2018/12: Mordsache Skripal und Giftgas-Lügen in Syrien: Die Rolle Großbritanniens seit 2011 (Teil 3)

2 Dez. 2018 07:30 Uhr

 

Ob in Bezug auf Syrien oder im Fall Skripal: Wenn in der jüngsten Vergangenheit von Chemiewaffeneinsätzen die Rede war, fungierten britische Organisationen und Einzelpersonen als mediale Stichwortgeber. Eine Analyse des ehemaligen Kriminalbeamte Jürgen Cain Külbel.
 
Mordsache Skripal und Giftgas-Lügen in Syrien: Die Rolle Großbritanniens seit 2011 (Teil 3)Quelle: www.globallookpress.com © Global Look Press

von Jürgen Cain Külbel – (Teil 1und 2 können Sie hier und hier nachlesen.)

Unheilige Allianzen – Präparationen für den Chemiewaffen-Spuk

Anfang 2012 – der Krieg des Westens, der Türkei, der Golfstaaten und ihrer islamistischen Terroristen gegen den Staat Syrien tobte bereits ein Dreivierteljahr – übergab Generalleutnant James R. Clapper, Direktor der nationalen Nachrichtendienste der Vereinigten Staaten (DNI), einen nicht als geheim eingestuften Bericht an den US-Kongress mit dem Titel „Erwerb von Technologie in Bezug auf Massenvernichtungswaffen und konventionelle Munition vom 1. Januar bis 31. Dezember 2011“.

 

Darin hieß es, dass „Syrien seit vielen Jahren über ein Chemiewaffen-Programm verfügt und einen Vorrat an Chemiewaffen-Substanzen, die mit Fliegerbomben, ballistischen Raketen und Artilleriegeschossen ausgebracht werden können“. Die Daten hatte der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA beschafft, der schon 2006 von einem „syrischen Chemiewaffen-Arsenal“ sprach, in dem sich vor allem der „Nervenkampfstoff Sarin“ befand. Der Geheimdienst schätzte 2012, Syrien verfügeüber mehrere hundert Liter chemischer Kampfstoffe, vor allem überSenfgas, Tabun und das Nervengas Sarin.

 

Clappers „Befund“ könnte durchaus als die zündende Idee für zukünftige False Flag Operationen mit Chemiewaffen in Syrien gedeutet werden. Damaskus allerdings hatte in Reaktion auf die andauernden Kämpfe die Sicherung der eigenen Chemiewaffendepots verstärkt und Teile des Arsenals verlegt. Wie der Pulitzer-Preisträger und weltbekannte investigative Journalist Seymour Hersh in seinen Untersuchungen Whose Sarin (2013) und The Red Line and the Rat Line (2014) sowie im Interview mitAlternet.org (2016) enthüllte, wurde Anfang 2012, also in jenem Zeitraum, in dem Clappers Bericht erschien, unter Supervision der damaligen US-Außenministerin Hillary Clintoneine „Geheimvereinbarung zwischen dem US-Außenministerium, den Regierungen der Türkei, Saudi-Arabiens und Katars“ geschlossen: Laut Hersh sollten neben anderen Waffen auch Sarin aus den Beständen der geschlagenen libyschen Armee mit Hilfe der CIA nach Syrien geschmuggelt werden.

 

Islamistische Rebellen brachten nachher das tödliche Giftgas mit aktiver Hilfe der CIA nach Syrien; dort gelangte es in die Hände der von Saudi-Arabien und der Türkei unterstützten al-Kaida-Nachfolgeorganisation al-Nusra. Die Idee: Syriens Präsidenten Baschar al-Assad einen unter falscher Flagge geführten Sarin-Angriff anzulasten, der den Vorwand für das direkte militärische Eingreifen der USA und ihrer Verbündeten liefere. In The Red Line and the Rat Line vermerkte Hersh:

Gemäß den Bedingungen des Abkommens kam die Finanzierung aus der Türkei sowie aus Saudi-Arabien und Katar. Die CIA war mit der Unterstützung des MI6 dafür verantwortlich, Waffen aus Gaddafis Arsenalen nach Syrien zu bringen.

Vor diesem Hintergrund stellten sich die Briten ab 2012 in Sachen Syrien-Krieg breiter auf. Am 7. Januar 2012 wurde in Paris die Union of Medical Care and Relief Organizations (UOSSM) gegründet. Diese „medizinische Pflege- und Hilfsorganisation“, bestehend aus Hunderten von Ärzten mit syrischem Migrationshintergrund, „eine Koalition aus humanitären, nichtstaatlichen und medizinischen Organisationen aus den Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und der Türkei“, wollte Kriegsopfern in Syrien unabhängige und unparteiische Hilfe und medizinische Versorgung bieten.

 

Doch schon bald wird die UOSSM zu dem wichtigsten Gehilfen der sogenannten Weißhelme avancieren und kontinuierlich „Zeugen“ für die ab 2013 einsetzenden Giftgas-Fakes in Syrien liefern. Dr. Ghanem Tayara, niedergelassener Allgemeinarzt in Birmingham und Vorstandsmitglied von Syria Relief, der, wie in Teil 1 der Analyse beschrieben, im Jahr 2011 in Manchester Kontakt zum britischen Ex-Nachrichtendienstler und Chemie- und Biowaffenexperten Oberst Stephen Hamish de Bretton-Gordon aufnahm, ist Mitbegründer von UOSSM, dort ab 2014 Vorsitzender des Aufsichtsrats von UOSSM International.

 

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Und auch Oberst Hamish de Bretton-Gordon ist von Anfang an mit von der Partie; nach eigener Darstellung auf der Webseite Military Speakers – Reals Heros; Real Stories sind er und seine Firma SecureBio „in Syrien und Umgebung seit Februar 2012“ aktiv; vor allem in „Zusammenarbeit mit der Freien Syrischen Armee und Ärzten“; ausschließlich jenen, die in genannter UOSSM tätig sind. Am 3. Februar 2016, auf einer Sitzung der Londoner All-Party Parliamentary Group Friends of Syria, die von Parlamentsmitglied Andrew Mitchell geleitet wird, einem Mann, der bereits beim Regime Change in Libyen im Jahre 2011 Arbeit für den britischen Geheimdienst MI6 leistete, sprach de Bretton-Gordon über Syria Relief und UOSSM, „für die er in den letzten vier Jahren gearbeitet hat, einschließlich der Schulung im Umgang mit chemischen Angriffen“.

 

Am 27. Januar 2017 erklärte er der dem Guardian:Ich bin der Berater für Sicherheit und chemische Verteidigung der UOSSM“. Und im US-Nachrichtensender CNN beteuerte er am 13. April 2017:

Ich habe seit 2012 chemische Angriffe in Syrien untersucht. Und die ersten Sarin-Angriffe in den Jahren 2012 (sic!) und 2013 waren genau die gleichen wie heute, dieselbe Art von Modus operandi. Mit der internationalen medizinischen Hilfsorganisation UOSSM habe ich an der Gründung einer sogenannten CBRN-Taskforce (gegen chemische, biologische, radiologische und nukleare Gefahren) in Syrien mitgewirkt. Und wir haben Ärzte und Mediziner ausgebildet, wie mit chemischen Angriffen umzugehen ist und … was noch wichtiger ist, Beweise zu sammeln.

Ich bat Oberst Hamish de Bretton-Gordon mehrfach um ein Interview, wollte wissen, was es mit dieser CBRN-Task-Force auf sich hat, warum er, der britische Chemiewaffen-Experte, schon so früh im Syrien-Krieg aktiv war, zu einer Zeit, als noch gar keine Rede von Chemiewaffen-Angriffen war. So schrieb ich ihm, um das Gespräch mit offenen Karten beginnen zu können: „Um ehrlich zu sein, es gibt viele Gründe, Sie in Bezug auf die Chemiewaffen-Angriffe in Syrien nicht nur als einen Meister in der psychologischen Kriegsführung zu betrachten“. Ich habe eine Menge Nachforschungen angestellt, die mich zu der Meinung brachten, „dass Sie einer der wichtigsten britischen Vordenker sind, die hinter den Chemiewaffen-Angriffen (False Flags) in Syrien stehen.“

 

Jegliche Antwort blieb aus; erklären wollte er mir auch nicht, was er unter „Assads Modus operandi“ verstand, nachdem er am 14. April 2018 der Londoner Mail on Sunday gesagt hatte, „die Anwendung von Chemiewaffen sei Mister Assads gewöhnlicher Modus operandi“.

Der selbsternannte Nachfolger von Lawrence von Arabien 

Oberst Hamish de Bretton-Gordon sieht sich selbst als Nachfolger von Lawrence von Arabien (*1888, †1935), dem britischen Archäologen, Orientalisten und Schriftsteller, der als Agent des britischen Geheimdienstes 1916 den Aufstand der Araber des Hedschas gegen die Türkei und 1920 die Ausrufung Faisal I. zum König von Syrien betrieb. Am 3. Mai 2014 verfasste de Bretton-Gordon einen Leserbrief an The Telegraph, verteidigte darin sein „Vorgehen“ in Syrien und empfahl jenen „an Sesseln klebenden guten Männern“ das Buch Die Sieben Säulen der Weisheit von Thomas Edward Lawrence, „der über die Komplexität des Nahen Ostens Bescheid wusste. Er (Lawrence) war einer der wenigen, die dort durch unorthodoxe und unkonventionelle Methoden eine Art Ordnung und Stabilität geschaffen haben. Lawrence diente im Royal Tank Regiment (so wie ich). Daraus entstand das Chemical Biological Radiological & Nuclear Regiment. Unkonventionell, unorthodox und unerwartet? Ich glaube, Lawrence hätte (mein Vorgehen in Syrien) gebilligt“.

 

„Unkonventionell, unorthodox und unerwartet“ – ist das Hamish de Bretton-Gordons „modus operandi?“ Wir werden sehen. Vom britisch-amerikanischen Mainstream wurde er jedenfalls seit Beginn des Syrien-Krieges zu „einem der operativ erfahrensten CBRN-Spezialisten der Welt und führenden Experten in der Bekämpfung von Terrorismus und Kriegsführung mit chemischen und biologischen Waffen“ aufgebaut.

 

Stephen Hamish de Bretton-Gordon, im September 1963 geboren, beendete 1982 die Schulausbildung an der Tonbridge School, Grafschaft Kent, erlangte 1987 ein Diplom für Landwirtschaft an der Universität Reading. Ging dann aberan die Royal Military Academy Sandhurst,wo er am 4. Januar 1988 zum Second Lieutenant (Unterleutnant) auf Bewährung, Dienstnummer 529351, ernannt wurde. Die Beförderung zum Captain (Hauptmann) erfolgte am 10. August 1991, die zum Lieutenant Colonel (Oberstleutnant) am 31. Dezember 2004, zum Colonel (Oberst) am 30 Juni 2007.

 

Operative Einsätze hatte er 1988 in Zypern, wo er die Truppen des 1st Royal Tank Regiments in der Altstadt von Nikosia befehligte, dann in Bosnien, Kosovo, Irak, dort nahm er 1991 als junger Panzerkommandant am 1. Golfkrieg sowie am völkerrechtswidrigen Überfall im Jahr 2003 teil; es folgten zwei Touren in Afghanistan. Im Irak und auf der ganzen Welt nahm er an „einigen streng geheimen Operationen“ teil; 2005 wurde er von der Queen für seine „außergewöhnlichen Leistungen“ mit The Most Excellent Order of the British Empire (kurz: OBE) ausgezeichnet. Von 2004 bis 2007 kommandierte er das UK Joint CBRN Regiment, aber auch das NATO Multi-National CBRN Battalion.

 

Am 25. Juni 2008 stand er wieder vor der Queen, diesmal als Kommandeur einer Parade des Royal Tank Regiments. Auf dem Rasen im Buckingham Palast schmetterten die Panzerfahrer – ihr Motto: „Angst vor nichts“ – unter Anleitung von de Bretton-Gordon „drei herzliche Grüße an Ihre Majestät“. Oberst de Bretton-Gordon ging am 12. September 2011 in den Ruhestand und wurde zum Reserveoffizier ernannt. Am 14. September 2011 half ihm seine Tochter beim Übergang ins zivile Leben – sie baute ihm den ersten Facebook-Account. Heute ist er, neben seinen „Operationen“ in Syrien, auch Gastdozent an der Universität Bournemouth für forensische Archäologie und Katastrophenmanagement, zudem „berät“ er die britische Regierung „auf höchstem Niveau“ in CBRN-Angelegenheiten.

 

Halten wir schon mal fest: Der britische und NATO-Chemiewaffenexperte, Reserveoffizier seiner Majestät der Königin, Oberst Stephen Hamish de Bretton-Gordon, ist seit Februar 2012 in „Syrien und Umgebung“ im Einsatz. Eigentlich gibt es dort im Jahre 2012 für einen Ex-Militär mit dieser sehr speziellen Qualifikation rein gar nichts zu tun; „Chemiewaffen-Angriffe“ sollte es erst in ferner Zukunft in Syrien geben. Unbekannt ist auch, wann de Bretton-Gordon damit begann, solcherart Strukturen wie die CBRN Task Force Aleppo aufzubauen,denen er beibrachte, wie mit chemischen Angriffen umzugehen ist und wie Beweise dafür zu sammeln sind. Stellt sich die Frage, wer die Täter für die noch zu erwartenden Chemiewaffen-Angriffe sein werden?

 

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Intermezzo

Am 23. Juli 2012 lieferte der Sprecher des syrischen Außenministeriums, Jihad Makdissi, den Verschwörern und Regime-Changern eine Steilvorlage: Er bestätigte zum ersten Mal, dass Syrien über Chemiewaffen verfügt. Makdissi sagte in Reaktion auf vorhergehende westliche Berichte über syrische Chemiewaffen, „diese Waffen würden niemals gegen das syrische Volk eingesetzt, sondern nur gegen eine ‚äußere Aggression‘“. Das wurde im Ausland prompt als Drohung aufgefasst. Einen Tag später korrigierte er sich, versicherte, sein Land würde „niemals chemische und biologische Waffen nutzen“. Israels Außenminister Avigdor Lieberman reagierte: „In dem Moment, wo wir sehen, dass die Syrer chemische und biologische Waffen an die Hisbollah geben, ist das eine rote Linie für uns und aus unserer Sicht ist das ein klarer Casus Belli (Kriegsgrund).“ US-Präsident Obama zog einen Monat später, am 20. August 2012, seinerseits eine „rote Linie“:

Wir dürfen nicht in die Situation kommen, dass chemische oder biologische Waffen in die falschen Hände fallen.

Und falls diese Massenvernichtungswaffen zur Gefahr für Israel werden, würden die USA angreifen, so der Präsident. Auch der Einsatz der Giftgase gegen die Rebellen stelle für ihn eine „rote Linie“ dar; er warnte Präsident Assad und „jeden Spieler in der Region, dass es enorme Konsequenzen hätte, wenn wir an der Chemiewaffenfront Bewegung oder den Einsatz chemischer Waffen sehen“. Ungeachtet dessen wurde noch im Sommer 2012 zwischen Moskau und Washington der Plan erörtert, unter Zustimmung von Präsident Assad die baldige Vernichtung der syrischen Chemiewaffen unter UN-Aufsicht in die Wege zu leiten.

 

Im September 2012, nach dem Überfall von islamistischen Milizen auf das US-Konsulat in Benghasi, beendete Washington abrupt die Rolle der CIA in der „Verlagerung“ von Waffen und Giftgas aus Libyen ins Kampfgebiet Syrien. Die Türken hielten die „Rattenlinie“ jedoch am Laufen. Nun hatten „die Vereinigten Staaten nicht mehr die Kontrolle über das, was die Türken an die Dschihadisten weitergaben“, zitierte der Enthüllungsjournalist Seymour Hersh einen ehemaligen Geheimdienstler. Innerhalb von Wochen befanden sich beispielsweise bis zu vierzig tragbare Boden-Luft-Raketenwerfer, sogenannte Manpads, in den Händen syrischer „Rebellen“.

 

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan war über den Ausstieg der Amerikaner sehr erbost, betrieb die Rattenlinie jedoch weiter, um den von ihm gehätschelten Terroristen im Kampf um die Zerschlagung des syrischen Staates bestmögliches militärisches Material zuschanzen zu können. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass der noch arbeitslose Blogger Eliot Higgins, der später mit dem Web-Auftritt Bellingcat eine fragwürdige Berühmtheit erreichen wird, im Juni 2012 auf seinem damaligen Blog Brown Moses „enthüllte“, dass die Freie Syrische Armee Flugabwehrgeschütze erhalten hatte. Im August 2012 legte er dort „Beweise“ vor, dass die syrische Regierung „Streubomben“ eingesetzt habe.

 

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Ende 2012 war die Geheimdienstgemeinde in Washington überzeugt, dass die „Rebellen“ in Syrien verlieren würden. Während noch Mitte 2012 die Syrische Arabische Armee (SAA) rund 20 Prozent ihrer Stärke von 2011 eingebüßt hatte, Analysten nach dem Verlust großer Teile der Wirtschaftsmetropole Aleppo den Fall der Regierung um das Jahresende 2012 prophezeiten, stabilisierte sich die Lage zugunsten der syrischen Regierung Ende 2012 bis Mitte 2013; die SAA konnte die Stellungen halten und lokal begrenzte Erfolge erzielen. Präsident Erdoğan, der sich kurz nach Beginn des Krieges gegen Syrien an die Seite der „Oppositionellen“, Dschihadisten und Terroristen – vor allem al-Nusra – gestellt hatte, den Sturz der Regierung in Damaskus „mit allen nötigen Mitteln“ durchsetzen wollte, „war stinksauer“ ob der Einschätzung der Amerikaner, so ein nicht identifizierter Ex-Geheimdienstler gegenüber Seymour Hersh. Erdoğan „fühlte sich sitzen gelassen. Es war sein Geld, und er empfand die Beendigung der Mission als Verrat“; auch wollte er auf die bei weitem gefährlichste Terrororganisation al-Nusra in seinem Kampf gegen Präsident Assad nicht verzichten.

 

Die türkische Regierung ging neue Wege, kontaktierte die Briten. Der Ex-Geheimdienstoffizier und Hauptmann der British Army, James Gustaf Edward le Mesurier, der Ende 2012 in Istanbul syrische Dissidenten „trainierte“ – in seiner eigenen Vita gibt er an, „seit 2012 in der syrischen Krise zu arbeiten“ – traf sich dort Anfang 2013 auf Empfehlung des türkischen Außenministeriums (möglicherweise unter britischer Vermittlung) zu einem „Gespräch“ mit Dündar Şahin, dem Direktor des gemeinnützigen türkischen Such- und Rettungsvereins Arama Kurtarma Derneği (AKUT). Der Brite, so der Journalist Kagan McLeod am 29. September 2016 in einem Porträt der Weißhelme für The National, war seinerzeit für das in Dubai ansässige private Unternehmen Analysis, Research and Knowledge (ARK – Selbstbezeichnung: Beratung für Forschung, Konflikttransformation und Stabilisierung) tätig, das „von Anfang an syrische Freiwillige geschult und unterstützt hat. In Syrien war ARK in den letzten fünf Jahren (also seit 2011) an vorderster Front in Reaktion auf den Konflikt …“.

 

So auch James Gustaf Edward Le Mesurier, der am 25. Mai 1971 in Singapur geboren wurde, in England aufwuchs und später seinem Vater ins Militär folgte. Nahezu zeitgleich mit Oberst Hamish de Bretton-Gordon absolvierte er die renommierte Royal Military Academy Sandhurst beide müssten sich von dort kennen – wo er am 9. September 1999 zum Second Lieutenant (Unterleutnant) auf Probe, Dienstnummer 536239, ernannt wurde. An der Militärakademie erhielt er die Queen‘s Medal; eine Auszeichnung für britische Offiziersanwärter, welche die höchste Punktzahl in militärischen, praktischen und akademischen Studien erreicht haben.

 

Am 11. August 1993 folgte die Beförderung zum Leutnant, am 11. August 1996 die zum Hauptmann. Le Mesurier diente in der Light Division der regulären Armee, später bei den Royal Green Jackets, wurde in Nordirland eingesetzt, nach der NATO-Intervention in Jugoslawien im Büro des Hohen Repräsentanten (Office of the High Representative – OHR) in Bosnien und Herzegowina. Zudem war er Geheimdienstkoordinator für Pristina, der Hauptstadt des Kosovo. Nachdem er im Jahr 2000 die Armee verlassen hatte, wurde er bei den Vereinten Nationen stellvertretender Leiter des Beratenden Referats für Sicherheit und Justiz und Sonderbeauftragter des sicherheitspolitischen Gremiums des UN-Generalsekretärs in der UN-Mission im Kosovo.

 

Später führte ihn die Karriere nach Jerusalem, wo er an der Umsetzung des Ramallah-Abkommens arbeitete, dann nach Bagdad als Sonderberater des irakischen Innenministers. 2005 wurde er Vizepräsident für Sonderprojekte bei der privaten Söldnerfirma Olive Group mit Sitz in Dubai, die nach Zusammenschluss mit der Söldnerfirma Blackwater-Academi in der heutigen Constellis Holdings aufging. 2006, während des Juli-Krieges, den Israel gegen den Libanon angezettelt hatte, war er für die Olive Group im Zedernstaat „tätig“. 2008 verließ er das Söldnerunternehmen, wurde im Januar des Jahres zum Leiter von Good Harbor International in Dubai ernannt; den Vorsitz führte Richard A. Clarke, früher Ober-Terroristen-Bekämpfer in der US-Regierung unter Präsident Bush. Le Mesurier spezialisierte sich auf Risikomanagement, Notfallplanung, Schutz kritischer Infrastrukturen. Er „trainierte“ eine Truppe zum Schutz von Gasfeldern in den Vereinigten Arabischen Emiraten, „sorgte für die Sicherheit“ während des Gulf Cup 2010 im Jemen, einem regionalen Fußballturnier.

 

Auch ihn, den britischen Ex-Geheimdienstkoordinator und Ex-Söldner, trieben nach Beginn des Syrien-Krieges – ähnlich wie bei seinem Sandhurst-Kollegen de Bretton-Gordon – humanistische Bauchgefühle in das Kampfgebiet in der Levante; auf ein Schlachtfeld, auf dem von Beginn an das reguläre britische Militär samt Spezialeinheiten mitmischte. Ob die beiden vormals stocksteifen Offiziere Ihrer Majestät der Königin, die nun auf britische „Schwerter zu Pflugscharen“ machten und vorgaben, fortan in humanistischer Mission in Syrien unterwegs zu sein, dort ihren bis an die Zähne bewaffneten Armee-Kollegen und Spezialeinheiten in die Quere gekommen sind, sie gar von irgendwelchen Kampfhandlungen abhalten konnten, ist nicht überliefert.

 

Jedenfalls hatte auch Captain James Gustaf Edward Le Mesurier seit 2012 sein Herz den Syrern geschenkt: In einem Interview mit Hemmingfire.com vom 17. November 2015 erklärte er:

 

 

Es war Anfang 2013 und die politischen Führer der Revolution in Syrien zeichneten ein düsteres Bild der Situation. Kurz danach hatte ich ein Gespräch mit Dündar Şahin, der AKUT leitet, die nationale Such- und Rettungsbehörde der Türkei (SAR), die auf Bergung nach Erdbeben spezialisiert ist. Er hat noch nie in einem Kriegsgebiet gearbeitet, aber ich hatte in vielen gearbeitet. Daraus ergab sich ein Konzept, lokale Mitglieder der (syrischen) Gemeinde – Bäcker, Baumeister oder Taxifahrer – zu finden und ihnen Grundausstattung und Schulung zu bieten, um Menschen, die in von Bomben zerstörten Gebäuden eingeschlossen sind, zu retten.

Le Mesuriers „Kampferfahrung“ „paarte“ sich also mit der Such- und Rettungserfahrung von AKUT. „Syrische Freiwillige“, die bei AKUT arbeiteten, so berichtete das türkische Medium Anadolu Türk Haber seinerzeit, seien eben die Terroristen von al-Nusra. Das Blatt titelte: „AKUT schult die religiösen Terroristen mit dem britischen Geheimdienst MI6”.


Tatsächlich startete Le Mesurier im März 2013 mit Unterstützung des türkischen Elite-Katastrophenschutzteams AKUT sowie einer ersten Finanzspritze in Höhe von 300.000 US-Dollar, die aus Japan, Großbritannien und den USA kam, den ersten siebentägigen Kurs für die „Syrische Zivilverteidigung“, besser bekannt als die Weißhelme: direkt an der türkischen Grenze zu Syrien unterrichtete er die ersten fünfundzwanzig „Syrer“ (al-Nusra). In den nächsten Jahren sollten weitere Gelder fließen, vor allem aus Großbritannien (darüber mehr im nächsten Teil der Analyse).

 

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Exakt zu dem Zeitpunkt, als Le Mesurier mit türkischer Unterstützung die al-Nusra-Weißhelme aufbaute und instruierte, erfuhren die amerikanischen Nachrichtendienste, dass die türkische Regierung über Elemente des türkischen Nachrichtendienstes Millî İstihbarat Teşkilâtı (MIT) und der paramilitärischen Jandarma Genel Komutanlığı (Generalkommandantur der Gendarmerie) Hand in Hand mit al-Nusra und deren Verbündeten an der Entwicklung chemischer Waffen arbeitete. Seymour Hersh zitierte dazu in seinem Bericht The Red Line and the Rat Line einen ehemaligen US-Geheimdienstler:

Der MIT sorgte für die politische Liaison mit den Rebellen, und die Gendarmerie war für militärische Logistik, Beratung und Ausbildung zuständig – inklusive Ausbildung in chemischer Kriegsführung. Im Ausbau ihrer Rolle sah die Türkei im Frühjahr 2013 den Schlüssel zu ihren dortigen Problemen. Erdoğan wusste, wenn er die Unterstützung der Dschihadisten einstellte, wäre alles vorbei. Die Saudis konnten den Krieg aus logistischen Gründen nicht unterstützen – wegen der Entfernungen und der Probleme bei der Bewegung von Nachschub und Waffen. Erdoğan hoffte, ein Ereignis zu inszenieren, das die USA dazu zwingen würde, die rote Linie zu überschreiten.

Erdoğans dringliches Ziel war ab 2013, die USA mittels eines Sarin-Angriffes zu einem Militärschlag gegen Damaskus zu zwingen; Obama hatte ja seine berühmte „rote Linie“ gezogen und für den Fall eines Giftgaseinsatzes das direkte Eingreifen der US-Armee angedroht. An dieser Stelle sei schon mal eingeworfen, dass beispielsweise der Terrorist Abdulaziz Maghrabi (Kampfname Abu Salma), seit 2012 aktives Mitglied der al-Nusra-Front, später Präsident des East Aleppo Council, im Jahr 2013 Gründer des Syrischen Zivilschutzes: sprich der Weißhelme in Ost-Aleppo war. Ebendort, wo Oberst der Reserve Hamish de Bretton-Gordon, Dienstnummer 529351, seine CBRN Task Force Aleppo aufbaute; ebendort, wo Hauptmann der Reserve James Gustaf Edward Le Mesurier, Dienstnummer 536239, seine Weißhelme, die „tapferen“ Männer von Aleppo, ausbildete.

 

Nicht von ungefähr begann im März 2013 die Serie von Chemiewaffen-Angriffen in Syrien; dazu mehr in Teil 4 der Untersuchung.

 

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