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6. Kapitel: Die Kommerzialisierung des Wirtschaftlebens 1911: Die Juden und das Wirtschaftsleben von Werner Sombart: Erster Abschnitt - Der Anteil der Juden am Aufbau der modernen Volkswirtschaft.

Ich verstehe unter der Kommerzialisierung des Wirtschaftslebens (wie ich einstweilen ganz vage umschreiben will) die Auflösung aller wirtschaftlichen Vorgänge in Handelsgeschäfte, oder doch ihre Beziehung auf Handelsgeschäfte; oder ihre Unterwerkung unter Handelsgeschäfte und damit, wie man es nicht ganz klar auszudrücken pflegt, unter die „Börse“ als dem Zentralorgan alles hochkapitalistischen Handels.

Ich meine also, wie ersichtlich, den jedermann vertrauten Prozeß, der sich heute seiner Vollendung naht und der die Erfüllung des Kapitalismus bedeutet: den Prozeß der Verborsianisierung der Volkswirtschaft, wie man ihn unter Vergewaltigung der deutschen Sprache nennen könnte. Aber auf den Namen kommt, es nicht so sehr an, als auf die Einsicht in die Wesenheit der Erscheinung, die sich bei näherer Prüfung in drei — sowohl, historisch wie systematisch unterscheidbare — Bestandteile auflöst *.

Zunächst vollzieht sich ein Prozes, den man die Versachlichung des Kredits (oder allgemeiner: der Forderungsrechte). und ihre Objektivierung (Verkörperung) in „Wertpapieren“ nennen mag. An ihn schließt sich der Vorgang, der unter dem Namen, der Mobilisierung oder wenn man ein deutsches Wort vorzieht:

* Ich bemerke, daß die Darstellung, die ich hier von den Entwicklungstendenzen der (hoch-kapitalistischen Volkswirtschaft gebe, nur eine vorläufige und skizzenhafte ist (soweit sie für die Lösung der in diesem Buche gestellten Sonderaufgabe unentbehrlich erscheint); daß ich die ausführliche Erörterung aller hier nur kursorisch berührten Punkte in der neuen Auflage meines „Mod. Kap.“ hoffe vornehmen zu können.

der Vermarktung dieser Forderungsrechte und ihrer Träger bekannt ist. Beides aber findet seine Ergänzung in der Ausbildung, selbständiger Unternehmungen zum Zweck der Schaffung von Forderungsrechten (Wertpapieren); also in deren Kreierung aus Gewinnabsichten.

Die folgende Darstellung soll den Nachweis erbringen, daß an allen diesen Vorgängen die Juden schöpferischen Anteil genommen haben, ja daß die in dieser Entwicklung zum Ausdruck kommende Eigenart des modernen Wirtschaftslebens recht eigentlich dem jüdischen Einflusse ihre Entstehung verdankt.

I. Die Entstehung der Wertpapiere,

Wenn die Juristen das wesentliche Merkmal des Wertpapiers in seiner eigentümlichen Bedeutung für die Geltendmachung des in ihm verbrieften Rechtes erblicken (151): daß nämlich dessen Ausübung oder Ubertragung oder beide ohne den Besitz, der Urkunde rechtlich nicht statthat, so müssen wir vom wirtschaftswissenschaftlichen Standpunkt aus — ohne in einen Gegensatz zu der juristischen Auffassung zu treten, diese vielmehr in ihrer Richtigkeit bestärkend — vor allem den Umstand betonen, daß in einem Wertpapier (wenn es die eigenartige und von allen andern grundsätzlich zu unterscheidende Natur einer besonderen Art von Urkunden in voller Reinheit aufweist) sich ein nicht persönliches sondern „versachlichtes“ Schuld- (oder Forderungs oder auch im weiteren  Sinne Kredit.) 152 verhältnis, „verkörpert“.

Die Entstehung der Wertpapiere ist somit der äußere Ausdruck der Versachlichung der Kreditbeziehungen, die selbst wiederum nur ein einzelnes Glied in der Kette von Versachlichungen bildet, dieser für alles hochkapitalistische Wesen mehr denn irgendein anderer Vorgang kennzeichnenden Erscheinung. Eine „Versachlichung“ eines ursprünglich persönlichen Verhältnisses vollzieht sich überall dort, wo an Stelle des unmittelbaren Einwirkens oder Zusammenwirkens lebendiger Menschen die Wirksamkeit eines von Menschen erst geschaffenen Systems von Einrichtungen (Organisationen) tritt. (Die Parallelerscheinung, beobachten wir in der Technik, wo die Versachlichung darin besteht, daß die lebendige Menschenarbeit einem System lebloser, Körper übertragen wird: Maschinismus oder Chemismus.) Also, die Kriegführung „versachlicht“ sich, wenn nicht mehr die höchstpersönliche Initiative des Heerführers den Kampf entscheidet, sondern die geschickte Befolgung aller im Laufe der Jahre aufgesammelten Erfahrungen und die Anwendung des kunstvollen Systems der Strategie und Taktik der Geschützestechnik und der Verproviantierungsmethoden usw. Ein Detailhandelsgeschaft wird versachlicht, wenn der einst allein die Leitung ausübende Chef, der persönlich mit dem Personal und persönlich mit den Kunden verkehrt, ersetzt wird durch ein Direktorium, dem ein Stab von Zwischenleitern untersteht, unter denen wiederum Tausende von Angestellten tätig sind: alle nur kraft des Organisationsplanes, dem jeder einzelne unterworfen ist; in dem aber auch das einzelne Kaufgeschaft nicht mehr eine höchstpersönliche Verständigung zwischen Käufer und Verkäufer ist, sondern ein sich nach bestimmten festen Normen abspielender, automatischer Vorgang. Der kollektive Arbeitsvertrag „versachlicht“ das Lohnverhältnis usw.

Solcherart Versachlichung erfahren nun auch die Kreditverhältnisse in einem bestimmten Stadium der kapitalistischen Entwicklung (und diese Versachlichung des Kredits ist, wie ich sagte, das charakteristische Merkmal der modernen Volkswirtschaft, nicht etwa die Entstehung oder auch nur die stärkere Ausdehnung des Kreditverhältnisses selbst, das in aller vor und frühkapitalistischen Zeit, wenigstens als konsumtiver Kredit, eine oft überragende Bedeutung hat: Altertum.) Ganz allgemein gesprochen, wird ein Kreditverhältnis „versachlicht“, wenn es nicht mehr aus der persönlichen Vereinbarung zwischen zwei bekannten Personen entsteht, sondern durch ein System menschlicher Einrichtungen zwischen einander unbekannten Personen nach objektivierten Normen und in schematisierten Formen zustande kommt, Den Angelpunkt dieser Einrichtungen eben bilden die Wertpapiere, in denen das Forderungs- und Schuldverhältnis zwischen Unbekannt und Unbekannt „objektivierte ist, und durch deren Besitz jederzeit ein neuer Gläubiger in das Kreditverhältnis eintreten kann. Ein unpersönliches Kreditverhältnis wird also durch das Wertpapier begründet. Das lehrt eine genaue Analyse des durch die bekannten Typen der Wertpapiere geschaffenen Schuldnexus. Diese sind hauptsächlich: der girierte Wechsel, die Aktie, die Banknote, die öffentlich-rechtliche und privatrechtliche „Obligation“.


Der girierte Wechsel (im Gegensatz zum nichtgirierten, Wechsel) ebenso wie der Blankowechsel begründet das Forderungsrecht eines beliebigen dem Schuldner (Trassaten) ebenso wie dem ursprünglichen Gläubiger (Trassanten) ganz unbekannten Dritten, mit dem den Schuldner niemals ein wirtschaftliches Band sonst verknüpft zu haben braucht. Er wird nun ein allgemeines Zahlungsmittel. Das Indossament macht das persönliche Erscheinen der Interessenten an bestimmten Ausgleichtagen (Meßwechsel!) unnötig (153).

Die Aktie schafft dem beliebigen Besitzer ein Anteilsrecht, an dem Kapital und dem Profit einer ihm persönlich ganz fremden Unternehmung. Die Beziehung einer Person zu einem Geschäftsbetriebe wird losgelöst nicht nur von der persönlichen Mitwirkung, sondern sogar von dem einer Person gehörigen Sachvermögen: sie wird objektiviert in einer abstrakten Geldsumme, die zu ganz verschiedenen Vermögenskomplexen gehören, kann,

Die Banknote schafft dem Inhaber ein Forderungsrecht, gegenüber der Bank, mit der er niemals ein Vertragsverhältnis, braucht eingegangen zu haben. Sein Anspruch besteht ohne jede Beziehung etwa auf eine persönlich begründete Schuldtatsache (wie ein Depositum).

Die (Partial-) Obligation begründet ebenso ein Kreditverhältnis zwischen Unbekannt (dem Publikum, wie wir bezeichnend sagen) und einem Dritten: dieser sei ein öffentlicher Körper oder eine Aktiengesellschaft oder eine Privatperson,  Der Staat oder die Gemeinde, die eine öffentliche Anleihe aufnehmen, kennen ihre Gläubiger ebensowenig wie die industrielle Unternehmung, die Obligationen ausgibt oder der Landwirt, der sich flüssige Mittel durch den Verkauf von Pfandbriefen verschafft. Die Obligation weist sogar noch verschiedene Grade, der Versachlichung des Kreditverhältnisses auf: je nachdem der Schuldner eine individuelle (und dadurch bekannte) Person ist, oder nicht. Man kann danach die (Partial)obligationen in Individual- und Kollektivobligationen teilen. Bei jenen steht den Gläubigern als Schuldner ein bestimmtes Unternehmen (oder etwa ein bestimmter „Standesherr*) gegenüber; bei diesen eine unbekannte Menge von Schuldnern. Das trifft, wie man weiß, bei dem Pfandbriefverhältnis zu, bei dem die gesamten (oder viele) Grundbesitzer eines Bezirks, von deren Existenz der Pfandbriefinhaber vielleicht gar nichts weit, als Schuldner verpflichtet sind.

Den Anteil der Juden an der Entstehung dieser Einrichtung „quellenmäßig nachzuweisen, ist wohl eine Aufgabe, die nie restlos wird gelöst werden können, Selbst dann nicht, wenn man sich mehr mit der Stellung der Juden in früheren Wirtschaftsepochen befaßt haben, selbst dann nicht, wenn man die bisher fast ganz vernachlässigten und doch gerade für die hier erörterten Probleme entscheidend wichtigen Partien der Wirtschaftsgeschichte, wie namentlich die Geschichte des Geld- und Bankwesens auf der Pyrenäenhalbinsel während der letzten Jahrhunderte des Mittelalters besser bearbeitet haben wird als bisher. Aus dem einfachen Grunde, weil sich die Genesis wirtschaftlicher Organisationen ebenso wenig wie die von Rechtsinstituten in ihren letzten Gründen „quellenmäßig wird nachweisen lassen. Es handelt sich ja dabei, wie die Hauptvertreter der „quellenmäßigen“ Rechts- und Wirtschaftsgeschichte selbst oft genug hervorheben, nicht um „Erfindungen oder „Entdeckungen die von einem bestimmten Tage datieren, sondern um langsame, gleichsam organische Wachstumsprozesse, deren Anfänge sich im Dunkel des Alltagslebens verlieren, Womit wir uns benügen müssen, ist die Feststellung, daß in einer bestimmten Zeit die geschaftlichen Gepflogenheiten diesen oder jenen Grundzug aufgewiesen haben, daß der wirtschaftliche Verkehr (bildlich gesprochen) auf diesen oder jenen Ton abgestimmt, war. Diese Feststellung zu machen, reichen aber die oft genug lächerlich geringen Quellenbelege ganz und gar nicht aus, und deshalb wird man immer wieder zur Korrektur der „quellenmäßigen Erforschung eines Instituts die Schlüsse aus der allgemeinen, Wirtschafts- (oder Rechts-) lage, in der sich eine Zeit oder eine bestimmte Bevölkerungsgruppe befand, heranziehen müssen.

Ich denke beispielsweise an die Geschichte des Wechsels, die wird man ganz gewiß niemals aus den paar Wechseln aufbauen, können, die uns der Zufall aus dem Mittelalter überliefert hat. Diese werden uns immer nur als wertvolle Bestätigungen oder Berichtigungen allgemeiner Schlüsse dienen. Aber ohne diese allgemeinen Schlüsse werden wir nicht viel einzusehen vermögen, Gewiß haben diejenigen recht, die aus der Tatsache, daß der früher sog. „älteste“ Wechsel von dem Juden Simon Rubens, (1207) ausgestellt gewesen sein soll, nicht den Schluß zulassen wollen: die Juden seien die „Erfinder“ des Wechsels. (154) Aber ebensowenig ist es natürlich angangig, aus der anderen Tatsache, daß altere Wechsel von Nichtjuden herrühren, darauf schließen zu wollen: die Juden seien nicht „die Erfinder“ des Wechsels. Was wissen wir, wieviel Tausend Wechsel in jener Zeit von dieser oder jener Bevölkerungsgruppe, in Florenz oder Brügge ausgestellt sind, von deren Dasein wir nichts erfahren? Aber was wir sehr genau wissen, ist dieses: daß die Juden die Träger des Geldverkehrs während des ganzen Mittelalters waren, daß sie an den verschiedensten Plätzen Europas saßen und untereinander Beziehungen unterhielten. Und was wir daraus mit einiger Sicherheit schließen können, ist dieses: daß „die Juden, als einflußreiche Vermittler internationalen Handels, das im Vulgarrecht der Mittelmeerländer traditionell überkommene Remittierungsgeschaft in größerem Umfange verwendet und weiter ausgebildet haben. (155)

Daß, wenn man historische Erkenntnis solcher Art deduktiv, gewinnen will, Außerste Vorsicht geboten ist, braucht nicht erst ausdrücklich hervorgehoben zu werden. Aber darum sollen wir auf die Anwendung dieser Methode nicht verzichten. Und bei einem Problem, wie dem hier behandelten, kommen wir ohne sie überhaupt zu keinem Ergebnis. Freilich gibt es auch Falle, wie wir noch sehen werden, in denen sich der Anteil der Juden, an der Ausbildung einer wirtschaftlichen Einrichtung mit aller nur wünschbaren „Quellenmäßigkeit“ nachweisen läßt. Aber daneben bleibt doch eine Fülle von Erscheinungen übrig, die sich in ihrer Genesis durch keinerlei quellenmäßige Belege aufhellen lassen. Bei ihnen müssen wir uns schon zufrieden geben, wenn wir etwa den Nachweis erbringen können, daß Juden in der Epoche und in dem Gebiete, wann und wo vermutlich die Anfänge der neuen Gebilde zu suchen sind, eine hervorragende Rolle im Geschäftsleben gespielt haben, oder daß Juden an der Ausbildung eines bestimmten Wirtschafts- (oder Rechts-) instituts ein ganz besonderes Interesse haben mußten. Vielleicht, daß dann spätere Untersuchungen auch noch mehr „Quellenmäßiges Beweismaterial zutage fördern, jetzt, nachdem der Blick für das Problem geschärft ist. Was ich hier über die zur Anwendung gebrachte Methode sage, gilt allgemein, ganz besonders aber für den kurzen geschichtlichen Uberblick, den ich im folgenden über die Genesis der oben skizzierten Typen der neueren Wertpapiere geben will.

1. Der indossable Wechsel,

Nicht die Entstehung des Wechels ist das, was uns hier interessiert, sondern (wie man sagen könnte) die des modernen, das heißt des versachlichten, weil girierten, Wechsels.

Man nimmt im allgemeinen an, daß das Wechselgiro vor dem 17. Jahrhundert jedenfalls nicht zu voller Entwicklung gelangt und in Holland die früheste unbedingte Anerkennung findet (in der Amsterdamer Willkür vom 24. 1. 1651) (156). Was aber auf dem Gebiete des Geld- und Kreditwesens während des 17. Jahrhunderts in Holland sich vollzieht, ist, wie wir noch genauer sehen werden, immer mehr oder weniger auf jüdischen Einfluß zuruckzuführen. Goldschmidt verlegt die Anfänge der Wechselgirata nach Venedig, wo sie jedenfalls in einem Gesetz, vom 14. 12. 1593 verboten wird (während die erste ihm bekannte Wechselgirata 1600 in einer neapolitanischen Urkunde, vorkommt) (157). Die Entstehung der Zirkulationsfigur des Giro in Venedig würde mit ziemlicher Sicherheit auf jüdischen Ursprung, schließen lassen, da wir wissen, daß im 16. Jahrhundert der Wechselverkehr dort vornehmlich in jüdischen Händen lag. Im der schon erwähnten Eingabe der christlichen Kaufleute Venedigs an den Staat vom Jahre 1550 lautet die auf das Wechselgeschaft der Juden bezugnehmende Stelle wörtlich wie folgt (158):

„I medesimo comertio tegniamo con loro etiam in materia de cambii, perché ne rimettano continuamente i lor danari; … vero mandano contanti, accioché geli cambiamo per Lion Fiandra et altre parti del Mondo zu questa piazza de Rialto o vero ge compriamo Panni de seda o altre mercantie secondo il commodo loro, guadagnando le nostre solite provisioni,“

„Questo che dicemo delli habbitanti in Fiorenza succede anche per li altri mercadanti di simil nation Spagnola et Portugera che abita in Fiandra, Lion, Roma, Napoli, Sicilia et altri paesi quali se estendon a negociar con noi, non solo in cambii ma in mandar qui mercantie de Fiandra, formenti di Sicilia per vender et comprar altre mercantie da condur in altri paesi.“

Eine weitere Ausbildung scheint dann das Indossament auf den Genueser Messen im 16. Jahrhundert erfahren zu haben. Hier finden wir wenigstens zuerst das „Giro-Aval“, wie man es neuerdings genannt hat, das wir als einen Vorgänger des eigentlichen Wechselgiros zu betrachten haben.

Wer waren die „Genuesen“, denen wir im 16. Jahrhundert, an verschiedenen Orten, namentlich auf den berühmten Messen, zu Besancon als den Herren des Geld- und Kreditmarktes begegnen: Die mit einem Male einen „genialen Geschäftsgeist, entfalten und Formen des internationalen Zahlungsverkehrs entwickeln, die man bis dahin nicht gekannt hatte: Daß die alten reichen Familien Genuas mit ihren großen Vermögen als die Hauptgläubiger der spanischen Krone und der anderen geldbedürftigen Fürsten auftraten, wissen wir. Aber daß die Sprößlinge der Grimaldi, der Spinola, der Lercara jenen „genialen Geschäftsgeist“ entfaltet hätten, der dem Wirken der Genuesen, im 16. Jahrhundert sein Gepräge gab; daß sich die alten Adelsgeschlechter auf den Messen in Besancon oder sonstwo herumgetrieben haben sollten oder auch nur mit seltsamer Betriebsamkeit ihre Faktoren dahingesandt haben sollten, erscheint mir ohne Annahme eines besonderen außeren Anstoßes wenig plausibel. War hier neues Blut dem alternden Körper des genuesischen Wirtschaftslebens durch Juden zugeführt worden? Wir wissen jedenfalls, daß Flüchtlinge aus Spanien auch in Genua landen, und daß ein Teil dieser jüdischen Emigranten zum Christentum übertritt; während ein anderer Teil in dem Städtchen Novi bei Genua aufgenommen wird, und daß diese Juden von Novi auch in der Hauptstadt verkehrten; wissen, daß diese Zuzügler „meistens gewerbtätige, intelligente Juden, Kapitalisten, Arzte“ waren und daß sie sich in Genua in der kurzen Spanne Zeit bis 1550 unliebsam genug gemacht hatten, um den Haß der Bevölkerung zu erwecken. Wir wissen aber auch, daß zwischen den Bankhäusern Genuas und den jüdischen (bezugsweise damals, schon marranischen) Bankhäusern der spanischen Städte, z. B. dem führenden Bankhause Sevillas, den Espinosas, lebhafte Beziehungen, bestanden. (160)

Bisher ist, soviel ich sehe, die Frage, welche Rolle die Juden auf den Genueser Messen gespielt haben, noch nicht aufgeworfen. Sie zu beantworten, wird auch deshalb ganz besonders schwierig sein, weil die in Genua sich niederlassenden Juden ihre Abkunft auf das sorgfältigste geheimhalten musten, zumal nach der offiziellen Vertreibung im Jahre 1550. Sie werden voraussichtlich in den meisten Fällen auch ihre Name gewechselt und, wie so oft in ähnlichen Lagen, ein ganz besonders strenges Scheinchristentum zur Schau getragen haben. Immerhin wäre es lohnend, den Versuch zu machen, ihnen hier auf die Spur zu kommen. Es ist, soviel ich sehe, der einzige Fall, in dem in nachmittelalterlicher Zeit ein großer Geld- und Kreditverkehr sich abgespielt hat ohne nachweisliche Beteiligung jüdischer (d. h. marranischer) Elemente, Vielleicht ist mir dieser Nachweis auch nur entgangen, und er ist bereits geführt. Dann würde ich für eine Benachrichtigung dankbar sein.

2. Die Aktie

Will man von einer Aktie schon dort sprechen, wo ein Kapital in mehrere Teile zerlegt ist, auf die sich die Haftung, der an der Unternehmung beteiligten Kapitalisten beschränkt, so wird man in den genuesischen Maonen des 14. Jahrhunderts (161): in der Casa die S. Giorgio (1407) und in den großen Handelskompagnien des 17. Jahrhunderts schon Aktiengesellschaften erblicken. Legt man das entscheidende Gewicht auf die „Versachlichung des Kapitalverhältnisses, so wird man die Anfänge, der Aktiengesellschaft und der Aktie nicht früher als in das 18. Jahrhundert verlegen. Alle früheren Kapitalvereinigungen mit beschränkter Haftung bewahrten mehr oder weniger ihren personalen Charakter, Ganz deutlich sind die italienischen Montes, stark mit persönlichem Geiste durchsetzt. Die Person des Maonesen, spielte eine nicht geringere Rolle als das Kapital. Bei der Banca di S. Giorgio wird eifersüchtig darauf gehalten, daß der Anteil bestimmter Familien an der Leitung der Bank gewahrt und gehörig verteilt wird. Aber auch in den großen Handelskompagnien des 17. Jahrhunderts ist die Versachlichung des Aktienrechtes noch keine vollständige. In der englisch-ostindischen Kompagnie, die erst seit 1612 einen joint stock, also ein Aktienkapital, hatte (bis dahin hatte sie nur gleichsam einen Rahmen gebildet, innerhalb dessen die einzelnen Mitglieder ihre Geschäfte selbständig geführt hatten, nach Art der regulated companies), setzt bis 1640 die Beteiligung an dem Fonds immer noch die Mitgliedschaft in der Kompagnie voraus. Der Anteil konnte also immer nur an ein Mitglied abgetreten werden. Erst 1650 wird Übertragung an Fremde möglich, aber diese müssen Mitglieder werden.

Bei anderen Gesellschaften war die Übertragung der Aktie, (die ursprünglich immer auf ungleiche und ungerade Beträge, lautete, also auch von dieser Seite her ein individuelles Gepräge bewahrte) an die Genehmigung der Generalversammlung gebunden oder stand der Kompagnie ein Vorkaufsrecht zu. Die Aktie ist nur „Mitgliedschein“ (noch nicht „dispositive Urkunde). Das ganze 18. Jahrhundert über überwiegt noch die Namenaktie (162) Und wo auch die Aktie frei veräußerlich war (wie bei der Ostindischen Kompagnie in Holland), konnte sie doch nur mittels eines unendlich kunstvollen und langwierigen Umschreibeverfahrens von einer Person losgelöst und auf eine andere übertragen werden. (163)

Will man also der Entstehung der Aktie als eines modernen Wertpapiers nachspüren, so muß man im 18. Jahrhundert, nicht im 14. Jahrhundert Umschau halten. Und danach wäre auch die Frage: welchen Anteil die Juden an der Herausbildung des modernen Aktienverhältnisses haben, nur mit dem Nachweis zu beantworten, daß sie während der letzten 150 bis 200 Jahre auf die Versachlichung des ursprünglich noch stark persönlich orientierten Aktienverhältnisses Einfluß ausgeübt haben. Einen unmittelbaren Einfluß dieser Art vermag ich nicht nachzuweisen, Indirekt aber haben sie wohl von zwei Seiten her nachhaltig, bei der Versachlichung auch der Aktie mitgewirkt: durch ihre eigentümliche Stellung zur Spekulation und zum Inhaberpapier, worüber weiter unten ausführlich zu handeln sein wird. Die Spekulation drängte auf Versachlichung hin, die Verwandlung der Namenaktien in Inhaberaktien bot eines der wirksamsten Mittel dar, die Versachlichung durchzuführen: das sagt uns die bloße Uberlegung. Wir können sogar in einzelnen Fällen nachweisen, daß die Versachlichung des Aktienverhältnisses unmittelbar durch die Interessen der Spekulation gefördert worden ist. So ist diese es offenbar gewesen, die die ursprünglich auf ungleiche und ungerade Beträge lautenden Aktien der holländischostindischen Kompagnie in den einförmigen 3000 H. Typ umgewandelt hat. (164)

3. Die Banknote

Wann die erste „Banknote“ das Licht der Welt erblickt hat, ist noch immer strittig und wird es voraussichtlich noch lange Zeit bleiben, nicht nur weil immer neues „Quellenmaterial“ zutage gefördert wird, sondern vor allem auch deshalb, weil die verschiedenen Schriftsteller je verschiedene Merkmale als wesentliche für das Vorhandensein einer Banknote ansehen.

So erblicken die einen schon in den fedi di deposito (Goldschmidt), die anderen in den fedi di credito (Nasse), die dritten in den englischen Goldsmith notes (Rogers), die vierten in den Scheinen der Bank von England (Salvioni u. a.), die fünften in den Anweisungen, die die Stockholmer Bank im Jahre 1661 zur Vermeidung des Kupfermünzentransports ausgab (Roscher), die ersten Banknoten.

Hält man, wie ich es tue, auch hier wieder denjenigen Moment der Entwicklung für den entscheidenden, in dem das durch die Bankierscheine verbriefte Schuldverhältnis „versachlicht wurde, so wird man in dem Augenblick von einem neuen Typus von Wertpapieren sprechen können, als ein Bankier zum ersten Male ein auf den Inhaber lautendes schriftliches Zahlungsversprechen ohne Beziehung auf ein Bardepot ausstellte. Vorher, gab es auch schon Bankierscheine. Aber sie waren auf ein Guthaben ausgestellt und lauteten auf den Namen. Der Namensinhaber erschien in dem Zettel als Gläubiger der Bank: diese hatte auf seine Anweisungen und Ordres hin die Bankscheine zu honorieren oder als Zahlung anzunehmen. So beschreibt, besonders ausführlich die Scheine der römischen Bank zum heiligen Geist Ansaldus in seinem Discursus generalis N. 166 F (165). Da sehen wir noch deutlich die personale Verankerung des Bankierscheines, die auch noch z. B. in den Depositenscheinen mit der Ordreklausel, wie sie 1422 in Palermo vorkommen, und selbst noch in den Bolognaer Depositenscheinen mit der Inhaberklausel, aus dem Jahre 1606 (166) vorhanden zu sein scheint.

Wo und wann ist die Nabelschnur, mit der der Bankierschein mit dem Bankdepott zusammenhing, durchschnitten worden? Nach dem, was uns bisher an „Quellenmaterial“ vorliegt, scheint, es mir das Wahrscheinlichste, daß dieser Geburtsakt des unpersönlichen Bankierscheines in Venedig etwa im Anfang des 15. Jahrhunderts stattgefunden hat. Denn dort begegnen wir um jene Zeit schriftlichen Zahlungsversprechen seitens der Banken, die über das Bardepot hinaus gewährt wurden und auch schon im Jahre 1421 einem Verbote des Senats, mit solchen Zahlungsversprechungen Handel zu treiben (167). Waren die beiden Juden, denen im Jahre 1400 als den ersten die Ermächtigung erteilt worden sein soll, eine Bank „im eigentlichen Sinne“ zu begründen (deren Erfolg dann so groß war, daß die Nobili sich beeilten, sie nachzuahmen) (168), die Väter dieser ersten unpersönlichen Bankscheine ?

Man wird vielleicht auch hier gar nicht eine einzelne Firma als die Schöpferin der neuen Schuldform ansehen können, Man wird auch hier eine Entstehung aus einem dazu gestimmten Milieu heraus annehmen müssen. Aber vielleicht läßt sich doch ein Gebiet wie das einer Stadt als Entstehungsherd abgrenzen. Und es hat viel für sich, den dort anzunehmen, wo überhaupt das Bankwesen seine erste vollkommenste Ausbildung erfahren hat. Das aber ist nach dem, was wir heute wissen, Venedig. Und Venedig — das ist das, was uns hier interessiert — war eine rechte Judenstadt. Nach einem Verzeichnis vom Jahre 1152 soll, es damals in Venedig schon eine jüdische Kolonie von 1300 Seelen, gegeben haben (169). Im 16. Jahrhundert (nach der „Vertreibung“ wird ihre Zahl in Venedig auf 6000 geschätzt; jüdische Fabrikanten, beschäftigen 4000 christliche Arbeiter (170). Diese Ziffern haben natürlich keinen „statistischen Wert“. Sie zeigen aber immerhin, daß es eine beträchtliche Menge Juden in Venedig gab, von deren Wirksamkeit uns nun andere charakteristische Zeugnisse vorliegen. Im 15. Jahrhundert begegnen wir unter den führenden Bankhäusern zahlreichen jüdischen (eins der größten waren die Lipmans). Und 1550 erklärten ja, wie wir wissen, die christlichen Kaufleute Venedigs: sie könnten gleich mit auswandern, wenn man ihnen den Handel mit den Marranen verböte.

Aber vielleicht hatten die Marranen in Spanien schon früher das moderne Bankwesen begründet. Es ist an der Zeit, daß wir darüber Genaueres erfahren. Denn was uns Capmany, über die taula de cambi in Barcelona (1401); was uns die neueren Wirtschaftshistoriker über andere Banken in Spanien mitteilen (171) läßt ganz und gar unbefriedigt. Daß die Juden die führenden Bankiers auf der Pyrendenhalbinsel waren, als man gegen sie einschritt (16. Jahrhundert), ist sehr wahrscheinlich. Wer sollte vorher an ihrer Stelle gestanden haben?

Das Juden dann überall beteiligt waren, wo im 17. Jahrhundert „Banken“ gegründet wurden, namentlich auch bei der Begründung der berühmtesten drei Banken jenes Jahrhunderts, der Amsterdamer, Londoner und Hamburger, mag nur im Vorbeigehen erwähnt werden: da diese Bankgründungen wohl als administrativ-organisatorische, aber nicht als kapitalistisch-organisatorische Akte Epoche gemacht haben: denn die private Girobank mit der idealen Geldeinheit war wohl schon in den italienischen Städten während des 15. Jahrhunderts entwickelt, jedenfalls begegnen wir ihr schon als einen fertigen Typ auf den Genueser Messen; so ziehe ich sie nicht in den Kreis dieser Erörterungen hinein.

Ich registriere nur kurz die Tatsachen:

Ihre bei der Gründung der Amsterdamer Bank gesammelten Erfahrungen verwerten die Juden bei der bald nachher (1619) gegründeten Hamburger Bank, bei der wir 40 jüdische Familien beteiligt finden.

Und auch die Bank of England soll, wie neuere Darsteller ihrer Geschichte wollen, wesentlich durch die Mitte des Jahrhunderts aus Holland einwandernden Juden inspiriert sein. A. Andréades, Hist. of the Bank of E. (1909), 28. Zu dieser Auffassung wird man kommen, wenn man der Eingabe Sam. Lambes aus dem Jahre 1658 (abgedruckt in Somers Tracts, Vol. VI) entscheidende Bedeutung für die Engl. Bank beimist. Andréades datiert von ihr geradezu die Idee der Bank und meint: seit die nächstvorhergehende, eine Bankgründung heischende Schrift — es ist die von Balthasar Gerbier im Jahre 1651 — erschienen sei, habe sich das für das Schicksal der B. of E. entscheidende Ereignis vollzogen; die offizielle Wiederzulassung der Juden durch Cromwell. Ich kann „the superiority“, der Lambeschen Schrift nicht in gleichem Maße wie A. anerkennen. Ubrigens wird der hervorragende Anteil der Juden an der Begründung der B. of E. auch von anderen hervorgehoben.

4. Die Partialobligation

Es hat lange gedauert, ehe die öffentliche Schuldverschreibung den Grad von Versachlichung erreichte, den sie heute besitzt. Die eingehenden Darstellungen, die uns in neuerer Zeit das Staatschuldenwesen der deutschen Länder während des 18. Jahrhunderts in seiner Wesenheit haben erkennen lassen, zeigen doch, daß bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts beispielsweise die Finanzen Osterreichs und Sachsens noch durchaus das altüberkommene persönliche Gepräge trugen. In Osterreich sind während der vortheresianischen Zeit Überbringerpapiere im öffentlichen Schuldenwesen überhaupt nicht bekannt; die Staatsschulden sind privatrechtlicher Natur: Schuldner ist der Monarch oder das Amt (172), Erst die Anleihe von 1761 stellt einen schon etwas stark modernisierten Typ dar: die Zinsen werden zum erstenmal nicht mehr gegen eine vom Berechtigten ausgestellte Quittung verabfolgt, sondern gegen Abgabe jedesmal des der Obligation beigefügten Interessenscheines (173) Ebenso sind in Sachsen bis in die Mitte des Jahrhunderts die Anleihen durchaus persönlich gefärbt: Schuldsumme, Sicherheit, Zinshöhe, Zinstermin, Falligkeit; alles trägt individuelles Gepräge, ist individuell von Fall zu Fall verschieden. Die signierten Quittungen heiden „Kammer- oder Steuerscheine“. Sie weisen nach, was der einzelne Vertreter von seinem Barvorrat in die Steuer oder Kammer eingeliehen hat. Sie sind Hauptobligationen in dem Sinne, daß sie die gesamte Schuld, des Gläubigers umfassen. Dementsprechend lautet jede Forderung auf einen individuellen, von anderen verschiedenen Betrag. (174)

Das um jene Zeit der Versachlichungsprozeß in den westlichen Ländern schon weiter (wenn auch nicht sehr viel weiter) fortgeschritten war, ist unzeifelhaft. In England wird 1660 der bis dahin unübertragbaren tallies eine ordre of repayment beigefügt, aber die entscheidenden Anleihen im modernen Sinne sind doch erst die von 1693, 1694 (175). Und die niederländischen Obligationen sollen durchgängig schon im 16. Jahrhundert die Inhaberklausel enthalten. Freilich tragen die Obligationen auch hier das ganze 17. Jahrhundert hindurch noch die Eierschalen der Personalschuld an sich: 1672 muß jede Obligation noch geschrieben werden, und ihr Wortlaut stand damals noch ebenso wenig ein für allemal fest wie der Betrag der einzelnen Obligation (176).

Mitwirkung der Juden bei der Herausbildung des modernen Anleihetypus? Was sich nachweisen läßt, ist dieses: daß Wilhelms III. Vertrauensmänner in Finanzsachen Juden waren, daß den östlichen Staaten die Anregung zur Weiterbildung aus den Niederlanden gebracht wird, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach durch holländische Juden, die während des 18. Jahrhunderts, die Hauptfinanziers deutscher und österreichischer Lande sind. ch habe in anderem Zusammenhange schon darauf verwiesen. Ganz im allgemeinen ist zu bemerken, daß die Beziehungen der holländischen Juden zu den europäischen Finanzen während des 18. Jahrhunderts offenbar sehr enge und weitverzweigte waren. Als ein symptomatisches Zeugnis für diese Tatsache, kann eine Schrift dienen, die in unseren Kreisen wenig bekannt, zu sein scheint (auch Däbritz hat sie, soviel ich sehe, in seiner verdienstvollen Arbeit nicht benutzt), und auf die ich wenigstens verweisen will. Sie trägt den langen Titel: Ephraim justitié. Mémoire historique et raisonné sur Etat passe, présent et kutur des finances de Saxe. Aver le parallele de l’Oeconomie prussienne et de l’Oeconomie Saxonne. Ouvrage utile aux Créanciers et Correspondans, aux Amis et aux Ennemis de la Prusse et de la Saxe, Adresse par le Juis Ephraim de Berlin, i son Cousin Manasses d’Amsterdam, Erlangen. A Penseigne de „Tout est dit“. 1785.

Über die Geschichte der privaten Partialobligation wissen wir noch weniger als über die der öffentlichen Schuldverschreibungen. Es scheint, als ob die Obligationen der holländisch-ostindischen Kompagnie (die im Gegensatz zu den Aktien von vornherein auf runde Beträge lauteten) die ersten, ihres Geschlechts gewesen seien. Dann begegnen wir bei den Lawschen Gesellschaften einer Art von Obligation, insofern nämlich die Inhaber der Aktien, solange sie nicht einen bestimmten (ziemlich hoch bemessenen) Minimalbetrag von Aktien, zeichneten, nur mit einem festen Zinse abgefunden wurden (also kein Anrecht auf Dividende hatten). Aber recht eigentlich zur Entwicklung ist das Institut der privaten Partialobligation doch wohl erst in neuerer Zeit gekommen, seitdem sich die Aktiengesellschaften so rasch vermehrt haben. Ich vermag also auch über den unmittelbaren Anteil, den die Juden an ihrer Ausbildung, etwa gehabt haben, nichts Bestimmtes zu sagen.

Sehr wahrscheinlich dagegen läßt sich machen, daß die Juden die Väter der privaten Obligation „höherer Ordnung“ sind, desjenigen Typs nämlich, den ich als kollektive Partialobligation bezeichnet habe, und der im Grundbesitzkredit als Pandbrief so, weite Verbreitung gefunden hat.

In allen Darstellungen der Hypothekarkreditorganisationen und ihrer Geschichte, die mir zu Gesicht gekommen sind, wird als erstes Pfandbriefinstitut die im Jahre 1769 (1770) von Friedrich II, errichtete Schlesische Landschaft angesehen, zu der, wie bekannt, „ein Berliner Kaufmann, namens Bühring (oder Büring) im Jahre 1767 die Anregung gegeben hatte“. Die Hypothekenbanken seien dann nichts anderes gewesen, als die Durchdringung des ursprünglich genossenschaftlichen Pfandbriefverhältnisses mit dem Erwerbsprinzip.

Diese Geschichtskonstruktion ist falsch. Der Pfandbrief, ebenso wie die Hypothekenbank sind im 18. Jahrhundert in Holland entstanden, Ihre Väter sind aller Wahrscheinlichkeit nach holländische Juden. Es wird uns nämlich berichtet, daß etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts holländische Bankiers, den Pflanzern (Plantagenbesitzern) in den Kolonien dadurch Gelder verschafften, daß sie zinstragende Obligationen auf den Inhaber ausgaben und sich dafür die Besitzungen der Pflanzer, mittels Hypotheken verpfänden ließen. Die Obligationen zirkulierten an der Börse, „wie öffentliche Schuldverschreibungen“ Die Kaufleute (Bankiers), die diese Geschäfte machten, hießen „Correspondentie“ oder „Directeurs van de negotiatie“, französisch „Correspondants“, „négociants chargés de la correspondance“ die Pfandbriefe „obligatie“ oder „obligations“. Es waren offenbar Privatbankiers, die hier die Geschäfte unserer heutigen Hypothekennbanken besorgten. Solche Pfandbriefe zirkulierten für 100 Millionen Gulden, bis schließlich (in den 1770er Jahren) ein großer Zusammenbruch der emittierenden Häuser erfolgte (aus genau denselben Gründen, nebenbei bemerkt, weshalb heute unsere Hypothekenbanken gelegentlich bankrott machen, vor allem wegen Überbeleihung der Grundstücke). Doch das gehört, nicht hierher, wo nur nachgewiesen werden sollte, daß Pfandbrief und Hypothekenbank in Holland schon im 18. Jahrhundert in voller Blüte standen. Die Quelle, der ich diese wichtige Tatsache entnommen habe, ist der im vorliegenden Falle natürlich durchaus zuverlässige Luzae, der an mehreren Stellen von dem Krache der Hypothekenbankiers spricht. Eine der darauf bezüglichen Ausführungen will ich hier im Wortlaut wiedergeben; sie heißt (177)

„On imagina de lever de l’argent pour les colons par voie de négociations générales, auxquelles tout particulier pourrait prendre part. Les avances Staient faites sur des regus ou des obligations à un négociant comme directeur, de la méme facon à pen prés & sur le méme pied aus les emprunts se font pour les Souverains et pour les corps publies. Genégociant comme directeur tait chargé de recevoir les produits des plantages, que les colons sengagenient de li envoyer & de fournir à leurs besoins. Les colons prenaient ces engagements par des actees d’hypotheue, faits en faveur des possesseurs des obligations, & délivrés au directeur. Pour donner plus de eredit à ces négociations on y faisait intervenir deur ou trois personnes de réputation comme commissaires, & qui, comme repräsentant ceux hui faisaient les avances, devaient avoir soin de veiller à leurs interets. Le directeur tait d’ailleurs obligé de rendre tous les ans a ces commissaires compte de son administration & de l’état de la négociation. On ne peut nier que l’idée d’interesser de cette facon tout le public a l’état des colonies, de fournir aux personnes aisées un moyen de placer leur argent & aux colons la facilité de trouver des avances, ne fut tresbonne; aussi eut-elle du succes. Les obligations à la charge des colons de Surinam eurent cours comme d’autres effets publies: elles augmentrent la masse des objets de commerce & produisirent avec celles des autres colonies la circulation d’environ cent millions de forins: Car on prätene, lige que les avances faites de cette facon à la colonie de Surinam montent a soixante millions & que celles qui sont faites aux autres colonies vont a quarante millions. On ne saurait croire la facilité ave laquelle ces négociations furent remplies; mais bientät cette méme facilité sut cause guelle ne se soutinrent pas & qu’on en abusa. On prätend Jue les proprietaires de plantages trouverent moyen de les faire evalner beaucoup au-dessus de leur valeur réelle; i Jue donnant ces kausses (valuations comme veritables, ils surent obtenir des avances bien au-deld de la véritable valleur de leurs plantages; tandis que ces avances nauraient du aller au à la cinghuitieme partie de cette valeur.“

Es findet sich nun in keiner der Darstellungen dieser Vorgänge, die mir zu Gesichte gekommen sind, der ausdrückliche Hinweis, daß die hier geschilderten Spekulationen von jüdischen Bankiers ausgegangen wären. Für jeden aber, der die holländischen Geld- und Kreditverhältnisse im 18. Jahrhundert auch nur oberflächlich kennt, kann diese Tatsache gar nicht zweifelhaft sein. Wir wissen (und ich werde dafür noch Beweismaterial, beibringen): daß in jener Zeit alles, was mit dem Geldleihegeschäft, namentlich aber mit Börse und Spekulation in Holland, nur irgendwie in Beziehung stand, von jüdischem Wesen durchsetzt war. Zu diesem durchaus schon hinreichenden Grunde allgemeiner Natur kommt nun im vorliegenden Falle noch der besonders bemerkenswerte Umstand, daß jene Hypothekenkreditgeschäfte, vornehmlich mit der Kolonie Surinam gemacht worden waren: von den 100 Millionen Gulden, die in Pfandbriefen ausgegeben waren, entfielen 60 Millionen auf Surinam, Surinam aber war, wie wir an anderer Stelle schon feststellen konnten, die Judenkolonie par excellence. Es ist gänzlich ausgeschlossen, daß diese Kreditbeziehungen gerade zwischen Surinam und dem Mutterlande um jene Zeit von andern als jüdischen Häusern hatten unterhalten werden sollen.

Das ist das, was ich an „quellenmäßigen Belegen für den Anteil der Juden an der Entwicklung der modernen Wertpapiere, gefunden habe. Es weist gewiß noch viele Lücken auf und wird sich durch manchen neuen Zug ergänzen lassen, den die spätere Forschung hineinzuzeichnen berufen ist. Immerhin denke ich, kann schon jetzt der Gesamteindruck nur der sein, daß an der Versachlichung der Kreditverhältnisse in sehr beträchtlichem Umfange jüdische Männer beteiligt gewesen sind. Dieser Eindruck wird nun noch ganz erheblich verstärkt, wenn wir in Rücksicht ziehen, daß diejenige Einrichtung, die jenen Versachlichungsprozeß recht eigentlich herbeigeführt oder doch ermöglicht und jedenfalls ganz wesentlich beschleunigt hat, aller Wahrscheinlichkeit nach jüdischen Ursprungs ist; ich meine die Rechtsform des Inhaberpapiers.

Daß das Streben des Schuldverhältnisses nach Versachlichung erst im Inhaberpapier seinen reinen Ausdruck findet, kann nicht zweifelhaft sein. Erst im Inhaberpapier ist der Verpflichtungswille von seiner persönlichen Quelle ganz frei gemacht. Erst im Inhaberpapier wird die Loslösbarkeit des Rechtswillens, durch Fixierung in einer Skriptur vollständig anerkannt. Das Inhaberpapier bedeutet, wie ein geistvoller Gelehrter es ausgedrückt hat, die „Befreiung des menschlichen Geistes von den unmittelbar gegebenen Naturbezügen (oratio, verba)“ (178) und ist eben darum das geeignete Mittel, ein Verpflichtungsverhältnis zu „entpersönlichen“ zu versachlichen. Das Bedeutsame am Inhaberpapier für den Juristen ist naturgemäß die eigentümliche Beweiskraft, die es besitzt: daß aus ihm der Berechtigte ein durchaus selbständiges, durch Einreden aus der Person des ersten Nehmers, oder der andern Vordermänner an sich nicht zerstörbares Recht, hat. Auch damit ist der Zustand rein sachlicher Beziehungen anerkannt: Diese Skripturrechtspapiere sind damit „Papiere, öffentlichen Glaubens“ (Brunner) geworden, in denen der letzte, Rest persönlicher Kreditbeziehungen ausgelöscht ist.

Bekannt ist, daß sich die Inhaberpapiere zu dieser reinen, Form langsam entwickelt haben, bekannt aber auch, daß wir einstweilen noch ziemlich wenig von dieser Entwicklung deutlich zu erkennen vermögen. Soviel ich sehe, schließen die bisherigen Forschungsergebnisse, soweit sie einwandfrei sind, die Richtigkeit der hier verfochtenen These jedenfalls nicht aus, die im Gegenteil, wie mir scheinen will, durch eine so große Reihe, stichhaltiger Argumente gestützt wird, wie sie keine der andern Hypothesen auch nur entfernt aufzuweisen vermag.

Inhaberpapiere hat es seit dem frühen Mittelalter in der europäischen Ländern (außer Großbritannien) gegeben. Der Rechtsverkehr schon der fränkischen Zeit und dann des deutschen und französischen Mittelalters kannte Schuldbriefe mit Ordrer und Inhaberklausel. Die Inhaberklausel muß ziemlich häufig angewandt sein, denn in den Rechtsbüchern wird sie oft, in der Rechtsprechung manchmal erwähnt (179).

Dann kommt eine Zeit des Niedergangs dieses Instituts, die seit der Rezeption des römischen Rechts ihren Anfang nimmt. Das römische Recht und die romanistische Jurisprudenz zersetzen, allmählich das Recht des Inhaberpapiers. Ende des 16. Jahrhunderts kommt diese Zersetzung zum Abschluß: der Inhaber, muß sich durch Vollmacht oder wenn er im eigenen Namen klagen will, durch den Zessionsbeweis legitimieren.

„Der starke, romanische Luftzug, wie er sich unter dem Einfluß von Cas und Dumoulin in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bei der Revision der Coutumes und in der Praxis geltend machte, hat dem Rechtsinstitut des Inhaberpapiers die Seele ausgeblasen, indem er das Inhaberpapier zum schlichten Namenpapier degradierte“ (Brunner).

Damals tauchte nun „plötzlich eine neue Form von Schuldbriefen auf: die „promesses en bland“, „billets en bland“, welche die Stelle, wo der Name des Gläubigers stehen sollte, leer ließen (180), also Blankopapiere, während gleichzeitig die Indossabilität des Ordrepapiers Fortschritte machte, Dann beginnt seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, namentlich im 17. Jahrhundert, das Inhaberpapier sich „wieder zu entwickeln, und namentlich in Holland finden wir es während des 17. Jahrhunderts schon ziemlich verbreitet: für Staatspapiere, für die Obligationen der Ostindischen Kompagnie (die Aktien lauteten noch, wie wir sahen, auf den Namen), für Versicherungspolicen und für Lombardzettel (181).

Von Holland nimmt es dann seinen Weg überallhin; zunächst nach Deutschland, wo es uns im 17. Jahrhundert bei den Aktien, der brandenburgischen Handelskompagnie, im 18. Jahrhundert bei den sächsischen Staatsschuldscheinen begegnet; dann nach Österreich, wo wir es ebenfalls unter Maria Theresia bei der Finanzverwaltung in Aufnahme kommen sahen; später nach Frankreich, wo es das ganze 17. und einen Teil des 18. Jahrhunderts hindurch von der Gesetzgebung verboten ist; zuletzt, nach England.

Welchem Rechtskreise sind nun die Inhaberpapiere entsprossen? In welchem Interessenkreise sind sie zur Entwicklung gelangt?

Nach den einen sind die Inhaberpapiere hellenischen Ursprungs. Das ist die Hypothese, die namentlich Goldschmidt vertreten hat (182). Soviel ich sehe, hat Goldschmidt, nicht viele Anhänger gefunden. Gegen die Richtigkeit seiner Hypothese sprechen die neueren Ergebnisse namentlich auch auf dem Gebiete der Papyrosforschung.

„Schuldscheine, welche unsern Wechseln gleichkämen, lassen sich in den Papyri nicht nachweisen. Auch Inhaber- und Ordrepapieren begegnen wir nicht …… Eine Vergleichung mit den inschriftlich uns erhaltenen griechischen Urkunden von Orchomenos und Amorges führt zur Bestätigung dieser Auffassung. Nicht minder stark spricht zu ihren Gunsten ein Fragment eines gortynischen Gesetzes“, s0 spricht sich die neueste Arbeit auf dem Forschungsgebiete der hellenischen Rechtsgeschichte aus (183).

Nehmen wir immerhin an, das Vorkommen des Inhaberpapiers im griechischen Recht sei „kontrovers“ (die von Goldschmidt beigebrachten Stellen lassen, ja erhebliche Zweifel zu), so müßte man doch, wie es Brunner getan hat (184) gegen die Ableitung der modernen Inhaberpapiere aus denen in Griechenland das Bedenken erheben, daß zwischen den hellenischen und den fränkischen Urkunden ein Zeitraum von 800 Jahren liegt und daß zwischen ihnen ein rechtsgeschichtlicher Zusammenhang irgend welcher Art sich nicht nachweisen läßt.

Dem gegenüber nimmt die (wohl herrschende) Auffassung, zumal nach den Brunnerschen Forschungen, unbesehens an, daß die modernen Inhaberpapiere eine unmittelbare Fortsetzung der deutschrechtlichen Schuldscheine mit Inhaberklausel sind, an denen, wie wir sahen, schon das Mittelalter reich ist. Gegen die Richtigkeit dieser Auffassung sprechen doch aber auch gewichtige Gründe, Auch zwischen den mittelalterlichen Urkunden und denen des 17. Jahrhunderts läßt sich wohl kaum eine lückenlose Kontinuität nachweisen, nachdem das römische Recht, wie ir sahen, mit den alten Inhaberschuldscheinen germanistischer, Herkunft so gründlich aufgeräumt hatte. Aber was mir immer die größten Bedenken verursacht hat, ist dieses: daß innerlich, dem Wesen nach, zwischen den alten und den modernen Inhaberpapieren doch nicht der geringste Zusammenhang besteht. Gewiß: „hui dabit hanc cartam“ ist wörtlich die lateinische Übersetzung der Wendung: „dem Einlieferer dieser Banknote.“ Aber es hat doch geradezu etwas Komisches, wenn wir uns das 13. Jahrhundert mit „Inhaberpapieren“ in dem Sinne, den wir dem Worte beilegen, erfüllt denken, Ich komme auf die allem Wesen eines modernen Inhaberpapiers ganz und gar entgegengesetzte Grundauffassung des deutschen Vertragsrechts noch zurück. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß man ja ganz genau weiß — und es ist ein Verdienst Brunners, diesen Tatbestand, gegen alle Einwande sicher gestellt zu haben — welchen Sinn, die Inhaber- oder Ordreklausel im alten deutschen Rechte hatte: sie sollte dazu dienen, die mangelnde Zessibilität der Forderung zu ersetzen, sollte die prozessuale Stellvertretung des Gläubigers, möglich machen (189). Ein Gedanke, der offenbar mit der unserm Inhaberpapier zugrunde liegenden Idee der Versachlichung eines Schuldverhältnisses auch nicht das allergeringste zu tun hat.

Angesichts dieser doch mindestens nicht völligen Einwandsfreiheit der herrschenden Auffassung muß es statthaft sein, eine dritte Hypothese zu vertreten, die meines Wissens bisher nur einmal von Kuntze flüchtig geäußert, von Goldschmidt (186) Salvioli (187) u. a. mit wenigen Worten als falsch verworfen worden ist, die aber niemand bisher ernstlich zu begründen gewagt hat: die Hypothese, daß das moderne Inhaberpapier wesentlich jüdisch-rechtlichen Ursprungs sei.

Daß diese Ableitung möglich ist, kann keinem Zweifel,  unterliegen, wenn wir uns der wesentlich gewohnheitsrechtlichen Entstehung der modernen „Skripturobligation erinnern: eine in Kaufmannskreisen, die stark mit jüdischen Elementen durchsetzt, waren, in Übung gekommene Form der Schuldverschreibung kann sehr wohl in der Rechtsprechung und von da aus in dem statutarischen Rechte etwa der niederländischen Städte zur Anerkennung gebracht sein (auf die bedeutsamen Antwerpener Costume von 1582 komme ich noch zu sprechen)

Fragt sich nur, ob die Ableitung des modernen Inhaberpapiers aus dem talmudisch-rabbinischen Recht auch wahrscheinlich ist. Ich stelle im folgenden die Gründe zusammen, die, meiner Meinung nach, dafür sprechen.

1. Bibel und Talmud kennen das „Inhaberpapier“ und zwar in völlig einwandfreier Form.

Die Stelle in der Bibel findet sich in Tobias und lautet, (in De Wettescher Ubersetzung) wie folgt:

4, 20. „Und nun zeige ich Dir die 10 Talente Silbers, die ich niedergelegt habe bei Gabael, dem Bruder) Gabrias zu Rages in Medien…..

5. 1. „Und Tobia antwortete und sprach: Vater, ich will alles tun, was Du mir geboten; Aber wie werde ich können das Geld in Empfang nehmen, da ich ihn nicht kenne:

3. Da gab er ihm die Handschrift und sprach zu ihm; Suche Dir einen Mann, der mit Dir ziehe, und ich will ihm Lohn geben, während ich lebe, und so gehe hin, und nimm das Geld in Empfang.“

9. 1. „Und Tobia rief Raphael und sprach zu ihm ziehe nach Rages in Medien zu Gabael und hole mir das Geld.“

„Da zog Raphael hin und kehrte bei Gabael ein und übergab ihm, die Handschrift. Er aber brachte die Beutel mit den Siegeln und gab sie ihm.

Die bekannteste Stelle im Talmud (Baba batra Fol, 172) lautet (in Goldschmidtscher Ubersetzung 6. 1398) s0;

„Einst wurde in einem Gerichtskollegium R. Honas ein Schein vorgelegt, in welchem es hies: Ich N., Sohn des N., habe von dir eine Mine geborgt. Da entschied R. Hona Von Dir, auch vom Exiliarchen, von Dir, auch vom König Sapor.“

Die Anmerkung, die Goldschmidt dazu macht: „d. h. der Inhaber des Schuldscheins kann nicht nachweisen, daß er der Gläubiger ist und er braucht daher nicht bezahlt zu werden:

verkehrt den Tatbestand genau in sein Gegenteil; wie Goldschmidt zu dieser seltsamen Auslegung kommt, die aller talmudisch rabbinischen Jurisprudenz widerspricht, ist nicht einzusehen,

Denn es ist gar nicht zweifelhaft, daß die Rabbiner während des ganzen Mittelalters die Rechtsform der Inhaberpapiere gekannt und aus der zitierten Talmudstelle abgeleitet haben. Damit, berühre ich einen Punkt, den ich als zweites Argument für die Richtigkeit meiner Hypothese anführe:

2. Die Kontinuität der Rechtsentwicklung, die zweifellos für das jüdische Inhaberpapier besteht. Sowohl die nicht unter brochene Geschäftspraxis der Juden spricht dafür als auch die ebenso ununterbrochene Talmudexegese, Für jene bedarf es keines besonderen Nachweises, für diese führe ich folgende Rabbiner an, die sich mit dem Inhaberpapier beschäftigt haben und die ohne Zweifel ein lebendiges Recht aus der Talmudsteller herausgedeutet haben (188):

Vor allem R. Ascher (1250—1327), dessen Bedeutung für die Praxis bekannt ist, und der Resp. 68, 6 und 68, 8 vom Inhaberpapier spricht. „Wenn einer sich zweien verpflichtet und in einer Klausel vermerkt: „zahlbar dem Inhaber des Schuldscheins von diesen beiden“ so darf nur diesem gezahlt werden, denn ein solcher Schtar ist eben ein Inhaberpapier“ (Resp. 68, 6).

R. Josef Karo (16. sc.) im Choschen Mischpat: „Wenn in einer Verschreibung der Name des Verleihers nicht benannt ist, sondern sie lautet auf „Inhaber dieses“, so wird ein jeder bezahlt, der solche vorzeigt 61, 10; zu vergleichen sind 50;61, 4. 10; 71, 23.

R. Schabatai Cohen (17. sc.) im Schach (dem Kommentar Sziphe Cohen zum Ch. M.) 50, 7; 71, 54 (nach Auerbach).

3. Vielleicht ganz unabhängig vom talmudisch-rabbinischen Recht haben die Juden aus der Geschäftspraxis heraus ein Wertpapier entwickelt, das an Unpersönlichkeit alle früheren und späteren Schuldbriefe übertroffen hat: den Mamre (Mamram, Mamran) (189). Der Mamre soll während des 16. Jahrhunderts (oder noch früher) im Gebiete des polnischen Judentums entstanden sein. Es war eine Blankourkunde: der Raum, auf den der Name des Gläubigers (zuweilen sogar auch der Betrag der Schuld) geschrieben werden sollte, wurde freigelassen und dann kam das Papier in den Verkehr. Die Zeugnisse der Rechtsgelehrten, zum Teil auch richterliche Entscheidungen lassen keinen Zweifel darüber, daß der Mamre während dreier Jahrhunderte, ein sehr beliebtes Geschäftspapier gewesen ist, das auch im Verkehr zwischen Juden und Christen zur Anwendung gelangte. Das Bedeutsame ist, daß die Rechtsmerkmale des vollentwickelten, modernen Inhaberpapiers im Mamre schon vereinigt sind, nämlich:

a) der Inhaber handelt im eigenen Namen;

b) Einreden aus den persönlichen Beziehungen des Schuldners, zu den Vorinhabern sind unzulässig;

c) der Schuldner kann keinen Nachweis der Lession oder Indossierung verlangen;

d) wenn der Schuldner ohne Vorzeigung des Mamre schon bezahlt hat, deliberiert er sich nicht;

e) die heutigen Formen der Nichtigkeitserklärung sind schon in Anwendung (im Falle des Verlustes oder Diebstahls teilt, der Inhaber dies dem Schuldner mit; eine Bekanntmachung wird vier Wochen lang an der Synagoge angeschlagen, worin der jetzige Inhaber ersucht wird, sich zu melden, nach Ablauf dieser Frist macht der Anzeiger seine Forderung geltend).

4. An mehreren wichtigen Punkten scheint sich auch Äußerlich eine Beeinflussung der Rechtsentwicklung durch jüdische Elemente nachweisen zu lassen. Ich denke vornehmlich an folgendes:

a) als „plötzlich“ (ein Mensch weiß woher) während des 16. Jahrhunderts an verschiedenen Stellen Europas Blankopapiere auftauchten: stammten sie nicht vielleicht aus den Kreisen der jüdischen Geschäftsleute, die sie nach Art des Mamre gewiß schon längere Zeit im Gebrauch hatten? Wir begegnen ihnen in den Niederlanden (190) in Frankreich (191) in Italien (192). In den Niederlanden tauchten sie Anfang des 16. Jahrhunderts auf den Antwerpener Messen, auf, als dort die Juden eine größere Rolle zu spielen begannen. Eine Verordnung Karls des V. vom Jahre 153. berichtet ausdrücklich: die Waren wurden auf den Messen, zu Antwerpen gegen Inhaberschuldscheine verkauft; diese konnten vor Verfall ohne besondere Zession an Dritte in Zahlung gegeben werden. Die Fassung des Textes belehrt, uns, daß jene Gewohnheit, Schuldscheine in Zahlung zu geben, sich erst seit kurzem eingebürgert hatte. Die Verordnung erklärte übrigens diese Inhaberschuldscheine für eine Formalobligation nach Art des Wechsels. Was waren das für seltsame Papiere: Christianisierte Mamrem? Noch jüdischer muten uns die Blankopapiere an, denen wir im 17. Jahrhundert in Italien begegnen, Ich denke an das erste uns bekannte Blanko-Indossament, das die jüdische Wechslerfirma Gudetti in Mailand ausstellte. Die Campsores, Gindetti in Mailand hatten einen Wechsel über 500 Scudi ausgestellt, zahlbar durch Joh. Bapt. Germanus auf der nächsten nundinae Sanctorum in Novi all’ordine senza procura di Marco Studendolo in Venezia; die Valutaklausen, lautete per la valuta conta. Studendolus übersandte den Wechsel an die Gebrüder de Zagnoni in Bologna, und zwar

„cum subscriptione ipsius Studendoli relicto spatio sufficienti, in albo ad finem illud replendi pro ea girata et ad favorem illius cui Zagnoni solutionem fieri maluissent.“

Der uns diesen Fall mitteilt bemerkt dazu: „Kaum würde der italienische Verkehr auf einen solchen Ausweg gekommen sein, wenn er nicht anderswo ein Vorbild dafür gehabt, hätte. Und ein solches bot sich ihm im — französischen Recht, wo seit Anfang des 17. Jahrhunderts Blankopapiere in voller Verkehrsübung waren. Der erste Satz mag zu Recht bestehen. Zum zweiten ist man versucht, anmerkend zu fragen: woher kam die Übung in Frankreich? Doch wohl aus den Niederlanden? Ubrigens kann auch in Italien marranischer Einfluß direkt mitgespielt haben. Studendolo (?) in Venedig! Gindetti in Mailand!

b) Bahnbrechend für die Entwicklung des Rechts der modernen Inhaberpapiere wird die Antwerpener Costume von 1582, in der dem Inhaber zum ersten Male ein Klagerecht zuerkannt wird. (199) Von Antwerpen verbreitet sich diese Rechtsauffassung rasch nach Holland weiter: ungefähr so rasch wie die aus Belgien nach Holland auswandernden Familien sich in dem neuen Lande verbreiten. (194)

c) In Deutschland drangen (wie schon erwähnt wurde) die Inhaberpapiere in die Staatsschuldenverwaltung von Sachsen her ein. Hier war die 1748 auf dem Landtage bewilligte Anleihe zum ersten Male auf Inhaberpapiere gestellt. In der Motivierung heißt es:

„Weil auch aus bisheriger Observanz sich zutage geleget, daß durch Einrichtung der Steuerscheine auf Briefes Inhaber alle weitläufigen, gerichtlichen Cessiones und Transactiones, dem Kredit und Creditoribus zum besten abgekürzet worden, so hat es dabei ferner sein Verbleiben.“

Im Jahre 1747 hatte ein Abenteurer Bischopfield dem Minister den Plan einer „Leib- und Familien-Renten-Negotiation“ vorgelegt: „Bischopfield stand, wie es scheint, mit holländischen Juden in Verbindung“ .(195) Gegen die Spekulation der holländischen Juden in sächsischen Staatspapieren richtet sich das Mandat vom 20. September 1751. Und während auf der einen Seite die holländischen Juden Sachsens Finanzwesen beeinflußten, kamen von der andern Seite die Einflüsse der polnischen Juden durch die Verbindung des chursächsischen Fürstenhauses mit Polen. Diese notorische Mitwirkung der jüdischen Finanzmänner und Kaufleute bei der Modernisierung der sächsischen Finanzen war es, die Kuntze, zu der Vermutung kommen ließ, „daß (für die Anwendung des Inhaberpapiers) der Gebrauch des Mamre als Anhalt, und Muster gedient habe. (196)

d) Zu den ersten Papieren, bei denen die Inhaberklausel in neuerer Zeit wieder angewendet wurde, gehörten die Seeversicherungspolicen, „quas vocant caricamenti.“ Es wird uns nun ausdrücklich berichtet, daß es die jüdischen Kaufleute aus Alexandrien waren, die sich zuerst der Formeln „0 qual si voglia altera persona“, „et quaevis alia persona“, „sive quamlibet aliam personam“ bedienten (197).

Diese Feststellung erscheint mir nun aber noch aus einem andern Grunde wichtig: weil wir nämlich bei dieser Gelegenheit, gleichzeitig über die Gründe unterrichtet werden, die „die jüdischen Kaufleute aus Alexandrien“ veranlaßten, sich der Rechtsform der Inhaberpapiere zu bedienen. Und damit berühre, ich einen Punkt, auf dessen Hervorkehrung ich das allergrößte, Gewicht lege, Viel bedeutsamer als alle Nachweise eines äußerlich wahrnehmbaren Zusammenhangs zwischen Juden und Inhaberpapier (die sich sicher noch vermehren lassen) erscheint, mir der Umstand, daß wir die Vaterschaft der Juden für die Inhaberpapiere aus zwingenden inneren Gründen annehmen müssen. Denn so unmodern diese Auffassung ist, ich wage sie doch mit allem Nachdruck immer wieder zu vertreten: die geringste Ratio, eines Ereignisses gilt mir ebensoviel wie die „quellenmäßigen“ Nachweise aus tausend Urkunden,

Die inneren Gründe aber, die die Ableitung der modernen Inhaberpapiere aus dem jüdischen Recht (oder der jüdischen Praxis) nahe legen, sind,

5. das Interesse, das die Juden in besonders hohem Maße und in mancher Beziehung nur die Juden an der Rechtsform des Inhaberpapiers hatten.

Was bewog denn „die jüdischen Kaufleute aus Alexandrien“ dazu, die Inhaberklausel in ihre Policen aufzunehmen? Straccha, (a. a. O.) teilt es uns mit: die Angst um ihre Schiffsladungen. Diese nämlich schwebten in der Gefahr, von den christlichen Piraten, von dem Navarch und Präfekten der katholischen kgl. Flotte gekapert zu werden, da die Waren der Hebräer und Türken von ihnen als Freibeute angesehen wurden. „Die jüdischen Kaufleute aus Alexandrien“ setzten nun in die Police einen beliebig, erdichteten christlichen Namen, z. B. Paulus oder Scipio, ein und nahmen doch die Waren in Empfang — dank der hinzugefügten, Inhaberklausel.

Wie oft aber, während des ganzen Mittelalters und noch in der neueren Zeit, muß dieses Motiv bei den Juden: durch irgend eine Vornahme sich als den eigentlichen Empfänger einer Sendung, einer Schuld usw. zu verbergen, wirksam gewesen sein! Und da bot sich die Form des Inhaberpapiers als das willkommene Mittel dar, jene Verborgenheit zu bewirken. Die Inhaberpapiere gewährten die Möglichkeit, Vermögen verschwinden zu lassen, bis eine Verfolgungswelle über die Judenschaft eines Ortes hinweggegangen war. Die Inhaberpapiere gestatteten den Juden, ihr Geld beliebig wo anzulegen und im Augenblick, da es gefährdet wurde, durch einen Strohmann beheben zu lassen oder ihre Forderungen zu übertragen, ohne die geringste Spur ihres früheren Besitzes zu hinterlassen, (Nebenbei bemerkt: die schier unerklärliche Tatsache, daß den Juden während des Mittelalters alle Augenblicke ihr „ganzes Vermögen“ abgenommen, wurde, und daß sie nach ganz kurzer Zeit wieder reiche Leute waren, wird ihre Aufhellung gewiß zum Teil von der Seite der hier erörterten Probleme finden: es wurde eben den Juden nie ihr ganzes Vermögen abgenommen, ein beträchtlicher Teil war auf einen Strohmann übertragen worden.) Es ist, wie mir scheint, mit Recht darauf hingewiesen (198) worden, daß diese Verbergungszwecke allerdings die Form des reinen Inhaberpapiers erheischten, aber auch nur sie, während alle übrigen Zwecke, die man im Mittelalter mit der Inhaberklausel verband (also vor allem die Erleichterung der Stellvertretung vor Gericht), ebenso gut oder besser durch die alternative Inhaberklausel erreicht wurden.

Ein wesentliches Interesse an der Ausbildung des Inhaberpapiers (richtiger: an seiner Verbreitung, denn in ihren Kreisen bestand es ja von jeher) gewannen die Juden, seit sie (wie wir noch genauer verfolgen werden) die börsenmäßige Spekulation in Waren und Efekten zu entwickeln begannen.

In welch raffinierter Weise die Rechtsform des Inhaberpapiers zur Durchführung von Warentermingeschäften schon im 17. Jahrhundert ausgenutzt wurde, zeigt uns ein Amsterdamer Gutachten vom Jahre 1670 (es handelt sich um eine à la hausse Spekulation in Wallischbarten, die der Spekulant durch Einschiebung von Strohmännern zu Cachieren versucht (199).

Und dann mußte natürlich der Spekulationshandel in Effekten, die Einbürgerung des Inhaberpapiers ungemein begünstigen. Insbesondere, seit die Juden anfingen, sich mit der Emittierung von Effekten gewerbsmäßig zu befassen, mußte ihr ganzes Sinnen darauf gerichtet sein, dem Inhaberpapier immer weitere Verbreitung zu verschaffen. Es ist einleuchtend, daß die Unterbringung Heiner Schuldbeträge bei einer großen Anzahl von Personen, namentlich bei öffentlichen Schuldverschreibungen, ohne die Erleichterungen und Vereinfachungen, die das Inhaberpapier gewährte, fast ein Ding der Unmöglichkeit war. Man bringt deshalb auch mit Recht die Entwicklung der gewerbsmäßigen Emissionstätigkeit und die der Inhaberpapiere in einen ursächlichen Zusammenhang (200).

Wie sehr das geschaftliche Interesse, genauer: der Wunsch, den börsenmäßigen Handel in Effekten zu erleichtern und zu fördern, bei den Juden maßgebend bei der Ausbildung und Handhabung des Inhaberpapiers war, erkennen wir auch aus gelegentlichen Äußerungen der Rabbiner, So lautet eine sehr lehrreiche, Stelle bei R. Schabbatai Cohen (Schach 50, 7) (nach der Ubersetzung bei Auerbach, 281) wie folgt:

„Der Käufer des Inhaberpapiers hat gegen den Schuldner eine Forderung auf Schadenersatz, wenn der Schuldner gegen eine chirographische Quittung oder gar ohne diese, so daß eine Publizität der Zahlung nicht hervorgebracht wurde, zahlte, um nicht den Handel mit solchen Papieren zu gefährden. Wenn auch R. Ascher und Konsorten von Schtarot jede Verordnung, die die Rabbiner überhaupt zur Ausbreitung des Handels eingeführt hatten (!), fernhalten, weil ein Handel mit Schuldscheinen ihrer umständlichen Übertragung wegen nicht stark sein kann, so sprechen diese Autoren es nur für Schtarot (resp. Chirographien) als Rektapapiere aus, bei Inhaberpapieren hingegen, deren Umsatz in jetziger Zeit — also im 17. Jahrhundert, ein bedeutend größerer ist als der Umsatz von Mobilien, sind alle Verordnungen der Rabbiner für eine Ausdehnung des Handels sehr zu berücksichtigen.“

Und damit habe ich schon wieder einen neuen Punkt berührt, dessen Hervorhebung mir abermals wichtig erscheint. Ich meine nämlich, daß aus diesen Worten des Rabbi ein ganz bestimmter „Geist“, ein sehr klarer „Rechtswille“ spricht, und ich glaube, daß diese Außerung keine vereinzelte ist. Wenn wir nämlich das jüdische Recht der Inhaberpapiere in seiner Ganzheit überblicken und in seiner Eigentümlichkeit zu erfassen, trachten, so bemerken wir unzweifelhaft (und damit mache ich den allertriftigsten Grund geltend, der für die Richtigkeit meiner Hypothese spricht), daß

6. die Idee des Inhaberpapiers sich zwanglos aus dem innersten Wesen, aus dem „Geiste des jüdischen Rechtes“ ableiten läßt; daß die Rechtsform des Inhaberpapiers dem jüdischen Rechte ebenso gemäß ist, wie sie dem römischen und dem germanischen Rechte ihrer innerster Natur nach fremd sein mußte, weil sie ein unpersönliches Schuldverhältnis begründet.

Daß die spezifische Auffassung des römischen Rechtes von der Obligation eine ganz und gar persönliche Färbung trug, ist bekannt: die Obligatio war eine Bindung zwischen den Personen, und demzufolge auch zwischen ganz bestimmten Personen. Die Bestimmung für ihr Zustandekommen: daß zwei oder mehr Personen

„er diversis animi motibus in unum consentiunt, id est in unam sententiam decurrunt“ (UIp. L. I. § 3 D. de pact. 2. 14)

Die Konsequenz dieser Auffassung war dann die, daß der Gläubiger seine Forderung eigentlich überhaupt nicht übertragen, konnte, und wenn er es doch tun wollte, er es nur unter sehr schweren Bedingungen tun konnte. Wenn auch im späteren römischen Rechte durch die Ausbildung der Delegations-, Novations- und insbesondere der Zessionslehre die Forderungen, etwas freier übertragbar wurden: an dem persönlichen Charakter, der Obligation ist dem inneren Wesen nach nichts geändert. Vorallem behielt der Schuldschein seinen ursprünglichen Charakter, bei: er war nur akzessorisches Beweismittel. Trotz seiner konnten allerhand Einreden gegen eine aus ihm folgende Zahlungspflicht erhoben werden, Einreden aus den persönlichen Verhältnissen zum ersten Gläubiger oder einem seiner Nachfolger.

Aber diesen grundpersönlichen Zug trug doch das deutsche Vertragsrecht wohl auch. Ja bis zu einem gewissen Grade war er in ihm stärker ausgeprägt als im römischen. Das germanische Recht hatte den Grundsatz, daß der Schuldner keinem andern zu leisten verpflichtet sei, als demjenigen, welchem zu leisten er versprochen hatte. Die Forderung war überhaupt nicht übertragbar (wie denn das englische Recht bis 1873 an der Unübertragbarkeit der Forderung grundsätzlich festgehalten hat). Erst mit der Rezeption des römischen Rechts dringt die Ubertragbarkeit der Forderungen in Deutschland ein. Und eben wegen dieses starr persönlichen Charakters, um die mangelnde Zessibilität der Forderungen zu umgehen, behalf man sich ja (wie wir sahen) mit der Eselsbrücke der Ordre und Inhaberklausel. Ich meine doch: damit ist deutlich genug ausgedrückt, daß das Inhaberpapier als „Verkörperung“ eines rein unpersönlichen Schuldverhältnisses ganz und gar außerhalb des Ideenkreises des deutschen Rechtes gelegen war: gerade das Vorkommen der Inhaberklausel beweist das.

Jenen Rechtsgedanken, der den modernen Ordre-Inhaber- und Blankopapieren zugrunde liegt: „daß nämlich die Urkunde auch in der Hand jedes folgenden (sukzessive) .z.Z. der ersten Begabung noch völlig unbestimmten Nehmers Träger des beurkundeten Rechts ist, hat „weder das Altertum noch auch nur das Mittelalter voll entwickelt“ (201).

Diese Auffassung ist zweifellos richtig, wenn man eine Einschränkung hinzufügt: soweit nicht das jüdische Recht in Betracht, gezogen wird. Denn daß dieses jenes, durch das moderne Inhaberpapier ausgedrückte, „sachliche Schuldverhältnis kannte, dürfte sich unschwer nachweisen lassen (202).

Die Grundidee des jüdischen Obligationenrechts ist die: es gibt auch Verpflichtungen gegen unbestimmte Personen; man kann auch mit Herrn Omnis Geschäfte abschließen. Dieser Grundgedanke ist in den einzelnen Lehren wie folgt verankert:

Das jüdische Recht kennt kein Wort für Obligation, sondern nur eines für Schuld (Chow), eines für Forderung (Thwia). Forderung und Schuld werden im jüdischen Recht als selbständige Gegenstände angesehen. Ein sehr charakteristischer Beleg für die Rechtsidentität einer Forderung und Verpflichtung, an sich mit einer körperlichen Sache ist die Entstehung eines Forderungsrechtes durch das Erwerbssymbol. Selbstverständlich ist demnach, daß gegen die Übertragung von Forderungen und gegen die Stellvertretung zur Abschließung eines Vertrages kein gesetzliches Hindernis besteht. Die Person, gegen welche eine Forderung oder Verpflichtung vorhanden ist, braucht daher nicht an sich bestimmt zu sein, sondern sie kann auch ihre Bestimmung durch den Besitz gewisser Sachen und Eigenschaften, erlangen, sodaß sich die Forderung oder Verpflichtung eigentlich gegen die Sache oder Eigenschaft richtet, und nur, um den persönlichen Charakter des obligatorischen Verhältnisses zu wahren, direkt auf den Inhaber dieser Gegenstände oder Eigenschaften sich beziehen muß.

Das obligatorische Rechtsverhältnis geht zwar von seinen Subjekten aus, aber es wird, sobald es entstanden ist, in seinen beiden Faktoren, Forderung und Verpflichtung (siehe oben Dargelegtes), zu einer in sich begründeten, absoluten, von jeder Individualität getrennten Substanz, deren Kräfte und Eigenschaften sich sinnlich in den Handlungen beliebiger Personen, darstellen. Daher eben die Auffassung: daß eine Verpflichtung ebenso wie gegen einen bestimmten Gläubiger, auch gegen die Gesamtheit aller Menschen, gegen die Allgemeinheit entstehen, kann, Demnach findet eine Übertragung der Obligation durch bloße Überlieferung des Papiers statt, da ja das Geschäft, das vermittels des Papiers mit dem Publikum eingegangen ist, sich ebenso auf den Lessionar wie auf den Zedenten bezieht. Der Inhaber des Papiers ist also gleichsam Mitglied einer Gesamtgläubigerschaft (dies ist die juristische Konstruktion Auerbachs).

Es liegt also (wie man denselben Gedanken mit anderer Wendung ausdrücken kann) im jüdischen Recht keine Nötigung vor unter den Subjekten einer Obligation Personen zu denken. Auch Eigenschaften oder Sachen können durch ihre natürlichen Vertreter eine Obligation bilden. Der Wille des Herrn kann auf eine Sache übertragen werden, wodurch dem leblosen Gegenstande die einem Rechtssubjekt notwendige Willensmanifestation, also ein Tatbestand, der durchaus nicht in der Natur des Rechtssubjekts eine Begründung zu haben braucht, zugesprochen werden soll. Beim Inhaberpapier kann denn auch der Inhaber als Gläubiger nur insoweit als Gläubiger erklärt werden, als er das Papier inne hat: der übrige Teil seiner Persönlichkeit tritt gar nicht in den Schuldnexus und das Verpflichtungsverhältnis ein, Also andert sich auch mit der Ubertragung des Papiers im Grunde der Gläubiger gar nicht, da von dem neuen Inhaber, wieder nur gleichsam eine Abstraktion, nämlich nur derjenige Teil von allen seinen individuellen Eigenschaften in die Glaubigerschaft eintritt, der ihn als den Besitzer des Papiers kennzeichnet. Die Rechtssubjekte sind die bestimmten Eigenschaften, an Personen, die tätigen Personen an sich sind die Träger, die Vertreter jener Rechtssubjekte.

Eine gewiß kühne Konstruktion, die zum Teil deutlich subjektive Färbung trägt. Was aber aus einer vorurteilsfreien Prüfung, des von Auerbach beigebrachten Materials sich wohl für jeden ergibt, ist die so sehr viel abstraktere Grundrichtung des jüdischen Rechts, die einer unpersönlichen, „sachlichen Auffassung vom Rechtsverhältnis im schroffen Gegensatz zum römischen und altgermanischen Rechte die Wege ebnet. Daß aber aus einem solchen „Geiste“ ein Rechtsinstitut, wie das moderne Inhaberpapier, wie von selbst herauswachsen mußte, scheint mir keine übermäßig gewagte Annahme zu sein, Sodaß zu allen äußeren Gründen noch dieser tief innerliche Grund einer Übereinstimmung der Wesenheit des Inhaberpapiers mit der Wesenheit der gesamten jüdischen Rechtsauffassung hinzukommt, um die von mir aufgestellte Hypothese zu stützen; daß das Rechts- und Verkehrs-) Institut des modernen Inhaberpapiers, in der Hauptsache (natürlich werden andere Einflüsse mitgewirkt, haben) jüdischen Ursprungs ist.

II. Der Handel mit Wertpapieren,

1. Die Ausbildung des Verkehrsrechts,

In den modernen Wertpapieren, die wir Effekten nennen, kommt der kommerzialistische Zug unseres Wirtschaftslebens am deutlichsten zum Ausdruck. Das Effekt ist seinem inneren Wesen, nach dazu bestimmt, „in den Verkehrt zu kommen“. Es hat seinen Beruf verfehlt, wenn es nicht gehandelt wird. Man könnte, zwar einwenden, daß ein sehr großer Teil der Effekten ein geruhsames Dasein in dem Geldschrank des Rentners führt und von seinem Besitzer nur als Renteninstrument, nicht als Handelsobjekt betrachtet wird, das er behalten, nicht verkaufen will. Aber als solches Besitzobjekt im ruhenden Zustande funktioniert, das Wertpapier gar nicht als Effekt, es brauchte um diese Rolle zu spielen, gar nicht es selber zu sein: eine irgendwelche persönliche Schuldurkunde könnte denselben Dienst leisten, Spezifisch, ist ihm nur seine leichte Verkauflichkeit und nur um derentwillen mußte jener mühsame Prozeß der Versachlichung vollzogen werden. Alle Eigenart, die unser Wirtschaftsleben durch die Ausbildung der Effekten erfährt, beruht ausschließlich in deren Beweglichkeit, die sie zum raschen Besitzwechsel geeignet machen. Das sind ja Selbstverständlichkeiten, die ich nur um des Zusammenhanges willen hier aussprechen mußte.

Ist aber der Lebensberuf des Effekts der, leicht und mühelos von Hand zu Hand zu gleiten, so sind für die Entwicklung des Effektenwesens alle diejenigen Einrichtungen von entscheidender Bedeutung, die den Besitzwechsel dieser Vermögenswerte erleichtern. Zu diesen Einrichtungen gehört in erster Linie ein passendes Recht, Passend für den gedachten Zweck ist aber ein Recht dann, wenn es eine rasche Entstehung neuer Beziehungen zweier Personen zueinander oder einer Person zu einer Sache möglich macht.

Beruhen die Lebensbedingungen einer Gesellschaft darin, daß jedes Ding der Regel nach in den Händen eines und desselben Eigentümers verbleibt — wie etwa in einer eigenwirtschaftlich organisierten Volksgemeinschaft —, so wird das Recht, alles aufbieten, um die Beziehungen zwischen Person und Sache, so fest wie möglich zu gestalten, während umgekehrt, wenn die Bevölkerung auf dem unausgesetzten Neuerwerbe von Gütern ihr Dasein aufbaut, das Recht grundsätzlich auf Sicherung des Verkehrs ausgerichtet sein wird. Wiederum Selbstverständlichkeiten, deren Erwähnung uns nun aber mitten in das hier zur Erörterung stehende Problem hineingeführt hat.

Und zwar so: unser reges Verkehrsleben, vor allem aber der Handel mit Wertpapieren, heischt namentlich ein Besitzrecht, das die Vernichtung alter und die Entstehung neuer Rechtsbeziehungen nach Möglichkeit erleichtert, also gerade das Gegenteil von dem bestimmt, was etwa das deutsche und das römische Recht anstrebten. Diese beiden erschwerten den Eigentumsübergang in jeder Hinsicht und versuchten, die Eigentumsbeziehungen vor allem auch dadurch zu festigen, daß sie dem Eigentümer eine weitreichende Vindikationsbefugnis verliehen. Insbesondere konnte nach römischem und älterem deutschen Recht der Eigentümer ein ihm unrechtmäßig abhanden gekommenes Gut auch vom gutgläubigen Besitzer ohne Entschädigung zurückfordern. Dem gegenüber steht der in das moderne Recht fast durchgängig übergegangene Satz, daß die Auslieferung nur gegen Erstattung der Summe zu erfolgen braucht, die der jetzige Besitzer gezahlt hat, wenn nicht etwa überhaupt, keine Verpflichtung des gutgläubigen Erwerbers besteht, die Sache dem früheren Eigentümer herauszugeben.

Woher nun dieser den älteren Rechten fremde Grundsatz, unserer modernen Gesetzgebungen: Antwort: aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem jüdischen Rechtskreise, in dem von jeher das verkehrsfreundliche Recht gegolten hat.

Den Schutz des gutgläubigen Erwerbers finden wir schon im Talmud ausgesprochen. Die Mischna in B. C. 114, 1152, lautet also: „Wenn jemand seine Geräte oder seine Bücher im Besitze eines anderen erkennt, so soll, falls ein bei ihm verübter, Diebstahl in der Stadt bekannt geworden ist, der Käufer schwören, wieviel er dafür bezahlt hat und sein Geld erhalten, wenn aber nicht, so ist er dazu nicht berechtigt, denn man nehme an, daß er sie an jemand verkauft und dieser sie von jemand gekauft hat“ (Ubersetzung Goldschmidt 6. 430). Also auf jeden Fall, kann der gutgläubige Erwerber Schadenersatz verlangen; unter bestimmten Umständen kann er die Sache ohne weiteres behalten. Die Gemara schwankt zwar; aber im allgemeinen kommt sie doch auch zu dem Entscheide: dem gutgläubigen Erwerber mus „Marktschutz“ gewährt werden; der Eigentümer muß ihm dengezahlten Preis ersetzen,

Diese verkehrsfreundliche Auffassung des Talmud haben dann die Juden während des ganzen Mittelalters in ihrem Rechte, beibehalten und — was das Wichtigste ist — sie haben schon frühzeitig durchgesetzt, das sie auch in der Rechtsprechung, christlicher Gerichte zur Anwendung gelange. Für den Erwerb beweglicher Sachen durch Juden hat Jahrhunderte lang ein besonderes Judenrecht in Geltung gestanden; es hat seine erster Anerkennung in dem Privileg gefunden, das König Heinrich IV. im Jahre 1090 den Juden Speiers erteilt: „Wird bei einem Juder eine gestohlene Sache gefunden und behauptet der Jude, sie gekauft zu haben, so darf er mit dem Eide nach seinem Gesetze, erhärten, für welche Summe er sie gekauft habe; zahlt ihm dann soviel der Eigentümer, so soll er sie diesem dafür herausgeben. Dieses besondere jüdische Recht finden wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Landern (in Frankreich schon Mitte des 12. Jahrhunderts) in Anwendung 39. Im Sachsenspiegel ist es III, 7. § 4 aufgenommen. Es scheint, daß der wichtige Rechtsgrundsatz dann durch die neueren Kodifikationen zu allgemeiner Geltung erhoben worden ist. Goldschmidt, der „den Ausschluß der Vindikation sogar gestohlenen Gutes in dritter Hand“ ebenfalls auf jüdisch-rechtlichen Ursprung zurückführt, nimmt einen Einfluß der jüdischen Rechtsauffassung vor allem auf das Handelsgewohnheitsrecht an (obwohl er im allgemeinen die Bedeutung der Juden für die Entwicklung des Handels und des Handelsrechts zu verkleinern, wenn nicht überhaupt zu leugnen krampfhaft bemüht ist. Es gibt nämlich im Grunde gar keine Juden!).

2. Die Börse

Aber die Hauptsache war natürlich, daß für die Wertpapiere, ein ihnen angemessener Markt geschaffen wurde. Und das war die Börse.

Wie die Gegenstände, die man in den Handel bringen wollte, versachlichte Forderungsrechte waren, so wurde in der Börse der Handel damit ebenfalls seiner persönlichen Färbung entkleidet. Denn das ist das Wesen der Börse und unterscheidet sie von anderen Märkten. Die Verträge, die hier abgeschlossen werden, sind nicht mehr in ihren einzelnen Bestandteilen der Ausfluß, persönlicher Bewertung und persönlichen Befundes, sondern kommen durch das Zusammenwirken untereinander fremder Personen zustande, Nicht das Vertrauen, das der einzelne Geschäftsmann bei seinen Geschäftsfreunden auf Grund persönlichen Umgangs genießt, befähigt ihn mehr, wie ehedem, Geschäfte, einzugehen, sondern eine allgemeine, abstrakte Bewertung seiner Kreditwürdigkeit, die ditta di Borsa, genügt nun, wie Ehrenberg hervorgehoben hat, um Verträge abzuschließen. Nicht, ein individueller Preis, der durch gegenseitige Aussprache zweier oder auch mehrerer Käufer und Verkäufer zustande kam, liegt, mehr den Abmachungen zugrunde, sondern ein aus tausend Einzelpreisen mechanisch gebildeter, abstrakter Durchschnittspreis. Und der spezifisch börsenmäßige Handel selbst ist ein aller persönlicher Beimischung entkleideter, versachlichter, automatisierter Vorgang geworden.

Man nennt jetzt mit Recht die Börse einen Markt für fungible (vertretbare) Tauschgüter oder Werte (Weber, Ehrenberg, Bernhard); aber man muß sich klar machen, daß der Handel selbst auf der Börse, wie man im übertragenen Sinne sagen könnte, ebenfalls „fungibel“ geworden, besser: versachlicht ist, wie die Objekte, auf die er sich bezieht (denn auch die Standardisierung der Waren, die eine Voraussetzung des börsenmäligen Handels in Sachgütern ist, läuft auf nichts anderes hinaus, als auf eine „Entpersönlichung der Ware, die nicht mehr in ihrer individuellen, sondern nur noch in ihrer generellen Eigenart bewertet wird).

Es erübrigt sich, hier den Nachweis zu führen, daß die Vermarktung der Wertpapiere an die Existenz eines börsenmäßigen Handels geknüpft war. Nur ein Wort möchte ich noch sagen, über die besondere Rolle, die in meiner Auffassung innerhalb, des Börsenhandels die „Spekulation“ spielt, weil hier jeder Schriftsteller seine eigene Terminologie und seine eigene Ansicht hat.

Eine allgemein anerkannte Begriffsbestimmung für die „Spekulation“ wie wir sie in der obengenannten Definition für die Börse besitzen, gibt es heute noch nicht. Die meisten Autoren, fassen den Begriff ganz allgemein, in dem Sinne von „Wagen und Gewinnen“ etwa, und zwar dann wieder schwankend, bald als eine bestimmte Tätigkeit, bald als eine bestimmte Art von Geschäften. Daß dabei eine Erscheinung nicht bestimmt wird, die sich ganz deutlich innerhalb jenes weiten Rahmens als „Spekulation“ im engeren Sinne abhebt, ist zweifellos. Auch diese hat man zu fassen versucht: Ehrenberg, indem er Handel und Spekulation gegenüberstellt, jenen sich in der Ausnutzung örtlicher, diese zeitlicher Preisunterschiede erschöpfen sieht. Aber dann fällt unter den Begriff Spekulation ganz gewiß noch eine ganze Menge von Geschäften, die man auch im kaufmännischen Sprachgebrauch nie und nimmer als „Spekulation“ bezeichnen würde: im effektiven Warenhandel kommt es doch immer auch auf eine Ausnutzung zeitlicher Preisunterschiede an (Handel mit Ernteerzeugnissen!) und kein Mensch wird einen Kaufmann, der Weizen nach der Ernte kauft, weil er auf ein Steigen im Frühjahr rechnet, einen Spekulanten nennen. Eher ließe sich schon diese Begriffsbestimmung verwerten, wenn wir (mit Max Weber) die Beschränkung auf den Handel mit börsengängiger Ware hinzufügen. Nur möchte ich dann auch gleich den Begriff noch ein wenig enger (und damit präziser) fassen, indem ich Spekulation in einen Gegensatz zum Effektivgeschäft setze, also darunter alle nicht auf effektive Lieferung der Ware, oder (was dem in der Sphäre des Effektenhandels gleichkommt) nicht auf den Erwerb von Anlagepapieren abzielenden Käufe verstehe (die ja damit von selbst in den Nexus der Börsenusance, und des durch diese geschaffenen Geschäftsmechanismus eingeschlossen sind).

Jedenfalls wird man den Begriff Spekulation in diesem engen Sinne verstehen müssen, wenn man von der Bedeutung der Spekulation für den börsenmäßigen Handel spricht, da man ja alsdann diese beiden Begriffe in einen Gegensatz zueinander bringt. Dieser Gegensatz kann aber dann nur der sein zwischen effektivem Geschäft und Differenzgeschaft (in dem oben umschriebenen, weiteren Sinne), innerhalb dessen man dann wiederum als wichtigste Form der Spekulation das Differenzgeschäft im engeren (eigentlichen) Sinne unterscheiden kann. Daß dieses in der Tat für das effektive Geschäft die Bedeutung mindestens, des Schrittmachers habe, ist heute wohl allgemein anerkannt. Insbesondere für den Effektenmarkt bleibt es außer Zweifel, daß die „Spekulation“ den Markt der Spekulationspapiere vergrößert, und die Sicherheit, effektive Geschäfte machen zu können, steigert. Die Gründe (die die Verteidiger dieser Ansicht nicht immer mit der wünschbaren Deutlichkeit anführen, wie denn überhaupt die Markt bildende Funktion der Spekulation gegenüber ihrer Preisausgleichenden Wirkung, obwohl sie mindestens ebenso bedeutsam ist — hier übrigens allein in Betracht kommt — immer stiefmütterlich behandelt wird), hat in mustergültiger Weise schon Isaae de Pinto wie folgt zusammengestellt 26 dessen Ausführungen ich hier im Wortlaut wiedergebe, weil es immer reizvoll ist, zu vernehmen, wie zuerst bestimmte Wahrheiten erkannt und ausgesprochen sind:

1. La facilité de vendre son fonds à terme et de donner Pines et prendre des primes sur ce méme fonds, engage d’abord beaucoup de gens à placer leur argent Qui ne placeraient pas sans ces avantages;

2. il y a un grand nombre de gens pécunieux, tant en Angleterre qu’en Hollande, qui ne veulent pas placer définitivement, leur argent dans les nouveaux fonds pour ne point en courrir les risques pendent la guerre. Mais que fonteils? Is placent cependent pour 10, 15 ou 20 milles livres Sterling en annuités, qu’ils vendent à termes aux agioteurs: au moyen de uos ils ont un gros interst de leur argent, sans stre sujets aux variantes, qui sont pour le compte de l’agioteur; ce mange ce continue pour desannées; et cela sest fait pour des millions De sorte gue le Gouvernement d’Angeleterre a, par ce jeula, balay non seulement l’argent de ceux hui voulaient de ces fonds, mais encore tout l’argent de ceux méme gui n’en voulaient pas.“

Und dann:

„. . . la circulation, que le jeu procure est prodigieuse; om ne peut imaginer combien il facilite les moyens de se défaire i tout moment et à toute heure de ces fonds et cela pour des sommes considérables. Oest à cette facilité que les particuliers ont à se défaire de ces fonds, que l’Angleterre est redevable en partie de celle Juelle a en de faire ces normes emprunte.“

Nicht zu vergessen der Tendenz zur Nivellierung und Unifizierung des Effektenwesens, durch deren Entfaltung die Spekulation ebenfalls unzweifelhaft marktbildend wirkt, weil sie den Besitzwechsel der einzelnen Stücke, die dann auchim Termine gehandelt werden können, natürlich erleichtert:ich denke an Vereinheitlichung der Zinssätze, der Zinstermine, Ablösung von der einzelnen Kasse usw. (206).

Dann wäre aber auch noch festzustellen, das das, was man die „Berufsspekulation“ nennt, diesen Namen nur zum Teil verdient. Jene 1000 oder 2000 Personen an den großen Börsen, die, wie man sagt, „die Spekulation“ gewerbsmäßig betreiben, betreiben in Wirklichkeit und genau gesprochen den Effektenhandel gewerbsmäßig und zwar teilweise als Effektiv-, teilweise als Differenzhandel und ersetzen in gewissem Sinne den dealer, der Londoner Stock Exchange, Im Jobber schneiden sich also die beiden Kreise: Effektivhandel und Spekulationshandel, sodaß wir folgende Kategorien börsenmäßigen Handels zu unterscheiden, haben:

1.gelegentlichen Effektivhandel (Handel des anlagesuchenden Publikums oder seiner Beauftragten);

2. gelegentlichen Spekulationshandel (Spekulation der nicht „berufsmäßigen“ Spekulanten, die wieder Spekulation von Insiders [die Großspekulation] und Outsiders ist);

das Gewerbe des „Jobbers“:

3. berufsmäßigen Elektivhandel

4. berufsmäßigen Spekulationshandel

Will man nun die Entwicklung der „Börse“ verfolgen, so wird man (von der allmählichen Herausbildung der äußeren Organisation abgesehen) nachzugehen haben:

1. der Entwicklung eines berufsmäßigen Effektenhandels;

2. der Entwicklung der Spekulations-(Terminhandels-) Technik.

Um diese beiden Entwicklungsreihen ranken sich oder in sie fügen sich ein alle andern Erscheinungen, die zusammen mit jenen beiden die „Börse“ ausmachen,

Daß uns bis heute eine Entwicklungsgeschichte der Börse fehlt, ist ein nicht genug zu beklagender Ubelstand. Ich muß deshalb, da ich natürlich in diesem Zusammenhange jene Riesenlücke auch nicht einmal oberflächlich stopfen kann, mich damit begnügen, um die Paar Flicken, auf deren Aufzeigung es mir ankommt, auch nur befestigen zu können, notdürftig ein bischen Hintergrund herzurichten, auf dem sich die besonderen Tatsachen, über die ich zu berichten habe — und das ist ja der Anteil der Juden an der Herausbildung der Effektenbörse (die Produktenbörse muß ich einstweilen mangels jeglichen Materials unberücksichtigt lassen) — so gut wie möglich abheben.

Die Geschichte der Börse zerfällt in zwei große Perioden, in die Zeit seit ihren Anfängen im 16. Jahrhundert bis etwa um die Wende des 19. Jahrhunderts: die Periode des inneren Wachstums, während welcher sich alle Einrichtungen der Börse, zur Reife entwickeln, ohne daß sie selbst schon einen organischen Bestandteil des Wirtschaftslebens bildete, und in die Zeit seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts bis heute: die Periode, in der nach und nach alle Teile der Volkswirtschaft vom Börsenwesen durchdrungen werden.

Unser Augenmerk wird sich natürlich vornehmlich wieder auf die erste Periode zu richten haben: die Zeit der intensiven, Entwicklung, des stillen Reifens. 

Daß wir den Ursprung der modernen Effektenbörse. im Wechselhandel oder wenn man den Begriff mehr im Außerlichen Sinne fassen will: in der Vereinigung der Wechselhändler zu suchen haben, darf jetzt wohl als sicher gelten 20: die Plätze, an denen im 16. und dann namentlich im 17. Jahrhundert namhafte Börsen entstehen, sind sämtlich vorher Mittelpunkte eines regeren Wechselverkehrs gewesen.

Nun können wir aber deutlich wahrnehmen, daß in der Zeit, in der die Börsen emporblühen, die Juden den Wechselmarkt, fast ausschließlich beherrschten. Das Wechselgeschaft gilt im 16. und 17. Jahrhundert, zum Teil noch später, vielerorts geradezu als eine Domäne der Juden.

Für Venedig (im 16. Jahrhundert) habe ich in anderem Zusammenhange die Belege schon beigebracht (208)

In Amsterdam begegnen wir ihnen gleichfalls als hervorragende Wechsel- und Geldsortenhändler, ausdrücklich erwähnt freilich erst für das Ende des 17. Jahrhunderts?“; es liegt aber kein Grund vor, anzunehmen, daß sie es vorher nicht gewesen wären.

Gleichsam eine Filiale von Amsterdam war im 17. Jahrhundert Frankfurt a. M. Nun: schon im 16. Jahrhundert berichtet uns Stephanus (210) von den Juden, welche der Messe zwar „nicht zur Zierde, wohl aber zum Vorteil gereichten, besonders im Wechselgeschäft“. Im Jahre 1685 klagen die christlichen Kaufleute Frankfurts, daß die Juden das ganze Wechselgeschäft und die Maklertätigkeit an sich gezogen hätten? Freunde der Glückel von Hameln haben „Handel mit Wechseln und sonstigem, wie es bei Juden Brauch ist, geführt (212).

In Hamburg bürgern die Juden das Wechsel- und Bankgeschäft erst ein. Ein Jahrhundert nachher (1733) außert sich ein Gutachten bei den Senatsakten über die Bedeutung der Juden, als Wechselhändler dahin, daß im Wechselgeschaft. die Juden, „fast gantz Meister“ seien, „die Unsrigen überflügelt“ hätten (213). Noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren die Juden in Hamburg fast die einzigen regelmäßigen Wechselkäufer,

Von deutschen Städten wird uns noch von Fürth ausdrücklich bestätigt, daß der Wechselhandel (während des 18. Jahrhunderts) „größten Teils in ihren Händen“ lag (214).

Über die Zustände in Wien, das bekanntlich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts sich als Börsenplatz eine hervorragende Stellung eroberte, berichtet der Staatskanzler Ludewig aus der Regierungszeit Leopolds I. (215) 

„Praesertim Viennae ab opera et fide Judaeorum res saepius pendent maximi momenti. Cambis praesertim et negotia primi ordinis nundinatorum“

Von den Juden in Bordeaux heißt es sie: 

„leur principal. commerce est de prendre les lettres de change et d’introduire l’or et l’argent dans le royaume“.

Daß die Juden in Stockholm im Anfang des 19. Jahrhunderts den Wechselmarkt beherrschten, erfahren wir aus einem Gutachten des Abgeordneten Wegelin (1815) (217).

Wurden die Juden als die Beherrscher des Wechselhandels die Begründer der modernen Effektenborse, so müssen wir doch nun aber als die viel bedeutsamere Tatsache feststellen, daß sie, der Börse und dem Börsenhandel auch ihr eigenartiges Gepräge, aufgedrückt haben. Dies aber dadurch, daß sie offenbar die „Väter des Termingeschafts“, die Schöpfer der Technik des börsenmäßigen Handels, wenn man will, also auch die Väter der Börsenspekulation gewesen sind.

In welche Zeit wir die Anfänge der Effektenspekulation verlegen sollen, können wir im Augenblick noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Italianisten möchten gern auch für diese Erscheinung des modernen Wirtschaftslebens die Priorität Italiens gewahrt sehen. Wenn’s nach Sieveking ginge, hätten wir im 13. oder doch spätestens im 14. Jahrhundert in Genua schon alle Arten von Stockjobberei in höchster Blüte. Er meint darüber (218):

„Die Anteile an der Staatsschuld waren veräußerlich … Die schwankenden Kurse gaben Anlaß zu einem lebhaften Handel mit Schuldanteilen, wie wir ihn in Genua schon im 13. Jahrhundert verfolgen können, Ja aus den Akten des Genueser Handelsgerichts und aus Venedig lassen sich um 1400 Spekulationsgeschäfte in solchen loca nachweisen, die die Form von Termin- und Differenzgeschäften trugen“

Was er selbst aber bisher aus diesen Akten mitgeteilt hat, rechtfertigt dieses Urteil nicht (219). Im Notfall könnte man für Venedig im 15. Jahrhundert, Spuren des Differenzgeschäftes nachweisen — wie denn dort, auch schon im Jahre 1421 ein Verbot gegen den Handel mit Bankierscheinen erlassen wurde. Die Beispiele jedoch, die wir für den Verkehr mit loca in Genua kennen lernen, ganz sicher, die aus dem 13. Jahrhundert, aber wie mir scheint, auch die aus dem 15. Jahrhundert, entbehren jeden „spekulativen“ Charakters, auch wenn man den Begriff Spekulation recht weit faßt. Es sind alles Effektivgeschäfte, die von Privatpersonen, nicht einmal von berufsmäßigen Stockhändlern, abgeschlossen werden.

Will man nicht völlig in die Irre gehen und sich durch irgend eine gelegentlich auftauchende Erscheinung in den Sumpf locken lassen, so muß man immer die allgemeine Stimmung, die Wirtschaftsgesinnung, wie ich es nenne, zu Rate ziehen. Da sehen wir denn nun in unserem Falle, daß noch im 16. Jahrhundert, alles, was nach Blankoverkauf aussah, strengstens verpönt war, nicht etwa nur in der konservativen Menge oder in den Regierungsstuben, sondern bei den allerfortgeschrittensten Leuten, wie es beispielsweise Seravia della Calle unstreitig war. Der schreibt denn nun aber in seinen „Institutionen: „d molto pinmalvagio mercato Juello che fanno coloro che vendono una cosa prima che la comprino (220).

Ich denke daher, es wird einstweilen sein Bewenden haben bei dem Urteile Ehrenbergs, das dahin lautet (221): Das Termingeschäft kommt zwar im 16. Jahrhundert schon vor, ist aber nirgends schon als Hauptwerkzeug der Spekulation erwähnt.

Nicht im 13. Jahrhundert in Genua, sondern im 17. Jahrhundert in Amsterdam haben wir die Anfange der modernen Börsenspekulation zu suchen. Und zwar, wie ziemlich deutlich sich erkennen läßt, sind es die Aktien der ostindischen Kompagnie gewesen, an denen sich die Stockjobberei emporgerankt hat.

Die große Masse gleichartiger Papiere, die plötzlich in Umlauf kamen, die stark verbreitete Spielsucht, das starke Interesse, das man an dem Unternehmen von Anfang an genommen hatte, die schwankenden Erträge und die sich daran knüpfenden Stimmungsschwankungen: alles dies wirkte offenbar zusammen, um auf dem wohlvorbereiteten Boden der Amsterdamer Börse, die Spekulation in Aktien rasch zur Blüte zu bringen(222). In der kurzen Zeit von acht Jahren war sie schon so allgemein verbreitet und wurde sie schon so eifrig betrieben, daß sie von der öffentlichen Gewalt als Übelstand empfunden wurde, den es galt, durch Gesetze aus der Welt zu schaffen: das Plakat der Generalstaaten vom 26. 2. 1610 verbot bereits, mehr Aktien zu verkaufen, als man wirklich besaß. (Diesem Verbot sind dann natürlich ohne daß sie den geringsten Erfolg gehabt hätten, noch viele gefolgt: 1621, 1623, 1677, 1700 usw.).

Würde man fragen, wer in Aktien spekulierte, so würde die Antwort lauten müssen; jeder, der das Geld dazu aufbringen konnte. Vor allem wohl die reichen Besucher der Börse, wahrscheinlich ohne Unterschied der Konfession.

Trotzdem aber werden wir annehmen dürfen, daß die Juden bei dieser Entwicklung der ersten Börsenspekulation eine hervorragende Rolle vor den andern Beteiligten gespielt haben. Was, wie es scheint, ihr eigenstes Werk dabei war, war die Ausbildung eines berufsmäßigen Effektenhandels einerseits, der Technik des Termingeschäfts anderseits. Wir haben einige Zeugnisse, die die Richtigkeit dieser Annahme ausdrücklich bebestätigen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts galt es als ausgemacht, daß die Juden den Aktienhandel „erfunden“ hätten (223). Das ist natürlich noch kein Beweis dafür, daß die behauptete Tatsache wahr sei. Immerhin ist eine derartige allgemein verbreitete Ansicht, auch wenn sie in späterer Zeit ausgesprochen ist, nicht ohne weiteres als belanglos von der Hand zu weisen, zumal wenn sie in ihrer Richtigkeit durch andere Indizien bestätigt wird. Zunächst dies: die Ansicht beweist, daß man die Juden für besonders geeignet hielt, jene Erfindung gemacht zu haben. Sie waren also jedenfalls in jener Zeit die Hauptbeteiligten. Das wird uns auch von anderer Seite bestätigt. Sogar (was wichtig ist) für eine erheblich frühere Zeit: die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts durch den schon genannten, Nic. Muys van Holy. Was wir ferner als verbürgt ansehen, können, ist der Umstand, daß die Juden am Aktienbesitz bei beiden indischen Kompagnien stark beteiligt waren. Für die ostindische haben wir dafür das zuverlässige Zeugnis de Pintos (224) für die westindische, deren Aktien ein noch wilderes Spekulationsfieber entfachten, den Brief der Direktoren an Stuyvesant (225) in dem sie ihn anweisen: die Juden in Neu-Amsterdam zuzulassen „also because of the large amount of capital which they, have invested in shares in this Companny“; für beide Kompagnien den Bericht Manasseh ben Israels an Cromwell (226), in dem der Verfasser bemerkt „that the Jews were enjoying a good part af the (Dutch) Est and West India Company.

Besonderen Wert lege ich aber auf die Tatsache, daß am Ende des 17. Jahrhunderts ein portugiesischer Jude in Amsterdam dasjenige Buch schrieb, das zum ersten Male den börsenmäßigen Handel in allen seinen Verzweigungen erschöpfend behandelte, und zwar, wie uns ein gewiegter Kenner versichert, in einer Weise, daß es „bis zum heutigen Tage nach Form und Inhalt die beste Darstellung des Fondsverkehrs geblieben“ ist. Ich meine Don Jos. de la Vegas Confusion de confusiones usw. die 1688 erschien (227). Daß also ein Jude der erste „Theoretiker“ des Terminhandels war, ist durch das Dasein dieser Schrift verbürgt. De la Vega war aber selbst Kaufmann und seine Darstellung ist offenbar nichts anderes als der Niederschlag der geistigen Atmosphäre, in der er lebte. Bringen wir diese schriftstellerische Leistung in Zusammenhang mit allem übrigen, was wir von der Wirksamkeit der Juden an der Amsterdamer Börse, in Erfahrung gebracht haben, angefangen von ihrer Tätigkeit als Wechselhändler, ziehen wir in Betracht die Anschauungen, die im 18. Jahrhundert über die Rolle, die sie bei der Entstehung, des Aktienhandels gespielt haben, allgemein verbreitet waren, so wird, da doch immerhin einige rationale Erwägungen unserer Schlüsse in gleicher Richtung bestimmen werden, das Gesamturteil tatsächlich, denke ich, in dem oben genannten Sinne dahin, lauten müssen: mindestens, daß die Juden bei der Genesis des modernen Börsenhandels in entscheidender Weise mitgewirkt haben, wenn nicht: daß sie seine Väter sind.

Möchte aber noch immer jemand an der Richtigkeit dieser Ansicht zweifeln, so bin ich in der glücklichen Lage, jenem Indizienbeweis noch einen unmittelbaren Zeugenbeweis beifügen, zu können, von dem ich selbst erst (dank einem Hinweise meines Freundes André E. Savous in Paris) Kenntnis erhalten habe, nachdem ich jene Zeilen niedergeschrieben (und an anderer Stelle veröffentlicht) hatte.

Wir besitzen nämlich einen Bericht, wahrscheinlich des französischen Gesandten im Haag an seine Regierung, aus dem Jahre 1698, in dem klipp und klar ausgesprochen ist, daß die Juden den Börsenhandel in Wertpapieren in ihrer Hand haben und nach ihrem Gutdünken gestalten. Die wichtigsten Stellen dieses Berichtes lauten wie folgt (228):

„Dans cet Etat (Holland) les Juifs font une grosse partie; et c’est sur les pronostics de ces prätendus spéculateurs politiques, tres vacillants eur-mémes, que les prix de ces actions sont dans des variations si continuelles quelles donnent lieu plusieurs fois le jour à des négociations qui mériteraient mieur le nom de jen ou de pari, et d’autant mieux gue les Juiss, qui en sont les ressorts, 9 joignent des artifices qui lui font toujours de nouvelles dupes méme de gens du premier ordre.“ (Also schon künstliche Beeinflussung der Börse)

„. . . leurs courtiers et agents juise, les hommes les plus adroits en ce genre qu’il y ait an monde . . .  „change et actions, dans tous lesquels genres de choses ayant tonjours entre eux de grosses masses et provisions . . . „

Also zu deutsch etwa

„In diesem Staat (Holland) spielen die Juden eine große Rolle, und nach den Prognostiken dieser vorgeblich politischen Spekulanten, die selbst oft in Ungewißheit sind, sind die Preise dieser Aktien in so beständigem Schwanken, daß sie mehrere Male des Tages Handelsgeschäfte verursachen, welche eher den Namen eines Spieles oder einer Wette verdienten, um s0 mehr, als die Juden, welche die Triebfedern dieses Gebarens sind, Kunststückchen dabei ausüben, welche die Leute immer wieder aufs neue foppen und zum Besten halten, selbst wenn es die tüchtigsten sind.“

„. . . ihre jüdischen Makler und Agenten, die geschicktesten Leute, dieser Art, die es auf der Welt gibt, . . . “ „Wechsel und Aktien, in welcher Art von Dingen sie immer große Summen und Vorräte halten.“

Der mit allen Geheimnissen der Börsenmache vertraute Verfasser berichtet uns sehr ausführlich, wodurch vornehmlich es den Juden gelang, jene beherrschende Stellung an der Amsterdamer Börse einzunehmen. Ich komme darauf in anderem Zusammenhange noch zu sprechen.

Helles Licht fällt aber auch auf die Zustände an der Amsterdamer Börse, wenn wir die anderen Börsen jener Zeit in ihrer Entwicklung verfolgen.

Wir wenden uns zunächst nach London, demjenigen Platze, der vom 18. Jahrhundert ab Amsterdam den Rang ablief und sich, wie bekannt, zum bei weitem ersten Börsenplatze, entwickelte. In London ist aber der Einfluß der Juden auf die Effektenbörse vielleicht noch deutlicher wahrzunehmen als in Amsterdam. Und es läßt sich außerdem mit einiger Sicherheit nachweisen, daß die große Förderung, die die Börsenspekulation in London gegen Ende des 17. Jahrhunderts erfuhr, auf die Tätigkeit Amsterdamer Juden zurückzuführen ist, die damals nach London übersiedelten. Dadurch aber wird die Geschichte, der Londoner Börse zu einem neuen Beleg für die Richtigkeit der Ansicht, daß die Ausbildung des börsenmäßigen Handels in Amsterdam vornehmlich das Werk der Juden gewesen ist. Denn offenbar waren sie dann so erfahren in diesen Dingen, daß sie zu Lehrmeistern an einer doch immerhin schon recht bedeutenden Stätte kaufmännischen Lebens werden konnten.

Über die einzelnen Etappen, in denen die Juden die Londoner Börse eroberten, wissen wir folgendes.

Im Jahre 1657 mus Sol. Dormido seine Aufnahme in die Royal Exchange erst noch beantragen, denn die Juden sind offiziell von dem Besuch der Börse ausgeschlossen. Das Gesetz, das diese Ausschließung bestimmt, scheint aber ganz und gar in Vergessenheit geraten zu sein. Jedenfalls finden wir gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Börse (seit 1698 Change Aller), schon voller Juden. Ihre Anzahl war so groß, daß ein besonderer Teil des Gebäudes als Jews Walk bezeichnet wurde. „Die Börse ist gedrängt voll von Juden“ („the Alley throngs with Jews“) schreibt ein Zeitgenosse? (229) Hing die Auswanderung nach Change Alley mit der wachsenden Beteiligung der in der Royal Exchange mißliebig bemerkten Juden zusammen? Mit dem Exodus beginnt jedenfalls die Fondsspekulation in England (230).

Woher diese plötzliche Uberflutung? Wir wissen es genau. Sie rührte von den zahlreichen Juden her, die im Gefolge Wilhelms III. von Amsterdam herübergekommen waren. Und diese brachten nun, wie schon erwähnt, die ausgebildete Technik des Börsenhandels mit nach London. Daß die Darstellung, die John Francis von diesen Vorgängen gibt, der Wirklichkeit durchaus entspricht, wird durch zahlreiche Zeugnisse, die erst in neuerer Zeit namentlich von den Judaisten beigebracht sind, bestätigt:

Die Börse erschien wie Minerva: sie sprang völlig gerüstet, hervor; die Hauptegorianten der ersten englischen Anleihe waren Juden; sie standen dem Oranier Wilhelm III. mit ihren, Ratschlägen zur Seite und einer von ihnen, der reiche Medina, war Marlboroughs Bankier, zahlte ihm jährlich 6000 Pfund Pension und erntete dafür die Erstlinge der Kampagnenachrichten, Die Siegestage des englischen Heeres waren für ihn ebenso gewinnabwerfend als für Englands Waffen ruhmreich. Alle Kunstgriffe der Hausse und Baisse, die falschen Nachrichten vom Kriegsschauplatz, die angeblich angekommenen Kuriere, die geheimen Börsenkoterien, das ganze geheime Räderwerk des Mammons war den ersten Vätern der Börse bekannt und ward auch von ihnen gehörig ausgebeutet.

Neben Sir Solomon Medina, the Jev Medina, wie er hieß, den man als den Begründer der Fondsspekulation in England, ansehen darf, kennen wir noch eine ganze Reihe anderer großer, jüdischer Geldleute aus der Zeit der Königin Anna, die im großen Stile an der Börse spekulierten, Manasseh Lopez, wissen wir, gewann ein großes Vermögen dadurch, daß er eine (infolge falschen Alarms; die Königin sei tot, entstandene) Panik ausnutzte und alle Regierungsfonds, die rasch im Preise fielen, aufkaufte. Ahnliches wird aus einer späteren Zeit von Sampson, Gideon berichtet, der als „the Great Jew broker“ unter den „Gentile bekannt war (231). Um die finanzielle Stärke der Juden im damaligen London zu ermessen, muß man bedenken, daß man im Anfang des 18. Jahrhunderts die Anzahl der jüdischen Familien mit 1000—2000 Pfund Jahreseinkommen auf 100, die mit 300 Pfund auf 1000 schätzte (Picciotto), während einzelne Juden, wie die Mendes da Costa, Moses Hart, Aaron Francks, Baron d’Aguilar, Moses Loper, Pereira, Moses oder Anthony da Costa (der Ende des 17. Jahrhunderts Direktor der Bank of England war) u. a. zu den reichsten, Kaufleuten Londons gehörten.

Aber fast noch bedeutsamer als diese Kreierung der großzügigen Börsenspekulation durch große Geldleute erscheint mir der Umstand, daß offenbar auch der berufsmäßige Effektenhandel und damit die sogenannte „Berufsspekulation“ an der Londoner Börse durch Juden eingeführt sind. Diese beiden Erscheinungen sind während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ebenfalls erst aufgetaucht, und zwar sind sie allem Anschein nach von den Brokers ins Leben gerufen. Der Broker hat also seinen schroffen Widerpart: den Jobber selbt erzeugt.

Dieser Vorgang ist, soviel ich sehe, bisher nicht bemerkt worden. Er läßt sich aber mit aller nur wünschbaren Deutlichkeit an der Hand der zeitgenössischen Quellen verfolgen.

Postlethwayt, der in allen diesen Dingen ein durchaus zuverlässiger Gewährsmann ist, berichtet uns darüber wie folgt (282):

„Stock Jobbing … was at first only the simple occasional transferring of interest and shares from one to another as persons alienated their estates; but by the industry ofther stock-brokers, wo got the business into their hands, it became a trade; and one, perhaps, which has been managed with the greatest intrigue, artifice and trick that every any thing wich appeared with a face of honesty could be handled with; for, while the brokers held the box, the made the whole exchange the gamesters, and raised and lowered the prices of stocks as they pleased and always has both buyers and sellers, who stood ready, innocently to commit their moner, to the merey of their mercenary tongues“ usw.

Nun wissen wir aber aus anderen Berichten, daß die Juden an dem Stande der Brokers einen ganz besonders starken Anteil hatten. Schon 1697 wurden an der Londoner Börse von insgesamt 100 vereidigten Brokers 20 auf Fremde und Juden gerechnet? Und wir dürfen annehmen, daß sich in den folgenden Jahrzehnten ihre Anzahl noch vermehrte. „The Hebrews flocked to Change Alley from every huarter under heaven“ urteilt, Francis an der Hand zeitgenössischer Quellen, Jedenfalls erfahren wir von einem sehr gewissenhaften Beobachter aus der 1730 er Jahren (also ein Menschenalter nach ihrem Einbruch in die Londoner Börse), daß es zu viel jüdische Makler gab, um sie alle als Makler zu beschäftigen und daß diese Übersetzung des Gewerbes die Veranlassung bot, mehr als die Hälfte von ihnen in den (berufsmäßigen) Effektenhandel zu drängen, sie also aus brokers in jobbers zu verwandeln: ihre Überzahl, schreibt unser Gewährsmanns „has occasiond almost on Halk of the Jew Brokers to run into Stock jobbing“. Nach demselben Gewährsmann sollen im damaligen London schon 6000 Juden ansässig gewesen sein.

Diese Entstehung der Stock-jobberei aus dem Maklertum, wie wir sie hier für die Londoner Börse deutlich aus den zeitgenössischen Berichten ablesen können, scheint übrigens nicht auf London beschränkt zu sein. Auch in Frankfurt a. M. dürfte, sich die Entwicklung Ähnlich vollzogen haben. Jedenfalls wissen wir, daß dort gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Juden zunächst auch das Maklergewerbe ganz in ihre Hände gebracht hatten (234), von welcher Stellung aus sie dann wahrscheinlich sich dort ebenfalls den berufsmäßigen Fondshandel (und die damit verbundene „Berufsspekulation“) erobert haben.

Auch in Hamburg haben die Portugiesen schon 1617 4 Makler, später 20 (285).

Ziehen wir nun noch in Betracht, daß die allgemeine Meinung den Juden auch die Ausbildung des Arbitragegeschäfts an der Londoner Börse zuschrieb, ferner, daß bei der gleich zu besprechenden grandiosen Ausgestaltung, die die Fondsspekulation seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zunächst in London erfährt, die Juden ebenfalls stark beteiligt sind, so werden wir kaum umhin können, dem Urteil, zu dem ein anderer Forscher, auf Grund eingehender Studien gelangt ist beizupflichten: daß London, wenn es heute der Mittelpunkt des Geldverkehrs der ganzen Erde ist, es dies vornehmlich den Juden verdankt.

Hinter Amsterdam und London treten alle anderen Effektenbörsen während der ganzen frühkapitalistischen Epoche weit zurück. Auch in Paris erwacht doch erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein regeres Leben. Den ersten Spuren der Fondsspekulation oder Agiotage, wie sie bekanntlich in Frankreich heißt, begegnen wir dort im Anfange des 18. Jahrhunderts. Rankes (288) findet das Wort „Agioteur“ zum ersten Male erwähnt in einem Schreiben der Elis, Charlotte vom 18. Janner 1711. Die Schreiberin meint, der Ausdruck stamme von den Billets de monnaye: früher habe man nichts davon gewußt. Die Law-Periode hinterließ offenbar keine dauernden Spuren. Denn noch in den 1730er Jahren empfindet man den Abstand gegenüber den kapitalistisch fortgeschrittenen oder doch wenigstens börsenmäßig schon stärker bewegten Nachbarländern Holland und England in Frankreich sehr. Mélon äußert sich darüber also von „La circulation des fonds est une des plus grandes richesses der nos voisins; leur banque, leurs annuités, leurs actions, tout est en commerce chez eux“. Also in Frankreich noch nicht. Und noch im Jahre 1785 sagt ein Edikt (vom 7. August): „le roi est informé, que depuis quelque temps il Sest introduit dans la Capitale un genre de marché“ etc., nämlich der Terminhandel in Effekten.

Dieser niedrige Stand, den die Entwicklung des Börsenhandels in Frankreich während des 18. Jahrhunderts noch aufwies, ist der deutliche Ausdruck der verhältnismäßig geringen Bedeutung, die die Juden für das französische, in Sonderheit Pariser Wirtschaftsleben in jener Zeit hatten. Da die Orte, wo sie schon damals auch in Frankreich eine größere Rolle spielten, wie Lyon und Bordeaux, doch wohl als Pflanz- und Pflegestatten, des Effektenhandels nicht geeignet waren. (In Lyon war die kurze, in ihren Ursachen noch nicht genügend aufgedeckte Blütezeit, während welcher der Platz Mittelpunkt eines regeren Effektenverkehrs während des 16. Jahrhunderts gewesen war (240), doch ohne Nachwirkung geblieben.)

Das wenige immerhin, was Paris während des 18. Jahrhunderts an Börsenspekulation und berufsmäßigem Effektenhandel besaß, verdankte es doch wohl auch den Juden. Der Sitz der Fondsspekulation in Paris, wo auch die erste Agiotage mit den „billets de monnaye“ sich abspielte, war (und blieb lange Zeit hindurch) die durch den Law-Schwindel später, so bekannt gewordene Rue Quincampoix. Hier aber wohnten, wie uns ein etwas später schreibender Gewährsmann berichtet (241) „viele Juden“. Der Mann aber, an dessen Namen sich diese erste Fondsspekulation recht eigentlich knüpfte, ein großer Meister der Agiotage vor Law, war der bekannte Finanzmann Ludwigs XIV., Samuel Bernard. Nach ihm heißen die Billets de monnaye, als sie nachher entwertet waren, „Bernardines“ Was aber John Law außer seinem Phantasmus an börsentechnischen Kenntnissen besaß, hatte er in Amsterdam gelernt (243). Ob Law selbst Jude war (Lav — Levy), wie behauptet wird es habe ich nicht feststellen können, Möglich ist es. Sein Vater war bekanntlich „Goldschmied (und Bankier). Daß er „reformiert“ war, ist natürlich kein Hinderungsgrund. Für sein Judentum spricht das jüdische Aussehen des Mannes auf manchen Bildern (zum Beispiel auf dem in der deutschen Ausgabe seiner „Gedanken vom Waren- und Geldhandel“ usw. aus dem Jahre 1720). Dagegen eigentlich der Grundzug seines Wesens, der doch ein seltsames Gemisch von Seigneurialismus, und Abenteurertum war.

In Deutschland gelangten während des 17. und 18. Jahrhunderts nur die Börsen von Frankfurt a. M. und Hamburg. also der beiden Judenstädte par excellence, zu einiger Bedeutung. Wie deutlich sich der Einfluß der Juden auf diese beiden Börsen, nachweisen läßt, wurde an anderer Stelle schon gezeigt.

Als eine wesentlich jüdische Institution ist aber auch die Berliner Börse von vornherein ins Leben getreten. Im Anfang, des 19. Jahrhunderts schon, noch ehe die Juden die Freiheit erlangten (1812), ragten sie selbst ziffermäßig hervor: von den vier „Vorstehern der Börse waren zwei (!) Juden; das „Börsen-Committé“ aber bildeten folgende Personen;

1. die Herren Börsenvorsteher — 4

2. die Altesten der beiden Gilden — 10.

3. von der Elbschiffergilde — 1

4. von den Kaufleuten jüdischer Nation dazu erwählt — 8

Also von 23 Mitgliedern waren 10 (NB. anerkannte!) Juden; wieviel außerdem getaufte und Kryptojuden, läßt sich nicht feststellen.

Wiederum sehen wir sie auch in Berlin stark im Maklergewerbe vertreten: von sechs vereidigten Wechselmahlern sind drei Juden (von den zwei vereideten Warenmaklern der Tuch- und Seidenhandlung ist einer Jude, und der Substitut ist auch Jude; also von drei im ganzen sind zwei jüdischer Konfession) 245.

Fondshandel und Fondsspekulation hat es in Deutschland während des 18. Jahrhunderts wohl nur in Hamburg und Frankfurt a. M. gegeben. Von Hamburg wissen wir, daß schon im Anfang des 18. Jahrhunderts der Aktienhandel verboten wurde. Ein Mandat des Hamburger Rats vom 19. Juli 1720 läßt sich also vernehmen:

„Demnach E. E. Rath mit großer Befremdung und Misfallen vernommen, welcher Gestalt einige Privati, unter dem Prätext einer Assecuranz-Compagnie sich eigenmächtig unternommen, einen sog. Actien-Handel zu veranlassen und anzufangen; daraus aber gar viel gefährliche und dem Publico sowohl als Privatis höchst nachtheilige Folgen zu besorgen“ usw.

In dem Hamburger Münz- und Medaillenvergnügen (1753), Seite 143, Nr. 4 findet sich eine auf den Aktienhandel geprägte Denkmünze. Auch Raumburger klagt in der Vorrede zu seiner Justitia selecta Gent. Eur. in Cambiis etc. über den „so heillosen und verderblichen fatalen Papier- und Aktienhandel“.

Juden die Väter? Wenigstens das mag festgestellt werden: Die Anregung zum „Aktienhandel“ stammte aus den Kreisen der Assecuradeurs, wie aus dem Mandat des Jahres 1720 hervorgeht. Wir wissen aber, daß bei der Seeversicherung in Hamburg die Juden eine hervorragende Rolle spielten. Im übrigen erfahren wir durch die genannten Zeugnisse über den Börsenhandel in Hamburg nicht sehr viel und gar nichts Genaues, ebenso können wir für Frankfurt a. M. nur Vermutungen anstellen. Auf die erste ganz sichere Spur stoßen wir in Augsburg im Jahre 1817. Wir kennen das Urteil des dortigen Wechselgerichts vom 14. Februar 1817, worin eine Klage auf Zahlung eines Differenzgewinnes mit der Begründung abgelehnt wird, daß solche Geschäfte „Hazardspiel“ seien. Es hatte sich um eine Kursdifferenz von 17630 fl. gehandelt, die aus einem Kauf auf Lieferung von 90000 fl. in Bayrischen Lotteriellosen, entstanden war. Der Kläger hieß Heymann, der Beklagte, H. E. Ullmann! Das ist der erste sicher verbürgte Fall einer Effektenspekulation in Deutschland (247).

Damit haben wir nun aber schon in eine Zeit hinübergegriffen, die ich von der eben betrachteten als eine neue Periode der Börsenspekulation abgehoben wissen wollte. Wodurch kennzeichnet sie sich? Was verleiht ihr das eigenartige, Gepräge, das wir immer nur mit dem schrecklichen Worte, „modern“ bezeichnen können?

Daß die Börse heute eine grundandere Stellung einnimmt, als noch vor hundert Jahren, erkennt man am deutlichsten an der Beurteilung, die sie in den maßgebenden Kreisen damals erfuhr und heute erfährt.

Bis tief in das 18. Jahrhundert hinein will man auch in kapitalistisch interessierten Kreisen von Fondsspekulation gar nichts wissen. Die großen Handbücher und Lexika der Kaufmannschaft, die wir in englischer, französischer, italienischer, deutscher Sprache aus der Mitte und der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besitzen, erwähnen entweder (in den ökonomisch „rückständigen“ Ländern) den Fondshandel und die Fondsspekulation gar nicht; oder — wenn sie davon sprechen, wie Postlethwayt — können sie sich gar nicht genug tun in Entrüstung diesen unerhörten Verirrungen gegenüber. Wie heute der Kleinburger oder der Agrarier über „die Börse“, das heißt eben die Börsenspekulation urteilt, so urteilte im 18. Jahrhundert auch der solide Großkaufmann. Als man im Jahre 1733 die Sir John Bernards Act im englischen Parlament beriet, waren sich alle Redner einig in der Verurteilung der „infamous practice of stockjobbing.“ Und dieselbe scharfe Ausdrucksweise finden wir noch ein halbes Menschenalter später bei Postlethwayt, der von „those mountebanks, we very properly call stock-brokers“ spricht. Stock.jobbing nennt er ein „public grievance“ das „scandalous to the nation“ geworden sei (248).

Kein Wunder, wenn bei dieser allgemeinen Verurteilung der Fondsspekulation alle Gesetzgebungen noch das ganze 18. Jahrhundert hindurch sie strengstens verbieten.

Aber die Misstimmung gegen die „Börse“ reichte noch tiefer. Sie reichte bis zu den Grundlagen, auf denen sie aufgebaut war: sie richtete sich gegen das Effektenwesen selbst. Hier natürlich trat das Interesse der Staatsgewalt auf Seite derer, die es verteidigten. Aber Fürst und Jobber standen in voller Einsamkeit allein gegenüber der geschlossenen Masse aller übrigen Leute, die sich überhaupt ein Urteil bildeten (die Privaten, die sich gern Schuldtitel kauften, kann man natürlich nicht mitrechnen). Das öffentliche Schuldenwesen galt als eine partie, honteuse der Staaten. Die besten Männer erblickten in der fortschreitenden Verschuldung einen der schwersten Übelstände, den man mit allen Mitteln zu beseitigen trachtete, Praktiker und Theoretiker waren darin einig. Man denkt in den Kreisen der Kaufmannschaft ernstlich daran, wie man die Staatsschulden kassieren könnte; und erörtert den Gedanken; ob nicht der freiwillige Staatsbankerott als letzte Rettung zu erstreben sei. Und das in England in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (249). Die Theoretiker urteilten nicht milder. David Hume nennt die Staatsanleihen „a practice .. ruinous beyond all controvergy“ (250).

Und Adam Smith braucht auch, wie bekannt, die stärksten Ausdrücke, um seinem Unwillen über die immer mehr anwachsende Verschuldung der Staaten Luft zu machen: „the ruinous practice of funding“ . . . „the ruinous expedient of perpetual funding“ . . . „has gradually enfaibled every state which has adopted it“ . . .  „(the progress of) the enormous debts, which at present oppress and will in the longrun probably ruin all the great nations of Europe“ (251).

Adam Smith ist wie in jeder Hinsicht auch hier der Spiegel, in dem sich das Wirtschaftsleben seiner Zeit ruhig und klar widerspiegelt. Nichts besser kann die eigentümliche Gestaltung, der damaligen Volkswirtschaft — die ausgebildete frühkapitalistische Wirtschaft — im Gegensatz zu der unsrigen kennzeichnen, als die Tatsache, daß in dem grandiosen Lehrgebäude, des Adam Smith kein einziges Kämmerlein für die Lehre von den Effekten oder von der Börse und dem börsenmäßigen Handel übrig ist. Ein vollendetes System der Nationalökonomie, in der der Börse auch nicht mit einem Worte Erwähnung getan wird!

Und fast um dieselbe Zeit war ein Buch erschienen (dessen, übrigens auch Adam Smith gedenkt, ohne den Verfasser mit Namen zu nennen: „one author“ hat eine verrückte Meinung geäußert, sagte er einmal bei Gelegenheit), in dem nur vom Kredit und seinen Segnungen, von der Börse und ihrer Bedeutung die Rede war; ein Buch, das man recht eigentlich das hohe Lied des öffentlichen Schuldenwesens und des Effektenhandels nennen kann; ein Buch, das ebensosehr mit seinem vollen Gesichte in die Zukunft schaute, wie der Wealth of Nations (als Theorie) der Vergangenheit zugewandt ist. Ich meine natürlich den Traité du credit et de la circulation, der 1771 erschien, und dessen Verfasser Josef de Pinto hieß und – deshalb diese Worte – portugiesischer Jude war. In Pintos Buch ist haarklein und genau alles enthalten, was im 19. Jahrhundert zur Verteidigung des öffentlichen Kredits (wie überhaupt, der Versachlichung der Kreditverhältnisse) sowie zur Rechtfertigung des berufsmäßigen Effektenhandels, der Fondsspekulation usw. dann vorgebracht worden ist. Ebenso wie Adam Smith, die Epoche der börsenschwachen Volkswirtschaft mit seinem System beschließt, ebenso leitet Pinto die moderne Zeit mit seiner Kredittheorie ein, die Zeit, in der nun die Fondsspekulation zum Mittelpunkte des wirtschaftlichen Geschehens, die Börse, zum „Herzen des Wirtschaftskörpers“ wurde.

Leise, aber unaufhaltsam senkte sich von nun ab die Wage der öffentlichen Meinung zugunsten der Kredit- und Börsenwirtschaft in dem Maße, wie diese selbst sich ausbreitete und vertiefte. Allmählich folgte die Gesetzgebung, und als die Napoleonischen Kriege zu Ende geführt waren, als Ruhe im Lande herrschte, da fing nun auch die Börse an — unbehindert, von den lastigen Fesseln einer börsenfeindlichen Gesetzgebung mächtig emporzublühen,

Welches waren nun aber die tatsächlichen Veränderungen, die Effektenwesen und Fondsspekulation in dieser Zeit erfuhren, worin erweist sich in der wirklichen Gestaltung der Dinge (nicht nur in ihrem „ideologischen Widerschein) die Unterschiedlichkeit gegen früher, derentwegen wir von einer neuen Epoche des Börsenverkehrs reden können; und — natürlich unsere Hauptfrage — was hatten die Juden dabei zu tun?

Die Technik der Börsengeschäfte erlebte in der neuen Zeit keine irgendwie wesentliche Veränderungen, Sie stand im Jahre 1688, als de la Veja sein Buch erscheinen ließ, vollendet da. Daß noch diese oder jene Nebengeschäftsform hinzuwuchs, versteht sich von selbst. Auch hier werden wir immer auf Juden stoßen, wenn wir etwa die Recherche de la paternité anstellen, So fand (252) zum Beispiel als Begründer des Assekuranzgeschäfts (in Deutschland) W. Z. Wertheimer in Frankfurt a. M., ebenso als Begründer des sog. Heuergeschäfts (zu dessen Betrieb, sich in Berlin im Anfang des 19. Jahrhunderts eine eigene Gesellschaft unter der Firma „Promessen Komité“ gebildet hatte).

Aber der Schwerpunkt der Entwicklung liegt doch nicht hier in dieser Weiterbildung der Geschäftsformen; er liegt vielmehr, wenn ich es in einem Schlagwort ausdrücken darf, in der extensiven und intensiven Steigerung des Fondsverkehrs.

Wie rasch sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, dann aber noch in viel reißenderem Tempo seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts die Anzahl und Menge der öffentlichen Schuldverschreibungen vermehrt, ist ja bekannt. Damit natürlich dehnt sich in gleichem (oder noch größerem) Maße die Fondsspekulation aus. Diese hatte bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts selbst in Amsterdam und London doch eigentlich nur geplänkelt, und zwar mit Vorliebe im Aktienhandel. Den ersten großen Vorstoß gegen die öffentlichen Anleihen datiert ein zuverlässiger Gewährsmann für Amsterdam (und damit für die damalige Börse, überhaupt) vom Jahre 1763: er berichtet, daß bis dahin vornehmlich in Aktien spekuliert sei; „mais depuis la dernière guerre on Sest jetté dans le vaste Océan des annuité (253). Die an der Amsterdamer Börse notierten Effekten bezifferten sich noch Mitte des 18. Jahrhunderts auf nur 44; darunter waren 25 Sorten inländische Staats- und Provinzialobligationen und 6 deutsche Anleihesorten. Bis zum Ende des Jahrhunderts war die Zahl der inländischen Papiere schon auf 80, die der deutschen auf 30 gestiegen (254). Aber wie rasch wuchs nun der Fondsmarkt, während und namentlich nach den Napoleonischen Kriegen an Waren bis 1770 an der Amsterdamer Börse seit ihrem Bestehen, für 250 Mill. Gulden Anleihen aufgenommen worden, so emittierte, ein einziges Londoner Haus in nur 14 Jahren (von 1818—1832) für mehr als jene Summe, nämlich für 440 Mill. Mark, öffentliche Schuldanweisungen. Das sind alles bekannte Dinge. Aber man weiß auch, wer „das einzige Londoner Haus“ nur sein kann, das in einem Jahrzehnt für eine halbe Milliarde Mark Papiere auf den Markt brachte. Und mit der Erwähnung „dieses einzigen Hauses“ und seiner vier Brüderhäuser habe ich auch schon den Zusammenhang hergestellt zwischen dieser allgemeinen Betrachtung der Fondsentwicklung und der Spezialfrage, die wir aufgeworfen hatten.

Ausdehnung des Effektenmarktes von 1800 bis 1850 heißt die Ausbreitung des Hauses Rothschild und was da drum und dran hing. Denn der Name Rothschild bedeutet mehr als die Firma, die er deckt. Er bedeutet die gesamte Judenschaft, soweit sie an der Börse tätig war. Denn allein mit ihrer Hilfe konnten die Rothschilds die alles überragende Machtstellung, ja man kann getrost sagen: die Alleinherrschaft an der Fondsbörse, erobern, die wir sie während eines halben Jahrhunderts einnehmen, sehen. Es ist gewiß keine Ubertreibung, wenn man gesagt hat, daß (übrigens gilt das für manche Länder bis über die Mitte des Jahrhunderts hinaus) ein Finanzminister, der sich dieses Welthaus entfremdete und mit ihm nicht paktieren wollte, geradezu seine Bureaus schließen mußte. „Es gibt nur eine Macht in Europa“, heißt es um die Mitte des 19. Jahrhunderts, „und das ist Rothschild; seine Trabanten sind ein Dutzend anderer Bankhäuser und seine Soldaten, seine Knappen sind alle ehrlichen Handelsleute und Arbeiter und sein Schwert ist die Spekulation: (A. Weil). Bekannt sind die vielen witzigen Bemerkungen, die Heine über die Rothschilds gemacht hat und in denen sich sicher besser als in langen Zahlenreihen die einzige Bedeutung, dieses seltsamen Phanomens widerspiegelt. „Herr von Rothschild ist in der Tat der beste politische Thermometer, ich will nicht sagen Wetterfrosch, weil das Wort nicht hinlänglich respektvoll klänge“. „Jenes Privatkabinett ist in der Tat ein merkwürdiger Ort, welcher erhabene Gedanken und Gefühle erregt, wie der Anblick des Weltmeers oder des gestirnten Himmels wir sehen hier klar, wie kein der Mensch und wie groß Gott ist“ usw.

Es kann mir nun nichts ferner liegen, als die Absicht, die Geschichte des Hauses Rothschild hier auch nur in den Grundzügen zu schreiben, Jedermann kann sich über die weltgeschichtliche Bedeutung dieses Hauses leicht aus der zum Teil, recht guten, jedenfalls sehr umfangreichen Rothschildliteratur (255) unterrichten. Was ich nur gern möchte, ist dies: ein paar der besonders charakteristischen Züge hervorzuheben, die die Rothschilds der Börse und dem Börsenverkehr eingeprägt haben, um s0 zu zeigen, daß nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht die moderne Börse Rothschildsch (also jüdisch) ist.

Das erste kennzeichnende Merkmal, das die Börse seit den Zeiten der Rothschilds trägt (und das sie ihr deutlich aufgedrückt haben), ist ihre Internationalität. Diese war, wie nicht erst nachgewiesen zu werden braucht, die notwendige Voraussetzung für die gewaltige Ausdehnung des Effektenwesens, das zu seiner Entwicklung des Zusammenstroms der „Kapitalien“ aus allen Ecken und Enden der bewohnten Erde nach den Zentren des Leiheverkehrs, den großen Weltbörsen, bedurfte. Was uns heute als selbstverständlich erscheint: die Internationalität des Kreditverkehrs, war für den Anfang des 19. Jahrhunderts noch etwas, das die größte Bewunderung erregte, wo man es bemerkte. Daß Nathan Rothschild 1808 im Kriege Englands mit Spanien es übernahm, von London aus die Zahlungen für die britische Armee in Spanien auszuführen, galt als eine ungeheure Leistung und begründete recht eigentlich seinen großen Einfluß. Bis 1798 hatte nur das Frankfurter Haus bestanden; 1798 wurde in London, 1812 in Paris, 1816 in Wien, 1820 in Neapel von je einem Sohne des alten Mayer Amschel, wie bekannt, eine Zweigniederlassung begründet. Damit war die Möglichkeit gegeben, die Anleihe jedes fremden Landes wie eine inländische zu behandeln, und damit bürgerte sich beim Publikum die Gewohnheit erst recht ein, sein Geld auch in fremden Papieren anzulegen, weil deren Zinsen und Dividenden nun im Heimatlande in einheimischer Münze bezahlt wurden. Die Schriftsteller aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts berichten als über eine außerordentlich weittragende Neuerung, daß jeder Besitzer von Staatspapieren … die Zinsen nach seiner Bequemlichkeit an mehreren Orten ohne alle Bemühungen erheben (ann); das Haus Rothschild in Frankfurt, bezahlt die Zinsen für mehrere Staatsregierungen, das Pariser Haus Rothschild bezahlt die Zinsen der österreichischen Métalliques, die neapolitanischen Renten, die Zinsen der englisch-neapolitanischen Obligationen nach Belieben in London, Neapel, oder Paris (256).

Wurde auf diese Weise der Kreis der Geldgeber räumlich erweitert, so sorgten andere Maßnahmen der Rothschilds dafür, daß nun auch der letzte Groschen aus der Bevölkerung allerorts, herausgepumpt wurde. Das geschah durch eine geschickte Benutzung der Börse zu Emissionszwecken.

Nach allem, was wir aus den Berichten der Zeitgenossen, herauslesen hat die Ausgabe der österreichischen Rothschildlose im Jahre 1820/21 sowohl für das Anleihewesen, wie für den Börsenverkehr Epoche gemacht. Zum ersten Male wurden hier alle Register der wildesten Fondsspekulation gezogen, um „Stimmung“ für das Papier zu machen, und von dieser Anleihe datiert (wenigstens auf dem Festlande) recht eigentlich erst die Effektenspekulation; man kann sie „füglich als das … Signal zum lebhaften und weithin ausgebreiteten Handel mit Staatspapieren betrachten“ (Bender).

Stimmung machen war die Parole, die von nun an der Börsenverkehr beherrschte, Stimmung zu machen war der Zweck der unausgesetzten Kursverschiebungen durch systematischen Ankauf und Verkauf der Effekten, wie sie die Rothschilde von Anbeginn an bei ihren Emissionen betrieben. „Um nun diese Börsen- und Geldmarktsmanipulationen vornehmen zu können, wurden alle möglichen, ihnen zu Gebote stehenden Mittel angewandt, alle nur auffindbaren Wege eingeschlagen, alle nur zu ersinnenden Börsen- und sonstigen  Machinationen ausgeübt, alle Hebel in Bewegung gesetzt, Geld in größeren und kleineren Summen geopfert (258). Die Rothschilds trieben also „Agiotage“, in dem engeren Sinne, den die Franzosen dem Worte beilegen: das war bis dahin von großen Bankhäusern, namentlich aber von den Anlehnsübernehmern selbst, offenbar noch niemals geschehen. Die Rothschilds verwendeten also das von den Amsterdamer Juden, wie wir sahen, eingeführte Mittel der künstlichen Marktbeeinflussung durch Stimmungsmache zu einem neuen Zwecke: der Lancierung von Effekten.

Aber die so sehr veränderte Stellung des Bankiers zur Börse, und zum Publikum wird uns doch erst verständlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß in jener Zeit, von der die Rede ist – also in der Rothschildepoche – sich in dem kommerziellen Leben neue Kristallbildungen vollzogen hatten, ein neuer Geschäftstyp entstanden war, der nun auch selbständiges Leben, betätigte und selbständige Anforderungen stellte: das Emissionsgeschäft.

III. Die Schaffung von Wertpapieren,

Das Emissionsgewerbe, mit dem wir hier zunächst zu tun haben, verfolgt den Zweck, durch Kreierung von Effekten (Öffentlichen Anleihen), also durch selbständige Effektenmacherei Gewinn zu erzielen. Seine Entstehung ist deshalb für die Weiterentwicklung so entscheidend wichtig, weil in ihm ersichtlich eine kapitalistische Kraftquelle von ungemeiner Stärke erschlossen wird. Elekten entstehen von nun an nicht mehr nur aus dem Bedürfnis des Geldsuchenden, Kreditbegehrenden heraus, sondern ihre Produktion wird zum Inhalt einer eigenen kapitalistischen Unternehmung, deren Interessen also mit der möglichst ausgedehnten Erzeugung dieser Ware aufs engste verknüpft sind. Hatte man früher gewartet, bis der Geldsuchende kam, so wird er von nun an gedrängt. Der Anlehnsübernehmer wird aggressiv, von ihm geht die Anleihebewegung zum guten Teil nun aus. Dieser Tatbestand wird (wie beim privaten Geldleihegeschaft) nur selten deutlich. Wie aber die innere Konstruktion des modernen Anleihewesens im Grunde ist, erkennen wir, wenn es sich etwa um die Versorgung der kleineren Staaten mit Schulden, handelt. Bei ihnen ist, wie bekannt, geradezu eine Art von Geschäftsreisendentum in Anleihewerten organisiert: „now we have wealthy firms with large machinery hose time and staff are devoted to hunting about the world for powers to bring out foreign loans (259).“

Naturgemäß andert sich mit dieser Neubildung auch die Stellung des Anlehnsübernehmers zu Börse und Publikum. Auch ihnen gegenüber muß er jetzt in ganz anderer Weise aggressiv werden, nachdem sein Gewerbe in der Unterbringung von Effekten besteht, denn vorher, als diese Tätigkeit noch eine gelegentliche war.

Eine brauchbare Geschichte des Emissionswesens, und namentlich des Emissionsgewerbes besitzen wir nicht. Wann dieses entstanden ist, können wir nur vermuten; vielleicht wird, sich die Geburtsstunde des Emissionsgewerbes auch nie mit Sicherheit feststellen lassen, weil es sich ganz allmählich aus einer gelegentlichen Anlehnsübernahme heraus entwickelt, und diese selbst lange Zeit zwischen kommissionsmäßiger und eigenhändlerischen Form schwankt. Die Entwicklung zum selbständigen Emissionsgewerbe füllt wohl im wesentlichen in das 18. Jahrhundert, in dem wir jedenfalls die drei Etappen noch deutlich wahrnehmen können, in denen sich die Wandlung vollzieht.

Auf der ersten Stufe der Entwicklung wird wohl ein reiches Bankhaus (oder ein reicher Geldmann), von dem vor der börsenmäßigen Anleiheunterbringung direkt geborgt wurde (sei es, daß der Darleiher allein die Mittel aufbrachte, sei es, daß er sie sich zum Teil von andern verschaffte: dann entstand das, was man etwa ein Darlehn bei einer Depositenbank nennen könnte, was aber auch durchaus verschieden von der modernen Form der Anleihe ist), kommissionsweise mit der Placierung betraut worden sein. Das ist etwa der Zustand, wie wir ihn in Österreich (dessen Finanzgeschichte ganz besonders tüchtige Bearbeiter gefunden hat) während des ganzen 18. Jahrhunderts antreffen. „Größere Anleihen, namentlich jene im Auslande, wurden meist durch Vermittlung eines bedeutenden Bankhauses oder eines Konsortiums von solchen aufgenommen. Die betreffende Firma besorgte dann die Aufbringung des Kapitals im Wege der öffentlichen Subskription, sowie dessen Abfuhr an die Finanzverwaltung oder deren Ordre, übernahm die Auszahlung der fälligen Zinsen und Kapitalsraten an die einzelnen Teilnehmer, nötigenfalls mit Hilfe von eigenen Vorschüssen auf den assignierten Fonds und vermittelte bei Differenzen mit den Interessenten alles natürlich gegen entsprechende Provision (260). Aber auch noch in den 1760er Jahren sehen wir an der Wiener Börse die Privatbankiers lediglich als Kommissionäre der Regierung tätig: ihnen wird bei Konvertierungen „die Verwendung des Amortisationsfonds anvertraut“ aus dem sie die alten Papiere tunlichst 1—1½ % höher als die mitbietenden Privaten aufzukaufen haben (261).

Aber es gab um jene Zeit schon „Eigenhändler in Anleihen“. 1769 „übernahmen italienische und niederländische Häuser bereitwillig die Aufbringung von Anlehen“ (261). Und die bekannte Beschreibung des Emissionswesens bei Adam Smith (B. V. ch. 3) läßt diese Tatsache noch deutlicher erkennen,

„In England . . . the merchants are generally the people who advance money to government. But advancing it they do not mean to diminisk, but, on the contrarv, to increasse their mercantile capitals; and unless they expected to sell with some profit their share in the subscription for a new Joan, they never would subscribe“.

(Während in Frankreich, meint er, die direkte Beteiligung der reichen Geldleute als Selbstdarleiher“ die Regel bilde). „Seit einer Reihe von Jahren haben sich an den größeren europäischen Plätzen Vereine der Hauptbankiers gebildet, welche auf die ihnen willkommenen Anlehn . . . mitbieten.

Die eigenen Emissionshäuser, d. h. solche Geschäfte, deren Haupttätigkeit die Emittierung von öffentlichen Anleihen vurde, scheinen sich aber nicht einmal aus der Masse der Bankiers herausgebildet zu haben, die wir im 18. Jahrhundert deutlich die Emissionstätigkeit, aber offenbar immer nur als eine Nebenbeschäftigung, ausüben sehen, Wahrscheinlicher ist es, daß sie dem Kreise der berufsmäßigen Effektenhändler, also in England der Dealer entstammen, Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wird der Ring Londoner Bankiers, der das Monopol der Staatsanleiheemission besaß, gebrochen durch eine Konkurrenz, die ihnen aus den Kreisen der Börsenleute erwächst. Und zwar ist es wiederum ein jüdisches Haus, das hier den ersten Schritt tut und dadurch eigentlich erst die ganz und gar börsenmäßige Emission begründet. Ich meine die Rothschilds des 18. Jahrhunderts, die Beherrscher von Change Alley in jenen Tagen, Abraham und Benjamin Goldsmid. Sie treten im Jahre 1792 – als die ersten Mitglieder der Stock Exchange (263) — in Wettbewerb mit den Bankiers bei Unterbringung einer neuen Anleihe und beherrschen von da ab bis zum Tode des zweiter Bruders, Abraham, im Jahre 1810 den Anleihemarkt, vielleicht, das erste wirkliche Emissionshaus, das dann in seiner Tätigkeit unmittelbar abgelöst wird vom Hause Rothschild. Diese sind dann wohl das erste Haus, das die dem selbständigen Emissionsgeschaft eigene Geschäftsführung (wie wir schon feststellen konnten) zum ersten Mal zur Anwendung brachte.

Aber es ist klar: von der gewerbsmäßigen Emittierung öffentlicher Anleihen konnten auch nur ganz wenige, große Firmen leben. Die Effektenmacherei als Beruf hätte keine sehr, große Ausdehnung annehmen können, wenn sie sich hätte auf die Fabrizierung offentlicher Schuldtitel beschränken müssen. Ein ganz anderes weites Feld der Tätigkeit bot sich in dem Augenblicke dar, da man Mittel und Wege fand, auch für den privaten Bedarf Effekten herzustellen. Hier durfte man hoffen, bei nur entsprechender Intensität des Angriffs, unübersehbar große, Massen von Abnehmern künstlich zu schaffen. Aus diesem Drang der Efektenfabrikanten heraus, ihren Absatz zu erweitern, entstehen dann die beiden, für alles moderne Wirtschaftsleben so entscheidend wichtigen Unternehmungszweige: das Gründungsgeschäft und das Pfandbriefgeschäft.

Das Gründungsgeschäft hat also zum Inhalt die Herstellung von Aktien und Obligationen zum Zweck des Verkaufs; es wird betrieben von Firmen: „whose business it professedly is to make money by manufacturing stocks and shares wholesale and forcing them upon the public“ (Crump). Welch ungeheurer Drang damit in das Wirtschaftsleben kam, braucht nicht erst gesagt zu werden. Wurde es doch von nun an das Geschäftsinteresse zahlreicher und zum Teil wichtiger Unternehmen, immer wieder neue Kraftzentren des Kapitalismus in Gestalt neuer oder erweiterter Unternehmungen zu schaffen, ganz ohne Rücksicht, auf den Bedarf oder ähnliche stabilisierende Kategorien, Es tritt nun „eine Kraft in Tätigkeit, welche mit übermäßiger, wucherischer Fruchtbarkeit Großbetriebe in Form von Aktiengesellschaften hervorbringt (Knies).

Daß aber die Juden an dieser Steigerung der dynamischen Natur des Kapitalismus, nämlich an der Entwicklung des Gründungsgeschäftes, wiederum hervorragenden Anteil haben, wenn sie es nicht ganz und gar aus sich herausgeboren haben, dürfte kaum noch zweifelhaft sein.

Die Anfange des Gründungsgeschäfts liegen ebenfalls im Dunkeln. Als erster belichteter Punkt in seiner Geschichte hebt sich, soviel ich sehe, abermals die Wirksamkeit des Hauses Rothschild heraus. Eine umfassende Gründertätigkeit, die wohl auch erst die gewerbsmäßige Gründerei erzeugte resp. möglich machte, entfaltete sich scheinbar zum ersten Male, als Eisenbahnen gebaut werden sollten, also seit den 1830 er Jahren. Und hier scheinen in der Tat die Rothschilds (neben einigen anderen jüdischen Häusern, wie den d’Eichthal, den Fould u. a.) die ersten gewesen zu sein, die den neuen Geschäftszweig pflegten und zur Blüte brachten.

Eine genaue ziffermäßige Erfassung dieser Vorgänge besitzen, wir meines Wissens nur immer, insoweit die Länge der konzessionierten Linien oder allenfalls soweit die Höhe des investierten Kapitals in Frage kommt, nicht aber was den Anteil, der einzelnen Gründungshauser anbetrifft. Wir kennen aber immerhin eine große Menge bedeutender Eisenbahnlinien, die von den Rothschilds „erbaut sind (französische Nordbahn, österreichische Nordbahn, die italienisch-österreichischen Bahnen, und viele andere)

Wir dürfen vor allem aus den Zeugnissen urteilsfähiger, Leitgenossen schließen, daß in der Tat die Rothschilds die erster „Eisenbahnkönige“ gewesen sind. „Als in den letzten Jahren, (vor 1848), heißt es in einem viel bemerkten (und nachher viel zitierten) Artikel der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom Jahre 1843, „der Spekulationsgeist sich den industriellen Unternehmungen zuwandte und die Eisenbahnen ein Bedürfnis des Kontinents wurden, ergriffen die Rothschilds die Initiative und stellten sich an die Spitze der Bewegung. Jedenfalls war das Haus Rothschild in der Eisenbahngründung tonangebend geworden, wie ehedem in der Anleiheemission. „Selten, haben sich Gesellschaften gebildet ohne seine Gönnerschaft und bilden sie sich doch und er läßt sie allein walten, so ist sicher nicht viel daran zu verdienen“ (in Deutschland). „Das Haus Rothschild, bildet gegenüber den Eisenbahnen keine Sozietät; submissioniert es die Konzession einer Bahn, so ist jede Beteiligung, die jenes Haus einzelnen Personen gewährt, eine Vergünstigung, ja ein Geldgeschenk, welches es seinen Freunden angedeihen läßt . . . Die sogenannten Promessen stehen nämlich schon mehrere Franes über Pari . . . Daraus erhellt die Überlegenheit und Gewalt Rothschilds in allen seinen Unternehmungen, deren glückliches Resultat — mit nur geringen Ausnahmen — allein in seinen Händen, ruht“ (in Frankreich). „Rothschild ist der Chef der Eisenbahnen, den Regierungen gegenüber. Da, wo sonst nur eine starke Faust herrschte, herrscht jetzt eine Gesellschaft …… und diese Gesellschaften alle stehen unwillkürlich unter einem Chef, weil dieses Haupt, wenn es will, die anderen alle zerstören kann. Und dieser Chef ist Rothschild. Das sagte Ad. Weil in seiner Flugschrift über Rothschild im Jahre 1844 und heute, im Jahre 1857 ist es ungefähr (?) noch dieselbe Wahrheit“ (264). Diese Urteile, zeitgenössischer Schriftsteller können uns deshalb sehr wohl als Quelle dienen, weil sie erstens vielerlei Tatsachliches enthalten, zweitens aber von Bewunderern wie Feinden der Rothschilds in gleichem Sinne gefällt werden.

Seit den Zeiten der Rothschilds ist dann aber Jahrzehnte, hindurch das Gründungsgeschäft recht eigentlich eine Spezialität, jüdischer Geschäftsmänner geblieben, Ganz große Gründernamen, wie die etwa des Baron Hirsch oder des Dr. Strousberg, hatten Juden als Träger. (Einen Typus für sich, den wir nicht eigentlich als berufsmäßigen Gründer bezeichnen dürfen, wie etwa den Dr. Strousberg, bilden die amerikanischen Trustmagnaten.) Und auch die Masse der kleineren und mittleren gewerbsmäßigen Gründer bilden Juden. Ein Blick auf die Gründungen während, der Jahre 1871 bis 73 in Deutschland, wie ihn die folgende Zusammenstellung zu tun versucht, zeigt, daß damals eine gerade zu erstaunlich große Menge von Juden an allen Unternehmungen, beteiligt gewesen sein muß(265). Denn der Anteil der Juden an den Gründungen kommt in den mitgeteilten Ziffern nur unvollständig zum Ausdruck:

1. weil die Ubersicht sich nur auf eine Auswahl von Gründungen bezieht (und zwar gerade die „faulsten“, von denen sich die vorsichtigen Juden vielleicht am ehesten zurückhielten) und

2. weil gerade damals in sehr vielen Fällen die Juden die Schieber, die anderen die Geschobenen (und vorgeschobenen Strohmänner!) waren. Immerhin geben doch auch diese Ziffern schon ein ganz hübsches Bild.

  • Von 25 großen privaten Gründungshäusern ersten Ranges, tragen 16 jüdische Namen.
  • Königs- und Laurahütte: Unter 13 Gründern 5 Juden,
  • Continentale Eisenbahnbaugesellschaft (10 Mill. Taler Kap.); 6 Gründer, 4 Juden.
  • Bei 12 Berliner Terraingesellschaften von 80 Aufsichtsräten, 27 Juden.
  • Bauverein U. d. Linden: 8 Gründer, 4 Juden,
  • Bei 9 Baubanken unter 104 Gründern 37 Juden.
  • Bei 9 Berliner Brauereien unter 54 Gründern 27 Juden.
  • Bei 20 norddeutschen Maschinenfabriken unter 148 Gründern 47 Juden.
  • Bei 10 norddeutschen Gaswerken unter 49 Gründern 18 Juden.
  • Bei 200 Papierfabriken unter 89 Gründern 22 Juden.
  • Bei 12 norddeutschen chem. Fabriken unter 67 Gründern 22 Juden
  • Bei 12 norddeutschen Textilfabriken unter 65 Gründern 27 Juden.

Den Anteil der Juden am „Gründungsgeschaft“ in der Gegenwart festzustellen, ist nur dort leicht möglich, wo die Privatbankiers noch eine größere Rolle spielen, wie in England. Hier erweisen sich von den im Bankier-Almanach für 1904 verzeichneten, 63 Merchant Bankers 38 Firmen als jüdisch oder mit jüdischem Einschlag; von diesen 33 gehören 18 Häuser zu den allerersten, (Mitteilung meines Kollegen Jaffé).

In denjenigen Ländern dagegen, wo die Privatbankiers durch die Aktienbank in größerem Umfange verdrängt sind (wie also namentlich in Deutschland), ist es außerordentlich schwierig, genau zu ermitteln, wie groß der Prozentsatz der Juden ist. Da kommt uns nun aber die im wesentlichen von mir in diesen Untersuchungen angewandte „genetische“ Methode zustatten, insofern sie uns gerade in dieser Entwicklung: die Aktienbank zur Trägerin des Gründungsgeschäfts zu machen, den Einfluß der Juden deutlich verspüren läßt.

Die Verwertung des Aktienprinzips für die Effektenproduktion oder, wie es in meiner Terminologie heißen würde: die Versachlichung des Emissions- und Gründungsgeschäftes bedeutete seinerzeit abermals eine Etappe in der Entwicklung des Kapitalismus, deren Wichtigkeit wir abermals nicht, hoch genug anschlagen können, weil durch diese Neuerung wiederum das dynamische Prinzip der kapitalistischen Organisation eine ungeheuere Ausweitung erfuhr, der Atmosphärendruck der kapitalistischen Interessen um ein Vielfaches durch sie gesteigert wurde.

Die eigentlichen großen Gründungsepochen sind ohne die Spekulationsbanken nicht denkbar, weder die der 1850er Jahre, die sie erst erzeugte, noch die der 1870er, noch viel weniger die letzte der 1890 er Jahre. Das gewaltige Werk des Eisenbahnbaues ist doch nur durch die Vermittlung der großen Gründungsbanken vollendet worden. Wenn auch die Privathäuser in den 1880er und 1840 er Jahren Großes geleistet hatten: es reichte doch nicht heran an das, was die großen Banken vollbrachten. In Frankreich hatte man für Eisenbahnbauten 1842 bis 1847 144 Mill. Francs, 1848 bis 51 130 Millionen Francs ausgegeben; nun aber verausgabte man in den Jahren 1852 bis 1854 250 Mill., in dem Einen Jahre 1855 500, 1856 520 Millionen für denselben, Zweck (266). Dasselbe gilt für die übrigen Länder, „Die ganze Arbeit des in diesen Zeitraum (1848 bis 1870) fallenden überaus großen Ausbaus unseres (des deutschen) Eisenbahnnetzes (ist), lediglich durch . . .Vermittlung von Banken . . . geleistet worden (267). Wir begreifen auch sehr wohl, worin diese soviel größere Leistungsfähigkeit der Banken gegenüber den Privathäusern ihre Begründung fand.

Auf der einen Seite wurde durch die Zusammenballung großer, Kapitalmassen in riesigen Aktienbanken die Operationsbasis natürlich beträchtlich ausgeweitet, auf der nunmehr die Produktion neuer Unternehmungen stattfinden konnte, Sie wurde ins unermeßliche vergrößert, wenn man (wie bei uns) die Gründungsbank auf der Depositenbank aufbaute. Auf der andern Seite, wuchs der Drang zur fortgesetzten Neugründung in dem Maße, wie überhaupt die Aktiengesellschaft energischer auf Betätigung drängt als die Privatunternehmung. Die Notwendigkeit, hohe Dividenden herauszuwirtschaften, er weist sich allemal als zwingender denn das bloße Gewinnstreben des Einzelunternehmers.

Wie sehr die Zeitgenossen sich bewußt waren, daß sie ein Ereignis von ungeheurer Tragweite miterlebten, als man nun daran ging, Aktiengesellschaften durch Aktiengesellschaften zu fabrizieren, beweist eine dithyrambische Verherrlichung dieser neuen Gebilde, zu der sich der schon erwähnte Kuntze in damals, noch völlig naiver Anbetung des Kapitalismus hinreißen läßt, wenn er sagt: „Diese Idee — nämlich der sozialen Zentralisation der Kräfte — hat in dem Institut des Inhaberpapiers gleichsam ihre juristische Kunstform gefunden und in der allerjüngsten, Gestalt der Kreditvereine . . . ist jener Idee die umfassendster Anwendung zuteil geworden, welche nach menschlichem Ermessen überhaupt wohl möglich ist. In diesen neuen Zentral-Kreditvereinen, durch welche unberechenbare Massen von auf Inhaber lautenden Spekulations- und Kapitalpapieren in den Verkehr gebracht werden, hat das moderne Streben nach Organisation und Assoziation der sozialkonomischen Werte und Kräfte seinen vollendetsten Ausdruck gefunden: der Zentralkreditverein ist der Aktienverein schlechthin und vorzüglich; er ist ein assoziatives Bankhaus, ein Kapitalist en gros, das lebendig gewordene Sozialprinzip selbst“ (268).

Die „Zentralkreditvereine“ aber, auf die Kuntze sein begeistertes Loblied anstimmt, waren der 1852 gegründete Credit mobilier und die nach seinem Vorbilde in den nächsten Jahren, ins Leben gerufenen Gründungsbanken in den übrigen Ländern, Ich sage mit Absicht Gründungsbanken, weil in der bankmäßigen, Betreibung des Gründungsgeschafts die grundsätzlich bedeutsame Neuerung lag, an die sich dann eine zweite Neuerung anschloß; die börsenmäßige Spekulation in Effekten.

Man hat noch immer für die neuen (und nun schon recht alten) Gebilde, die mit dem Credit mobilier auf die Welt kamen, keine Bezeichnung ausfindig gemacht, die ihren Charakter treffend und eindeutig zum Ausdruck brachte, Effektenbanken sind es, weil sie mit Effekten zu tun haben; aber diese Bezeichnung erfaßt doch zu sehr nur ein äußerliches Moment. Schließlich ist eine Bank, die Effekten lombardiert, auch eine Effektenbank, da sie ja auch „mit Effekten zu tun hat.“ Besser ist schon der Name „Spekulationsbank“, denn diese Banken spekulieren in der Tat; aber „Gründen“ ist doch nicht spekulieren, und sie wollen doch gerade das Gründungsgeschaft betreiben. „Mobiliarkreditbanken“ die Übersetzung des ebenfalls sehr wenig bezeichnenden Wortes Credits mobiliers, trifft am allerwenigsten ihre Gründungs- und Spekulationsgeschäfte. „Anlagebanken“ sind sie natürlich auch, aber daß sich Banken an kapitalistischen Produktions- (oder Handels-) unternehmungen beteiligen, ist gerade das, was den Credits mobiliers nicht eigentümlich ist.

„Anlagebanken“ gab es längst vor dem Jahre 1852. Eine Anlagebank war schon die Lawsche Bank. Eine Anlagebank war die 1761 in Österreich projektierte Handelsbank, die mit einem Kapital von 10 bis 15 (später 60) Mill. die Schiffahrt nach der Levante betreiben, die Militärlieferungen, das Tabaksmonopol und den Talerhandel, sowie auch den Produktenverschleiß der Bergwerkserzeugnisse übernehmen, etwa neue Fabriken begründen und bereits bestehende an sich bringen sollte (269). Eine Anlagebank war die 1822 zu Brüssel gegründete Société générale des Pays Bas pour favoriser l’industrie nationale, die schon 1849 von 46 verschiedenen Aktienunternehmungen 90 836 i Aktien, mit einem Nominalwerte von 68 729 202 Francs in ihrem Portefeuille hatte. Eine Anlagebank war der 1848 begründete Schaaffhausensche Bankverein, dessen Konto „Beteiligung bei industriellen Unternehmungen“ im Jahre 1851 schon 434 706 Taler aufwies, und in dessen Geschäftsbericht vom Jahre 1852 (S. 3) es heißt:

„Die Direktion ist dabei von dem Grundsatz ausgegangen, daß es die Aufgabe eines großen Bankinstituts sei, nicht sowohl durch eigene große Beteiligung neue Industriepapiere ins Leben zu rufen, als durch die Autorität ihrer auf gründlicher Prüfung beruhenden Empfehlung die Kapitalisten des Landes zu veranlassen, die müßigen Kapitalien solchen Unternehmungen zuzuwenden.“

Nein — die neue Idee war: sich nicht an industriellen und ähnlichen Werken zu „beteiligen“ und doch an ihnen zu verdienen: nicht durch die Dividende, die sie abwarfen, sondern durch den Agiogewinn, den man bei der Ausgabe der Aktien, machte. Es ist die Parallele zum Spekulationshandel, die in dem Gründungsgeschäft deutlich zutage tritt: keine Effektivgründung, sondern der „Differenzgewinn“ an der Gründung ist das Ziel, dem man zustrebt. Insofern deckt der Name Spekulationsbanken, am ehesten die spezifische Tätigkeit der Credits mobiliers, die natürlich gar nicht mehr mit einer einzigen Bezeichnung zu charakterisieren sind, sobald sie auch nicht ihnen eigentümliche Geschäfte betreiben, wie also das Anlagegeschäft, das Emissionsgeschaft, die „echten“ Bankgeschäfte usw. In Frankreich nennt man jetzt die Banken von der Art der früheren Credits mobiliers Banques d’affaires (270) das ist eine vortreffliche Bezeichnung, die (für uns) nur den einen Fehler hat, daß sie nämlich nicht übersetzbar ist.

Aber auch hier wird es nicht sowohl auf den Namen, als auf die Sache ankommen. Und über diese kann ja kein Zweifel herrschen: mit dem Credit mobilier wird der bankmäßige Betrieb des Gründungsgeschäftes (und wie wir gleich hinzufügen können; der Fondsspekulation) eingeführt. Und diese Neuerung — darum unser so sehr reges Interesse für die Sache — war jüdischen Ursprungs

Die Geschichte der Credit mobilier ist sehr bekannt … Hierinteressiert uns daran im wesentlichen die Tatsache, daß seine geistigen und finanziellen Väter die beiden portugiesischen Juden, Isaac und Emil Pereire waren und daß auch die übrigen Hauptteilnehmer Juden waren. Die Liste der von den einzelnen Gründern gezeichneten Aktienbeträge weist aus, daß die beiden Pereire zusammen 11 446, Fould-Oppenheim 11415 Aktien besaßen, daß unter den großen Aktionären sich noch Mallet Freres, Ben. Fould, Torlonia-Rom, Salomon Heine Hamburg, Oppenheim Köl, also die Hauptvertreter der europäischen Judenschaft, befanden (die Rothschilds nicht, weil ja gegen sie der Credimobilier seine Spitze richtete).

Der französische Credit mobilier zeugte dann in den nächsten Jahren eine Reihe (legitimer und unlegitimer) Kinder: alle jüdischen Blutes.

In Österreich hieß der erste Credit mobilier „K. K. privilegierte österreichische Kreditanstalt“ und wurde 1855 von S. M. Rothschild gegründet.

Die erste Anstalt, die in Deutschland die Grundsätze des Credit mobilier vertrat, war die Bank für Handel und Industrie, (die Darmstadter Bank), 1853 gegründet auf die Initiative der Kölner Oppenheims hin. „Wahrscheinlich ist die Gründung der Darmstädter Bank von den beiden französischen Finanzgenies nicht nur inspiriert, sondern auch unmittelbar inszeniert, wie man ja die wesentliche, für unentbehrlich erachtete Beihilfe ausländischer Kapitalien, von welcher der Geschäftsbericht von 1853 spricht, mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Credit mobilier beziehen kann. Einer der ersten Direktoren der Darmstadter Bank, der den Namen Heß trug, war einer der höheren Beamten des Credit mobilier gewesen.

Ursprünglich christlichen Ursprung ist die Berliner Diskontogesellschaft: die Gründung David Hansemanns, Was dieser aber aus eigener Initiative 1851 ins Leben rief, war eine reine Umlaufsbank, die mit Gründung und Spekulation gar nichts zu tun hatte. Erst in der Zuschrift, die Hansemann am 22. April 1855 den Mitgliedern übersandte, wird die Ausdehnung auf jene Geschäfte angeregt. Die Worte Hansemanns klingen wie ein mattes Echo der Credit mobilier-Statuten.

Die dritte große Spekulationsbank, die in den 1850 er Jahren, begründet wurde, war die Berliner Handelsgesellschaft. Unter den Gründern finden wir einen Teil jener Kölner Häuser wieder, welche die Darmstadter Bank ins Leben gerufen hatten. Daneben stehen diesmal die bedeutendsten Berliner Bankgeschäfte, s0 Mendelssohn & Co., S. Bleichröder, Robert Warschauer & Co., Gebr. Schickler u. a.

Auch unter den Gründern der Deutschen Bank (1870) überwiegen die jüdischen Elemente,

IV. Die Kommerzialisierung der Industrie,

In den Spekulationsbanken erreicht die kapitalistische Entwicklung ihren einstweilen höchsten Punkt. Mit ihrer Hilfe wird die Kommerzialisierung des Wirtschaftslebens auf die Spitze getrieben. Die börsenhafte Organisation kommt zur Vollendung.

Aus der Börse geboren, bringen die Spekulationsbanken die Börse, das heißt also die Spekulation, erst zu ihrer vollen Blüte. Der Effektenhandel wird durch sie zu früher ungeahntem Umfange ausgeweitet (278). Drängt doch ihr inneres Wesen, wie wir sahen, auf unausgesetzte Vermehrung der Effekten — des Agiogewinnes wegen. Aber auch ihre eigenen Aktien bieten oft genug den stärksten Anlaß zur Spekulation. Und sie selbst beteiligen sich in nicht geringem Maße an der Spekulation, sei es direkt, sei es auf dem Umwege des Reportgeschäfts, das heute, ja bekanntlich zum „mächtigsten und wichtigsten Hebel der Spekulation“ geworden ist. Mittels der Beleihung von Spekulationspapieren ist den Banken die Möglichkeit gegeben, dadurch, daß sie für billige Sätze „Stücke hereinnehmen“ den Anschein zu erwecken, als herrsche Geldfülle, die von Kauflust gern begleitet wird. Also Antrieb zu einer Haussebewegung. Wie sie anderseits durch Verwertung des Papiervorrats im umgekehrten Sinne den Kurs zu drücken, leicht in den Stand gesetzt werden. Die Reportsätze können sie ganz bemessen nach den eigenen Spekulationsplänen usw. Die großen Banken haben also den Dampfhahn der Maschine, die man Börse nennt, jetzt tatsächlich in ihrer Hand. Und man hat aus dieser beherrschenden Stellung der Großbanken — namentlich in Deutschland, sowie aus der Tatsache, daß sie bei ihrem ausgedehnten Kundenkreise den Kauf und Verkauf der Effekten zu einem großen Teile durch Ausgleich in sich bewerkstelligen können, den Schluß gezogen (274), die Entwicklung führe zu einer Aufhebung der Börse, durch die einzelnen Geldmächte, wie sie namentlich in den Großbanken jetzt wieder erstehen. Diese Ansicht wird doch aber immer nur in dem Sinne als richtig gelten dürfen, daß man sagt: die Börse“ wird durch die Hoch Finanz beseitigt, indem diese selbst die Börse in sich aufnimmt. Die „Börse“ als öffentlicher Markt mag unter der modernen Entwicklung leiden: als Form, und Prinzip der wirtschaftlichen Beziehungen gewinnt sie sicher, immer mehr an Bedeutung, insofern immer weitere Gebiete des Wirtschaftslebens ihren Gesetzen untertan werden.

Und damit vollzieht sich eben jener Prozeß in immer größerem Umfange, den ich als Kommerzialisierung bezeichnete.

Will man die Richtung, in der sich die moderne Volkswirtschaft bewegt, in einem Satze ausdrücken, so wird man sagen können: die Börsendisponenten der Banken werden immer mehr, die Beherrscher des Wirtschaftslebens.

Alles wirtschaftliche Geschehen wird immer mehr durch die Finanz bestimmt. Ob ein industrielles Unternehmen neu entstehen, ob ein bestehendes erweitert werden soll; ob ein Warenhausbesitzer die Mittel bekommen soll, um sein Geschäft noch weiter auszudehnen: alles wird in den Bureaus der Banken und Bankiers entschieden. Ebenso wird der Absatz der Erzeugnisse, in immer größerem Umfange ein Problem der Finanzkunst. Unsere größten Industrien sind ja heute schon ebenso Finanzgesellschaften wie Industrieunternehmungen. Aber auch die anderen Industrien sind immer mehr auf finanzielle oder börsenmäßige Transaktionen angewiesen, um sich ihr Absatzgebiet zu erobern (Lieferungswesen!). Von der Börse wird der Preis der meisten Weltfabrikate und Rohstoffe und vieler Fertigfabrikate beeinflußt und die Börse beherrschen muß der, der im Konkurrenzkampfe obsiegen will. Unsere großen Transportunternehmungen sind aber auch schon längst nichts anderes als große Finanz- und Handelsgesellschaften, Sodaß man getrost sagen darf: alle wirtschaftlichen Vorgänge lösen sich immer mehr in reine Handelsgeschäfte auf, nachdem zuvor das Technische ausgesondert und besondern, eigens dazu angestellten Kräften, überantwortet worden ist.

Das lehrreichste Beispiel für die Kommerzialisierung der Industrie bietet bekanntlich die Elektrizitätsindustrie. Will man diese als einen neuen Typus industrieller Organisation kennzeichnen, so wird man zusammenfassend sagen dürfen: die Leiter der Elektrizitätswerke waren die ersten, die es als die wichtigste Aufgabe der Industrie erkannten, sich selber ein Absatzgebiet zu schaffen. Bis dahin hatte auch die großkapitalistische Industrie, im wesentlichen sich damit begnügt, die Bestellungen, die da kommen sollten, abzuwarten. Man übertrug die Vertretung der Fabrik einem Agenten in einer großen Stadt, der als Generalagent oft genug der Vertreter vieler anderer Werke daneben war und keine sehr starke Initiative bei der Anwerbung neuer Kunden entfalten konnte. Nun aber griff man die Kundschaft an. Von zwei Seiten her versuchte man an das Ziel heranzukommen, Zunächst dadurch, daß man direkt (durch Ankauf, von Aktien usw.) auf diejenigen Instanzen Einfluß zu gewinnen suchte, von denen die Bestellungen ausgehen mußten: Pferdebahngesellschaften, die sich in elektrische Bahnen umwandeln sollten usw., oder daß man sich an Neuschöpfungen solcher Unternehmungen selbst beteiligte oder sie gar selbst ins Leben rief. Durch derartige Tätigkeit sind die großen Elektrizitätswerke, heute den großen Gründungs- oder Spekulationsbanken immer, ähnlicher geworden.

Sodann aber suchte man das Absatzgebiet dadurch auszuweiten, daß man ein großes Netz von Filialen über die Lande ausspannte, das immer mehr Kunden zu fesseln imstande war. Hatte man sich früher auf den „Agenten“ verlassen, so übertrug man jetzt die Anwerbung neuer Kunden dem unmittelbar im Auftrag der eigenen Gesellschaft tätigen Vertreter, deren, wie gesagt, immer mehr wurden, sodaß man immer näher, an die Kundschaft heranrückte, deren Bedarf immer genauer, kennen lernen, ihren besonderen Wünschen immer mehr Rechnung tragen konnte.

Man weiß, daß mit diesem System der Absatzorganisation die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft vorangegangen ist, und daß Felix Deutsch die Ausbildung dieses neuen Typus industriellkommerzieller Unternehmungen vor allem gefördert hat. Die älteren Werke haben sich nur langsam entschlossen, die neuen Wege zu wandeln. Siemens & Halske haben sich lange Jahre, für „zu vornehm gehalten, „den Kunden nachzulaufen“ (wie sie sagten), bis auch hier der Direktor Berliner die neuen Prinzipien annahm und damit den Vorsprung wieder einholte, den die A. E. G. gewonnen hatte.

Dieser Fall aber ist typisch, so daß man gewiß ganz allgemein wird sagen dürfen: mit der  Kommerzialisierung der Industrie ist die Stunde erfüllt, da die Juden in das weite Gebiet der Güterproduktion (und des Gütertransports) ebenso eindringen, wie sie in das Gebiet des (börsenmäßigen) Handels und des Geld- und Kreditwesens schon früher eingedrungen sind.

Nicht als begänne jetzt erst die Geschichte der Juden als „Industrielle„. Das wäre auch sehr wunderbar, da die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die Juden seit dem Beginne, der kapitalistischen Produktion sich auch an dieser beteiligt haben: bedeutet doch Kapitalismus seinem Wesen nach nichts anderes als Auflösung des wirtschaftlichen Prozesses in seine beiden Bestandteile Technik und Kommerz und den Primat des Kommerzes über die Technik. Sodaß von Anbeginn an die kapitalistische Industrie den Juden Gelegenheit bot, sich in ihrer Eigenart zu betätigen (wenn auch diese Gelegenheit anfangs nicht so günstig war, wie sie sich im Laufe der Zeit gestaltete). Und in der Tat finden wir während der frühkapitalistischen Epoche überall Juden als „Industrielle“ und vielfach als die ersten kapitalistischen Unternehmer in einem Gewerbezweige.

Hier sind sie die Begründer der Tabakindustrie (in Mecklenburg, Österreich); dort der Schnapsbrennerei (in Polen, in Böhmen). Hier finden wir sie als Lederfabrikanten (in Frankreich, in Österreich); dort als Seidenfabrikanten (in Preußen, in Italien, in Österreich). Hier machen sie Strümpfe (Hamburg), dort Spiegelglas (Fürth); hier Stärke (Frankreich), dort Baumwollzeug (Mähren). Fast überall sind sie die Begründer der Konfektionsindustrie. Und so fort (275). Ich könnte aus dem Material, das ich gesammelt habe, noch zahlreiche Belege anführen für die Betätigung der Juden als (kapitalistische) Industrielle während des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Aber mir scheint eine ausführliche Darstellung dieser Seite der jüdischen Wirtschaftsgeschichte zwecklos zu sein, weil sie, soviel ich sehe gar nichts spezifisch Jüdisches aufweist. Die Juden sind durch etwelche historische Zufälligkeit in eine Industrie hineingedrängt worden, die ohne sie sich vermutlich ebenso entwickelt haben würde. Hier ist es ihre Stellung als Faktoren der Grundherren (in Polen, Osterreich), die sie zu Schnapsbrennern werden läßt, dort ihre Stellung als Hofjuden, die ihnen das Tabakmonopol einträgt. In den meisten Fällen ist es wohl ihre Funktion als Händler, die sie zu Verlegern der Hausindustriellen werden läßt (Textilindustrie), aber diese Umwandlung aus Garnhändlern in Textilindustrielle haben in ebensoviel oder mehr Malen auch nicht jüdische Geschäftsmänner vollzogen. Sodaß wir auch hierin keine besondere jüdische Note feststellen können. Eine jüdische „Spezialität“ war der Altkleiderhandel, aus dem sich der Handel mit neuen Kleidern entwickelte, der wiederum die Konfektionsindustrie erzeugte. Aber die hiermit geschaffenen Zusammenhänge sind doch entweder zu äußerlicher Natur, um aus ihnen bestimmte jüdische Einflußreihen abzuleiten, oder sie werden durch die im folgenden dargestellten Entwicklungsreihen, mit umfaßt. Diese nämlich erscheinen uns als besondere durch die Feststellung, daß die Juden eine Rolle als Industrielle erst zu spielen beginnen, seitdem der Kommerzialisierungsprozeß auch die Güterproduktion und den Gütertransport ergriffen hat. Seitdem also das kapitalistische Wesen auch in diesen Sphären rein zum Durchbruch gekommen, die technische Farblosigkeit des Unternehmers das Merkmal geworden ist. Das ist ja die Eigentümlichkeit, die unsere Industrie immer mehr ausprägt: daß ihre Leiter beliebig die Branche wechseln können, ohne ihre Tüchtigkeit zu vermindern, weil eben alle Schlacken der technischen Besonderheit abgefallen sind und das reine Gold der nun kommerzial-kapitalistischen Allgemeinheit übrig geblieben ist. Erst seit dieser Zeit ist es gar keine Seltenheit mehr, daß ein „Unternehmer“ in Leder anfängt und in Eisen aufhört, nachdem er durch Spiritus und Schwefelsäure etwa hindurchgegangen ist. Der Unternehmer alten Stils trug noch ein branchenhaftes Gepräge, der neue Unternehmertyp ist gänzlich farblos. Wir können uns nicht vorstellen, daß Alfred Krupp anderes als Gußstahl, Borsig anderes als Maschinen, Werner von Siemens anderes als Elektrizitätsgüter herstellten oder daß H. H. Meier etwas anderem als dem Norddeutschen Lloyd vorstand. Wenn Rathenau, Deutsch, Berliner, Arnold, Friedländer, Ballin morgen ihre Stellungen untereinander vertauschten, würde vermutlich ihre Leistungsfähigkeit nicht sehr beträchtlich verringert werden. Weil sie alle Händler sind, ist ihr zufälliges Tätigkeitsgebiet gleichgültig.

Man hat das auch so ausgedrückt: der Christ nimmt seinen Weg in die Höhe vom Techniker, der Jude vom Geschäftsreisenden oder Kommis.

Gern würde man nun auch genau erfahren, welchen Umfang heute die Beteiligung der Juden an der Industrie angenommen hat. Aber dazu fehlen doch die Hilfsmittel. Man wird sich damit begnügen müssen, annäherungsweise den Anteil der Juden an der Industrie festzustellen. Das kann man, wenn man die jüdischen Direktoren und Aufsichtsräte der Industrieunternehmungen auszählt und ihre Zahl mit der der christlichen vergleicht. Wie unvollkommen dieses Ermittlungsverfahren ist, leuchtet ein. Ganz abgesehen von der Schwierigkeit, im einzelnen Falle festzustellen, wer Jude ist, wer nicht (wie viele Leute wissen z. B., daß der Inhaber der meisten Aufsichtsratsposten — Hagen-Köln — früher Levy hieß): gibt die bloße Zahl (wie ich im ersten Kapitel schon ausgeführt habe) niemals einen irgendwie genauen Aufschluß über den Einfluß. Dazu kommt, daß namentlich die Aufsichtsratsposten nach allerhand Rücksichten — nur nicht nach der geschaftlichen Tüchtigkeit — besetzt werden, und daß in sehr vielen Gesellschaften die Neigung besteht, keine jüdischen Männer an leitende Stellungen gelangen zu lassen, Jedenfalls stellen also die Ziffern, die man ermittelt, immer nur ein Minimum jüdischen Einflusses innerhalb der Industrie dar.

Allen diesen Bedenken zum Trotz, will ich die Ergebnisse, der Auszüge hier mitteilen, die Herr stud. Arthur Löwenstein, aus dem letzten Jahrgang des Handbuchs der deutschen Aktiengesellschaften freundlichst für mich gemacht hat. Ich ziehe die Ziffern für die Hauptbranchen zusammen und ordne diese in der ersten Tabelle nach der Größe des Anteils an den Direktionsstellen, in der zweiten nach der des Anteils an den Aufsichtsratsstellen. Berücksichtigt sind bei der Elektrizitätsindustrie alle Gesellschaften mit 6, bei Montan-, Kali-, chemischer Industrie die mit 5, bei Maschinen- und Textilindustrie die mit 4, bei den übrigen die mit 3 Mill. Mark Kapital und mehr.)

I. Zahl der Direktoren

 

Branche Überhaupt Davon Juden

Prozentsatz  der jüdischen Direktoren

    I. Leder-, Kautschukindustrie 19 6 31,5
  II. Metallindustrie  52 13 25,0
 III. Elektrische Industrie 95 22 23,1
  IV. Brauereien 71 11 15,7
    V. Textilindustrie  59 8 13,5
  VI. Chemische Industrie 46 6 13,0
VII. Montanindustrie 183 23 12,8
VIII. Maschinenindustrie 90 11 12,2
  IX. Kaliwerke 36 4 11,1
   X. Zement-, Holz-, Glas-, Porzellan-Industrie 57 4 7,0
I – X 808 108 13,3

II. Zahl der Aufsichtsräte

Branche Überhaupt Davon Juden Prozentsatz  der jüdischen Direktoren
    I. Brauerien 165 52 31,3
  II. Metallindustrie  130 40 30,7
 III. Zement-, Holz-, Glas-, Porzellan-Industrie 137 41 29,9
  IV. Kaliwerke 156 46 29,4
    V. Leder- usw. Industrie 42 12 28,6
  VI. Elektrische Industrie 339 91 26,8
VII. Montanindustrie 640 153 23,9
VIII. Chemisiche Industrie 127 29 22,8
  IX. Maschinenindustrie 215 48 21,4
   X.  Textilindustrie 141 19 13,5
I – X 2092 511 24,4


Ist der Anteil der Juden an diesen Industrieunternehmungen, (sofern er rein ziffermäßig betrachtet wird) groß oder nicht? ich denke doch: er ist enorm, auch wenn man ihn nur quantitativ faßt und nur diese (wie wir sahen Minimal.) Ziffern in Betracht zieht. Denn bedenken muß man, daß diese selbe Bevölkerungsgruppe, die fast ein Siebentel aller Direktorposten und fast ein Viertel aller Aufsichtsratsposten besetzt, von der Gesamt-Einwohnerzahl des Deutschen Reiches genau — ein Hundertstel ausmacht!