29 Ich lasse mich bestechen

In dieser Zeit wurde mir immer klarer, daß die Weltwirtschaft in eine neue Ära eingetreten war. Die Veränderungen, die eingesetzt hatten, als Robert McNamara – ein persönliches Vorbild von mir – als Verteidigungsminister und Präsident der Weltbank tätig gewesen war, hatten sich enorm beschleunigt und damit meine schlimmsten Befürchtungen übertroffen. McNamaras keynesianischer Ansatz in der Wirtschaftspolitik und sein Plädoyer für entschlossene Führung hatten sich auf breiter Front durchgesetzt. Das EHM-Konzept war erweitert worden und erstreckte sich nun auf Manager aller Art in einer Vielzahl von Industriezweigen. Sie wurden wahrscheinlich nicht von der NSA rekrutiert oder ausgebildet, hatten aber ähnliche Funktionen wie die Mitarbeiter dieses Geheimdienstes.


Der einzige Unterschied bestand darin, daß die neuen EHM nicht mehr unbedingt mit dem Kapital internationaler Banken hantierten. Während die alte Branche, meine Branche, weiterhin florierte, zeichnete sich die neue Spielart durch andere, noch skrupellosere Machenschaften aus. Im Lauf der achtziger Jahre war im mittleren Management eine Riege junger Männer und Frauen herangewachsen, denen jedes Mittel recht war. Die Durchsetzung des Anspruchs auf Weltherrschaft erschien schlicht als ein Weg zur Steigerung der Profite.


Der neue Trend zeigte sich besonders deutlich in der Energiebranche, in der ich arbeitete. Im Jahr 1978 wurde vom Kongreß der Public Utility Regulatory Policy Act (PURPA) verabschiedet, der nach einigen juristischen Querelen schließlich 1982 in Kraft trat. Dieses Gesetz sollte ursprünglich kleine unabhängige Firmen wie meine dabei unterstützen, alternative Energiequellen zu nutzen und andere innovative Arten der Stromerzeugung zu erforschen. Das Gesetz verpflichtete die großen Energieversorger, den kleinen Firmen ihren Strom zu angemessenen und vernünftigen Preisen abzunehmen. Diese Politik stand im Zusammenhang mit Präsident Carters Ziel, die Abhängigkeit der USA vom Erdöl zu reduzieren – und zwar vom Erdöl generell, nicht nur von importiertem Öl.


Die Intention des Gesetzes bestand eindeutig darin, sowohl alternative Energien als auch die Gründung unabhängiger Firmen zu fördern, die den amerikanischen Unternehmergeist verkörperten. Doch die Wirklichkeit sah leider anders aus. Im Lauf der achtziger und neunziger Jahre verlagerte sich der Schwerpunkt von der Förderung des Unternehmergeistes zur Deregulierung. Ich verfolgte, wie viele unabhängige Firmen von den großen Ingenieur- und Baukonzernen oder den öffentlichen Energieversorgern geschluckt wurden. Letztere nutzten Schlupflöcher im Gesetz, die es ihnen ermöglichten, Holdings zu gründen, welche sowohl regulierte  nergieversorgungsunternehmen als auch nicht regulierte unabhängige Energieproduzenten besitzen durften. Viele von ihnen versuchten auch, die Kleinen in den Ruin zu treiben, um sie dann billig übernehmen zu können. Andere stampften einfach eigene Ableger aus dem Boden.


Das Ziel, die Ölabhängigkeit zu vermindern, wurde aufgegeben. Reagan verdankte den Ölkonzernen sehr viel; Bush hatte sein Vermögen in der Ölbranche erworben. Und die meisten Kabinettsmitglieder in diesen beiden Regierungen kamen entweder aus der Ölindustrie oder von den großen Anlagenbauern, die eng mit den Ölfirmen zusammenarbeiteten. Dennoch waren die Öl- und Baukonzerne nicht einseitig politisch festgelegt; auch viele Politiker der Demokraten hatten von ihnen profitiert und waren ihnen verbunden.


IPS hielt weiter an seiner Vision umweltverträglicher Energieerzeugung fest. Wir fühlten uns den ursprünglichen Zielen von PURPA verpflichtet und waren anscheinend vom Schicksal begünstigt. Wir waren einer der wenigen Kleinen, die nicht nur überlebten, sondern sich auch sehr erfolgreich entwickelten. Ich hatte keine Zweifel daran, daß wir dies in erster Linie meiner früheren Tätigkeit für die Korporatokratie zu verdanken hatten.
Die Veränderungen in der Energiewirtschaft waren repräsentativ für einen Trend, der die ganze Welt erfaßt hatte. Die Beschäftigung mit sozialen Fragen, mit Umweltproblemen und anderen Fragen der Lebensqualität wurde ersetzt durch die Gier. Die Förderung des privaten Unternehmertums erlangte eindeutigen Vorrang. Zunächst wurde dies auf theoretischer Basis gerechtfertigt durch den Gedanken, daß der Kapitalismus dem
Kommunismus überlegen sei und ihn überwinden werde. Doch im Grunde bedurfte es einer derartigen Rechtfertigung gar nicht. Man ging einfach davon aus, daß es grundsätzlich besser sei, wenn wirtschaftliche Projekte von wohlhabenden Investoren statt von Regierungen durchgeführt würden. Auch internationale Organisationen wie die Weltbank übernahmen diese Sichtweise und setzten sich für Deregulierung und die Privatisierung der Wasser- und Abwasserwirtschaft, des Kommunikationswesens, der Energieversorgung und anderer Bereiche ein, die bislang von der öffentlichen Hand organisiert worden waren.

 

Daher fiel es nicht schwer, das EHM-Konzept auch in größerem Rahmen anzuwenden und Manager aus unterschiedlichsten Wirtschaftszweigen mit Aufgaben zu betrauen, die vorher den Mitgliedern eines kleinen, exklusiven Clubs vorbehalten gewesen waren: uns! Diese Leute schwärmten in alle Teile der Welt aus. Sie suchten nach den billigsten Arbeitskräften, den am besten zugänglichen Rohstoffen und den größten Märkten. Sie kannten keine Skrupel. Ähnlich wie ihre Vorgänger – wir! – bemühten sie sich, ihre Schandtaten rational zu rechtfertigen. Und wie wir sorgten sie dafür, daß ihnen soziale Gemeinschaften und fremde Länder auf den Leim gingen. Sie versprachen ihnen Wohlstand und boten an, ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie mit Hilfe des privaten Sektors ihre Schulden loswerden konnten. Sie bauten Schulen und Autobahnen, stellten Telefone, Fernseher und medizinische Dienstleistungen zur Verfügung. Wenn sie aber anderswo noch billigere Arbeitskräfte oder noch leichter zu gewinnende Rohstoffe entdeckten, zogen sie weiter. Wenn sie eine Gemeinschaft verließen, in der sie große Hoffnungen geweckt hatten, hatte dies häufig verheerende Folgen, aber sie handelten ohne zu zögern oder auch nur einen Augenblick Gewissensbisse zu empfinden.


Ich fragte mich, wie sie dies psychisch verkrafteten und ob auch sie Zweifel plagten. Waren sie jemals an einem verschmutzten Fluß gestanden und hatten eine junge Frau beobachtet, die darin badete, während weiter oben ein Mann seine Notdurft am Wasser verrichtete? Gab es keine Howard Parkers mehr, die solche unangenehmen Fragen stellten? Obwohl ich mich über meine Erfolge mit IPS freute und mein Familienleben genoß, überkamen mich doch gelegentlich Augenblicke der Depression. Ich war jetzt Vater eines kleinen Mädchens und hatte Angst um ihre Zukunft. Ich empfand tiefe Schuld wegen meiner Rolle, die ich gespielt hatte.


Wenn ich in der Geschichte zurückblickte, stellte ich eine beunruhigende Entwicklung fest. Das moderne Weltfinanz-System war Ende des Zweiten Weltkriegs auf einem Treffen wichtiger Staatsführer geschaffen worden, das in Bretton Woods in New Hampshire stattgefunden hatte – meinem Heimatstaat. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds sollten den Wiederaufbau des vom Krieg verwüsteten Europas vorantreiben und waren dabei außerordentlich erfolgreich. Das System expandierte rasch, fand die Unterstützung aller wichtigen Verbündeten der USA und wurde bald als Allheilmittel zur Bekämpfung von Unterdrückung gepriesen. Es würde uns, so versicherte man uns, vor den Fängen des Kommunismus retten. Dennoch mußte ich mir die Frage stellen, wohin uns dies alles führen würde. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der kommunistischen Bewegung Ende der achtziger Jahre zeigte sich, daß es nicht darum gegangen war, den Kommunismus im Zaum
zu halten; es wurde offensichtlich, daß nun die Kräfte des globalen Imperiums, das im Kapitalismus wurzelte, entfesselt wurden. Jim Garrison, der Präsident des State of the World Forum, bemerkte hierzu: Im Zusammenhang betrachtet verkörpert die fortschreitende Integration der Welt, insbesondere die ökonomische Globalisierung und die Durchsetzung der »freien Marktwirtschaft«, der nahezu mythische Eigenschaften zugeschrieben werden, gewissermaßen ein eigenständiges »Imperium« … Kein Land der Erde konnte sich dem Sog der Globalisierung widersetzen. Nur wenige Staaten konnten sich den »strukturellen Anpassungen« und »Auflagen« der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds sowie den Schiedssprüchen der Welthandelsorganisation entziehen, jener internationalen Finanzinstitutionen, die, wie unzureichend sie auch sein mögen, nach wie vor bestimmen, was unter Globalisierung zu verstehen ist, welche Regeln für sie gelten und wer für Wohlverhalten belohnt oder für Verstöße bestraft wird. Die Globalisierung entfaltet eine solche Dynamik, daß
wir vermutlich noch zu unseren Lebzeiten Zeugen sein werden, wie sich alle nationalen Volkswirtschaften der Welt in ein einziges, globales System des freien Marktes integrieren.

 

Als ich über diese Zukunftsperspektiven nachdachte, kam ich zu dem Schluß, daß es ander Zeit sei, ein Enthüllungsbuch etwa mit dem Titel CONSCIENCE OF AN ECONOMIC HITMAN zu schreiben, und ich unternahm auch nichts, um mein Vorhaben geheim zu halten. Ich bin auch heute noch kein Schriftsteller, der isoliert und abgeschottet vor sich hin arbeitet. Ich möchte mich mit anderen über meine Arbeit austauschen. Ich schätze die Anregungen anderer Menschen und bitte sie, mir zu helfen, mich zu erinnern und die Ereignisse der Vergangenheit richtig zu bewerten. Gern lese ich einzelne Abschnitte eines Manuskripts, an dem ich arbeite, Freunden vor, um ihre Reaktionen einzuholen.


Ich weiß, daß das nicht ungefährlich ist, aber ich kann eben nicht anders arbeiten. Daher blieb es kein Geheimnis, daß ich an einem Buch über meine Zeit bei MAIN schrieb. Im Jahr 1987 rief mich eines Tages ein ehemaliger Partner von MAIN an und bot mir einen außergewöhnlich lukrativen Vertrag bei der Stone & Webster Engineering Company (SWEC) an. SWEC gehörte damals zu den führenden Anlagenbauern der Welt und versuchte, in dem sich verändernden Energiesektor Fuß zu fassen. Der Kontaktmann erläuterte mir, ich würde für ihre neue Tochtergesellschaft arbeiten, eine kleine Entwicklungsgesellschaft, die sich konzeptionell an Firmen wie meine IPS anlehne. Ich war froh, daß man nicht von mir erwartete, an irgendwelchen internationalen oder EHM-ähnlichen Projekten mitzuwirken.


Ich würde nicht allzu viel Arbeit haben, erklärte er mir. Ich sei einer der wenigen Männer, die erfolgreich eine unabhängige Energiefirma geleitet hätten, und besäße einen ausgezeichneten Ruf in der Branche. SWEC wolle einfach nur mein Fachwissen nutzen und mich als Berater gewinnen, was völlig legal sei und der gängigen Praxis in der Branche entspreche. Dieses Angebot war für mich vor allem deshalb verlockend, weil ich mittlerweile aus einer Reihe von Gründen einen Verkauf von IPS erwog. Der Gedanke, unter das Dach von SWEC zu schlüpfen und dafür ein spektakuläres Beratungshonorar zu kassieren, war mir daher durchaus sympathisch.


Als ich mich mit dem Chef von SWEC zu den Vertragsverhandlungen traf, lud er mich zum Essen ein. Wir plauderten eine Weile ungezwungen, und dabei wurde mir klar, daß ich gern wieder ins Beratungsgeschäft zurückkehren und die Belastung loswerden wollte, die mit der Leitung einer eigenständigen Energiefirma verbunden war, die Verantwortung für mehr als hundert Menschen, für den Bau einer Anlage und für all die Aufgaben, die Bau und Betrieb von Kraftwerken mit sich brachten. Ich hatte mir bereits überlegt, was ich mit dem stattlichen Honorar anstellen würde, das er mir anbieten würde. Unter anderem wollte ich es dafür verwenden, eine Non-Profit-Organisation ins Leben zu rufen.


Beim Dessert kam mein Gastgeber auf das Thema zu sprechen, das ich in meinem ersten Buch THE STREß-FREE HABIT behandelt hatte. Er sagte, er habe viele lobende Worte darüber gehört. Dann schaute er mir scharf in die Augen. »Haben Sie vor, weitere Bücher zu schreiben?«, fragte er. Mir wurde mulmig. Plötzlich begriff ich, worum es hier ging. Ich zögerte nicht. »Nein«, antwortete ich, »gegenwärtig beabsichtige ich nicht, ein neues Buch zu schreiben.« »Das freut mich«, meinte er. »Auch in unserem Unternehmen legen wir Wert auf Verschwiegenheit. Genau wie bei MAIN.« »Das ist mir klar.«


Er lehnte sich zurück und lächelte. »Natürlich ist überhaupt nichts einzuwenden gegen Bücher wie Ihr letztes, in dem es um Streß und solche Dinge geht. Sie können manchmal sogar die Karriere eines Mannes fördern. Als Consultant von SWEC steht es Ihnen natürlich völlig frei, solche Bücher zu veröffentlichen.« »Gut zu wissen.«


»Ja, dagegen haben wir überhaupt nichts. Aber es versteht sich natürlich von selbst, daß Sie in Ihren Büchern niemals den Namen der Firma erwähnen und daß Sie nichts schreiben über Dinge, die mit unserem Geschäft oder Ihrer früheren Tätigkeit bei MAIN zu tun haben. Sie dürfen auch keine politischen Themen anschneiden oder über irgendwelche Vorgänge im Zusammenhang mit internationalen Banken oder Entwicklungsprojekten schreiben.« Er blickte mich an. »Derartige Dinge müssen absolut vertraulich behandelt werden.« »Das ist mir klar«, versicherte ich ihm. Für einen Augenblick schien es mir, als würde mein Herz aufhören zu schlagen. Ein vertrautes Gefühl stellte sich wieder ein, das ich schon bei Howard Parker in Indonesien empfunden hatte oder als ich neben Fidel durch Panama-Stadt fuhr oder mit Paula in einem kolumbianischen Café saß. Ich verkaufte mich – wieder einmal. Dies war keine Bestechung im strafrechtlichen Sinn – es war vollkommen legal, daß dieses Unternehmen mich bezahlte, um meinen Namen auf die Liste seiner Consultants zu setzen, um meinen Rat einzuholen oder um mich hin und wieder zu einem Gespräch zu bitten, aber ich kannte auch den wirklichen Grund, weshalb man mich engagierte.


Er bot mir ein Jahreshonorar an, das einem Managergehalt entsprach. Am späten Nachmittag desselben Tages saß ich verstört in einem Flughafen und wartete auf meinen Rückflug nach Florida. Ich kam mir vor wie ein Strichjunge. Noch schlimmer, ich hatte das Gefühl, meine Tochter, meine Familie und mein Land verraten zu ha-
ben. Aber dennoch sagte ich mir, daß mir kaum eine andere Möglichkeit geblieben wäre. Ich wußte, hätte ich dieses Bestechungsgeld nicht akzeptiert, hätte es ziemlich ungemütlich für mich werden können.