Joseph lehnt den Leib ab

Joseph lehnt den Leib ab

Die letzten 10 Minuten möchte ich noch über Joseph sprechen. Auch er nennt sich in Ägypten Hebräer und dass er von dort stammt: [1. Mose 40:15: denn gestohlen bin ich (Joseph) aus dem Land der Hebräer, und auch hier habe ich gar nichts getan, dass sie mich in den Kerker gesetzt haben.]

Sein Los ist dann auch ein Schicksal, das einen speziellen Charakter hat. Er war jedoch schon vor seinem Verkauf besonders, aber das lasse ich jetzt außen vor. Als Joseph in Mizrajim (Ägypten) ankommt, fühlt er sich dort nicht zuhause. Joseph weiß, dass er aus einer anderen Welt kommt, denn er sagt immer wieder:

  • Ich gehöre nicht hierher, ich bin ein Iwri, ich wurde für 20 Silberstücke an diese Welt ‚verkauft‘, lasst mich gehen!“

Er konnte friedlich in Ägypten leben, doch es passiert das für den Iwri Typische: Durch seine Wahl kommt es zu Konfrontationen, durch welche er nicht in Frieden leben kann.

Sie kennen die Geschichte aus der Bibel, wie Joseph es mit der Frau seines Herrn Potiphar zu tun bekommt (Joseph nennt sie nicht mit Namen), indem sie ihn verführen will. Es wird erzählt, dass es die gleiche Geschichte ist, wie die vom Mensch im Paradies. Ihr gegenüber sagt Joseph: „Alles in diesem Haus hat mir der Herr gegeben, nur nicht das Brot.“ Das Brot? Wir wissen aus der Überlieferung, dass das Brot – der Weizen – die Frucht ist, die der Mensch nicht nehmen soll, die Frucht des Baumes der Erkenntnis. Das ist die Bedeutung des Brotes als Leib, als Entwicklung – Sie kennen auch das Brot (und den Wein) des Abendmahls.

Dieser Leib (Körper) bietet sich Joseph an, und dazu sagt die alte Geschichte: Joseph erzählt dem Leib, dass er (der Leib) von ihm kommt, dass er ihm gehört und dass der Leib ewig mit ihm zusammenbleiben soll, so wie wir das eigentlich auch selbst wissen. Dieser Leib wird zwar älter und geht vielleicht auch ganz weg, doch akzeptiere ich das nicht, weil ich irgendwie doch weiß, dass er bei mir bleibt. Der Leib ist kein Hanswurst, mit dem wir nach Belieben umspringen können. Er trägt eine tiefe Bedeutung. Du kannst ihn verbrennen, explodieren lassen, gewöhnlich begraben oder sonst was damit anstellen, aber dieser Leib ist etwas, das zu dir gehört. Auf diese Weise spürt Joseph, was es mit der Frau auf sich hat.

  • Jetzt nicht, denn ich weiß um welchen Leib es sich handelt. Halte dich von diesem Leib fern.“

 An dem Punkt, als Joseph im Begriff war, diese Frau doch zu nehmen, den Leib an sich zu binden (die Frau ist sein eigener Leib), erscheint ihm die Szene, wo sein Vater Jakob den Kampf hat und zu Israel wird. Das Bild erinnerte ihn daran: Nicht hier in dieser Welt, es gibt etwas anderes. Suche keine Antwort auf deiner „unteren Ebene“, sie wird von selbst zu dir kommen. Dann handelt Joseph auf unerwartete und unerwünschte Weise. Er sagt: „Diesen Leib hier nehme ich nicht.“ Daraufhin kommt es in Ägypten zu einer großen Unruhe und die Ägypter klagen den Iwri an:

  • „Jeder nimmt den Leib, nur du nicht! Jeder akzeptiert die Welt, die Theorien, wir haben Universitäten und alles geht seinen Gang und du willst nicht mitmachen.“

Der Leib schämt sich, weil er nicht angenommen wurde und sagt: „Er hat mich gehabt“ – denn stelle dir vor, was es für eine Beleidigung für die Frau ist, wenn sie nicht genommen wird.

  • „Joseph hat mich angegriffen. So war es. Er kann es zwar abstreiten, aber ich habe sein Gewand, seine Hülle, die beweisen, dass er bei mir war.“

Auch wir erleiden es als eine Ungerechtigkeit, wenn wir wie Josef in die Grube gehen, aus dieser Welt in diese Grube gebracht werden, wenn diese Welt sozusagen stirbt.

  • „Warum müssen wir das hier ertragen? Wir wollten es anders machen, wir haben uns korrekt verhalten, warum muss uns das passieren?“

Jedem Iwri werden immer wieder Dinge vorgehalten, von denen er sagt:

  • Es war nicht so, es war genau umgekehrt!“

Aber offensichtlich muss es so gesagt werden. Warum? Damit er in der anderen Welt die Frau bekommt. Sie kennen die Geschichte von Joseph, wie er aus dem Gefängnis kommt. Zunächst ist er dort gebunden. Eigentlich müsste ich sagen, dass er in einem Grab ist. Das Freikommen aus diesem Grab ist wie die Auferstehung in eine andere Welt und so kommt er zu Pharao. In dieser neuen Welt bekommt er die Osnath zur Frau, die
Tochter des Potiphera. Das ist dieselbe Frau, sagt die Überlieferung; das wird doch seine Frau sein. Sie wusste es und er wusste es – so wie wir von unserem Körper wissen, dass er zu uns gehört, und unser Körper auch weiß, dass er zu uns gehört; das kommt doch zurück.

Aber beim Iwri kommt es genau deshalb zurück, weil er an diesem entscheidenden Punkt sagte: „Ich folge dem Weg meines Vaters, der sagte: Ich suche hier (in dieser Welt) keine logische Antwort, nehme also das Brot (den Leib) nicht, wissend, dass ich damit die Entwicklung und die Welt des Jägers nicht akzeptiere und sie ablehne“. Nur der Hebräer kennt die andere Welt, wird gerade gesagt und nur das ist das, was vom Menschen und im Menschen ist. Nur die Momente, in denen er als Iwri gehandelt hat (und ich glaube sicher, dass jeder Mensch solche Momente hat), stehen wieder auf, inkarnieren in der anderen Welt. Die Momente, in denen er sich körperlich gehen ließ, gehen verloren (die christliche Kirche nennt das Hölle und Verdammnis). Die Auferstehung ist nur für den Iwri.

Es gibt eine Aussage in der Überlieferung, die besagt:

  • Jeder aus Israel hat einen Anteil an der kommenden Welt“.

Und es wird erklärt: nicht Israel biologisch, sondern jeder Mensch, wo er Israel gewesen ist, der hat einen Anteil. Und das ist es, was uns wieder inkarnieren lässt. Es sind diese Momente, in denen wir die Freude hatten, Momente des Glücks, wie: Hey, ich habe es gefühlt, es hat mich ergriffen, ich hatte Momente der Einsicht, oder ich habe Dinge getan, die die Welt für dumm hält, von denen ich aber selbst sage:

  • Gut, dass ich das getan habe.“

Jeder erlebt so etwas, manchmal sind es nur Kleinigkeiten. Man trägt für jemand einen Koffer oder verschenkt etwas.

  • Alle haben mich komisch angeschaut, aber ich habe es trotzdem gemacht.“

In dem Moment, in welchem man sich nicht an der Jagd beteiligt, ist man Iwri. In einem anderen Moment schaltest du den Fernseher aus oder hörst auf zu studieren und sagst:

  • „Ich werde mich anderen Dingen widmen, denn ich bin doch ein Mensch. Stell‘ dir vor, ich werde älter und älter und sitze nur da mit meinen Büchern usw. so kann man doch nicht als Mensch leben.“

Die Momente einer solchen Einsicht entsprechen Josephs Abweisung der Frau, die sich anbietet. In dieser ganzen langen Kette von Steinen, Diamanten oder was auch immer es in unserem Leben sein mag. Von allen Momenten gibt es Momente, in denen wir das tun. In jedem Menschen sind diese Momente vorhanden, in manchen mehr, in anderen weniger. Diese Momente, so heißt es, sind es, die Joseph schließlich diese Frau geben; das sind die Momente, die wieder Fleisch werden, die wieder zum Körper werden. Die anderen Momente gehen tatsächlich unter, sie gehen in der Jagd verloren und haben keine Wiederauferstehung – was auch gut so ist, denn du würdest es nicht wollen. Es sind die Momente, die du lieber vergessen würdest, weil du dich über dieses oder jenes aufgeregt hast, du schämst dich dafür. Diese Momente bleiben schändlich und bleiben weg, aber aufstehen tun nur die Momente, wo man Iwri ist. Das ist Joseph als Iwri.

Auf diese Weise habe ich ein paar Facetten dessen gegeben, was ein Iwri, ein Hebräer ist. Es ist eine besondere Sprache, ein besonderer Mensch, aber jeder Mensch ist es durch seine Sprache in dem Moment, wenn er wirklich von der anderen Seite kommt, wenn er sagt:

  • Ich komme aus einer anderen Welt, bin dort zu Hause, ich gehöre dorthin, während ich hier lebe. In diesem Leben bin ich ein Gast, ich komme nur vorbei. Ich weiß, dass ich ganz woanders hingehöre. Und deshalb bin ich glücklich, weil ich woanders hingehöre und hier nur auf der Durchreise bin, um zu segnen und zu helfen. Hier kann ich Iwri sein und aufwecken. Ich kann auch Unruhe bringen, indem ich wachhalte.“

Das ist der Iwri.

Ich hoffe, dass Sie begriffen haben, dass es jeden Menschen betrifft. Hebräer-Sein hat nichts mit einer Flagge oder einem anderen Symbol zu tun, sondern mit jedem Menschen. Jeder Mensch ist im Bild Gottes geschaffen und steht ihm als solches gegenüber. Wenn ich nun dieses „Gegenüberstehen“ einigermaßen vermitteln konnte heute Abend, dann hoffe ich, dass Sie den Iwri nicht mehr vergessen.

Übersetzung eines Vortrages aus 1966, gehalten von Friedrich Weinreb in Den Haag unter dem gleichen Titel.
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Autor: Dieter Miunske