24 Der Präsident von Ecuador wagt den Kampf mit den großen Ölgesellschaften

Meine Arbeit in Kolumbien und Panama gab mir Gelegenheit, in Kontakt mit dem Land zu bleiben, das ich als meine Heimat fern von der Heimat betrachtete und daher immer wieder gern besuchte. Ecuador hatte unter einer Reihe von Diktatoren und rechtsgerichteten Oligarchien gelitten, die von den politischen und wirtschaftlichen Interessen Amerikas manipuliert worden waren. In gewisser Weise war das Land der Inbegriff einer Bananenrepublik, und die Korporatokratie hatte es dazu gemacht.


Ende der sechziger Jahre wurde mit der Ölförderung im Amazonasbecken begonnen. Es folgte ein regelrechter Ansturm auf das Land, bei dem der kleine Kreis der Familien, die das Land beherrschten, den großen internationalen Banken in die Hände arbeiteten. Ecuador wurden enorme Kredite aufgebürdet, die durch die Aussicht auf sprudelnde Ölquellen gedeckt wurden. Straßen und Industriegebiete, Staudämme, Übertragungs-
und Verteilungsleitungen und andere Energieprojekte wurden im ganzen Land aus dem Boden gestampft. Internationale Ingenieurbüros und Bauunternehmen machten – wieder einmal – das große Geld.


Im Sumpf der Korruption und politischen Seilschaften war ein Mann die große Ausnahme. Jaime Roldós war Ende dreißig, Universitätsprofessor und Anwalt und stand am Beginn einer großen politischen Karriere. Ich hatte ihn mehrmals getroffen. Er war charismatisch und charmant. Einmal bot ich ihm impulsiv an, sofort nach Quito zu kommen und ihn kostenlos zu beraten, wann immer er mich darum bitten sollte. Ich sagte das teilweise aus Spaß, aber auch, weil ich ihm liebend gern in meiner Freizeit geholfen hätte. Ich mochte ihn und, wie ich ihm eilends versicherte, war ich immer auf der Suche nach einem guten Grund, um sein Land zu besuchen. Er lachte und bot mir seinerseits an, wann immer ich über meine Ölrechnung verhandeln müsse, könne ich mich an ihn wenden.


Roldós hatte sich einen Ruf als Populist und Nationalist erworben, ein Mann, der an die Rechte der Armen und an die Verantwortung der Politiker glaubte, die natürlichen Rohstoffe ihres Landes klug zu nutzen. Im Präsidentschaftswahlkampf 1978 zog er rasch die Aufmerksamkeit seiner Landsleute und der Bürger aller Länder auf sich, in denen ausländische Firmen Erdöl förderten – oder in denen die Menschen sich Unabhängigkeit vom Einfluß ausländischer Mächte erhofften. Roldós war einer der wenigen Politiker jener Zeit, die sich nicht davor fürchteten, gegen den Status quo zu kämpfen. Er griff die Ölgesellschaften und das nicht ganz so subtile System an, das sie unterstützte.


So warf er zum Beispiel dem Summer Institute of Linguistics (SIL) vor, mit den Ölgesellschaften zusammenzuarbeiten. Das SIL war eine evangelische Missionarsgesellschaft aus den USA. Ich kannte die SIL-Missionare noch aus meiner Zeit beim Peace Corps. Die Organisation hatte in Ecuador wie in vielen anderen Ländern unter dem Vorwand gearbeitet, die Indiosprachen zu studieren und zu dokumentieren. SIL hatte in den ersten Jahren der Ölbohrungen intensiv mit dem Stamm der Huaorani im Amazonasbecken gearbeitet. Schon bald zeichnete sich ein beunruhigendes Muster ab. Sobald Seismologen im Hauptquartier meldeten, daß ein bestimmtes Gebiet höchstwahrscheinlich Ölvorkommen aufwies, griffen SIL-Mitarbeiter ein und ermutigten die Indios, das Land zu verlassen und in die Reservate der Missionare zu ziehen. Dort wurden ihnen kostenloses Essen, Unterkunft, Kleider, medizinische Behandlung und Unterricht von den Missionaren versprochen. Sie mußten dafür nur ihr Land an die Ölgesellschaften abtreten.

 

Die Gerüchte mehrten sich, daß die SIL-Missionare hinterhältige Tricks anwandten, um die Stämme dazu zu bewegen, ihr Land zu verlassen und in die Missionsdörfer zu ziehen. Angeblich verschenkten sie Lebensmittel, die mit Abführmitteln versetzt waren, und boten dann Medikamente an, mit denen die Durchfallepidemie kuriert wurde. Im ganzen Huaorani-Gebiet wurden aus der Luft Essenskörbe mit doppeltem Boden abgeworfen, in denen kleine Peilsender versteckt waren. Die Empfänger an hochentwickelten Funkstationen, die von US-Soldaten am Militärstützpunkt von Shell bedient wurden, orteten diese Sender. Wenn ein Mitglied des Stammes von einer Giftschlange gebissen oder ernsthaft krank wurde, traf ein SIL-Mitarbeiter mit dem Gegengift oder dem passenden Medikament ein – oft im Hubschrauber der Ölgesellschaft. In der Anfangszeit der Ölbohrungen fand man fünf SIL-Missionare tot auf, aus ihren Körpern ragten die Speere der Huaorani. Später behaupteten die Huaorani, sie wollten den Missionaren auf diese Weise klar machen, daß sie sich von ihrem Gebiet fernhalten sollten. Die Botschaft verhallte ungehört. Sie hatte sogar den entgegengesetzten Effekt. Rachel Samt, die Schwester eines Ermordeten, reiste durch die USA und trat im Fernsehen auf, um für Geld und Unterstützung für SIL und die Ölgesellschaften zu werben. Angeblich halfen sie den »Wilden«, zivilisiert zu werden und lesen und schreiben zu lernen. SIL erhielt Spenden von den Rockefeller-Wohltätigkeitsorganisationen. Jaime Roldós behauptete, die Verbindung zu Rockefeller beweise, daß SIL nur als Vorwand diente, um das Land der Indios zu stehlen und die Ölförderung voranzutreiben. John D. Rockefeller hatte Standard Oil gegründet, das später in Nachfolgegesellschaften wie Chevron, Exxon und Mobil umgewandelt wurde.


Roldós erschien mir als ein Mann, der den gleichen Weg wie Torrijos beschritt. Beide behaupteten sich gegen die größte Macht der Welt. Torrijos wollte den Panamakanal zurück, Roldós’ nationalistische Politik zur Ölförderung bedrohte die einflußreichsten Unternehmen der Welt. Wie Torrijos war Roldós kein Kommunist, sondern setzte sich für das Selbstbestimmungsrecht seines Landes ein. Und wie schon bei Torrijos prophezeiten die Experten, daß die großen Unternehmen und Washington Roldós als Präsidenten niemals dulden würden. Wenn er gewählt werden würde, erwartete ihn ein ähnliches Schicksal wie Arbenz in Guatemala und Allende in Chile. Meiner Meinung nach konnten diese beiden Männer die Speerspitzen einer neuen Bewegung in der lateinamerikanischen Politik werden. Die Bewegung wäre dann vielleicht Ausgangspunkt für einen Wandel, der auf alle Länder der Welt übergreifen könnte. Diese Männer waren nicht Castro oder Gaddafi. Sie waren nicht mit der Sowjetunion oder China verbündet oder wie in Allendes Fall Teil einer internationalen sozialistischen Bewegung. Sie waren populäre, intelligente und charismatische Politiker, die pragmatisch statt dogmatisch dachten. Sie waren nationalistisch, aber nicht antiamerikanisch eingestellt. Wenn man sich vorstellt, daß die Korporatokratie auf drei Säulen steht (große Konzerne, internationale Banken und eingeweihte Regierungen), dann boten Roldós und Torrijos die Möglichkeit, die Säulen der Regierungen zu stürzen. Die Grundlage von Roldós’ Politik bildete das so genannte »Hydrocarbon Law«, ein Gesetz, mit dem von den Ölkonzernen höhere Abgaben bei der Ölförderung verlangt wurden. Es basierte auf der These, daß Erdöl die wichtigste Ressource Ecuadors war und daß die Ausbeutung dieser Vorkommen zum größten Nutzen des größten Anteils der Bevölkerung erfolgen sollte. Roldós glaubte fest an die Verpflichtung des Staates, die Armen und Entrechteten zu unterstützen. Er brachte die Hoffnung zum Ausdruck, daß seine Ölpolitik als Grundlage für die Umsetzung gesellschaftlicher Reformen dienen könnte. Er wanderte jedoch auf einem schmalen Grat, denn er wußte, daß er in Ecuador wie in vielen anderen Ländern nur mit der Unterstützung zumindest einiger einflußreicher Familien gewählt werden konnte. Selbst wenn er ohne sie gewinnen sollte, konnte sein Programm ohne ihre Hilfe nicht umgesetzt werden.


Ich war erleichtert, daß in dieser entscheidenden Zeit Jimmy Carter Präsident der USA war. Obwohl Texaco und andere Ölgesellschaften Druck ausübten, hielt sich Washington weitgehend aus der Sache heraus. Ich wußte, daß dies unter den meisten anderen Regierungen, republikanisch oder demokratisch, nicht so gewesen wäre. Mehr als jedes andere Wahlkampfthema war es meiner Ansicht nach Roldós’ Haltung zum Erdöl, die viele Ecuadorianer überzeugte, ihn in den Präsidentenpalast nach Quito zu entsenden – als ersten gewählten Präsidenten nach einer langen Reihe Diktatoren. Bei seiner Antrittsrede am 10. August 1979 umriß er die Grundlagen seiner Politik: Wir müssen effektive Maßnahmen ergreifen und die Energieressourcen unseres Landes verteidigen. Der Staat (muß) die Vielfalt des Exports bewahren und darf seine wirtschaftliche Unabhängigkeit nicht verlieren … Unsere Entscheidungen werden allein von nationalen Interessen geleitet und in der unbeschränkten Verteidigung unserer Souveränitätsrechte getroffen. Als Roldós sein Amt antrat, mußte er sich mit Texaco auseinandersetzen, denn die Ölgesellschaft war der wichtigste Beteiligte im Ölgeschäft. Das Verhältnis war schwierig. Der Ölriese vertraute dem neuen Präsidenten nicht und wollte sich nicht an einer Politik beteiligen, die neue Präzedenzfälle schuf. Man wußte bei Texaco ganz genau, daß diese als Vorbilder in anderen Ländern dienen konnten. In der Rede eines wichtigen Beraters von Roldós, José Carvajal, wurde die Haltung der neuen Regierung zusammengefaßt: Wenn ein Partner [Texaco] kein Risiko eingehen will, in die Forschung zu investieren oder die Gebiete einer Ölkonzession auszubeuten, dann hat der andere Partner das Recht, diese Investitionen zu tätigen und diese Gebiete als neuer Besitzer zu übernehmen … Wir glauben, daß unsere Beziehungen zu ausländischen Unterneh-
men gerecht waren; wir müssen hart sein im Kampf; wir müssen uns darauf vorbereiten, daß auf uns Druck in jeglicher Form ausgeübt werden wird, aber wir sollten bei der Verhandlung mit diesen Ausländern keine Furcht zeigen oder einen Minderwertigkeitskomplex entwickeln.

 

Am Neujahrstag 1980 traf ich einen Entschluß. Es war der Beginn eines neuen Jahrzehnts. In 28 Tagen wurde ich fünfunddreißig. Ich beschloß, daß ich im neuen Jahr mein Leben grundlegend ändern und in Zukunft versuchen würde, selbst ein Vorbild zu sein, ähnlich wie meine Helden Jaime Roldós und Omar Torrijos. Dann passierte etwas Schockierendes. Rein wirtschaftlich betrachtet war Bruno der erfolgreichste Präsident in der Geschichte von MAIN. Trotzdem feuerte Mac Hall ihn ohne Vorwarnung.