst diese beachtliche Zahl unterschätzt möglicherweise die Kraft des Placebo-Effekts, denn viele Patienten finden heraus, daß sie das echte Medikament erhalten, weil sie Nebenwirkungen verspüren, die mit dem Placebo natürlich nicht ein­hergehen. Sobald sie wissen, daß sie das Medikament nehmen, sind sie natürlich noch empfänglicher für den Placebo-Effekt.

 

Angesichts dieser Wirksamkeit des Placebo-Effekts ist es nicht erstaunlich, daß die 8,2 Milliarden Dollar schwere Antidepressiva-Industrie sich der Kritik stellen muß, daß die Pharmakonzerne die Wirksamkeit ihrer Mittel übertreibt. Unter dem Titel »The Emper­erorʼs New Drugs« (Des Kaisers neue Drogen) schreibt der Psychologieprofessor Irving Kirsch 2002 in einem Artikel der Zeitschrift des amerikanischen Psychologen-Verbands Prevention & Treatment, daß gemäß klinischen Studien achtzig Prozent der Wirkung von Antidepressiva dem Placebo-Effekt zugeschrieben werden könnten [Kirsch 2002].

 

Kirsch mußte sich auf die verfassungsrechtliche Informationsfreiheit berufen, um an die Daten der klinischen Untersuchungen zu den meistverkauften Antidepressiva heranzu­kommen. Die Gesundheitsbehörden wollten sie nicht freigeben. Aus diesen Daten wird
ersichtlich, daß in mehr als der Hälfte der klinischen Versuche zu den sechs führenden Antidepressiva die Medikamente nicht besser abschnitten als die Placebos.

 

In einem In­terview mit dem Discovery-Channel sagte er:»Der Unterschied zwischen der Reaktion auf das Medikament und der Reakti­on auf das Placebo betrug im Durchschnitt weniger als zwei Punkte auf einer klinischen Skala, die fünfzig bis sechzig Punkte erreicht. Das ist ein sehr klei­ner Unterschied. Dieser Unterschied ist klinisch bedeutungslos.«

 

Eine weitere interessante Tatsache zur Wirksamkeit von Antidepressiva ist, daß sie in den klinischen Versuchen im Laufe der Jahre immer besser abschnitten. Das läßt darauf schließen, daß ihre Wirkung zum Teil auf geschickter Vermarktung beruht. Je stärker die wundersame Wirkung eines Mittels in den Medien und der Werbung angepriesen wird, desto besser wirkt es.

 

Überzeugungen sind ansteckend! Wir leben heute in einer Kultur, in der die Menschen glauben, daß Antidepressiva helfen, also tun sie es.Eine kalifornische Designerin namens Janis Schonfeld nahm 1997 an einem Test zur Wirksamkeit von Effexor teil. Sie war genauso verblüfft wie Perez, als sie erfuhr, daß sie Placebos genommen hatte. Die Pillen hatten sie nicht nur von ihrer jahrelangen De­pression befreit, die EEGs zeigten auch, daß ihre Großhirnrinde viel aktiver war als zu­vor [Leuchter etat., 2002]. Ihre Besserung fand nicht nur »im Kopf« statt. Wenn sich das Denken verändert, beeinflußt das unsere Biologie. Schonfeld hatte auch unter Übel­keit gelitten, einer bekannten Nebenwirkung von Effexor.

 

Sie ist ein typisches Beispiel für Patienten, denen es mit einem Placebo besser geht – sie war zunächst davon über­zeugt, daß die Ärzte einen Fehler gemacht hatten, denn sie war sich ganz sicher, daß sie das echte Medikament eingenommen hatte. Die Wissenschaftler mußten ihren Bericht zweimal überprüfen, bis sie ihnen glaubte.