5. Vervollständigung der neuen Lehre vom Zins.

Wir bezeichneten das Geld als das Urkapital, als allgemeinen Wegbereiter des sogenannten Realkapitals, und verknüpften damit die Behauptung, das sogenannte Realkapital verdanke seine zinszeugende Kraft nur dem Umstande, daß das Geld durch erzwungene Krisen, erzwungene Arbeitslosigkeit, also eigentlich durch Sengen und Brennen dem Realkapital die für die Erhebung eines dem Urzins entsprechenden Zinses nötige Marktlage vorbereite. Dann müssen wir aber auch nachweisen können, daß der Zins der Realkapitalien vom Urzins derart beherrscht wird, daß er auf diesen immer und gesetzmäßig zurückfallen muß, falls er sich aus irgend einem Grunde von ihm vorübergehend entfernt.

 

Denn wir sagen, daß Nachfrage und Angebot den Zins des Realkapitals bestimmen, und erkennen damit an, daß der Zins vielen Einflüssen unterworfen ist.

Was wir also sagen, ist, daß, wenn aus anderen Gründen der Zins der Realkapitalien über den Urzins steigt, er aus zwingenden, in der Natur der Dinge selbst liegenden Gründen wieder fallen muß, und zwar bis auf den Urzins, und umgekehrt, daß, wenn der Zins der Realkapitalien unter den Urzins fällt. das Geld ihn selbsttätig wieder auf diese Höhe zurückführt, wodurch der Urzins

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der gesetzmäßige Höchst- und Mindestertrag wird von dem, was man in der Regel vom Realkapital erwarten kann. Der Urzins ist der Gleichgewichtspunkt, um den der Zins aller Realkapitalien schwankt.

Wenn das aber so ist, so müssen wir auch wieder nachweisen können, daß wenn wir die künstlichen Hindernisse beseitigen, die das heutige Geld dem Werden von sogen. Realkapitalien errichtet, das Angebot solcher Kapitalien durch die nun ungefesselte Arbeit des Volkes und ohne irgend ein anderes Zutun früher oder später die Nachfrage decken wird, und zwar in dem Sinne, daß der Zins in der ganzen Welt auf Null fallen muß, wenigstens in allen Ländern, die durch Freihandel und Freizügigkeit miteinander verbunden sind.

Der Kapitalzins ist eine für alle Länder geltende Sache; er kann nicht einseitig für einen einzelnen Staat beseitigt werden. Wenn z. B. die Häuser in Deutschland keinen Zins abwürfen, während man in Frankreich noch solchen Zins erheben kann, so würde man kein Haus mehr in Deutschland bauen. Die deutschen Kapitalisten würden ihre Überschüsse über die Grenze bringen durch Ankauf französischer Wechsel, mit deren Erlös die Häuser in Frankreich gebaut würden.

Dazu wird der Nachweis nötig sein, daß

  1. es nicht an Kraft und Mitteln fehlt, um das zum Ersäufen des Zinses nötige Meer von Realkapitalien in absehbarer Zeit zu erzeugen;
  2. der Reiz oder Wille, Realkapitalien (Mietshäuser, Fabriken, Schiffe) hervorzubringen, nicht erlahmen wird, falls diese keinen Zins mehr abwerfen.

Daß der Zins der Realkapitalien sich jederzeit nach oben sowohl wie nach unten vom Urzins entfernen kann, können wir leicht erkennen, wenn wir uns folgenden Fall vorstellen:

 

Nehmen wir an, die Pest hätte ¾ der Menschheit dahingerafft. Dadurch würde das jetzt zwischen Proletariat und Realkapitalien bestehende Verhältnis auf den Kopf gestellt, und auf jeden Mieter kämen 4 Wohnungen, auf jeden Bauernknecht 4 Pflüge, auf jeden Arbeiterstamm 4 Fabriken. Unter solchen Verhältnissen würden die Realkapitalien keinen Zins mehr abwerfen. Der Wettbewerb der Hausbesitzer würde die Mieten, und der Wettbewerb der Unternehmer den Unternehmergewinn so weit herunterdrücken, daß wahrscheinlich
nicht einmal die vollen Kosten für Instandhaltung und Abschreibung herausgeschlagen werden könnten.

So konnte man in der Provinzialhauptstadt La Plata in Argentinien in den Krisenjahren 1890—1895 die schönsten Häuser umsonst bewohnen. Nicht einmal die Kosten der Instandhaltung konnten die Hausbesitzer erheben.

Unter solchen Verhältnissen würde nur mehr ein einziges Kapital fortbestehen, und zwar das Geld. Während alle übrigen Kapitalgegenstände die zinszeugende Kraft eingebüßt haben würden, brauchte das Geld auch dann noch nichts von seiner Zinsforderung abzulassen, wenn 99% der Bevölkerung verschwunden wären. Die Erzeugnisse der zinsfreien Arbeitsmittel, die Waren, müßten für ihren Austausch dem Geld fernerhin den gleichen Zins zahlen — als ob nichts geschehen wäre.

 

Mit dieser Annahme wird die wahre Natur des Geldes und ihr Verhältnis zu den Realkapitalien sehr gut beleuchtet.

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Wenn wir annehmen, daß der Geldbestand durch die Pest nicht verändert worden wäre, so würde das Mißverhältnis zwischen Geld und Waren die Preise stark in die Höhe treiben, aber auf den Zins hätte der verhältnismäßig große Geldbestand keinen Einfluß, da, wie wir gezeigt haben, es niemals einen Wettbewerb unter Geldverleihern geben kann. Nur der Bruttozins würde durch die Preissteigerung eine Erhöhung erfahren (s. den späteren 7. Abschnitt über die Bestandteile des Bruttozinses).

 

Unter diesen angenommenen Umständen bleibt es selbstverständlich ausgeschlossen, daß jemand Geld für den Bau einer Fabrik hergeben würde. Dies würde erst dann wieder geschehen, nachdem teils durch Bevölkerungsvermehrung, teils durch Feuersbrünste oder andere Naturereignisse, worunter in erster Linie der Zahn der Zeit zu rechnen ist, das Angebot solcher Realkapitalien sich so weit vermindert hätte, daß das ursprüngliche Verhältnis und damit der Urzins wieder erreicht wäre. Warum das so wäre, ist gesagt.

 

Der Zins der sogen. Realkapitalien kann demnach jederzeit infolge außergewöhnlicher Ereignisse unter den Urzins fallen, aber die natürlichen Zerstörungen, denen das Realkapital ausgesetzt ist (s. die Liste der jährlichen Schiffbrüche und Abtakelungen, der Feuersbrünste, der Abschreibungen aller Fabriken, der Eisenbahnzusammenstöße usw.), zusammen mit dem Umstand, daß das Geld kein Neuschaffen von Realkapital zuläßt, solange der Zins des bestehenden Kapitals nicht die Höhe des Urzinses erreicht, bringen Nachfrage und Angebot von Realkapitalien gesetzmäßig wieder in das ursprüngliche Verhältnis zurück.

 

Wir schulden aber noch den Beweis, daß der Zins des Realkapitals auch nicht dauernd über dem Urzins stehen kann.

 

Daß durch besondere Verhältnisse dieser Fall eintreten kann und in manchen Ländern mit vergleichsweise starker Einwanderung sogar jahrzehntelang anhalten kann, wollen wir gleich und freudig anerkennen, denn er ist ein triftiger Beweis für die Richtigkeit der Lehre vom Zins, wonach Angebot und Nachfrage bedingungslos darüber bestimmen, ob und welchen Zins die Realkapitalien abwerfen.

 

Wieviel Kapital an Wohnung, Arbeitsmitteln, Läden, Eisenbahnen, Kanälen, Hafenanlagen usw. auf eine Arbeitersamilie in Amerika entfällt, weiß ich nicht. Es mögen 5000, es mögen auch 10 000 Dollars sein. Nehmen wir nur 5000 Dollars an, so müßten die Amerikaner, um für die dort jährlich landenden Einwanderer, etwa 100000 Familien, Obdach und Arbeitsmittel zu  beschaffen, alle Jahre 5000 X 100 000 = 500 Millionen Dollars in neuen Häusern, Fabriken, Eisenbahnen, Schiffen anlegen.

 

Wenn sämtliche deutschen Arbeiter nach den Vereinigten Staaten auswanderten, so würde es dort an allem mangeln, um diese Massen zu beschäftigen und zu beherbergen. Dieser Mangel an Fabriken, Maschinen, Häusern würde auf die Löhne drücken und gleichzeitig die Wohnungsmieten gewaltig in die Höhe schrauben. Der Zins der Realkapitalien würde hoch über den Urzins steigen.

 

Dieser Vorgang entzieht sich gewöhnlich der unmittelbaren Beobachtung, weil die Kapitalgegenstände im Preise steigen, wenn der Zinsertrag steigt. Ein Haus, das man für 10 000 Mark verkaufen kann, weil es 500 Mark Zins einbringt, steigt auf 20 000 Mark, wenn der Hauszins auf 1000 Mark steigt.

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Rechnerisch wirft das Haus dann nur 5% ab. Als Maßstab für die Preisbildung gilt eben der Urzins.

 

Nun müssen wir die Tatsache erklären können, daß aus natürlichen, zwingenden Gründen jede Erhöhung des Realkapitalzinses über den Urzins hinaus selbsttätig ein ständig wachsendes Neuschaffen von Häusern usw. auslöst, unter dessen Druck (Angebot) der Zins dieser Dinge in absehbarer Zeit wieder auf den Urzins als Grenze und Gleichgewichtspunkt fällt und zwar ebenso selbsttätig, wie er im entgegengesetzten Falle wieder bis an diese Grenze gestiegen war. Es dürfen solchem Geschehen keine Hindernisse wirtschaftlicher und seelischer Art entgegenstehen. Der Arbeitswille, die Arbeitskraft, sowie die Unterstützung der Natur müssen ausreichend sein, um das Kapital immer und an allen Orten in einer Menge zu beschaffen, daß dessen Angebot den Zins auf die Grenzen des Urzinses zurückdrücken muß.

Es ist kein Unsinn, wenn Flürscheim (*) sagt: „Der Zins ist der Vater des Zinses“. Womit gesagt wird, daß die Zinslasten das Volk daran hindern, das zur Beseitigung des Zinses nötige Angebot von Realkapital zu erzeugen, ähnlich wie der Pachtzins den Bauern daran hindert, das gepachtete Land zu kaufen und zu bezahlen.

Aber in dem Satze: „Der Zins ist der Vater des Zinses“ ist auch die Behauptung eingeschlossen, daß ein steigender Zins auch die Ursache eines unaufhaltsam weiteren Steigens des Zinses sein müßte. Ist das Fallgesetz auf den Zins anwendbar, wenn der Zins fällt, so müßte es auch in umgekehrter Richtung anwendbar sein, wenn der Zins steigt. Mit den von Flürscheim angewendeten Untersuchungsverfahren war dieser Widerspruch nicht zu lösen.

Daß es sich auch wirklich so verhält, erkennen wir an der Tatsache, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika in verhältnismäßig kurzer Zeit auf dem Weltkapitalmarkt von der Nachfrage zum Angebot übergegangen sind, daß sie das Riesenwerk von Panama mit eigenen Mitteln ausführten, daß sie mit der Mitgift ihrer Töchter viele europäische Fürstenhäuser vor dem Verfall retten und auch sonst in der Welt Absatz für ihre Kapitalüberschüsse suchen. Dieser Fall ist um so überzeugender, als dort die gewaltige Einwanderung blutarmer Einwanderer die Nachfrage unnatürlich vermehrt und der Vorgang durch zahlreiche und verheerende Wirtschaftskrisen stark gehemmt wurde.

 

Dies ist aber nur die Tatsache. Fehlt noch die Erklärung.

 

Der Zins, den das sogenannte Realkapital abwirft, reizt zur Sparsamkeit, und je höher der Zins, um so größer wird jener Reiz. Freilich, je höher der Zins, um so größer werden die Zinslasten, und um so schwerer wird es denen, die den Zins aufbringen, selber durch Sparen ein Kapital zu bilden. Jedoch in der heutigen Ordnung der Dinge sind es nur in geringem Maße die Überschüsse der arbeitenden, zinszahlenden Klassen, mit denen die Neuanlagen von Kapital ausgeführt werden (**). In der Hauptsache stammen diese aus den Überschüssen der Kapitalisten, und diese Überschüsse wachsen natürlich mit der Vermehrung ihrer Einnahmen, d. h. also mit der Erhöhung des Kapitalzinses.

Hierbei ist nun folgendes zu beachten:

 

(*) The Economic Problem by Michael Flürscheim, Xenia, U. S. A. 1910.)

 

(**) Die Sparkasseneinlagen, das Kapital des Proletariats, betrugen in Preußen:

 

Jahr Anzahl Sparbücher Einlagen Millionen Mark Durchschnittlich auf jedes Buch
1913 14417642 13111 Mk. 909
1914

14 935 190

13 638 Mk. 913
 

(Auf 100 Einw. 35 Stück.)

   

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Das Einkommen der Arbeiter wächst, wenn der Zins des Kapitals fällt, das Einkommen der Rentner wächst, wenn der Zins steigt. Bei den Unternehmern, deren Einkommen sich aus Arbeitslohn und Kapitalzins zusammensetzt, wirken die Zinsänderungen verschieden, je nachdem von diesem Einkommenmehr oder weniger aus Zins oder aus Lohn herrührt.

 

Die Arbeiter können also besser bei fallendem Zins, die Rentner besser bei steigendem Zins sparen. Doch wäre es ein Trugschluß, daraufhin annehmen zu wollen, es müsse für die allgemeine Spartätigkeit und Kapitalvermehrung gleichgültig sein, wie sich der Zins gestaltet.

Zunächst ist zu beachten, daß beim Rentner eine Vermehrung des Einkommens anders auf die Ausgaben und darum auf die Ersparnisse wirkt, als beim Arbeiter. Denn beim Rentner trifft die Vermehrung nicht wie beim Arbeiter auf so viele, oft seit Jahrzehnten auf Befriedigung wartende Bedürfnisse. Der Rentner entschließt sich leichter, seine ganze Mehreinnahme zu sparen, während der Spargedanke dem Arbeiter erst nach Befriedigung anderer Bedürfnisse kommt.

 

Sodann kann der Rentner für seine Kinder nicht anders sorgen als durch Sparen. Sobald die Zahl seiner Kinder das erste Paar überschreitet, muß der Rentner sein Kapital mehren, sofern er es seinen Kindern ermöglichen will, das Leben fortzuführen, für das er sie durch sein Beispiel erzieht. Der Arbeiter hat solche Sorgen nicht, denn seinen Kindern, die durch Arbeit sich ernähren werden, braucht er nichts zu vererben.

 

Der Kapitalist muß also sparen; er muß sein Kapital vermehren (obschon diese Vermehrung den Zins drückt), um seinem sich mehrenden Geschlecht ein standesgemäßes Leben ohne Arbeit zu ermöglichen. Und wenn er schon der Regel nach sparen muß, so kann man annehmen, daß er auch regelmäßig die durch Zinserhöhung wachsenden Überschüsse zu neuen Kapitalanlagen verwenden wird. Darum kann man folgern, daß eine Erhöhung des Kapitalzinses, obschon sie immer auf Kosten des arbeitenden Volkes und der kleinen Sparer erfolgt, dennoch die Summe der in einem Lande für neue Realkapitalien verfügbaren Überschüsse eher vermehren als vermindern muß, und daß eine Zinserhöhung darum auch die Kräfte vermehrt, die auf den Zins drücken. Je höher der Zins, desto mehr wächst dieser Druck.

 

Beispiele freilich kann man hierfür nicht beibringen; ziffernmäßig läßt sich das Gesagte nicht beweisen. Dazu eignen sich die Zahlen nicht, die uns die Goldwährung liefert. Wenn Carnegie seinen Arbeitern 20 oder 50% mehr Lohn bezahlt hätte, so wäre er wahrscheinlich nie zu der ersten Milliarde gelangt. Ob aber dann alle die Stahlwerke, die Carnegie mit dem Gelde schuf und die nun das Angebot des Realkapitals vermehren, die Löhne in die Höhe treiben und den Zins entsprechend herunterdrücken, durch die Ersparnisse der Arbeiter entstanden sein würden? Ob die Arbeiter jene 20 oder 50% Lohnerhöhung nicht lieber für eine auskömmliche Ernährung ihrer Kinder, für gesündere Wohnungen, für Seife und Bäder verwendet hätten? Mit anderen Worten: würden die Arbeiter zum Schaffen neuer Stahlwerke zusammen so viele Überschüsse erzielt haben, wie Carnegie allein bei seinen bescheidenen persönlichen Bedürfnissen? (Eigentlich hätten die Arbeiter, um das gleiche, heute bestehende Verhältnis zwischen Nachfrage nach Arbeitsmitteln und deren Angebot aufrecht

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zu erhalten, eine bedeutend größere Masse an Realkapitalien schaffen müssen, denn der karge Lohn verursacht heute eine empörende Säuglingssterblichkeit; eine Lohnerhöhung würde diese vermindert und infolgedessen eine starke Vermehrung der Arbeiter und der Nachfrage nach Arbeitsmitteln verursacht haben.)

 

Wir sind zunächst geneigt, obige Frage rundweg zu verneinen — und irren dabei ganz gewaltig. Denn was hat Carnegie durch die Häufung von Realkapitalien, durch seine persönliche Sparsamkeit erreicht? Er hat den Zins dieser Dinge immer und immer wieder unter den Urzins gedrückt und dadurch Krisen über Krisen herbeigeführt, die ebenso viele Realkapitalien vernichteten oder am Entstehen verhinderten, wie der brave Mann durch sein vernünftiges Wirtschaften zusammenbrachte. Hätte Carnegie die Überschüsse seines Betriebes durch Lohnerhöhung unter die Arbeiter verteilt, so wäre allerdings von diesen Lohnerhöhungen nur ein kleinerer Teil für neue Realkapitalien gespart worden, der größere Teil wäre in Seifen-, Speck- und Bohnen-Schwelgereien verpraßt worden. Demgegenüber aber würden die Zwischenräume von einer Krise zur anderen größer geworden sein. Die Arbeiter hätten infolgedessen weniger durch erzwungene Arbeitslosigkeit verloren und so ihren Mehraufwand wieder ausgeglichen. Der Erfolg wäre für den Zins derselbe geblieben; d. h. ohne die Sparsamkeit Carnegies stände heute das Angebot von Realkapitalien auf gleicher Höhe, wie mit dieser Sparsamkeit. Der Unterschied zwischen dem, was Carnegie persönlich sparen konnte und dem, was die Arbeiter weniger gespart haben würden, ist durch Wirtschaftskrisen gesetz- und regelmäßig vernichtet worden.

 

Der Selbsterhaltungstrieb der Kapitalisten, sowie der Umstand, daß der Kapitalist für Nachkommen zu sorgen hat, zwingen ihn dazu, Überschüsse zu machen, und zwar zinstragende Überschüsse. Er muß sie sogar dann noch machen, wenn seine Einnahmen zurückgehen, und zwar muß der Selbsterhaltungstrieb den Kapitalisten um so stärker zur Sparsamkeit mahnen, je mehr der Zins fällt. Will z. B. ein Kapitalist den Einnahmeausfall, den er durch das Fallen des Zinses von 5 auf 4% erleidet, durch Kapitalvermehrung ausgleichen, so muß er sein Kapital durch Ersparnisse an seinen persönlichen Ausgaben um 1/5 vermehren.

 

Steigt der Zins, so können die Kapitalisten sparen; fällt er, so müssen sie sparen. Im ersten Fall wird das Ergebnis zwar größer sein als im zweiten Fall, aber das schränkt die Bedeutung dieses Sachverhalts für den Zins nicht ein. Es ändert dies nichts an der Tatsache, daß, je mehr der Zinsfuß fällt, der Kapitalist durch Verringern seiner persönlichen Ausgaben seine Einnahmen für die Vermehrung der Realkapitalien um so stärker heranziehen muß, obschon gerade seine Notlage eine Folge vermehrter Realkapitalien ist. Uns, die wir behaupten, es läge in der Natur der Dinge, daß die Realkapitalien sich bis zur eigenen Vernichtung, also bis zur völligen Beseitigung des Zinses vermehren, ist die soeben erwähnte Tatsache ein triftiger Beweis für das, was wir noch zu zeigen haben, nämlich daß, wenn der Kapitalzins fällt, der Wille und die Notwendigkeit zu neuen, den Zins erdrückenden Kapitalanlagen nicht fehlen werden, — vorausgesetzt, daß wir solchen Kapitalvermeh-

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rungen das Hindernis wegräumen, welches das herkömmliche Geld ihrem Werden errichtet.

 

Geht der Zinsfuß von 5 auf 4% herab, so muß der Kapitalist durch Einschränken seiner persönlichen Ausgaben sein Kapital von 8 auf 10 erhöhen. Weil der Zins von 5 auf 4% fiel, wird also der Kapitalist den geplanten Bau eines Sommerhauses für die Seinigen nicht ausführen, dafür aber eine Mietskaserne in der Stadt bauen lassen. Und diese neue Mietskaserne wird den Zins des Häuserkapitals noch weiter herabdrücken. Vorteilhafter für das Kapital im allgemeinen wäre es, wenn der Kapitalist das Sommerhaus und nicht die Mietskaserne baute. Aber für den Einzelkapitalisten verhält es sich umgekehrt.

 

Fällt der Zins weiter (unter dem Drucke der neuen Mietskaserne) von 4 auf 3%, so muß der Kapitalist sich weiter einschränken und, statt die Schulden eines vorher in Aussicht genommenen fürstlichen Schwiegersohnes zu bezahlen, seine Tochter lieber einem Bauunternehmer geben, der mit der Mitgift Mietskasernen errichtet, die zwar Zins abwerfen, aber auch gleichzeitig auf den Zins drücken. Und so weiter.

Es liegt also in der Natur, im Selbsterhaltungstrieb des Kapitalisten, also gerade in dem Triebe, bei dem der Wille im Menschen am stärksten ist, daß er von seinen Einnahmen einen um so stärkeren Prozentsatz zu neuen, den Zins herabdrückenden Realkapitalien verwenden muß, je mehr der Zins fällt.

 

In Zahlen ausgedrückt erhalten wir von dem hier Gesagten folgendes
Bild:

 

Der Zins, den die Arbeiter in Deutschland bei 5% aufbringen, betrage 20,0 Milliarden
Davon bestimmen die Kapitalisten für Neuanlagen 50% und den Rest für persönliche Bedürfnisse. 10,0 Milliarden
Nun fällt der Zins von 5% auf 4%, und die Zinseinkünfte fallen entsprechend von 20 auf . . . 16,0 Milliarden
So verlieren die Kapitalisten 3,0 Milliarden
Dieser Einnahmeausfall, der einem Kapitalverlust von 100 Milliarden entspricht, zwingt die Kapitalisten, einen größeren Teil ihrer Einkünfte für Neuanlagen zu bestimmen. Statt der früheren 50% mögen sie jetzt 60% ihrer von 20 auf 16 Milliarden verminderten Einkünfte für Neuanlagen bestimmen, und an Stelle der früheren 10 Milliarden ergeben sich jetzt 9,5 Milliarden
Aber dem Einnahmeausfall der Kapitalisten entspricht eine gleich große Mehreinnahme bei den Arbeitern. Wenn die Arbeiter diese Mehreinnahme durch die Sparkassen unverkürzt neuen zinstragenden Anlagen zuführten, so würde durch den Zinsrückgang von 4,0 Milliarden
die ursprüngliche, von uns oben mit 10 Milliarden angegebene, für Neuanlagen bestimmte Summe nun betragen nämlich 4 Milliarden von seiten der Arbeiter und 95/10 Milliarden von seiten der Kapitalisten. 13,6 Milliarden
Nehmen wir aber an, daß die Arbeiter nur einen Teil der 4 Milliarden an herabgesetzten Zinslasten sparen würden, etwa nur die Hälfte, so würde immerhin durch den Zinsrückgang von 5 auf 4% die Summe der jährlichen kapitalistischen Neuanlagen von 10 steigen auf . . . . . 11,6 Milliarden

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Und je mehr der Zinsfuß fällt, um so mehr wächst die Summe, die für zinsdrückende und -erdrückende Neuanlagen bestimmt wird — von seiten der Kapitalisten aus Not, von seiten der Arbeiter, weil sie ihrem Spartriebe folgen können. Die Natur des Realkapitalisten treibt ihn also sozusagen zum Selbstmord.


Je mehr der Zins fällt, um so mehr entsteht an Realkapitalien, die auf den Zins drücken, so daß vielleicht das physikalische Fallgesetz auf den Zins anwendbar sein mag. selbstverständlich erst dann, wenn wir das Hindernis beseitigen, welches das herkömmliche Geld dem Zustandekommen solcher Massen von Realkapitalien errichtet.

Man sagt, daß, wenn das Realkapital keinen Zins mehr einbringt, niemand mehr ein Mietshaus, eine Fabrik, einen Ziegelofen usw. bauen wird. Man wird die Ersparnisse lieber in Vergnügungsreisen verausgaben, als Mietshäuser bauen, damit andere darin mietefrei in Saus und Braus leben können.

 

Aber hier wird mehr behauptet, als das Wort zinsfrei sagt. Die Miete eines Hauses besteht nur zum Teil aus Zins. Die Miete enthält neben dem Zins des Gebäudekapitals die Grundrente, die Ausbesserungen, Abschreibungen, Steuern, Versicherung, die Ausgaben für Reinigen, Heizen, Beaufsichtigen, Ausstattung usw. Oft mag der Zins 70 oder 80% der Miete ausmachen, oft im Innern der Großstadt auch nur 20 oder 30%. Wenn also der Zins ganz aus der Miete ausscheidet, so bleibt immer noch ein genügender Rückstand an Ausgaben, um zu verhüten, daß jeder einen Palast für sich beansprucht. Ebenso verhält es sich mit den übrigen Realkapitalien. Der sie Benutzende muß neben dem Zins noch erhebliche Ausgaben für Instandhaltung, Abschreibungen, Versicherungen, Grundrenten, Steuern usw. gewärtigen, Ausgaben, die meistens den Zins des Kapitals erreichen und übersteigen. Das Häuserkapital steht in dieser Beziehung noch am günstigsten. Von 2653 deutschen Aktiengesellschaften mit 9201313000 Mark Kapital wurden 1911 439900 475 Mark abgeschrieben, also etwa 5% im Durchschnitt. Ohne die jährlichen Erneuerungen (neben den Ausbesserungen) bliebe von obigem Kapital nach 20 Jahren nichts übrig.

 

Aber auch sonst ist der Einwand nicht richtig, namentlich auch nicht den bisher von ihren Renten lebenden Personen gegenüber.

 

Denn werden diese Personen schon durch den Rückgang des Kapitalzinses zu größerer Sparsamkeit gezwungen, so werden sie, wenn der Zins ganz verschwindet, um so mehr darauf bedacht sein, das, was sie haben, (und was jetzt kein Kapital mehr ist), möglichst langsam zu verzehren. Und das erreichen sie eben damit, daß sie von den jährlichen Abschreibungen ihres Kapitals nur einen Teil für eigenen Bedarf ausgeben, den Rest aber wieder für den Bau neuer Häuser, Schiffe usw. bestimmen, die ihnen keinen Zins, wohl aber Sicherheit

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gegen unmittelbaren Verlust bieten. Würden sie das Geld (Freigeld) behalten, so würden sie nicht nur keinen Zins, sondern noch einen Verlust haben. Durch den Bau neuer Häuser vermeiden sie diesen Verlust.

 

So wird z. B. ein Aktionär des Norddeutschen Lloyd, der, wie wir annehmen wollen, keine Dividenden mehr zu erwarten hat, nicht verlangen, daß ihm der Betrag der Abschreibungen, womit der Lloyd heute die neuen Schiffe baut, voll ausbezahlt werde. Er wird sich mit einem Teil begnügen, um den Tag möglichst lange hinauszuschieben, an dem ihm der Rest seines Vermögens ausbezahlt wird. So werden also immer wieder neue Schiffe gebaut, trotzdem sie keinen Zins und nur Abschreibungen abwerfen. Freilich würde aber dennoch mit der Zeit das letzte Schiff des Norddeutschen Lloyd in Trümmer fallen, wenn nicht andere an die Stelle des von den Abschreibungen zehrenden, gewesenen Rentners träten, wenn nicht die von den Zinslasten befreiten Arbeiter das tun würden, was die gewesenen Rentner nicht mehr tun können. Den Teil der Abschreibungen, den der gewesene Rentner verzehrt, werden also die Sparer ersetzen, allerdings auch nur, um im Alter von den erwarteten Abschreibungen leben und zehren zu können.

Es ist also nicht nötig, daß die Häuser, Fabriken, Schiffe usw. Zins abwerfen, um die Mittel zu ihrer Herstellung von allen Seiten heranzulocken. Diese Dinge erweisen sich nach Einführung des Freigeldes für alle Sparer als das beste Aufbewahrungsmittel für die Ersparnisse. Indem die Sparer die Überschüsse in Häusern, Schiffen, Fabriken anlegen, die keinen Zins eintragen, wohl aber sich in Abschreibungen wieder auflösen, sparen sie die Kosten der Wartung und Lagerung dieser Überschüsse, und zwar vom Tage an, wo der Überschuß gemacht wurde, bis zum Tage, wo er verzehrt werden soll; und da zwischen diesen beiden Tagen oft Jahrzehnte liegen (ein Jüngling, der für sein Alter spart!), so sind es große Vorteile, die die genannten Geldanlagen den Sparern bieten.

 

Der Zins ist ja sicher ein besonderer Reiz für den Sparer. Aber nötig ist dieser besondere Reiz nicht. Der Spartrieb ist auch ohne diesen Reiz stark genug. Übrigens, so kräftig der Zins als Sparreiz auch wirken mag, so ist er doch keinesfalls stärker, als das Hindernis, das der Zins dem Sparer errichtet. Infolge der Zinslasten heißt sparen heute für die Volksmassen — entsagen, entbehren, hungern, frieren und nach Luft schnappen. Denn gerade durch den Zins, den der Arbeiter erst für andere aufbringen muß, wird der Arbeitsertrag so stark beschnitten, daß in der Regel der Arbeiter an Sparen überhaupt nicht denken kann. Ist also der Zins ein Sparreiz, so ist er in noch stärkerem Grade ein Sparhindernis. Der Zins beschränkt die Sparmöglichkeit auf ganz kleine Kreise, und die Sparfähigkeit auf die Wenigen aus diesen Kreisen, die den nötigen Entsagungsmut dazu haben. Sinkt der Zins auf Null, so steigt der Arbeitsertrag um den vollen Betrag der Zinslasten, und entsprechend erweitert sich die Sparmöglichkeit und Sparfähigkeit. Und es ist doch sicher leichter, von 200 Mark, als von 100 Mark 5 Mark zu sparen. Und wahrscheinlich wird derjenige, der durch die Zinsaussichten mitbestimmt wurde, bei 100 Mark sich und seinen Kindern 10 Mark am Munde abzusparen, bei 200 Mark ohne jenen Reiz aus natürlichen Spartrieben, wenn auch nicht 110 Mark, so doch erheblich mehr als 10 Mark sparen.

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In der Natur wird übrigens das Sparen ganz allgemein ohne Aussicht auf Zins geübt. Die Bienen und Hamster sparen, obschon ihnen der gesammelte Vorrat keinen Zins, wohl aber viele Feinde verschafft. Bei den Naturvölkern wird auch gespart, obschon dort von Zins keine Rede ist (*). Warum soll nun der Kulturmensch anders geartet sein? Man spart, um sich ein Haus zu bauen, man spart für die Hochzeit, fürs Alter, für Krankheitsfälle, und in Deutschland sparen manche sogar für ihre Totenmesse und für die Begräbniskasse. Und das Begräbnis wirft dem Toten doch keinen Zins ab. Und übrigens, seit wann spart denn der Proletarier für die Sparkasse? Brachte das in den Matratzen verborgene Geld früher Zins ein? Und solche Sparanlagen waren doch noch bis vor 30 Jahren allgemein Sitte. Auch die Wintervorräte bringen keinen Zins ein, dagegen viel Verdruß (**)

 

Sparen heißt, mehr Ware erzeugen als verbrauchen. Aber was macht der Sparer, macht das Volk mit diesen Überschüssen an Waren? Wer bewahrt diese Waren auf, und wer bezahlt die Kosten des Aufbewahrens? Wenn wir hier antworten: der Sparer verkauft seine Wirtschaftsüberschüsse, so verlegen wir die Frage vom Verkäufer auf den Käufer, und auf ein Volk als Ganzes ist diese Antwort überhaupt nicht anwendbar.

 

Wenn nun jemand Ersparnisse macht, d. h. mehr Waren erzeugt als verbraucht, und findet einen, dem er den Überschuß unter der Bedingung verleihen kann, daß ihm seine Ersparnisse ohne Zins, aber auch ohne Verluste, nach Jahr und Tag erstattet werden, so ist das für den Sparer ein außerordentlich vorteilhafter Handel. Spart er doch die Unterhaltungskosten seiner Ersparnisse. Er gibt 100 Tonnen frischen Weizen in seiner Jugend, und im Alter erhält er 100 Tonnen frischen Weizen gleicher Güte zurück. (s. die Robinsongeschichte S. 319 ff.)

Die einfache, volle Rückerstattung des ausgeliehenen Spargutes enthält also, sobald wir nur das Geld aus dem Spiele lassen, eine recht bedeutende Leistung von seiten des Schuldners oder Borgers, nämlich die Kosten der Aufbewahrung des geliehenen Spargutes. Diese Kosten müßte der Sparer selbst tragen, wenn er niemand fände, der ihm die Ersparnisse abnimmt. Freilich verursachen die geliehenen Güter dem Borger keine Aufbewahrungskosten, weil er diese (z. B. geliehenen Saatweizen) in der Wirtschaft verbraucht, aber diesen Vorteil, der eigentlich ihm gehört, überträgt der Borger im zinsfreien Darlehen ohne Gegenleistung auf den Verleiher. Wären die Verleiher zahlreicher als die Borger, so würden sich die Borger genannten Vorteil in der Form eines Abzuges am Darlehen (negativen Zinses) bezahlen lassen. Also von welcher Seite man auch das zinsfreie Darlehen betrachtet, Hindernisse natürlicher Ordnung stehen ihm nicht im Wege. Im Gegenteil. Je mehr der Zins fällt, um so eifriger wird an der Vermehrung der Häuser, Fabriken, Schiffe, Kanäle,

 

(*) Kein Neger, kein Hottentot, kein Mohikaner hat jemals Zins von seinen Ersparnissen erhoben. Trotzdem wird keiner von ihnen seine Ersparnisse (Vorräte) gegen die Ersparnisse unserer Proletarier (Sparkassenbuch) hergeben wollen.)

 

(**) Daß das Zinsverbot der Päpste im Mittelalter keine Geldwirtschaft aufkommen ließ (auch der Mangel an Geldmetall trug dazu bei), zeugt dafür, daß die Sparer auch ohne Zinsgenuß ihrem Spartrieb folgten; sie verschatzten das Geld.)

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Eisenbahnen, Theater, Krematorien, Straßenbahnen, Kalköfen, Eisenhütten usw. gearbeitet werden, und den höchsten Grad erreicht die Arbeit, wenn jene Unternehmungen gar keinen Zins mehr abwerfen werden.

 

Für v. Boehm-Bawerk ist es ganz selbstverständlich, daß ein gegenwärtiges Gut höher eingeschätzt werden muß, als ein künftiges, und auf diese Voraussetzung gründet er auch seine neue Zinstheorie. Und warum wäre das selbstverständlich? Darauf gibt er selbst die etwas wunderliche Antwort: weil man Wein kaufen kann, der im Keller jährlich besser und teurer wird!! (*). Weil also der Wein (v. Boehm-Bawerk hat unter allen Waren keine zweite gefunden, die diese wunderbare Eigenschaft besitzt) angeblich von selbst, ohne Arbeit, ohne Kosten irgendwelcher Art, also auch ohne die Lagerkosten, im Keller jährlich besser wird, darum werden wohl auch die übrigen Waren, Kartoffeln, Mehl, Pulver, Kalk, Häute, Holz, Eisen, Seide, Wolle, Schwefelsäure, Modeartikel usw. jährlich auf Lager besser und teurer? Wenn aber diese Begründung richtig ist, so ist ja die soziale Frage in vollkommenster Weise gelöst. Man braucht nur genügend Ware anzuhäufen (wozu sich ja die unerschöpfliche Ergiebigkeit der heutigen Gütererzeugung und die Arbeitslosen prächtig eignen), und dann kann das ganze Volk von den Renten leben, die die auf Lager immer besser und teurer (ein Unterschied in der Güte läßt sich wirtschaftlich immer auf einen Unterschied in der Menge zurückführen) werdenden Waren ohne Arbeit irgend welcher Art abwerfen. Übrigens ist nicht einzusehen, warum man dann auch nicht umgekehrt folgern könnte: weil alle Waren, mit Ausnahme des Geldes und des Weines, in kurzer Zeit sich in Schutt und Moder verwandeln, darum verwandelt sich auch der Wein und das Geld in Moder! Und v. Boehm-Bawerk war bis zu seinem Tode (1914) der angesehenste Zinslehrenforscher, dessen Werke in viele Sprachen übersetzt wurden!


Die Sorgen der Sparer gehen uns nun zwar nichts an, weil wir ja nur eine Grundlehre des Zinses geben wollen, aber es trägt vielleicht zur Klärung dieser Lehre bei, wenn wir uns diese Sorgen näher betrachten.

 

Nehmen wir also an, daß nach der Entfernung des Goldes aus der Umlaufsbahn der Waren jemand sparen will, um im Alter sorglos ohne Arbeit leben zu können. So ergibt sich gleich die Frage, welche Gestalt er seinen Ersparnissen geben wird. Anhäufung seiner eigenen oder der Erzeugnisse anderer ist von vornherein ausgeschlossen, auch an einen Schatz in Freigeld ist nicht zu denken. Da kämen zinsfreie Darlehen an Unternehmer, Handwerker, Bauern und Kaufleute, die ihre Geschäfte erweitern wollen, in erster Linie in Betracht; je länger das Ziel der Rückzahlung hierbei wäre, um so besser. Freilich läuft dabei unser Sparer die Gefahr, daß seine Schuldner ihm das Darlehen nicht zurückgeben werden. Aber diese Gefahr läßt er sich bezahlen im Gefahrbeitrag (Risikoprämie), um den sich übrigens auch heute der reine Zins jedes ähnlichen Darlehens erhöht. Will aber unser Sparer sich gegen solche Verluste sichern, so baut er mit seinen Ersparnissen ein Mietshaus, und der Mieter bezahlt ihm in den jährlichen Abschreibungen, die auch heute immer im Mietzins enthalten sind, die Kosten des Baues nach und nach zurück. Und die Bauart des Hauses richtet der Sparer nach den Abschreibungen ein, wie er sie zu haben wünscht. Er baut ein steinernes Haus, wenn er sich mit 2% Abschreibungen jährlich begnügt; er legt seine Ersparnisse in Schiffen an, wenn ihm mit 10% Abschreibungen gedient ist, oder er kauft eine Pulverfabrik, die mit 30% Abschreibungen rechnen muß. Kurz, er hat die Wahl. Ähnlich wie der Kraftaufwand, den die Kinder Israels im Bau der Pyramiden anhäuften, heute nach 4000 Jahren durch Herabschleudern der Bausteine ohne Verlust wieder lebendig

 

(*) Vergl. hierüber die Fußnote S. 326.)

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gemacht werden kann, so würden die in einem zinsfreien Hause verbauten Ersparnisse in der Miete in Form von Abschreibungen unverkürzt wieder erscheinen, ohne Zinsen zwar, aber immer noch mit dem ganz unberechenbaren Vorteil, daß der Sparer seine Überschüsse über die Zeit hinweg, wo er sie nicht benötigte, ohne Verlust hinüberleitet in die Zeit, da er sie verbrauchen will.

Wer also eine Mietskaserne mit der Absicht baut, sie zinsfrei zu vermieten, der ist ungefähr in der gleichen Lage, wie jemand, der sein Geld zinsfrei auf Abzahlung gegen Pfand verleiht.


Gewöhnlich wird es aber wohl so kommen, daß Lebensversicherungs-Gesellschaften den kleinen, weltfremden Sparern alle Sorgen abnehmen, indem sie mit den Geldern der Sparer die Häuser, Schiffe, Fabriken bauen und dann aus den Abschreibungen dieser Dinge den Sparern eine lebenslängliche Rente zahlen: kräftigen Männern 5% der Einlagen, kränklichen oder älteren Leuten 10 oder 20%. Unter solchen Verhältnissen gäbe es allerdings keine Erbonkel mehr. Mit dem letzten Nagel des Vermögens wird der Sarg zugeschlagen. Der Sparer zehrt von seinem Gute, sowie er zu arbeiten aufhört, und mit dem Tode ist es aufgezehrt. Übrigens braucht auch unter solchen Verhältnissen niemand seine Nachkommen mit einem Erbe auszustatten. Ausstattung genug ist es für alle, wenn man die Arbeit von den Zinslasten befreit. Der von den Zinslasten befreite Mann braucht nichts zu erben, wie auch der Jüngling zu Nain keine Krücken mehr brauchte. Er schafft selber Hab und Gut, und mit seinen Überschüssen speist er die Kassen der gedachten Versicherungsgesellschaften, so daß die Abschreibungen an den Häusern, Schiffen usw., die den Alten ausgezahlt werden, mit den Ersparnissen der Jungen immer wieder durch Neubauten ausgefüllt werden. Die Ausgaben für die Alten werden durch die Ersparnisse der Jungen gedeckt.


Ein Arbeiter mag heute an Wohnung, Arbeitsmitteln, Staatsschulden, Eisenbahnen, Schiffen, Läden, Krankenhäusern, Leichen-Verbrennungshallen usw. ein Kapital von 50000 Mark verzinsen (*), d. h. an Kapitalzins und Grundrente muß er unmittelbar in Lohnabzügen, mittelbar in den Warenpreisen 2000 Mark jährlich aufbringen. Ohne den Kapitalzins würde sein Arbeitsertrag sich verdoppeln. Wenn nun ein solcher Arbeiter bei 1000 Mark Lohn heute jährlich 100 Mark spart, so wird er lange Zeit brauchen, ehe er von seinen Renten leben kann. Dies um so mehr, als er durch sein Sparen ja heute die regelmäßig wiederkehrenden Krisen hervorruft, die ihn immer wieder zwingen, seine Ersparnisse anzugreifen, wenn er sie nicht gar in der durch seine Sparsamkeit hervorgerufenen Krise und im Zusammenbruch seiner Bank verliert, wie das ja manchmal vorkommen soll. Hat dagegen der Arbeiter durch die Beseitigung des Zinses doppelte Einnahmen, so kann er in dem angenommenen Fall nicht 100 Mark, sondern 1100 Mark jährlich sparen, und wenn auch das Gesparte sich nicht mehr durch Zins „von selber“ vermehrt, so wird doch am Ende der Sparjahre ein solcher Unterschied zwischen dem früher mit Zins, und dem

 

(*) Deutschland mit etwa 10 Millionen Arbeitern (d. h. allen, die vom Ertrag der Arbeit eben) verzinst ein Kapital von etwa 500 Milliarden (einschließlich des Bodens). Somit verzinst der einzelne Arbeiter durchschnittlich ein Kapital von 50 000 Mark.)

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jetzt ohne Zins Gespartem bestehen, daß er die Zinsen gern vermissen wird. Und dieses Mehr wird nicht einfach sich verhalten wie 100 (+ Zins) zu 1100, sondern bedeutend größer sein, weil der Arbeiter nicht mehr durch arbeitslose Zeiten gezwungen sein wird, seine Ersparnisse anzugreifen.

Noch einen Einwand haben wir zu widerlegen, den man gegen die Möglichkeit eines Ausgleichs zwischen Nachfrage und Angebot auf dem Kapitalmarkt erhebt. Man sagt, daß man mit mehr oder mit besseren Maschinen billiger arbeiten kann, daß darum jeder Unternehmer ein Sinken des Zinses dazu benutzen wird, um seine Fabrik zu erweitern oder zu verbessern. Woraus man dann folgert, der Rückgang des Zinses und besonders die völlige Zinsfreiheit würden eine solche Nachfrage auf dem Kapitalmarkt von seiten der Unternehmer bewirken, daß das Angebot sie niemals decken und deshalb der Zins überhaupt nicht auf Null fallen könnte.

So sagt z. B. Conrad Otto (*): „Der Zins kann nie ganz verschwinden. Wenn z. B. ein Lastenaufzug 5 Arbeiter erspart mit einem Jahresverdienst von 4000 Kronen, so darf er bei einem Zinsfuß von 5% höchstens 80 000 Kronen kosten. Sinkt der Zinsfuß tiefer, z. B. auf 1/100 %, so würde der Aufzug noch mit Vorteil aufgestellt werden können, wenn er selbst 40000000 Kronen kosten würde. Sinkt der Zinsfuß auf den Nullpunkt oder nahe an den Nullpunkt heran, dann würde die  Kapitalverwendung einen Grad erreichen, der alle Vorstellung übersteigt. Um die einfachsten Handgriffe zu ersparen, könnten die kompliziertesten und kostspieligsten Maschinen aufgestellt werden. Bei einem Zinsfuß gleich Null müßten unermeßliche, unbegrenzte Kapitalanlagen vorhanden sein Es bedarf nun wohl keines besonderen Nachweises, daß diese Bedingung heute nicht erfüllt ist und wohl auch in Zukunft niemals erfüllt werden kann.“

Zu diesem Einwand gegen die Möglichkeit zinsfreier Darlehen ist folgendes zu bemerken: Die Kapitalanlagen kosten nicht nur Zins, sondern auch Unterhaltungskosten, und diese sind regelmäßig, namentlich bei industriellen Anlagen, sehr hoch. So würde der Lastenaufzug von 40 Millionen allein für seine Instandhaltung und für Abschreibungen sicherlich 4—5 Millionen kosten. Das wären aber dann nicht 5 Arbeiter, wie Otto meint, sondern 4000 Arbeiter zu 800 Kronen, die der Aufzug ersparen müßte, — auch wenn er keinen Pfennig Zinsen beansprucht. Bei 5% Unterhaltungskosten und 5% Abschreibungen dürfte der Aufzug, der 5 Mann zu 800 Kronen ersparen soll, nur 40000 (statt 40 Millionen) zinsfreies Geld kosten. Übersteigen die Baukosten diesen Betrag, so deckt er die Unterhaltungskosten nicht mehr, der Aufzug wird nicht gebaut; er hält dann auch keine Nachfrage auf dem Anleihenmarkt.

 

Dort, wo keine oder keine nennenswerten Abschreibungen nötig sind, wie bei gewissen landwirtschaftlichen Geländeverbesserungen dauernder Art, sind es wieder die Lohnforderungen der Arbeiter, die es verhindern würden, daß die Nachfrage nach zinsfreiem Leihgeld ins Ungemessene wachsen könnte. Die Sache geht auch hier in die Grundrentenfrage über. Übrigens wird auch kein Privatmann Felsen sprengen und Wälder ausroden, wenn ihm diese Arbeit keinen Vorteil bringt. Beim Bau einer Fabrik, einer Mietskaserne hat er den Vorteil, daß ihm in den jährlichen Abschreibungen die Auslagen nach und nach

 

(*) Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik, Jahrgang 1908 (Kapitalzins S. 325).

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erstattet werden. In der Hoffnung auf diese Erstattung baut er das Miethaus. Er will als Sterblicher vor seinem Tode die Früchte seines Fleißes selber genießen und kann deshalb nur Arbeiten unternehmen, die sich in Abschreibungen wieder auflösen. Wenn er und sein Werk in der Auflösung Schritt halten, dann hat er richtig, d. h. privatwirtschaftlich richtig gerechnet. Arbeiten von Ewigkeitswert sind nicht Sache des Sterblichen, sondern des Ewigen, des Volkes. Das Volk, das ewig lebt, rechnet mit der Ewigkeit und sprengt die Felsen weg, obschon diese Arbeit keinen Zins abwirft und sich auch nicht in Abschreibungen auflöst. Im Tode noch entwirft der alte Staatsförster den Plan für das Aufforsten einer Einöde. Diese Dinge sind Staatsangelegenheiten. Der Staat aber wird solche Arbeiten immer nur in dem Umfange unternehmen, wie ihm dazu Geld zinsfrei zur Verfügung gestellt wird. Solche Unternehmungen stehen infolgedessen der Zinsfreiheit nicht im Wege, sondern liegen in ihrem Rücken.

Wer jenen Einwand erhebt, vergißt auch, daß, wenn es sich um eine einfache Erweiterung des Unternehmens handelt (10 Drehbänke an Stelle von 5, 10 Ziegelmaschinen, wo bisher 5 arbeiteten usw.), diese nicht ohne entsprechend vermehrte Arbeiterzahl ausgenutzt werden kann. Die Nachfrage nach Geld für die Vergrößerung einer Fabrik bedeutet also auch gleichzeitig eine entsprechend vergrößerte Nachfrage nach Arbeitern, die durch erhöhte Lohnforderungen den vom Unternehmer von der Erweiterung seines Unternehmens erwarteten Vorteil wieder zunichte machen. Durch einfaches Vergrößern seiner Fabrik kann also ein Unternehmer keinen besonderen Vorteil von den zinsfreien Darlehen erwarten, und darum wird die Zinsfreiheit ihn nicht reizen, eine grenzenlose  Nachfrage nach zinsfreien Darlehen zu halten. Diese Grenze ist durch die Lohnforderungen der Arbeiter gezogen, denen ganz allein die Zinsfreiheit zugute kommt. Und das ist ja auch ganz natürlich, — denn das Verhältnis des Unternehmers zum Arbeiter unterscheidet sich im Grunde in nichts von dem Verhältnis, das zwischen Pfandleihern (*) und Pfandborgern besteht, wobei ein Herabgehen des Zinses auch den Borgern zugutekommt.

 

Der Unternehmer kauft nicht die Arbeit oder die Arbeitszeit, auch nicht die Arbeitskraft, denn er verkauft auch keine Arbeitskraft. Was er kauft und verkauft, das ist das Arbeitserzeugnis, und der Preis, den er dafür bezahlt, richtet sich nicht nach den Kosten der Aufzucht, Ausbildung und Unterhaltung eines Arbeiters und seiner Nachkommenschaft (der Unternehmer kümmert sich um dergleichen nicht; das erkennt man doch klar genug am Arbeiter selber), sondern einfach nach dem, was der Verbraucher dafür bezahlt. Von diesem Preis zieht der Unternehmer den Zins der Betriebsanlagen, die Kosten der Rohstoffe zuzüglich Zins und den Lohn seiner eigenen Arbeit ab. Der Zins entspricht regelmäßig dem Urzins; der Lohn des Unternehmers unterliegt, wie jeder Arbeitslohn, dem Gesetze des Wettbewerbs, und mit dem Rohstoff, den der Unternehmer verarbeiten läßt, handelt der Unternehmer so, wie jeder Krämer mit seinen Waren handelt. Der Unternehmer schießt dem Arbeiter Maschinen und Rohstoffe vor und zieht den Zins davon vom Erzeugnis des Arbeiters ab; der Rest ist der sogenannte Lohn, der im Grunde nichts anderes ist, als der Preis der vom Arbeiter gelieferten Ware.

Die Arbeitsbetriebe sind somit wirklich nichts anderes als Pfandhäuser. Zwischen einem Pfandhausbesitzer und Krupp ist kein Wert-, sondern nur ein Größenunterschied. Diese Wesens-

 

(*) So sagte schon Eugen Dühring irgendwo vor langer Zeit: der Unternehmer vermietet gleichsam die Produktionsanstalten an das Arbeitertum gegen eine Gebühr. Dühring nennt diese Vermietungsgebühr Profit, Marx nennt sie Mehrwert, wir nennen sie schlechthin Zins, Kapitalzins.

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art des Betriebes kommt beim Stücklohn ganz nackt zum Vorschein. Stücklohn ist aber im Grunde aller Lohn, denn der Lohn richtet sich nach den Stücken, die der Unternehmer sich vom einzelnen Arbeiter verspricht.

 

Aber neben der einfachen Vergrößerung der Unternehmungen, die die Nachfrage nach Arbeitern vermehrt, gibt es noch eine eigentliche Verbesserung der Arbeitsmittel, die es gestattet, mit der gleichen Anzahl Arbeiter mehr Ware zu erzeugen. Ein Bauer z. B. kann die Zahl seiner Pflüge verdoppeln, aber dann muß er auch die Zahl der Knechte verdoppeln. Kauft er aber einen Dampfpflug, so bebaut er eine doppelte Fläche, ohne die Zahl der Knechte zu verdoppeln.

 

Solche Verbesserungen der Arbeitsmittel (die immer scharf von der einfachen Vermehrung der Arbeitsmittel zu scheiden sind) werden immer angestrebt. Denn den Unternehmern kommt es ganz allein auf den Reinertrag (*) an, und dieser ist um so größer, je besser die eigenen Arbeitsmittel sind, verglichen mit denen der Wettbewerber. Daher der Wettlauf der Unternehmer bei der Verbesserung der Arbeitsmittel, daher die Nachfrage nach Darlehensgeldern von seiten der Unternehmer, die die veraltete Fabrik niederreißen, aber für den Bau der besser ausgestatteten Fabrik nicht genügend eigene Mittel haben.

Dennoch kann man hieraus nicht folgern, daß die Nachfrage nach zinsfreien Darlehen für die Verbesserung der Arbeitsmittel zu jeder Zeit unbegrenzt sein muß, daß also das Angebot niemals die Nachfrage erreichen kann, die sich bei Zinsfreiheit einstellt, und zwar kann man dies deshalb nicht folgern, weil für solche Verbesserungen der Arbeitsmittel das zu ihrer Beschaffung nötige Geld überhaupt erst in zweiter Linie in Betracht kommt.

 

Jeder, der gelernt hat, einen Besen zu binden, kann auch deren hundert binden. Verlangt man aber von ihm, mit zinsfreiem Geld in der Hand, eine Verbesserung seiner Arbeitsmittel, um mehr oder bessere Ware mit  gleicher Arbeit zu erzielen, so wird er die Antwort schuldig bleiben. Jede Verbesserung der Arbeitsmittel ist eine Frucht geistiger Arbeit, die man nicht wie Kartoffeln und Werttheorien den Zentner zu so und soviel kaufen kann. Man kann sie nicht einfach bestellen, auch mit noch so „billigem“ Geld nicht. Ungezählte Millionen könnten die Bürger jederzeit durch Ersinnen patentfähiger Neuerungen einstecken, jedoch melden sich diese Bierphilister nicht.

 

Es mag sein, daß in 10 oder 100 Jahren die Arbeitsmittel derart verbessert sein werden, daß die Arbeiter durchweg das Doppelte, das Fünf= oder Zehnfache leisten werden. Und jeder Unternehmer hat es dann eilig, sich diese Verbesserungen zuzulegen. Aber heute müssen die Unternehmer die Maschinen gebrauchen, die ihnen unsere rückständige heutige Technik liefert.

 

Aber davon abgesehen: nehmen wir an, es erfände jemand eine kostspielige Maschine, mit der jeder durchweg seine Leistung verdoppeln könnte,

(*) Reinertrag — Unternehmerlohn — Arbeitsertrag des Unternehmers usw. ist das, was nach Zahlung aller Betriebsausgaben für die Leitung des Unternehmens übrigbleibt und als Profit dieser Leitung anzusehen ist. Es hat mit Zins schlechthin nichts zu tun. Bei Aktiengesellschaften sind es die Patentrechte der Erfinder oder die „unverschämten“ Gehalt- und Lohnforderungen besonders tüchtiger und unersetzlicher Direktoren und Arbeiter, die diesen Reinertrag aufnehmen.

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so würde eine solche Erfindung alsbald eine riesenhafte Nachfrage nach Darlehen zur Beschaffung der neuen Maschine bewirken; jeder würde sie sich zulegen und die alte beseitigen. Und wenn wir vorher zinsfreie Darlehen hatten, so würde diese neue, gewaltige Nachfrage den Zins wieder zum Vorschein bringen. Der Zins könnte sogar unter diesen angenommenen Verhältnissen (die die gesamten Betriebseinrichtungen zum alten Eisen werfen) eine nie dagewesene Höhe erreichen. Aber das würde nicht lange dauern, denn die durch das neue Arbeitsmittel jetzt um die Hälfte billiger gewordenen Waren (billig nicht im Sinne eines Preisrückganges, sondern billig, weil man mit der gleichen Arbeit jetzt die Warenmenge verdoppelt und mit dieser doppelte Warenmengen eintauschen kann) würden den Bürgern gestatten, außerordentliche Ersparnisse zu machen, deren Angebot die außerordentliche Nachfrage nach Leihgeld bald ein- und überholen würde.

Man kann also sagen, daß jede Nachfrage nach Darlehen, die für die Verbesserung der Arbeitsmittel gemacht wird, selber wieder das Angebot zur Deckung dieser Nachfrage mit großem Überschuß herbeiführen muß.


Von welcher Seite wir auch die Deckung der Nachfrage nach Darlehen im Sinne einer durch diese Deckung bewirkten Beseitigung des Zinses betrachten mögen, Hindernisse natürlicher Ordnung stehen einer solchen Deckung nicht im Wege, weder auf seiten der Nachfrage, noch auf seiten des Angebots. Sowie wir das herkömmliche Geld aus dem Spiele lassen, ist die Bahn frei, sowohl für zinsfreie Darlehen, wie für zinsfreie Wohnungen und Arbeitsmittel. Die Beseitigung des Zinses ist ein natürliches Ergebnis der natürlichen Ordnung, wenn sie durch keine künstlichen Eingriffe gestört wird. Alles in der Natur des Menschen, ebenso wie in der Natur der Volkswirtschaft drängt auf eine unaufhaltsame Vermehrung der sogenannten Realkapitalien (Sachgüter) hin, eine Vermehrung, die nicht einmal beim völligen Wegfall des Zinses innehält. Und als einzigen Störenfried in dieser Ordnung haben wir das herkömmliche Tauschmittel erkannt, das infolge der ihm eigentümlichen, fremdartigen Vorzüge die Möglichkeit bietet, die Nachfrage ohne unmittelbaren Schaden für den Inhaber des Tauschmittels willkürlich hinauszuschieben, während das Angebot durch körperliche Eigenschaften der Waren jedes Zögern mit Bußen aller Art ahndet. Die Privat- wie auch die Volkswirtschaft haben auch heute schon immer ihre Spitze gegen den Zins gerichtet; sie würden ihn auch überwinden, wenn sie in diesem Bestreben nicht immer vom Geld gehemmt würden.

Wir haben diese neue Lehre vom Zins jetzt schon von so vielen Seiten kennen gelernt, daß wir nun am Schlusse eine Frage aufwerfen und beantworten können, die eigentlich in natürlicher Rangordnung an die Spitze der Erörterung zu stellen gewesen wäre, die ich aber geflissentlich bisher zurücksetzte, weil zu ihrer richtigen Erfassung Kenntuisse und Umsicht nötig sind, die wir hier am Schlusse natürlich eher voraussetzen können als zu Anfang.

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Wir sagten, daß das Geld als Tauschmittel darum Kapital ist, weil es den Warenaustausch unterbinden kann, und folgerichtig müssen wir nun auch sagen können, daß, wenn wir dem Geld durch die vorgeschlagene Umgestaltung die Fähigkeit nehmen, den Warenaustausch zu unterbrechen, das Geld als Tauschmittel kein Kapital mehr sein kann, d. h., daß das Geld den Urzins nicht mehr erheben kann.

 

Gegen diese Folgerung ist nichts einzuwenden; sie stimmt.

 

Aber wenn man nun weiter folgern und sagen würde: da das Geld von den Waren keinen Zins mehr erheben kann, so wird man auch am Tage der Einführung des Freigeldes schon mit zinsfreien Darlehen rechnen können, — so stimmt das nicht.

 

Als Tauschmittel, unmittelbar den Waren gegenüber (also im Handel) wird das Freigeld kein Kapital sein, ebensowenig wie die Waren einander gegenüber sich als Kapital erweisen können. Mit dem Freigeld werden die Waren frei von Zins ausgetauscht werden. Aber bei seiner Einführung wird das Freigeld die Marktverhältnisse antreffen, die sein Vorgänger, das Gold, für den Darlehenszins geschaffen hatte, und solange diese Marktverhältnisse bestehen, d. h. solange Nachfrage und Angebot auf dem Darlehensmarkt (in all seinen Formen) die Erhebung eines Zinses gestatten, wird man auch bei Freigelddarlehen Zins zahlen müssen. Das Freigeld stößt bei seiner Einführung auf die Massenarmut, deren Folge der Zins ist. Diese Armut muß erst verschwinden. Und sie verschwindet nicht von einem Tage zum andern. Hier heißt es arbeiten. Und solange diese Armut nicht beseitigt ist, werden Arbeitsmittel und Waren in allen Formen der Darlehensgeschäfte (nicht des Tausches) Zins abwerfen. Aber das Freigeld stellt den Zins nicht zur Bedingung seiner Dienstleistungen; es gestattet nun, daß die Volkswirtschaft als Folge krisenfreier Arbeit Fett ansetzt, und an diesem Fett soll der Zins zugrunde gehen, wie er auch zweifellos daran zugrunde gehen wird, zugrunde gehen muß. Der Zins frißt Schweiß und Blut des Volkes, aber Fett, d. h. volkswirtschaftlichen Reichtum kann der Zins nicht vertragen. Für den Zins ist Fett einfach Gift.

 

Es ist ganz unzweifelhaft, daß das den Zins bedingende Mißverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot noch nach der Geldreform eine ganze Weile fortbestehen und nur nach und nach verschwinden wird. Die tausendjährige Wirkung des herkömmlichen Geldes, d. h. der Mangel an Sachgütern, kann nicht durch die 24stündige Arbeit einer Papiergelddruckpresse aufgehoben werden. Den Mangel an Häusern, Schiffen, Fabriken kann buntes Geldpapier selbstverständlich nicht beseitigen, entgegen dem von jeher gehegten Wahn der Papiergeld- und Geldpapiergläubigen. Das Freigeld wird den Bau von Häusern, Fabriken, Schiffen in unbegrenzter Menge gestatten; es wird den Volksmassen erlauben, nach Herzenslust zu arbeiten, zu schwitzen und die bettelhafte Armut, die das Gold hinterließ, zu verfluchen. Selbst aber wird es keinen Stein zu den fehlenden Städten liefern. Die Druckpressen, auf denen das Freigeld hergestellt wird, werden an und für sich nicht einen einzigen Tropfen zu dem Meere von Sachgütern (Realkapitalien) liefern, das zur Ersäufung des Kapitalzinses unentbehrlich ist und durch jahrelange, unverdrossene und ungedrosselte Arbeit geschaffen werden muß, ehe von Zinsfreiheit die Rede sein kann. Die Freiheit muß immer erkämpft werden, wenn sie von Bestand sein soll, und so muß auch

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die Zinsfreiheit erkämpft, erarbeitet werden. Schweißtriefend soll das Volk das zinsfreie Haus, die zinsfreie Fabrik betreten, den zinsfreien Zukunftsstaat erobern.

Im übrigen aber wird am Tage, an dem das Gold von seinem Throne gestoßen wird und das Freigeld es übernimmt, den Austausch der Waren zu vermitteln, sich überhaupt nichts Nennenswertes inbezug auf den Zins ereignen. Der Zins der bestehenden Sachgüter (Realkapitalien) bleibt vorläufig unverändert. Und auch die neu hinzukommenden Sachgüter, die das Volk in nun ungehinderter Arbeit schaffen wird, werden Zins abwerfen. Sie werden allerdings auf den Zins drücken, und zwar in dem Maße, wie ihre Menge wachsen wird. Wenn neben einer Stadt wie Berlin, Hamburg, München noch eine zweite und größere Stadt erbaut sein wird, dann wird das Angebot von Wohnungen vielleicht die Nachfrage decken und ihre Verzinsung auf Null fallen.

 

Wenn aber die Sachgüter noch Zins abwerfen, und man mit Geld Waren kaufen kann, die sich zu neuen Sachgütern vereinigen lassen, die Zins abwerfen, so ist es klar, daß, wenn jemand ein Darlehen in Geld braucht, er dafür den gleichen Zins zahlen muß, den das Sachgut einbringt, und zwar selbstverständlich nach dem Gesetze des Wettbewerbs.

 

Darlehen in Freigeld werden also so lange verzinst werden müssen, wie die Sachgüter Zins abwerfen. Wie diese dank ihrer durch das Metallgeld bedingten zu geringen Menge noch eine zeitlang als Kapital bestehen bleiben, so werden ihre Bestandteile, also Rohstoffe und Geld, auch noch eine zeitlang Kapital sein.

 

Bis dahin war der Zins für Sachgüter abhängig vom Urzins; jetzt ist der Urzins beseitigt, und die Höhe des Darlehenszinses richtet sich genau nach dem Zins des Sachguts. Man wird also bei Gelddarlehen nicht darum Zins zahlen, weil das Geld den Waren eine Abgabe aufbürden kann, sondern weil die Nachfrage nach Darlehen vorläufig noch das Angebot überwiegt.

 

Der Urzins war kein Darlehenszins; der Tausch des Geldes gegen Ware und die hierbei erhobene Abgabe hatten durchaus nichts gemein mit einem Darlehen. Der Urzins wurde darum auch nicht durch Nachfrage und Angebot bestimmt. Der Erzeuger gab im Tausch für das Geld seine Ware her. Es war ein Tauschgeschäft, und der Urzins wurde dabei erhoben, weil der Geldinhaber den Tausch gestatten oder untersagen konnte. Der Urzins entsprach dem Wertunterschied, der zwischen dem Wechsel als Tauschmittel (neben Urwirtschaft und Tauschhandel) und dem baren Geld bestand. Kein Angebot von Geld, und mochte es noch so groß sein, vermochte diesen Wertunterschied und damit auch den Zins zu beseitigen.

Beim Zins der Sachgüter dagegen handelte es sich nicht um einen Tausch, sondern um ein Darlehen. Der Grundbesitzer verleiht den Boden an den Pächter, der Hausbesitzer verleiht das Haus an den Mieter, der Fabrikant verleiht die Fabrik an die Arbeiter, der Bankmann verleiht das Geld an den Schuldner; — aber der Kaufmann, der den Zins von den Waren erhebt, verleiht nichts, er tauscht. Der Pächter, der Mieter, der Arbeiter, der Schuldner geben zurück, was sie erhalten haben; der Kaufmann erhält für sein Geld etwas vom Geld ganz Verschiedenes. Darum hat auch der Tausch mit dem Darlehen nichts gemein, darum aber auch wird der Urzins von ganz anderen Umständen beeinflußt, als der Zins der Sachgüter. Und eigentlich müßte man ganz davon

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abgehen, diese beiden so verschiedenen Dinge mit dem gleichen Worte Zins zu bezeichnen.

 

Der Zins der Sachgüter wird durch Nachfrage und Angebot bestimmt. Er unterliegt dem Gesetze des Wettbewerbes. Er kann durch eine einfache Verschiebung im Verhältmis zwischen Nachfrage und Angebot beseitigt werden. Niemals wäre das möglich beim Urzins. Der Zius der Sachgüter wurde bisher vor einer solchen Verschiebung geschützt, weil das Angebot von Sachgut im Urzins einen unüberwindlichen Widerstand fand.

 

Mit dem Freigeld wird dieser Widerstand gebrochen, aber noch besteht das für den Zins unerläßliche Mißverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot von Darlehen jeder Art: Darlehen in Gestalt von Mietshäusern, von Fabriken, Maschinen, wie auch in Gestalt von Geld.

 

Aber der Stoff für den Zins dieser Gelddarlehen kommt jetzt nicht mehr aus dem Handel als G.W.G.“, sondern aus der Warenerzeugung. Er ist ein Teil des Erzeugnisses, das der Unternehmer mit Hilfe des Darlehens mit gleichen Kosten mehr hervorbringen kann, und den der Geldverleiher für sich beanspruchen kann, weil Nachfrage und Angebot es ihm gestatten.

 

Der Urzins wurde außerhalb der Warenerzeugung beim Austausch erhoben. Nicht als Anteil an den mit Hilfe des Darlehens mehr erzeugten Waren, sondern als ein Teil aller Waren überhaupt, die auf das Geld als Tauschmittel angewiesen waren. Er wäre auch erhoben worden, wenn alle Arbeiter mit eigenen, genau gleichen Arbeitsmitteln versehen gewesen, wenn alle Schulden bezahlt worden wären, wenn jeder seine Einkäufe bar bezahlt, jeder im eigenen Hause gewohnt hätte, wenn der Markt für Darlehen geschlossen, wenn alle Anleihen verboten, wenn der Zins kirchlich und gesetzlich untersagt worden wäre.

Die Nachfrage nach Darlehen, namentlich in Form von Arbeitsmitteln, kommt daher, daß man mit diesen Arbeitsmitteln mehr oder bessere Waren erzielt, als ohne solche. Stößt nun der Arbeiter bei dieser Nachfrage auf ein ungenügendes Angebot, so muß er von dem, was er mit dem gewünschten Arbeitsmittel mehr zu erzeugen hofft, einen Teil an den Verleiher abgeben, und zwar aus keinem anderen Grunde, als weil es das bestehende Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot so will. Und dieses Verhältnis wird nach Einführung der Freigeldreform noch eine zeitlang fortbestehen.

Solange das Arbeitsmittel Kapital ist, ist auch das Arbeitserzeugnis Kapital, aber nicht als Ware, nicht dort, wo um den Preis gehandelt wird. Denn einander gegenübergestellt würden sich die Zinsrechnungen der Waren aufheben. Aber außerhalb des Warenumlaufs, dort, wo es sich um die Bedingungen eines Darlehens (nicht also um Preise) handelt, nicht den Käufern, sondern den Borgern gegenüber, da kann das Arbeitserzeugnis Kapital sein, und es muß es sogar sein, solange das Arbeitsmittel Kapital ist. Gerade umgekehrt verhält es sich mit dem herkömmlichen Geld. Dieses zieht seinen Zins nicht von den Borgern, sondern aus dem Warenumlauf. Es hat seinen Saugrüssel unmittelbar in die Blutbahn des Volkes gesenkt. Mit dem Freigeld wird dem Tauschmittel dieses Schröpfwerkzeug genommen. Und darum ist das Freigeld an und für sich kein Kapital mehr. Es kann den Zins nicht mehr unter allen Umständen erpressen. Es er-

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leidet das Schicksal der Waren und ihrer Arbeitsmittel, die auch nur so lange Zins erheben können, als das Angebot hinter der Nachfrage zurückbleibt. Fällt der Zins der Sachgüter auf Null, so ist auch das zinsfreie Gelddarlehen Tatsache. Mit der Freigeldreform verschwindet der Urzins gleich von dem Augenblick an, wo das Freigeld den Waren entgegentritt. Den Waren gegenüber ist das Freigeld unbewaffnet, wie ein Wolf mit dem Maulkorb mitten in einer Schafherde. Keine noch so starke Vermehrung des Geldbestandes konnte den Urzins beeinflussen. Aber das Verschwinden des Urzinses ist kein Grund für das sofortige Verschwinden des Darlehenszinses. Das Freigeld wird nur den zinsfreien Darlehen die Bahn frei machen, — mehr kann es nicht leisten.

Hier in dieser Unterscheidung zwischen Urzins und Darlehenszins fließt alles, was wir über den Urzins bisher gesagt hatten, wie in einem Brennpunkt zusammen. Man hat den Urzins bisher nicht gesehen, weil er sich hinter dem gemeinen Darlehenszins (seinem Geschöpf) versteckte. Wenn der Kaufmann Geld borgt und den Zins, den er dafür zahlt, als allgemeine Unkosten auf die Warenpreise schlägt, so ist das, wie man bisher annahm, ein Darlehenszins. Der Kaufmann schießt das Geld der Ware vor, er macht ihr ein Darlehen, und die Warenerzeuger zahlen den Zins dieses Darlehens. So erklärte man die Sache. Man braucht übrigens kein oberflächlicher Denker zu sein, um an diesem Trugschluß achtlos vorbeizugehen. Der Schein ist wirklich hier recht trügerisch. Man muß schon recht genau zusehen, um zu beobachten, daß der Zins, den der Kaufmann für das geliehene Geld zahlt, nicht Ausgangspunkt, sondern Endpunkt der ganzen Handlung ist. Der Kaufmann erhebt mit dem Geld den Urzins von den Waren und liefert, da ihm das Geld nicht gehört, den Urzins an den Geldgeber ab. Er ist hierbei nur einfacher Kassenführer des Geldgebers, Wäre es sein eigenes Geld gewesen, so hätte er genau so gut den Urzins erhoben und ihn in seine eigene Tasche gesteckt. Und dann, — wo wäre dann das Darlehen gewesen? Beim Darlehen sind doch Leistung und Gegenleistung zeitlich getrennt. Der Darlehenszins richtet sich ganz nach der Zeitspannung, die zwischen Leistung und Gegenleistung liegt. Aber beim Tausche des Geldes gegen Ware, wo der Urzins erhoben wird, fallen Leistung und Gegenleistung zeitlich vollkommen zusammen. Das Darlehensgeschäft hinterläßt Gläubiger und Schuldner; das Tauschgeschäft läßt nichts zurück. Man geht in den Laden, kauft, bezahlt und geht. Das Geschäft ist restlos erledigt. Jeder gibt und erhält in der Gegenwart das, was er beansprucht. Wo wäre da ein Darlehen? Bei Darlehen kann man in manchen Fällen von Not, Bedürftigkeit, Verschuldung usw. reden, auf alle Fälle von der Unmöglichkeit, das, was man wünscht, gleich zu bezahlen. Wer ein Brot auf Borg kauft, weil er es nicht bar bezahlen kann, erhält ein Darlehen und zahlt im erhöhten Preis den Zins. Aber beim Bauer, der einen Karren voll fetter Schweine zum Markt bringt, um sie gegen Geld zu tauschen, wird man doch von Verschuldung und Bedürftigkeit nicht reden können. Der Darlehensgeber gibt von se nem Überfluß, der Darlehensnehmer nimmt aus Mangel. Aber beim Tausch hat jeder der beiden Beteiligten zugleich Überfluß und Mangel. Mangel an dem, was man verlangt, Überfluß an dem, was man anbietet.

 

Der Urzins hat also keinerlei Verwandtschaft mit dem Darlehenszins. Der Urzins ist wie gesagt, eine Abgabe, eine Steuer, ein Raub, er ist alles mög-

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liche, — nur nicht die Gegenleistung eines Darlehens. Der Urzins ist eine Erscheinung eigener Art, die für sich betrachtet werden muß, ein volkswirtschaftlicher Grundbegriff. Der Kaufmann ist bereit, für ein Gelddarlehen Zins zu zahlen, weil er weiß, daß er sich dafür an den Waren schadlos halten kann. Fällt der Urzins fort, verliert das Geld die Fähigkeit, Urzins zu erheben, so wird auch der Kaufmann keinen Zins für ein Gelddarlehen anbieten können zum Ankauf von Waren.

 

Hier wird ein Vergleich mit dem Tauschhandel wieder nützlich sein. Im Tauschhandel werden die Waren ohne Zins gegeneinander ausgetauscht. Wenn aber zur Zeit des Tauschhandels jemand eine Ware nicht in Tausch, sondern als Darlehen begehrte, so kam es ganz allein darauf an, in welchem Verhältnis Nachfrage und Angebot bei Darlehen stand, um festzustellen, ob überhaupt und wieviel Zins gefordert werden konnte. Konnte man ein Haus vermieten, und als Miete mehr als die Abschreibungen erheben, so war es selbstverständlich, daß jeder, der ein Haus in seinen Bestandteilen mietete (also in Form von Darlehen in Holz, Kalk, Eisen usw.), auch Zins dafür zahlen mußte.
Die mancherlei Wiederholungen in diesem Abschnitt waren notwendig, um der Gefahr vorzubeugen, daß der Urzins des Geldes mit dem Darlehnszins verwechselt werde.