IZ: 7.3 Menschliche Programmierung: Wenn gute Mechanismen fehlschlagen

Kehren wir zurück zu der evolutionären Herausforderung des Menschen, der so viel ler­nen muß, um zu überleben und Teil seiner sozialen Gemeinschaft zu werden. Die Evo­lution hat unsere Gehirne mit der Fähigkeit versorgt, in kurzer Zeit eine unvorstellbar große Anzahl von Verhaltensweisen und Überzeugungen abzuspeichern.

 

Derzeitige Forschungen weisen darauf hin, daß ein Schlüssel zum Verständnis dieser schnellen Speicherfähigkeit in der fluktuierenden elektrischen Aktivität des Gehirns liegt, die wir in Elektroenzephalogrammen (EEGs) ablesen können.

 

Die zunehmend komplexeren Bilder dieser EEGs zeigen eine große Bandbreite menschlicher Gehirnak­tivität. Sowohl Erwachsene als auch Kinder zeigen Variationen von langsamen Del­ta-Wellen bis hin zu schnellen Beta-Wellen. Man hat jedoch festgestellt, daß bei Kin­dern in jedem Entwicklungsstadium eine ganz bestimmte Wellenfrequenz vorherrscht.

 

Dr. Rima Laibow [Laibow 1999 und 2002] beschreibt in dem Buch QUANTITATIVE EEG AND NEUROFEEDBACK den Ablauf dieser Entwicklungsstadien der Gehirnaktivität. Von der Geburt bis zum Alter von zwei Jahren funktioniert das Gehirn hauptsächlich in der tiefsten EEG-Frequenz von 0,5 bis 4 Zyklen pro Sekunde (Hz), die wir Delta-Wellen nennen. Doch auch wenn sich ihre Gehirnaktivität die meiste Zeit in Delta-Wellen mes­sen läßt, lassen sich auch bei Säuglingen kurze Ausschläge in höhere Frequenzbereiche feststellen.

 

Im Alter von zwei bis sechs Jahren befindet sich das Gehirn des Kindes dann hauptsächlich in einem etwas höheren Frequenzbereich, den Theta-Wellen (4-8 Hz). Ein Hypnotherapeut versetzt seine Patienten in einen Delta- und Theta-Zustand, weil diese niedrige Gehirnfrequenz sehr empfänglich für Programmierungen ist.

 

Das gibt uns einen wichtigen Hinweis darauf, wie Kinder, deren Gehirn bis zum Alter von sechs Jahren hauptsächlich in diesen Frequenzen schwingt, die unglaubliche Menge an Informationen abspeichern können, die sie brauchen, um sich ihrer Umgebung anzu­passen und Entwicklungsfortschritte zu machen. Die Fähigkeit, derart viele Informatio­
nen zu verarbeiten, ist eine wichtige neurologische Anpassungsleistung, die diesen in­formationsintensiven Prozeß des Hineinwachsens in eine Kultur ermöglicht.

 

Die menschliche Umgebung und die sozialen Sitten und Gebräuche ändern sich so schnell, daß es nicht sinnvoll wäre, kulturelles Verhalten über genetisch programmierte Instinkte zu vermitteln. Kleine Kinder beobachten ihre Umgebung genau und speichern das Welt­wissen ihrer Eltern direkt in ihr Unterbewußtsein ab. So werden die Verhaltensweisen und Überzeugungen der Eltern zu ihren eigenen.

 

Wissenschaftler des Primaten-Forschungsinstituts von Kyoto haben festgestellt, daß auch kleine Schimpansen lernen, indem sie ihre Mütter beobachten. In einer Reihe von Experimenten wurde einer Schimpansenmutter beigebracht, die japanischen Schriftzei­chen für bestimmte Farben zu erkennen. Auf einem Computerbildschirm wurde ein Schriftzeichen für eine bestimmte Farbe gezeigt und die Schimpansin hatte dann auf den Knopf mit der richtigen Farbe zu drücken, um eine Münze zu erhalten, die sie dann in einen Automaten steckte, um ein Stück Obst zu erhalten.

 

Während sie all das lernte, hielt sie ihr Junges immer dicht bei sich. Als die Mutter eines Tages wieder einmal ihr Obst aus dem Automaten nahm, aktivierte zur Überraschung der Forscher das Schim­pansenjunge den Computer. Als sich das Schriftzeichen zeigte, drückte das Kleine auf die richtige Farbtaste, nahm seine Münze in Empfang und ging zum Automaten. Die er­staunten Forscher schlossen daraus, daß auch kleine Menschenaffen komplexe Verhal­tensweisen allein schon durch Beobachten erlernen können, ohne direkt dazu angeleitet zu werden [Science 2001].

 

Auch beim Menschen werden die grundlegenden Verhaltensweisen, Überzeugungen und Einstellungen, die wir bei unseren Eltern beobachten, in den synaptischen Verbin­dungen unseres Unterbewußtseins »verdrahtet«. Sobald sie einmal fest in unserem Un­terbewußtsein einprogrammiert sind, steuern sie uns für den Rest unseres Lebens – es sei denn, wir finden heraus, wie wir sie umprogrammieren können.

 

Und für den Fall, daß Sie nicht glauben, daß das alles so unmittelbar abgespeichert wird: Erinnern Sie sich einfach mal an das erste Mal, als Ihr Kind plötzlich ein Schimpfwort aussprach, das es von Ihnen aufgeschnappt hatte. Ich bin sicher, auch Ihnen ist aufgefallen, daß die Aussprache, die Betonung und der Kontext ganz Ihre eigene Handschrift trug.

 

Vor dem Hintergrund dieses präzisen Aufzeichnungssystems mag man sich gar nicht vorstellen, was in einem kindlichen Bewußtsein ausgelöst wird, wenn Eltern solche Dinge sagen wie »dummes Kind«, »Das hast du gar nicht verdient«, »Das schaffst du nie«, »So etwas wie du hätte nie geboren werden sollen« oder »Du bist einfach ein Schwächling«.

 

Wenn gedankenlose oder lieblose Eltern an ihre kleinen Kinder solche Botschaften weitergeben, ist ihnen nicht bewußt, daß diese Kommentare direkt als Tat­sachen im Unterbewußtsein abgespeichert werden. In der frühen Entwicklung ist das Bewußtsein des Kindes noch nicht ausreichend entwickelt, um zu erkennen, daß solche elterlichen Aussagen nur verbaler Müll sind und keine echten Charakterisierungen ihrer selbst.

 

Wenn sie jedoch erst einmal im Unterbewußtsein einprogrammiert sind, werden solche verbalen Übergriffe zu inneren Wahrheiten, die unbewußt das Verhalten und das Potential des Kindes sein ganzes Leben lang beeinflussen.Wenn wir älter werden und unser Gehirn verstärkt in Alpha-Frequenzen schwingt, wer­den wir weniger leicht beeinflußbar. Die Alpha-Aktivität (8-12 Hz) entspricht einem Zustand ruhigen Bewußtseins.

 

Die meisten unserer Sinnesorgane wie Augen, Ohren und Nase beobachten die äußere Welt, während unser Bewußtsein einem Sinnesorgan gleicht, das die inneren Abläufe der körpereigenen Zellgemeinschaft widerspiegelt. Es ist sich seiner selbst bewußt.

 

Im Alter von ungefähr zwölf Jahren zeigt das EEG-Spektrum des Kindes bereits längere Phasen der noch höher schwingenden Beta-Wellen (12-35 Hz). Beta-Zustände werden als »aktives oder fokussiertes Bewußtsein« bezeichnet. Diese Art von Gehirnaktivität nutzen Sie zum Beispiel, um dieses Buch zu lesen.

 

Vor kurzem wurde ein fünfter, noch höherer Zustand von Gehirnaktivität definiert, die Gamma-Wellen (>35 Hz). Diese Fre­quenz taucht in Phasen höchster geistiger Anstrengung auf, zum Beispiel wenn ein Pilot von Hand ein Flugzeug landet oder wenn ein Tennis-Profi in einen intensiven Ballaus­tausch verwickelt ist.

 

Wenn das Kind erwachsen wird, ist sein Unterbewußtsein randvoll mit Informationen, die von der Fertigkeit des Laufenkönnens bis zu dem Wissen, »daß ich ohnehin nichts tauge« oder dem Wissen, »daß ich alles sein kann, was ich will«, reichen.

 

Die Summe unserer genetisch programmierten Instinkte bildet zusammen mit den Überzeugungen, die wir von unseren Eltern erlernt haben, unser Unterbewußtsein. Es hat so viel Macht über uns, daß wir beim Kinesiologen bei einer falschen Aussage unseren Arm sinken lassen, auch wenn wir das gar nicht wollen, und es ist in der Lage, unsere guten Vorsät­ze fürs Neue Jahr, daß wir uns gesünder ernähren wollen, zu untergraben.

 

Ich will wieder zu den Zellen zurückkehren, die uns so viel über uns selbst lehren kön­nen. Ich habe schon oft gezeigt, daß einzelne Zellen intelligent sind. Doch erinnern Sie sich daran: Wenn sich die Zellen zu mehrzelligen Gemeinschaften zusammenschließen, folgen sie der »kollektiven Stimme« des Organismus, selbst wenn diese Stimme ein selbstzerstörerisches Verhalten verlangt.

 

Unsere Physiologie und unsere Verhaltenswei­sen halten sich an die »Wahrheiten« der zentralen Stimme, ganz egal, ob sie konstruktiv oder destruktiv sind.Ich habe die Macht des Unterbewußtseins beschrieben, doch ich möchte auch betonen, daß unser Unterbewußtsein keine furchterregende, übermächtige, Freudsche Quelle zer­störerischer Programme ist.

 

Das Unterbewußtsein ist nicht mehr und nicht weniger als eine emotionslose Datengrundlage, deren Aufgabe nur darin besteht, Umweltsignale wahrzunehmen und die entsprechenden programmierten Verhaltensweisen aufzurufen – ohne Fragen zu stellen, ohne zubare »Festplatte«, in die unsere Lebenserfahrungen abgespeichert werden.

 

Die Program­me sind fest verankerte, durch bestimmte Reize ausgelöste Verhaltensweisen. Solche Reize können durch das Nervensystem im Außen wahrgenommen werden oder in Form von Emotionen, Genuß oder Leiden aus dem Körperinneren stammen. Wenn ein Reiz wahrgenommen wird, löst er automatisch die Verhaltensreaktion aus, die beim ersten Erleben dieses Reizes erlernt wurde. Bevor sich das bewußte Denken entwickelte, funktionierten die Gehirne der Tiere nur durch das, was wir mit dem Unterbewußtsein verbinden.

 

Diese primitiveren Gehirne waren einfache, automatisch auf Umweltreize reagierende Organe, die auf instinktive oder einfache, erlernte Verhaltensweisen zurückgriffen. Diese Tiere verhalten sich nicht bewußt, die meisten merken ihr Verhalten nicht einmal. Sie reagieren mit programmier­ten Reflexen, wie mit dem Blinzeln des Auges, wenn es von einem Luftzug gestreift wird, oder mit dem Ausschlagen des Knies, wenn wir auf einen bestimmten Punkt schlagen.