Ur-Idee – Dissipatives System

Prozess und Struktur: Das Ruhende imBewegten

Im Rahmen des Energieentwertungkonzepts [1] wird das Warmhalten von Tee auf einem Stövchen folgendermaßen beschrieben: Der selbsttätige Vorgang der Abkühlung des Tees auf Umgebungstemperatur wird ständig durch den Vorgang des Abbrennens der Kerze zurückgespult, so dass das Teewasser auf eine Temperatur oberhalb der Umgebungstemperatur eingeregelt und das System in einem stationären Nichtgleichgewichts-Zustand gehalten wird. Solche Nichtgleichgewichts-Zustände umgeben uns in großer Zahl:

  • Das mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h fahrende Auto,
  • die Badewanne ohne Stöpsel, die durch zulaufendes Wasser auf einer gleichbleibenden Füllhöhe bleibt,
  • der gleichmäßig dahin fließende Fluss, dessen Fließen allenfalls an einem mitbewegten Blatt zu erkennen ist,
  • das von einer Glühwendel abgegebene Licht, aber auch der durch die Wendel fließende elektrische Strom,
  • die Kerzenflamme,
  • die gegen den Wind wandernden Sandrippel inder Wüste,
  • die blühende Blume etc.

Bei den zuletzt genannten Beispielen liegt es nicht sofort auf der Hand, dass es sich um gegeneinander wirkende Vorgänge bzw. Prozesse handelt. Die „Lichtstruktur“ der Kerze kann als Ergebnis von Prozessen aufgefaßt werden, in denen das Erlöschen infolge der Abgabe von Wärme, Licht und Stoffen ständig durch Oxidation von neuem Wachs zurückgespult wird, wodurch das System fern vom thermodynamischen Gleichgewicht gehalten wird.

 

Demnach kann man alle genannten Beispiele sowohl als Prozesse als auch als Nichtgleichgewichtsstrukturen, also energiedurchflossene (offene) Systeme auffassen. Man wird vor allem dann von einer Struktur sprechen, wenn das System eine auffällige äußere Gestalt annimmt.

 

In allen Fällen bleibt die Energie des Systems (im Mittel) konstant. Dem System wird genauso viel Energie und/oder Materie zugeführt, wie es an die Umgebung abgibt (Bild 1).


Allerdings wird dabei die Energie entwertet bzw. dissipiert. Das System muß daher mehr Entropie abgeben als es aufnimmt. Durch diesen Entropieexport wird die Struktur im Nichtgleichgewicht gehalten.

Fließgleichgewicht

Wie weit entfernt sich ein durch Energieentwertung angetriebenes System vom thermodynamischen Gleichgewicht? Die Antwort auf diese Frage macht eine Differenzierung der obigen Beispiele nötig. Zur Verdeutlichung betrachten wir den auf dem Stövchen warmgehaltenen Tee etwas genauer.


Solange die Wärmezufuhr nur gering ist, wird die Wärme zur kälteren Oberfläche geleitet und dort an die Luft abgegeben. Das System ändert sich rein äußerlich nicht und behält die Symmetrie bei, die es im thermodynamischen Gleichgewicht besaß: Es bleibt dem Gleichgewicht sehr nahe. Im Falle der Wärmeleitung ist mit dem Energiestrom durch das System hindurch eine Entropieproduktions- bzw.Dissipationsrate:

 

∆SiWL/∆t = ∆Q/∆t (1/TU – 1/T)

verbunden (vgl.[2].).

 

Dabei stellt ∆Q/∆t einen Energiestrom und (1/TU – 1/T) eine (verallgemeinerte) Kraft dar, die den Strom antreibt. Die Dissipationsrate kann ganz allgemein (also nicht nur bezogen auf die Wärmeleitung) als Produkt aus Strömen und diese antreibenden Kräften aufgefaßt werden. So gilt beispielsweise für die elektrische Leitung:

 

∆Siel/∆t = I U/T,

 

wobei I den (elektrischen) Strom und die Spannung U/T die verallgemeinert Kraft darstellen. In der Nähe des thermodynamischen Gleichgewichts können Ströme und Kräfte als proportional zueinander angesehen werden (lineare Näherung). In diesem stationären (Fließ-) Gleichgewicht nimmt die Dissipationsrate einen im Rahmen der jeweiligen Randbedingungen minimalen Wert an (Prigoginesches Prinzip der minimalen Dissipations- bzw. Entropieproduktionsrate). Damit lässt sich dieser Bereich der linearen Nichtgleichgewichtsthermodynamik ähnlich wie das thermodynamische Gleichgewicht durch das Extremum einer Potentialfunktion charakterisieren (vgl. z.B.[2]).


Natürliche Entwässerung als Minimalsystem Als eindrucksvolles Beispiel für das Prinzip der minimalen Dissipationsrate sei hier der stationäre Zustand eines Systems erwähnt, bei dem es um die Entwässerung einer Ebene durch die Ausbildung eines Netzes von Flüssen und Nebenflüssen geht (Bild 2), die jeden Punkt der Ebene in eindeutiger Weise einbeziehen. Man kommt auf eine solche Minimalstruktur, wenn man die Minimierung der Dissipationsrate in einen Computeralgorithmus zur Simulation der Flußstruktur umsetzt [5]. Auch experimentell sind derartige Minimalstrukturen auf einfache Weise zugänglich (Bild 3).