So stehen wir denn also vor der gewaltigen Aufgabe: jene eigenartige Rolle zu erklären, die wir die Juden in dem Wirtschaftsleben der letzten Vergangenheit haben spielen sehen.

Daß hier ein Problem vorliegt, wird nur von den paar Sonderlingen bestritten werden, die eine besondere Stellung der Juden, im modernen Wirtschaftsleben überhaupt leugnen (weil es ihrer Meinung nach überhaupt keine Juden gibt, oder — auch diese Spielart ist mir begegnet — weil sie der Meinung sind, die Juden seien eine wirtschaftlich so minderbegabte Bevölkerungsgruppe, daß sie für die Herausbildung unserer Wirtschaftsformen ohnealle Bedeutung gewesen seien). Auf sie brauchen wir keine Rücksicht zu nehmen. Meine Ausführungen sind nur für diejenigen bestimmt, die mit mir eine (größere oder geringere, aber), entscheidende Anteilnahme der Juden am Aufbau der modernen Volkswirtschaft als erwiesen betrachten.

Soll unsere Untersuchung zu einem Ergebnis führen, werden wir uns mit aller Deutlichkeit und Schärfe klar zu machen haben: die Befähigung „wozu?“ und die Befähigung „wodurch?“ wir an den Juden nachweisen wollen.

Wozu? Nun: zu all dem, was wir sie in dem ersten Teile dieses Buches haben tun und erstreben sehen: Begründer und Förderer des modernen Welthandels, der modernen Finanzwirtschaft, der Börse wie überhaupt aller Kommerzialisierung des Wirtschaftslebens; die Vater des Freihandels und der freien Konkurrenz, die Verbreiter des modernen Geistes im Wirtschaftsleben zu werden. Aber die Überschrift dieses Teiles spricht nur von der Befähigung zum Kapitalismus. So werden also alle jene einzelnen Leistungen in diesem einen Worte, ,,

„Kapitalismus“ zusammengefaßt sein. Und es wird die Aufgabe, eines besondern (des neunten) Kapitels bilden müssen, dieses im einzelnen nachzuweisen; wie alle jene Einzeltatsachen in einem inneren Zusammenhange stehen und wie sie zusammengehalten werden durch das Gefüge der kapitalistischen Organisation. Diese wird deshalb wenigstens in ihren Grundzügen darzustellen sein, damit daraus auch noch ein Zweites ersehen werden könne (was erst ganz deutlich macht, welcherart Befähigung wir feststellen, wollen); welche eigentümlichen Funktionen die kapitalistischen Wirtschaftssubjekte auszuüben haben, damit jene besonderen Wirkungen, die wir beobachten konnten, zustande kommen, Endgültig verschwinden sollen damit aus der Erörterung des Judenproblems die nebelhaften Vorstellungen von einer unbestimmten „Befähigung zum Wirtschaften“, „zum Handel“, „zum Schachern“, „zum Geschäftchen machen“. Mit diesen dilettantischen Ausdrücken ist schon unendlich viel Unfug angerichtet worden.

Wodurch aber kann jemand befähigt werden, eine Leistung zu vollbringen? Wenn Einer einen Ertrinkenden von dem Tode rettet, so konnte er dieses Hilfswerk vollbringen, weil er gerade, an der Stelle des Ufers stand, wo ein Kahn angebunden war oder auf der Brücke, wo ein Rettungsgürtel hing: seine „zufällige Anwesenheit an jenen Orten setzte ihn in den Stand, mit dem Kahn hinauszurudern, den Rettungsgürtel hinabzuwerfen. Oder er konnte die Tat tun, weil er unter Hunderten, die am Ufer standen, derjenige war, der den Mut hatte, ins Wasser zu springen, und der so gut schwimmen konnte, daß er zu dem Ertrinkenden hingelangte und ihn lebend ans Land zog. In jenem Falle ist das Rettungswerk in „objektiven Umständen“, in diesem Falle ist es in der „subjektiven Eignung“ des Menschen begründet gewesen. Und genau dieselbe Unterscheidung läßt sich treffen, wenn wir eine Frage wie die nach der Befähigung der Juden zum Kapitalismus beantworten wollen. Auch diese Befähigung kann grundsätzlich eine objektiv oder eine subjektiv bedingte gewesen sein.

Meine Aufgabe wird es nun sein, zunächst nach jener deren Feststellung also eine objektivistische Deutung des Judenproblems sein würde — Ausschau zu halten. Und zwar aus folgenden Gründen.

Jeder Erklärungsversuch ist peinlichst darauf hin zu prüfen, ob er nicht eine unbewiesene Hypothese zur Unterlage hat und ob das, was erklärt werden soll, nicht etwa als Dogma von vornherein geglaubt wird. Ich brauche nicht weiter auszuführen, wie gefährlich gerade in unserm Falle namentlich rassentheoretische und konfessionelle Vorurteile werden können und der großen Mehrzahl meiner Vorgänger geworden sind. Was in meinen Kräften steht, werde ich tun, um solche Fehler zu vermeiden. Ich lege besonderen Wert darauf, daß meine Untersuchung vom methodischen Standpunkt aus als einwandsfrei befunden werde und bitte dringend darum, mir Verstöße, die ich etwa doch begehe, als solche nachzuweisen, Mein Bestreben ist, es jedenfalls, ohne jede Voreingenommenheit die tatsächlichen Zusammenhänge wahrheitsgemäß aufzudecken und den Beweis so zu führen, daß mir jeder folgen kann: der Assimilationsjude ebenso wie der Nationaljude; der Rassengläubige ebenso wie der Milieufanatiker, der Antisemit ebenso wie der Bekämpfer des Antisemitismus, Deshalb aber muß ich von unbestrittenen Tatbeständen ausgehen und versuchen, aus ihnen soviel abzuleiten, als möglich ist. Es ist danach unzulässig, von vornherein so etwas wie eine „Rassenveranlagung“ oder auch nur eine „Jüdische Eigenart“ zur Erklärung heranzuziehen; dagegen ließe sich mit Recht einwenden, daß das dogmatisch verfahren hieße. Denn von wo andersher als aus dem Glauben könnten wir solche Voraussetzungen entnehmen.

Jeder, der eine besondere jüdische Art leugnet, kann beanspruchen, das man die eigentümliche Rolle, die die Juden im modernen Wirtschaftsleben gespielt haben, verständlich zu machen versuche ohne die Annahme solcher besonderen Art, also — was dann zu leisten wäre — kann den Nachweis verlangen, daß bestimmte Äußere Umstände, in die die Juden durch den geschichtlichen „Zufall“ versetzt worden sind, ihnen zu ihrer Sonderstellung verholfen haben. Dieser Nachweis wird im zehnten Kapitel versucht.

Erst wenn sich herausstellen sollte, daß eine vollständige Ableitung der Leistungen des Judentums aus ihrer äußeren Lage, nicht möglich ist, wird man zur Erklärung auf subjektive Momente zurückgreifen dürfen (und müssen). Dann erst ist es an der Zeit, das Problem einer „Jüdischen Eigenart“ zu erörtern.

Dieser Aufgabe unterzieht sich das zwölfte Kapitel.