Wws-T3: Dritter Schritt: Metastrategien finden Stephanie Stahl - Wer wir sind: Wie wir wahrnehmen, fühlen und lieben. Alles, was Sie über Psychologie wissen sollten
Dritter Schritt: Metastrategien finden
Für sich genommen schaden negative Glaubenssätze und belastende Gefühle unseren Beziehungen nicht, sofern sie sich nicht auf der Verhaltensebene niederschlagen. Stellen wir uns vor, Luis denkt über sich, dass er nicht genüge, und fürchtet, deswegen von anderen Menschen abgelehnt zu werden. Wenn Luis einfach dabei verbliebe und anderen Menschen gegenüber manchmal äußerte, dass er Angst habe, nicht zu genügen und auf Ablehnung zu stoßen, dann würde wahrscheinlich nicht viel Schlimmes passieren. Vielleicht würde er sogar durch seine Offenheit auf Verständnis und Unterstützung stoßen. Meistens ist es jedoch so, dass die Schattenkind-Prägungen zu maladaptiven Verhaltensweisen in Form von Selbstschutzstrategien führen, die das eigentliche Problem eher verstärken als lösen.
Beispielsweise könnte Luis sich aufgrund seiner sozialen Ängste aus Kontakten zurückziehen. Die Einsamkeit, die sich hierdurch einstellte, wäre zwar ein adaptives Gefühl, aber deswegen nicht weniger belastend. Durch seine Selbstschutzstrategie würde Luis sich ein weiteres Problem erschaffen.
Maladaptive Verhaltensstrategien durch adaptive zu ersetzen, ist ein zentraler Aspekt in der psychotherapeutischen Arbeit. In der Regel werden Vermeidungsziele (im obigen Beispiel: nicht abgelehnt zu werden) durch Annäherungsziele (soziale Situationen aufsuchen) ersetzt. Mit dem sozialängstlichen Klienten Luis könnte man also, neben den bereits dargestellten Interventionen, auch auf der Verhaltensebene Strategien erarbeiten, mit deren Hilfe er soziale Situationen meistern kann. Man könnte mit ihm üben, Smalltalk zu halten, vor einer Gruppe zu sprechen, konstruktiv zu diskutieren oder sich freundlich, aber klar abzugrenzen. In meinen Sitzungen trainiere ich jedoch nur im Ausnahmefall konkretes Verhalten. Bei mir geht es eher darum, Ideen für mögliche Verhaltensweisen zu entwickeln. Wenn ein Klient beispielsweise konfliktscheu ist, dann ermuntere ich ihn, das Gespräch mit seinem Interaktionspartner zu suchen, aber ich trainiere keine Gesprächsstrategien, sondern gebe höchstens ein paar Tipps. (028) Ich möchte in meinen therapeutischen Gesprächen vor allem den roten Faden zur Selbsthilfe vermitteln.
Ich denke also mit meinen Klienten darüber nach, welche Verhaltensweisen günstiger wären als die von ihnen bevorzugten Selbstschutzstrategien. Meistens geht es darum, eine passende Metastrategie für ein Problem zu nden. Unter Metastrategie verstehe ich, dass man sich für bestimmte »Standardsituationen«, in denen das Schattenkind leicht getriggert ist, eine Verhaltensstrategie zurechtlegt, auf die man immer zurückgreifen kann. Der Klient, die Klientin muss sich also nicht jedes Mal neu entscheiden, sondern hat sein/ihr Verhaltensrepertoire sozusagen »in der Tasche«. Dies reduziert Hilflosigkeit und stärkt somit die internale Kontrollüberzeugung.
anna beispielsweise, die immer so schnell den Job kündigt (siehe hier), hatte am Ende unseres Gesprächs eine Metastrategie für sich entwickelt: Sie wollte ihre Projektionen genau im Auge behalten, nämlich, dass sie weibliche Vorgesetzte grundsätzlich als aggressiv und übermächtig wahrnimmt. Sie nahm sich vor, vom Schattenkind auf ihr Erwachsenen-Ich umzuschalten (Ertappen und Umschalten ), damit sie mit ihrem Gegenüber auf Augenhöhe verbleibt. Weiterhin will sie zukünftig reden, anstatt sich schweigend zurückzuziehen. Ich würde ihr zudem vorschlagen, ihre – anscheinend sehr nette – Chefin in diesen Prozess mit einzubeziehen. Sie könnte diese ins Vertrauen ziehen und ihre guten Vorsätze ankündigen. Hierdurch könnte sie in ihrer Chefin eine Unterstützerin finden, die sie zu den gewünschten Verhaltensweisen ermutigt.
Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Hanna sich Antwortstrategien zurechtlegt. Wenn sie beispielsweise von einer Kollegin kritisiert wird, könnte sie standardmäßig antworten: »Vielen Dank für dein Feedback. Ich werde darüber nachdenken und dann noch mal auf dich zukommen.« Hierdurch gewinnt sie Zeit und kann die Kritik in Ruhe analysieren und besonnen reagieren. Antwortstrategien sind Antworten, die man sich vorher für schwierige Situationen zurechtlegt. Eine Antwortstrategie ist beispielsweise auch die Übertreibung: Wenn man unnötigerweise oder im Spaß kritisiert wird, beispielsweise durch eine Anmerkung wie »Kochen gehört wohl nicht zu deinen Stärken!«, so kann man dem hinzufügen: »Und Stricken kann ich noch viel schlechter!« Eine andere Standardantwort könnte auch lauten: »Kannst du das auch rückwärts sagen?« (029)
Eine Metastrategie kann auch eine veränderte Haltung zu einem Problem darstellen. Bei der Haltung geht es darum, sich etwas ein für alle Mal klarzumachen. Häufig handelt es sich hierbei um Beziehungsprobleme. Die Klientin hofft, dass ihr Interaktionspartner ein bestimmtes Verhalten zeigen oder abstellen wird, um die Beziehung zu verbessern. So war es auch bei Charlotte der Fall, die die Hoffnung nicht aufgeben konnte, ihre Mutter möge sich verändern (siehe hier). Charlotte überlegte im Gespräch, dass sie eine andere Haltung zu ihrer Mutter bräuchte. Sie wollte sich ein für alle Mal klarmachen, dass ihre Mutter aufgrund ihrer Traumatisierung nicht imstande ist, mehr zu geben, als sie aktuell gibt. Diese Erkenntnis beziehungsweise Haltung ermöglicht Charlotte den Ausstieg aus der konditionierten Selbstwertspiegelung (siehe dazu auch den Abschnitt »Wir sind unsere Erinnerung«), da sie die Verantwortung für das Defizit an mütterlicher Empathie bei ihrer Mutter belässt. Bis dahin hatte Charlotte unbewusst die Verantwortung für das Verhalten ihrer Mutter übernommen. Dass ihr Schattenkind fühlte und dachte, es bekomme keine Anerkennung von der Mutter, wirkte sich automatisch schlecht auf Charlottes Selbstwert aus. Wenn sich Charlotte jedoch ein für alle Mal klarmacht, dass der Mangel auf der mütterlichen Seite liegt, dann kann sie ihren Selbstwert freisprechen und die Kränkung bleibt aus.
In meinen Büchern »Das Kind in dir muss Heimat finden« und »Jeder ist beziehungsfähig« erläutere ich nicht nur die gängigsten Schutzstrategien ausführlich, sondern stelle den Leserinnen und Lesern auch diverse Schatzstrategien vor, also adaptive Verhaltensweisen, mit denen sie sich und ihre Beziehungen entlasten können. Hierbei geht es nicht nur um die Handlungsebene, sondern auch um die Wahrnehmungsebene. Am Beispiel von Charlotte haben wir gesehen, dass auch eine veränderte Wahrnehmung das Problem lösen kann. Ihre neue Haltung, nämlich das Problem bei ihrer Mutter und nicht bei sich zu verorten, fußt auf einer veränderten Sichtweise.
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