Verhalten und Erleben Psychoanalyse und Direktbeobachtung: vereinbar oder nicht?
Verhalten und Erleben
Es ist allerdings ein Unterschied, ob man die aktuelle Interaktion von Mutter und Kind beobachtet und beschreibt oder ob man eine Aussage darüber machen möchte, wie das Kind diese Interaktion erlebt. In anderen Worten: Verhalten und Erleben sind zweierlei. Verhalten ist oft trügerisch und das
Erleben vielleicht ein ganz anderes (Stork 1986, S. 49). Die Verschiedenheit von Verhalten und Erleben ist klinisch gut begründbar.
Um nur ein Beispiel zu geben: Intrapsychisch hohe Aggressionsspannung kann mit bemerkenswert unaggressivem Verhalten einhergehen. Ich denke, daß dies beim Erwachsenen und auch beim älteren Kind in der Tat der Fall sein kann, [*] nicht aber beim Säugling oder Kleinkind! Bei ihm sind Körper und Psyche noch so eng verbunden, daß die Empfindungen und das Erleben sich direkt im Verhalten ausdrücken. Der Affektausdruck ist noch nicht sozialisiert, Gefühle können noch nicht verborgen oder verdrängt werden, und deshalb sind Gefühlsausdrücke, Körpermotorik und andere Verhaltensmanifestationen die besten und zuverlässigsten Auskunftgeber für das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein bestimmter Gefühle.
Diese Auffassung kann bestärkt werden durch Verweis auf die direktbeobachtende Säuglingsaffektforschung, der es gelungen ist, einiges Licht in das Dunkel des frühesten kindlichen Gefühlslebens zu bringen (s. Kap. 5).
Impressum