9. Kapitel: Die Funktionen der kapitalistischen Wirtschaftssubjekte 1911: Die Juden und das Wirtschaftsleben von Werner Sombart: Zweiter Abschnitt - Die Befähigung der Juden zum Kapitalismus,

Kapitalismus nennen wir diejenige verkehrswirtschaftliche Organisation, bei der regelmäßig zwei verschiedene Bevölkerungsgruppen — die Inhaber der Produktionsmittel, die gleichzeitig die leitende Arbeit ausführen, und die besitzlosen Nurarbeiter zusammenwirken, so zwar, daß die Vertreter des „Kapitals“ (des zur Einleitung und Durchführung des wirtschaftlichen Prozesses, erforderlichen Sachgütervorrats) die Wirtschaftssubjekte sind, das heißt den Entscheid über Art und Richtung des Wirtschaftens, und die Verantwortung für dessen Erfolg tragen.

Die dem kapitalistischen Wirtschaftssysteme eigentümliche Triebkraft für alles wirtschaftliche Geschehen ist das Verwertungsstreben des Kapitals, das den einzelnen kapitalistischen Unternehmern als eine objektiv zwingende Gewalt gegenübertritt und ihr Verhalten in ganz bestimmte Bahnen zwingt. Was man auch so ausdrücken kann, daß man sagt: die eine das kapitalistische Wirtschaftssystem beherrschende Idee ist die Erwerbsidee, Aus diesem obersten Zweck kapitalistischen Wirtschaftens, und den äußeren Bedingungen, unter denen es stattfindet, ergibt sich nun von selbst die spezifische Art dieses Wirtschaftens, das im Rahmen der kapitalistischen Unternehmung sich abspielt; ergibt sich also das besondere Wesen der kapitalistischen Unternehmung.

Aus einer systematisch auf Erzielung von Gewinn gerichteten, Wirtschaftsführung, die damit zu dem Streben nach beständiger Expansion der Betriebe den Anlaß gibt, folgt ohne weiteres eine bewußte Ausrichtung alles Handelns auf die höchst vernünftige Methode des wirtschaftlichen Verhaltens. An die Stelle der allen vorkapitalistischen, auf dem Prinzip der Ruhe aufgebauten Wirtschaftsverfassungen eigentümlichen traditionalistischen Gestaltung der Wirtschaft (wie wir jetzt mit Max Weber sagen wollen) tritt die dem im Bewegungsprinzip verankerten kapitalistischen Wirtschaftssystem entsprechende Rationalisierung der Wirtschaft. Der ökonomische Rationalismus, wie ich die Gesamtheit der dieses Phänomen umschließenden Erscheinungen jetzt in meiner gegen früher etwas abweichenden Terminologie bezeichnen, will, wird (neben der Idee des Erwerbes) die zweite tragende Idee im System des modernen Kapitalismus.

Die Rationalisierung erfolgt nach drei verschiedenen Richtungen hin und stellt sich damit in einem dreifach verschiedenen Geschäftsverfahren dar, wie es der entwickelten kapitalistischen Unternehmung dreifach eigen ist. Der Skonomische Rationalismus, äußert sich:

  1. in der Planmäßigkeit der Wirtsthaftsführung. Alle echt kapitalistische Wirtschaft ruht auf einem so weit als möglich in die Zukunft reichenden Wirtschaftsplane. Hier wird die erst in der modernen Wirtschaft zur Geltung gekommene Methode der langen Produktionswege eingeschlossen:
  2.  in der Zweckmäßigkeit. Dem weitausschauenden Wirtschaftsplane entspricht die peinlich sorgfältige Auswahl der zu seiner Verwirklichung dienenden Mittel, deren jedes — entgegen der traditionalistischen Methode unbedachter Verwendung auf seine höchste Zweckdienlichkeit hin geprüft wird;
  3. in der Rechnungsmäßigkeit. Da ja alle wirtschaftlichen Vorgänge innerhalb des kapitalistischen Nexus auf ihren Geldwert ausgerichtet werden und da, wie gleich des genaueren darzulegen sein wird, alle kapitalistische Wirtschaftsführung auf die Erzielung eines letzten Gewinnsaldos hinausläuft, so ergibt sich für die kapitalistische Unternehmung die Notwendigkeit exaktziffermäßiger Berechnung und Registrierung aller in den Vertragschlüssen niedergeschlagenen wirtschaftlichen Einzelerscheinungen und ihre rechnerische Zusammenfassung zu einem sinnvoll geordneten Zahlensystem.

Daß sich der Betrieb einer „neuzeitlichen Unternehmung nicht im Erzeugen von Schienen oder Garn oder Elektromotoren,oder im Transport von Steinen oder Menschen erschöpft, weiß man. Man weis, daß das alles nur einen Bestandteil im Gesamtgetriebe der Unternehmung bildet. Man weiß auch, daß die spezifische Unternehmertätigkeit gar nicht in der Vollziehung jener technischen Vorgänge, sondern in ganz etwas anderem besteht. Dieses andere ist — einstweilen soll es nur ganz grob umrissen werden, um später im Detail ausgeführt zu werden — wie man ebenfalls weiß, ein beständiges Kaufen und Verkaufen (von Produktionsmitteln, Arbeitskräften, Waren) oder wie ich es genannt habe: ein Vertragschließen über geldwerte Leistungen und Gegenleistungen.

Was heißt nun eine glückliche Geschäftsführung im kapitalistischen Sinne: Doch wohl, daß diese vertragschließende Tätigkeit von Erfolg begleitet war. Woran aber läßt sich dieser Erfolg, bemessen: An der Qualität der Leistungen doch sicher nicht, ebenso wenig an der naturalen Quantität. Vielmehr doch wohl einzig und allein daran, ob am Ende einer Wirtschaftsperiode die vorgeschossene Geldsumme (ohne die unserer Definition der kapitalistischen Wirtschaftsverfassung gemäß überhaupt kein produktiver, Akt zustande kommt) wieder da ist und außerdem einen Überschuß gebracht hat, den wir „Profit“ nennen. Auf die geschickte, Bewerkstelligung jener Vertragsabschlüsse über geldwerte Leistungen und Gegenleistungen läuft am letzten Ende die Kunst des Wirtschaftsleiters hinaus und deren Inhalt entscheidet die Frage, ob die Zwecke der Unternehmung erreicht sind. Mögen Arbeitsleistungen gegen Sachgüter oder Sachgüter gegen Sachgüter eingetauscht werden: immer kommt es darauf an, daß dabei am letzten Ende jenes Plus an Sachvermögen in den Händen des kapitalistischen Unternehmers zurückbleibt. „In der Beziehung, auf das allgemeine Waarensquivalent, auf die Verkörperung des Tauschwertes im Gelde wird aller Inhalt der Verträge über Lieferung von Waren oder Arbeitsleistungen aller qualitativen Unterschiedlichkeit beraubt und nur noch huantitativ vorgestellt, sodaß nun eine Aufrechnung in dem zahlenmäßigen Debet und Kredit möglich ist. Daß das Soll und Haben des Hauptbuchs, mit einem Saldo zugunsten des kapitalistischen Unternehmens abschließe: in diesem Effekt liegen alle Erfolge wie aller Inhalt, der in der kapitalistischen Organisation unternommenen Handlungen eingeschlossen.“

Worauf es nun aber hier vor allem ankommt, ist dieses: daß wir uns klar machen, welcherart Funktion innerhalb dieses Wirtschaftssystems den Wirtschaftssubjekten, also den kapitalistischen Unternehmern erwachsen (denn daß wir die Eignung der Juden nur für diese nicht etwa auch für die Objekte der kapitalistischen Wirtschaft nachweisen wollen, ist wohl jedermann klar); welche besonderen Fertigkeiten infolgedessen den geeignetsten Unternehmer ausmachen, der im Konkurrenzkampfe obsiegt und also den Typus bestimmt. Da ist denn das, was mir am ehesten das Verständnis für die Eigenart des kapitalistischen Unternehmertums zu vermitteln scheint, die Einsicht, daß sich hier die Lebensäußerungen zweier wesensverschiedener Naturen, zu einer Einheit verbinden: das gleichsam zwei Seelen auch im kapitalistischen Unternehmer wohnen, die aber zum Unterschiede, von denen Faustens sich nicht voneinander trennen wollen, die vielmehr dort, wo das kapitalistische Unternehmertum zu seiner reinsten und höchsten Entfaltung kommt, in inniger Harmonie gemeinsames Werk vollbringen. Was ich hier vereinigt finde, sind der Unternehmer und der Händler, wie wir einstweilen die beiden Typen benennen wollen, Unternehmer und Händler, die beide außerhalb des kapitalistischen Nexus gesondert vorkommen, ihre Seelen aber nur im kapitalistischen Wirtschaftssubjekt zu ganz neuer und eigenartiger Individualität, zusammenfügen.

Unternehmer. Das ist ein Mann, der eine Aufgabe zu erfüllen hat und dieser Erfüllung sein Leben opfert. Eine Aufgabe, zu deren Lösung er die Mitwirkung anderer Menschen braucht, weil es sich immer um ein Werk handelt, das in die Außenwelt projiziert werden soll. Dieses Verwirklichungsbedürfnis unterscheidet ihn vom Künstler und vom Propheten, mit denen gemeinsam ihm die Werkerfülltheit, das Bewußtsein der Aufgabe, ist. Ein Mann also mit langausschauendem Sachinteresse, dessen einzelne Handlungen immer im Hinblick auf das zu bewaltigende Gesamtwerk geplant und ausgeführt werden. Ein reiner Unternehmertyp ohne kapitalistisches Gepräge ist beispielsweise der Afrikareisende großen Stils oder der Nordpolfahrer. Der Unternehmer wird zum kapitalistischen Unternehmer dadurch, daß sich mit ihm ein Handler vereinigt.

Händler. Das ist ein Mensch, der lukrative Geschäfte, machen will. Dessen gesamte Vorstellungs- und Gefühlswelt auf die geldwerte Bedeutung von Zuständen und Handlungen ausgerichtet ist, der deshalb beständig alle Phänomene in Geld, umrechnet. Für den die Welt ein großer Markt ist mit Angebot und Nachfrage, mit Konjunkturen und Gewinn- oder Verlust-Chancen. Der immerfort fragt: was kostets, was trägts: Und dessen fortgesetztes Fragen in diesem Sinne in die inhaltschwere letzte Frage ausmündet: „was kostet die Welt“. Der Gedankenkreis des Händlers umspannt immer nur Ein Geschäft, auf dessen vorteilhaften Abschluß sich seine ganze Energie konzentriert, auf dessen Erfolg hin er die Gesamtheit der Marktverhältnisse betrachtet und bewertet.

Im Prozeß der kapitalistischen Wirtschaft bildet der Unternehmer die Konstante; der Händler die Variable.

Konstanz ist die Wesenheit des Unternehmers, weil der auf ein bestimmtes fernes Liel gerichtete Wille die Einhaltung eines bestimmten Programms, das unentwegte Fortschreiten in der einmal eingeschlagenen Richtung heischt. Wechsel in der Zwecksetzung ist gegen seine Natur, da mit ihm ein beständiger Wechsel, in der Mittelwahl verbunden ist, der der Erreichung des vorgesteckten Ziels hinderlich erscheint, Zielstrebigkeit macht den Grundzug seines Charakters aus. Der Händler ist das variable Element, weil seine Aufgabe darin besteht, sein Handeln der jeweiligen von ihm in ihrer Eigenart zu erkundenden Marktlage, bedingungslos anzupassen. Also muß er Richtung und Art seiner wirtschaftlichen Tätigkeit von Augenblick zu Augenblick wechseln können, sobald es die veränderte Konjunktur verlangt. Geschäftigkeit vor allem soll er entfalten.

So bildet — um es durch ein Gleichnis noch zu verdentlichen, was ich meine — der Unternehmer den Rhythmus, der Händler die Melodie im kapitalistischen Tonwerk; der Unternehmer ist die Kette, der Händler der Einschlag im kapitalistischen Gewebe.

Diese „Zweiseelentheorie“ soll natürlich nur dazu dienen, die Anordnung der einzelnen Unternehmerfunktionen übersichtlicher zu gestalten, Worauf es sachlich vor allem ankommt, ist nunmehr, diese selbst in ihrer Eigenart richtig zu erfassen und zu beschreiben.

Im Unternehmer, sehe ich folgende Menschentypen vereinigt:

  1. Den Erfinder. Nicht sowohl (obwohl auch dieser Fall, nicht ausgeschlossen und in Wirklichkeit sogar, wie man weiß, häufig ist) von technischen Neuerungen als vielmehr von ökonomisch-organisatorisch neuen Formen der Produktion, des Transportes und des Absatzes. Als Erfinder-Unternehmer fühlt, er sich nun aber nicht befriedigt, wie der „reine Erfinder, wenn er seine Erfindung gemacht hat: es treibt ihn, ihr in tausendfältiger Gestalt Leben zu verleiben;
  2. den Entdecker. Entdecker wird der Unternehmer von neuen Absatzmöglichkeiten: intensiv wie extensiv neuen. Dieser wenn er ein räumlich neues Feld für seine Betätigung ausfindig macht: den Eskimos Badehosen, den Negern Antiphone liefert; jener wenn er in einem schon eroberten Gebiete neue Bedürfnisse entdeckt, Der rechte Unternehmer ist
  3. ein Eroberer. Er muß die Entschlossenheit und die Kraft besitzen, alle Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellen,niederzukämpfen. Er ist immer — so lange er spezifische Unternehmerfunktionen ausübt — ein Conquestador auf ökonomischem Terrain. Ein Eroberer aber muß er sein auch in dem Sinne eines Mannes, der viel zu wagen die Kraft hat. Der alles — das heißt, in unserem Falle im wesentlichen sein Vermögen, aber doch auch seine bürgerliche Ehre und schließlich sein Leben, wenn es nottut — einsetzt, um für sein Unternehmen Großes zu gewinnen. Es handle sich um die Einführung eines neuen Verfahrens, um die Angliederung eines neuen Betriebszweiges, um die Ausdehnung des Geschäfts auf schwanker Kreditbasis usw. Endlich die vielleicht bedeutsamste Unternehmerfunktionist die
  4. des Organisators. Organisieren heißt: viele Menschenzu einem glücklichen, erfolgreichen Wirken zusammenfügen, heißt Menschen und Dinge so disponieren, daß die gewünschte,Nutzwirkung uneingeschränkt zutage tritt. Darin ist nun ein sehr mannigfaches Vermögen und Handeln eingeschlossen.
    1. Zum ersten muß, wer organisieren will, die Fähigkeit besitzen, Menschen auf ihre Leistungsfähigkeit hin zu beurteilen, die zu einem bestimmten Zweck geeigneten Menschen also auseinem großen Haufen herauszufinden.
    2. Dann muß er das Talent haben, sie statt seiner arbeiten zulassen; also namentlich auch Personen in leitende Stellung zu bringen, die (wenn der Umfang der Unternehmung wächst) einen Bestandteil nach dem andern systematisch von der Gesamttätigkeit des Chefs auf sich übernehmen.
    3. Im Zusammenhange mit der eben berührten Aufgabe steht, dann die andere nicht minder wichtige: jeden Arbeiter an seine richtige Stelle zu setzen, wo er das Maximum von Leistung vollbringt und ihn immer so anzutreiben, daß er die seiner Leistungsfähigkeit entsprechende Höchstsumme von Tätigkeit auch wirklich entfaltet, nachdem es vorher gelungen ist, ihn überhaupt heranzuholen.
    4. Endlich liegt es dem Unternehmer ob, dafür Sorge zu tragen, daß die zu gemeinsamer Wirksamkeit zusammengefügten Menschengruppen in quantitativer wie qualitativer Hinsicht richtig zusammengesetzt sind und untereinander ¬ wenn es sich um mehrere solcher Einheiten handelt — in bester Beziehung stehen. Ich berühre damit das Problem der zweckmäßigen Betriebsgestaltung, das ja zu den schwierigsten gehört, die dem Unternehmer gestellt sind.

Betriebsorganisation bedeutet aber nicht nur eine geschickte, Wahl der sachlich (d. h. technisch) richtigen Kristallisationspunkte, für die einzelnen Menschengruppen, sondern ebenso eine glückliche Einfügung in geographische, ethnologische, konjunktürliche Besonderheiten. Es gibt nicht nur eine absolut, sondern — die praktisch wichtigere Form — auch eine relativ beste Betriebsgestaltung. Beispiel die Organisation der Westinghouse Electrie Co. in den Vereinigten Staaten ist eine der genialsten Leistungen, der Organisationskunst.

Als die Gesellschaft beschloß, den englischen Markt zu erobern und zu diesem Behufe in England einen Betrieb einrichtete, organisierte sie ihn ganz nach dem Vorbilde der amerikanischen Musteranstalt. Ergebnis nach wenigen Jahren: finanzieller Zusammenbruch der englischen Zweigniederlassung. Grund: ungenügende Berücksichtigung der englischen Eigenart.

Damit sind wir nun aber schon an diejenige Funktion des kapitalistischen Unternehmers herangekommen, die in der geschickten Benutzung der Konjunktur, in einer sinnvollen Anpassung an die Marktverhältnisse gipfelt und die ich als diejenige des Händlers glaube betrachten zu sollen, von ihr muß nun ausführlicher gehandelt werden.

Händler, nenne ich in diesem Zusammenhang nicht einen Menschen, der einen bestimmten Beruf ausübt, sondern einen, dem bestimmte Funktionen im kapitalistischen Wirtschaftsprozeß obliegen. Händler, ist also nicht etwa jemand, der berufsmäßig Güterumsatz betreibt, also im gemeinen Verstande „Kaufmann“ ist. Es gibt vielmehr, Kaufleute im Sinne der berufsmäßigen Gütervermittler, die alles andere als Händler im hier gemeinten Sinne sind.

Alle jene Leute, die,

„Güter zu suchen“

ausgehen, von denen die Heldenlieder singen und sagen, und von denen unsere guten „Historiker“ so viel Erbauliches zu berichten wissen, gehören meist nicht zur Kategorie der „Händler“. Weil die spezifische Tätigkeit, die sie entfalten, um ihren Beruf auszuüben, mit der, die ich dem Händler zurechne, ganz und gar nichts zu tun hat.

Man muß endlich einsehen, daß „Handeltreiben“ sehr Verschiedenes bedeuten kann, Beispielsweise: Schiffe ausrüsten und bewaffnen, Krieger anwerben, Länder erobern, die Einheimischen mit Flinten und Säbeln zu Paaren treiben, ihnen ihr Hab und Gut abnehmen, es auf die Schiffe laden und im Mutterlande auf öffentlichen Auktionen an den Meistbietenden versteigern.

Oder aber: ein paar alte Hosen erwerben durch schlaues Ausbaldowern eines geldbedürftigen Kavaliers, zu dessen Wohnung man fünfmal vergeblich gelaufen ist und sie unter Aufgebot aller Überredungskunste einem Bäuerlein aufschwatzen,

Oder aber: Differenzgeschäfte in Effekten an der Börsee, machen,

Offenbar sind die funktionellen Spezifika bei den handelnden Personen im einen und andern Falle grundverschieden voneinander. Um in vorkapitalistischer Zeit „Handel zu treiben“ das heißt im großen Stil, wie es die „königlichen Kaufleute“ in den italienischen und deutschen Handelsstädten etwa taten, mußte man vor allem „Unternehmer“ sein, so wie ich ihn im vorstehenden geschildert habe: Entdecker und Eroberer in erster Linie. „Jeder (der Bürger Genuas) hat einen Turm in seinem Hause; bricht, Krieg unter ihnen aus, so dienen ihnen die Zinnen der Türme, als Schlachtfeld. Sie beherrschen das Meer; bauen sich Schiffe, Galeeren genannt, und ziehen zum Raube aus in die entlegensten, Ortschaften. Die Beute bringen sie nach Genua. Mit Pisa leben sie in ewigem Streit“. „Königliche Kaufleute“ Aber nicht das, was ich hier Händler nenne.

Händlerfunktionen ausüben, Handler sein (nicht im beruflichen, sondern im funktionellen Verstande) heißt (wie ich schon bei der allgemeinen Umschreibung des Begriffes sagte): Inkrative, Geschäfte treiben; heißt zwei Tätigkeiten zu einem gemeinsamen Zwecke vereinigen: Berechnen und Verhandeln. Der Händler muß also — um ihn wie den Unternehmer auch durch Personalbezeichnungen zu charakterisieren, obwohl hier so geläufige Ausdrücke wie dort nicht zur Verfügung stehen –

  1. spekulierender Kalkulator,
  2. Geschäftsmann, Verhändler,

sein. Was im einzelnen folgendes bedeutet.

In seiner ersten Eigenschaft hat der Händler lukrative, Geschäfte zu machen. Das heißt auf eine einzige Formel gebracht: er muß billig einkaufen und teuer verkaufen — was immer es auch sei.

Also (im Rahmen einer kompletten Unternehmung) muß er: die sachlichen ebenso wie die persönlichen Produktionsfaktoren, zum billigsten Preise einhandeln. Während des Produktionsprozesses hat er unausgesetzt auf sparsame Verwendung der Produktionsfaktoren bedacht zu sein. Der „gute Hausvater“ muß ihm im Blute stecken,

„Verschwendung auch im kleinsten zu bekämpfen, ist nicht kleinlich, denn sie ist eine fressende Krankheit, die sich nicht lokalisieren läßt. Es gibt große Unternehmungen, deren Existenz davon abhängt, ob die mit Erde gefüllten Kippwagen rein entleert werden oder ob eine Schaufel voll Sand darin zurückbleibt“ (W. Rathenau).

Dann — vor allem — hat er die fertigen Produkte (oder was sonst abzusetzen ist) vorteilhaft zu verkaufen: ie an die zahlungsfähigste Person am aufnahmefähigsten Markte zur nachfragestärksten Zeit.

Für die Bewältigung dieser Aufgaben muß er „spekulative“ und „kalkulatorische“ Fähigkeiten mitbringen, Spekulation (in diesem besonderen Verstande) nenne ich die Ableitung richtiger, Schlüsse für den Einzelfall aus der Beurteilung des Gesamtmarktes.  Es ist eine ökonomische Diagnose, Es heißt alle vorhandenen Erscheinungen des Marktes überblicken und in ihrem Zusammenhange erkennen; bestimmte Symptome richtig bewerten; die Möglichkeiten der zukünftigen Entwicklung richtig abwägen und dann vor allem mit untehlbarer Sicherheit aus hundert Möglichkeiten die vorteilhafteste herausfinden.

Zu diesem Behufe muß der Händler mit tausend Augen sehen, mit tausend Ohren hören, mit tausend Tastern fühlen können. Hier gilt es kreditbedürftige Kavaliere, kriegslüsterne Staaten auszukundschaften und ihnen im rechten Augenblick ein Darlehen anzubieten; dort eine Arbeiterkategorie zu erspähen, die um ein paar Pfennige billiger arbeitet. Hier gilt es die Chance richtig zu ermessen, die ein neueinzuführender Artikel, beim Publikum hat; dort den Einfluß richtig einzuschätzen, der ein politisches Ereignis auf die Stimmung des Elektenmarktes, ausüben wird usw. Daß der Händler alle seine Beobachtungen sofort in einer Geldziffer auszudrücken, daß er die tausend Einzelziffern sicher zu einer Gesamtberechnung der Gewinn- und Verlustchancen zusammenzufügen versteht, das macht ihn zum „Kalkulator“ zum Berechner. Und wenn er in dieser Kunst, jedes Phänomen im Augenblick auf eine Ziffer im Hauptbuch zu reduzieren, ein Meister ist, dann nennt man ihn in den Vereinigten Staaten „a wonderfully shrewd calculator„: „einen wundervoll gerissenen Rechner,“

Aber der Händler muß nicht nur den sicheren Blick haben, will er reüssieren, wo und wann und wie ein lukratives Geschäft gemacht werden könne: er muß es auch zu machen verstehen. Hier berührt sich die Funktion, die er ausüben soll, mit der des Unterhändlers, der zwischen zwei streitenden Parteien, vermitteln soll. Unser deutsches Wort drückt die Verwandtschaft der beiden Tätigkeiten wenigstens zum Teil noch aus. Ganz und gar dieselbe Bezeichnung für den Begriff: Waren verhandeln und Staatsverträge verhandeln haben die Griechen in ihrem Worte, xxxxxxxxx: Es bedeutet ganz allgemein „Geschäfte machen“ und nur im besonderen: Handels- oder Geldgeschäfte machen, Handeltreiben, wird aber ebenso für den Abschluß offentlicher Geschäfte, gebraucht im Sinne von Staatsangelegenheiten verhandeln. xxxxxxxxx ist Einer, der Geschäfte, besonders Handels- oder Geldgeschäfte „treibt, ein betriebsamer Mensch, guter Wirt, der sich auf die Kunst zu erwerben, gewinnen wohl versteht“ Plato, Rep. 434a: xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx heißt „zum xxxxxxxxx geschickt; daher

  • 1. zu Handels und Geldgeschäften, zum Erwerb von Vermögen, zum Gewinn, geschickt.
  • 2. zur Abmachung offentlicher oder von Staatsgeschäften gehörig, geschickt (Pape, griechisch-deutsches Lexikon).

Ähnlich wird ja auch unser deutsches Wort „Geschaft“ in dem hier verzeichneten Doppelsinne gebraucht, wenn wir von Geldgeschäften und Staatsgeschäften, vom Geschäftsmann und Geschäftsträger sprechen. Worin besteht nun diese Geschäftstätigkeit, dieses spezifisch chrematistische Gebaren?

Ich denke, wir finden darauf am ehesten eine zutreffende Antwort, wenn wir den im Namen des Wortes ausgedrückten Sinn uns vergegenwärtigen: „verhandeln“ ist der Inhalt der Tätigkeit sowohl des Händlers wie des Unterhändlers. Zwiesprache halten mit einem andern, um ihn durch Beibringung von Gründen und Widerlegung seiner Gegengründe zur Annahme, einer bestimmten Handlung zu bewegen. Verhandeln heißt ein Ringkampf mit geistigen Waffen.

Handel treiben in diesem besonderen Sinne heißt also wegen Kaufs oder Verkaufs einer Ware (Aktie, Unternehmung, Anleihe), verhandeln. Handel treibt (immer in diesem spezifischen Verstande) der keine Hausierer, der mit der Köchin um die Überlassung eines Hasenfelles „feilscht“ oder der Altkleiderjude, der wegen Verkaufs einer Hose eine Stunde auf den Fuhrmann vom Lande einredet; aber auch der Nathan Rothschild, der in seiner viele Tage währenden Konferenz mit dem preußischen „Unterhändler“ unter besonders komplizierten Verhältnissen eine Millionenanleihe abschließt. Das sind rein quantitative Unterschiede, die hier hervortreten; der Kern der Sache ist derselbe:

die Seele alles (modernen) „Handels“ ist die Verhandlung, die nun ganz gewiß nicht immer mündlich, Auge in Auge zu erfolgen, braucht. Sie kann auch stillschweigend sich vollziehen: indem der Verkäufer beispielsweise durch allerhand Kunstgriffe einem p. t. Publico die Vorzüge seiner Ware dermaßen plausibel macht, daß dieses sich genötigt sieht, die Ware bei ihm zu kaufen. Reklame heißen derart Kunstgriffe. Hier könnte man — in Anlehnung an Vorgänge in der Kindheit des Warenaustausches — von einem „stummen Tauschhandel“ sprechen, wenn anders man Anpreisungen in Wort und Bild als stumme bezeichnen will.

Immer handelt es sich darum, Käufer (oder Verkäufer) von der Vorteilhaftigkeit des Vertragsabschlusses zu überzeugen. Das Ideal des Verkäufers ist dann erreicht, wenn die ganze Bevölkerung nichts mehr für wichtiger erachtet, als den von ihm gerade angepriesenen Artikel einzukaufen, Wenn sich der Menschenmassen eine Panik bemächtigt, nicht rechtzeitig mehr zum Erwerb zu kommen (wie es der Fall ist in Zeiten fieberhafter Erregung auf dem Effektenmarkte).

Großen Absatz haben heißt: daß die Interessen, die ein Geschäftsmann erregt und sich dienstbar macht, entweder sehr starke oder sehr allgemeine sein müssen. 

„Wer eine Million umzusetzen wünscht, muß tausend Menschen zu dem schweren Entschluß zwingen, je tausend Mark bei ihm gegen Waren einzutauschen oder er muß seinen Einfluß so stark über die Menge verbreiten, daß hunderttausend Menschen sich gedrängt fühlen, mit ihm um zehn Mark zu handeln. Freiwillig — besser: aus freien Stücken (W. S.) — suchen ihn weder die Tausend noch Hunderttausend auf, denn sie alle empfinden längst andere Bedürfnisse der Anschaffung, die zurückgedrängt werden müssen (?), wenn der neue Geschäftsmann reüssieren soll.“ (W. Rathenau.)

Interesse erregen, Vertrauen erwerben, die Kauflust wecken: in dieser Klimax stellt sich die Wirksamkeit des glücklichen Händlers dar. Womit er das erreicht, bleibt sich gleich, Genug, daß es keine äußeren, sondern nur innere Zwangsmittel sind, daß der Gegenpart nicht wider Willen, sondern aus eigenem Entschlusse den Pakt eingeht. Suggestion muß die Wirkung, des Händlers sein. Der inneren Zwangsmittel aber gibt es viele.

Eines der wirksamsten besteht in der Erweckung der Vorstellung, daß der sofortige Abschluß des Geschäftes besondere Vorteile gewähre. 

„Es sieht nach Schneewetter aus, Knaben — sagten die Finnen — denn sie hatten Aanderer (eine Art von Schneeschuhen) zu verkaufen“ 

heißt es in der Magnus, Barford-Sage (1006 n. Chr.). Das ist das Urbild aller Händler: der hier spricht, und die Aufforderung an die norwegischen Knaben, Schneeschuhe zu kaufen, ist das Prototyp der Reklame: dieser Waffe, mit der heute der Händler kämpft, der nicht mehr, auf festen Burgen thront, wie sein Vorgänger in Genua zur Zeit Benjamins von Tudela, der aber auch nicht mehr mit Kanonen die Wohnplätze der Eingeborenen niederschießen kann, wenn sie sich weigern mit ihm „Handel zu treiben“ wie etwa der Ostindienfahrer des 17. Jahrhunderts.